BT-Drucksache 17/5424

zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. -17/5177- Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial gestalten

Vom 8. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5424
17. Wahlperiode 08. 04. 2011

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann,
Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 17/5177 –

Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial gestalten

A. Problem

Die Fraktion DIE LINKE. fordert mit Hinweis auf die nahezu vollständige
Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU ab dem 1. Mai 2011 Schutzmaß-
nahmen für die Beschäftigten. Dem sollen u. a. die Aufnahme einer sozialen
Fortschrittsklausel in das Vertragswerk der Europäischen Union wie auch die
Revision der Entsenderichtlinie dienen. Ferner solle die Bundesregierung sich
im Europäischen Rat für eine Zielvorgabe für Mindestlöhne in Höhe von min-
destens 60 Prozent des nationalen Durchschnittseinkommens einsetzen. Zum
1. Mai 2011 müsse ferner ein gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland einge-
führt werden. Notwendig seien darüber hinaus umfassende Beratung und Infor-
mation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

B. Lösung

Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, FDP
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion DIE
LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD.

C. Alternativen

Annahme des Antrags.

D. Kosten

Kostenerörterungen wurden nicht angestellt.

Drucksache 17/5424 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 17/5177 abzulehnen.

Berlin, den 6. April 2011

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales

Katja Kipping Brigitte Pothmer
Vorsitzende Berichterstatterin

öffentlichen Anhörung für diesen Antrag sowie den Antrag
lücke zu schließen. Allerdings sei wegen der dynamischen
auf Drucksache 17/4530 beschlossen. Diese fand für beide

Vorlagen in der 60. Sitzung am 4. April 2011 statt.

Die Teilnehmer der Anhörung haben schriftliche Stellung-

Wirtschaftsentwicklung in den EU8-Staaten nicht mit einem
großen Ansturm auf den deutschen Arbeitsmarkt zu rechnen.
Das gelte speziell für Fachkräfte und Hochqualifizierte. Ins-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5424

Bericht der Abgeordneten Brigitte Pothmer

I. Überweisung

1. Überweisung

Der Antrag auf Drucksache 17/5177 ist in der 99. Sitzung
des Deutschen Bundestages am 24. März 2011 an den Aus-
schuss für Arbeit und Soziales zur federführenden Beratung
und an den Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie sowie den Ausschuss für die Angelegenhei-
ten der Europäischen Union zur Mitberatung überwiesen
worden.

2. Voten der mitberatenden Ausschüsse

Der Finanzausschuss, der Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie sowie der Ausschuss für die Angelegenheiten
der Europäischen Union haben den Antrag auf Drucksache
17/5177 in ihren Sitzungen am 6. April 2011 beraten und
gleichlautend mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU,
FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen
der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion
der SPD dem Deutschen Bundestag die Ablehnung der Vor-
lage empfohlen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

Die Fraktion DIE LINKE. verweist darauf, dass ab Mai 2011
für die Bundesrepublik Deutschland eine nahezu vollständi-
ge Arbeitnehmerfreizügigkeit in Kraft trete. Die Öffnung der
Grenzen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sei zu
begrüßen. Sie sollten frei über ihren Aufenthalts- und Ar-
beitsort entscheiden dürfen. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit
könne aber nur ein Schritt auf dem Weg zu einem gemeinsa-
men Europa werden, wenn für die Beschäftigten Schutzme-
chanismen gewährleistet würden. Diese verhinderten, dass
der Wettbewerb zwischen den Unternehmen auf dem Rü-
cken der Beschäftigten ausgetragen werde. Ein solcher
Schutzmechanismus sei der gesetzliche Mindestlohn in
Kombination mit der Erleichterung von Allgemeinverbindli-
cherklärungen für darüber liegende Branchenmindestlöhne.
Ein weiterer Schutzmechanismus sei die Verankerung des
Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Ausnahmetatbestände
für die Leiharbeit. Beides fehle in Deutschland. Ebenso we-
nig gebe es für mobile Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer ausreichend Beratungsmöglichkeiten, die über die in
Deutschland geltende Rechtslage informierten.

III. Öffentliche Anhörung von Sachverständigen

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat die Beratung des
Antrags auf Drucksache 17/5177 in seiner 58. Sitzung am
25. März 2011 aufgenommen und die Durchführung einer

Folgende Verbände, Institutionen und Einzelsachverständige
haben an der Anhörung teilgenommen:

● Deutscher Gewerkschaftsbund

● Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

● Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

● Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte

● Deutsche Rentenversicherung Bund

● Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung – Aus-
land

● Prof. Dr. Frank Bayreuther

● Dr. Frank Lorenz.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) erwartet von der
vollständigen Öffnung des EU-Arbeitsmarktes im Rahmen
der Arbeitnehmerfreizügigkeit kaum Verdrängungseffekte –
sofern es um sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in
tarifgebundenen Betrieben geht. Anders sehe dies bei der
Aufnahme einer prekären Beschäftigung aus. Insbesondere
im Bereich der Leiharbeit, der Entsendung und der Nieder-
lassungsfreiheit müssten rechtliche Regelungen zur Verhin-
derung ausbeuterischer Arbeitsbedingungen und von Lohn-
dumping geschaffen und durchgesetzt werden. Der DGB
sieht die Gefahr von Lohndumping insbesondere in Berei-
chen mit niedriger Tarifbindung und fordert als Gegenmaß-
nahme, einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn in
Höhe von 8,50 Euro einzuführen. Die Anträge der Frak-
tionen SPD und DIE LINKE. griffen die Forderung auf. Zu-
dem müssten alle Branchen ins Entsendegesetz aufgenom-
men werden. Eine umfassende Kontrolle der Einhaltung von
Mindestlohn und Arbeitsbedingungen sei nötig, die Mitar-
beiterschaft der Finanzkontrolle Schwarzarbeit entsprechend
aufzustocken. Grundsätzlich sei das Grundrecht auf Arbeit-
nehmerfreizügigkeit aber ein wesentliches Element der
Europäischen Union und eine Einschränkung nur dann zu
vertreten, wenn schwerwiegende Nachteile für den Arbeits-
markt zu befürchten seien. Zudem seien angesichts der vor-
handenen Fremdenfeindlichkeit Maßnahmen zur Aufklä-
rung der Bevölkerung erforderlich. Der Schutz von Beschäf-
tigten aus den Ländern Mittelosteuropas erfordere darüber
hinaus eine umfassende Beratung der Unternehmen, der Be-
triebs- und Personalräte sowie der Beschäftigten selbst.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberver-
bände (BDA) verweist darauf, dass die Arbeitnehmerfreizü-
gigkeit für einen erfolgreichen Binnenmarkt genauso wich-
tig sei wie die übrigen Grundfreiheiten. Sie biete auch die
Chance, zumindest einen Teil der in Deutschland besonders
durch den demografischen Wandel entstehenden Fachkräfte-
nahmen abgegeben, die in der Ausschussdrucksache
17(11)477 zusammengefasst sind.

gesamt rechne die BDA nicht damit, dass es nach dem 1. Mai
2011 zu Nachteilen auf dem deutschen Arbeitsmarkt kom-

Drucksache 17/5424 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

me. Ängste vor der Freizügigkeit sind entsprechend unbe-
gründet, ebenso die Forderung nach pauschalen Einschrän-
kungen wie durch die Einführung eines flächendeckenden
Mindestlohns.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
(IAB) warnt, dass Prognosen über die Auswirkungen der Ar-
beitnehmerfreizügigkeit ab dem 1. Mai 2011 auf Deutsch-
land mit erheblichen Unsicherheiten verbunden seien. Die
Zuwanderung nach Großbritannien und Irland spreche aber
dafür, dass die nach Deutschland kommenden Zuwanderer
überwiegend jung, gut qualifiziert und motiviert seien. Die
Erwerbsquote dieser Migranten in Großbritannien übertreffe
mit 83 Prozent den Wert der Einheimischen. Mit gravieren-
den negativen Auswirkungen durch die Öffnung der Arbeits-
märkte ab dem 1. Mai 2011 rechnet das IAB nicht. Diese füh-
re zu einer Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts. Vorüberge-
hend träten allerdings eine etwas erhöhte Arbeitslosigkeit
und sinkende Löhne auf. Ein Großteil der Anpassungslast
werde aber wegen ihrer niedrigeren Entlohnung von den Mi-
granten selbst getragen werden. Zu den Verlierern der Öff-
nung bei der inländischen Arbeitnehmern würden voraus-
sichtlich diejenigen gehören, deren Tätigkeit relativ leicht
von EU8-Migranten übernommen werden könne. Das Job-
risiko eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns, wie in
den Anträgen gefordert, hält das IAB dann für gering, wenn
dieser moderat ausfalle. Ein Mindestlohn von 10 Euro und
mehr lasse dagegen Jobverluste insbesondere in Ostdeutsch-
land erwarten.

Das Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte begrüßt
auf der Grundlage seiner Erfahrungen die Forderung nach
der Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Min-
destlohnes sowie nach der Abgrenzung zwischen Selbstän-
digkeit und abhängiger Beschäftigung nach den Maßstäben
des Ziellandes. Es habe sich jedoch herausgestellt, dass trotz
der Geltung des allgemeinverbindlichen Mindestlohnes in
Branchen wie Bau oder Pflege und seiner Anwendung kraft
des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) für die Arbeit-
nehmer und Arbeitnehmerinnen aus dem EU-Ausland recht-
liche Lücken bestünden. Die Unternehmen nutzten diese
häufig und gerne, um die Mindestlohngrenze zu unterschrei-
ten. Dabei komme es vor, dass die Beschäftigten durch eine
andere Bezeichnung ihrer Tätigkeit aus dem Geltungsbe-
reich des Branchenmindestlohns herausgenommen würden.
Ferner werde die „Scheinselbständigkeit“ häufig zur Umge-
hung des bestehenden Mindestlohnes genutzt. Da jedoch in
diesen Fällen für die Feststellung einer abhängigen Beschäf-
tigung das Recht des Herkunftslandes berücksichtigt werden
müsse, werde ein wirksamer Schutz der Beschäftigten er-
schwert. Darüber hinaus begrüße man den Antrag auf stärke-
re Kontrollen durch den Ausbau der Kapazitäten der Finanz-
kontrolle Schwarzarbeit. Aufgrund der Vielzahl von Miss-
brauchsfällen, mit denen auch die Beratungsstelle innerhalb
kurzer Zeit konfrontiert worden sei, bestehe der Eindruck,
dass die bisherige Kontrolldichte nicht ausreiche.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) be-
urteilt die angestrebten Änderungen im Wesentlich als über-
flüssig oder bereits erfüllt. So sei das Problem der Schein-
selbstständigkeit vor allem eine Reaktion auf die

europäischen Ländern. Da diese Beschränkungen mit dem
1. Mai 2011 entfielen und dann auch abhängig Beschäftigte
voll freizügigkeitsberechtigt seien, werde sich das Problem
der Scheinselbständigkeit ab diesem Zeitpunkt voraussicht-
lich zumindest reduzieren. Die angestrebte zusätzliche Re-
gistrierung von Entsendungen bei der Sozialversicherung
werde aktuell durch den Entwurf eines Gesetzes zur Koordi-
nierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa und
zur Änderung anderer Gesetze eingeführt, das sich derzeit in
der Gesetzgebung befinde. Die Datei der Datenstelle umfas-
se derzeit ca. 644 000 Entsendevorgänge, die für Prüfbehör-
den, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, den Betriebsprüf-
dienst der Deutschen Rentenversicherung sowie die Träger
der gesetzlichen Unfallversicherung in elektronischer Form
abrufbar seien. Mit dem derzeit im Gesetzgebungsverfahren
befindlichen Entwurf eines Gesetzes zur Koordinierung der
Systeme der sozialen Sicherheit in Europa und zur Änderung
anderer Gesetze sollten zudem die Tatbestände, aufgrund
derer eine Erfassung in dieser Datei erfolge, über die Entsen-
dungen hinaus auch auf den Bereich der sogenannten Mehr-
fachbeschäftigten ausgeweitet werden. Mehrfachbeschäftigt
sei eine Person, die gleichzeitig oder nacheinander gewöhn-
lich in mindestens zwei Mitgliedstaaten eine Beschäftigung
ausübe. Auf diese Personen fänden regelmäßig die Rechts-
vorschriften des Wohnmitgliedstaats Anwendung.

Die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung –
Ausland (DVKA) schließt sich der Stellungnahme der DRV
Bund inhaltlich dahingehend an, dass einer Abgrenzung zwi-
schen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung im
Zielland der Entsendung nach dessen Maßstäben der
Artikel 14 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 987/09 entge-
genstehe. Des Weiteren ist es nach der Ansicht der DVKA
nicht möglich, eine Generalunternehmerhaftung beim Ein-
satz von entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
einzuführen, wie sie beispielsweise § 14 AEntG oder für das
Baugewerbe § 28e Absatz 3a bis e des Vierten Buches So-
zialgesetzbuch (SGB IV) i. V. m. § 150 Absatz 3 SGB VII
vorsehe. Dem stehe der Artikel 12 der Verordnung (EG)
Nr. 883/04 entgegen. Hiernach könnten die Rechtsvorschrif-
ten des deutschen SGB auf einen entsendeten Arbeitnehmer
und dessen Arbeitgeber nicht angewendet werden, wenn der
entsendete Arbeitnehmer aus einem EU-Mitgliedstaat
stamme und die weitere Anwendung der Rechtsvorschriften
seines Herkunftsstaats mittels der Entsendebescheinigung
A 1 nachweisen könne. Eine allgemeine Generalunterneh-
merhaftung beim Einsatz von entsandten Arbeitskräften
würde daher nur bei Änderung der entsprechenden EG-Ver-
ordnung in Betracht kommen.

Der Sachverständige Prof. Dr. Frank Bayreuther erwartet
keine unlösbaren Schwierigkeiten auf dem deutschen Ar-
beitsmarkt durch die vollständige Herstellung der Arbeitneh-
merfreizügigkeit und der Dienstleistungsfreiheit. Begleiten-
de gesetzliche Regelungen seien aber zu empfehlen, um der
Situation ab dem 1. Mai 2011 besser gerecht zu werden. Zu-
nächst sei eine Anpassung des Arbeitnehmerüberlassungs-
gesetzes (AÜG) geboten, weil die grenzüberschreitende Ar-
beitnehmerüberlassung ab dem 1. Mai 2011 deutlich an
Bedeutung gewinnen werde. Für die Leiharbeitsbranche
empfehle sich die rasche gesetzliche Normierung eines Min-
destlohns. Jedoch seien die diesbezüglich angestrebten Re-
Freizügigkeitsbeschränkungen für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer aus den zum 1. Mai 2004 beigetretenen ost-

gelungen ergänzungsbedürftig. So seien die Sanktionen bei
Unterschreitung des Mindestlohns zu schwach ausgestaltet.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5424

Entscheidende Reaktionsmöglichkeiten, wie die Verhän-
gung von Geldbußen über 500 000 Euro gegen den Entleiher
oder der Ausschluss des Entleihers vom öffentlichen Verga-
beverfahren, fehlten. Ferner solle der Entleiher mit Ein-
schränkungen als Bürge für die Mindestlohnansprüche der
Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer in Anspruch ge-
nommen werden können. Darüber hinaus müsse eine an § 15
AEntG angelehnte Gerichtsstandbestimmung im AÜG ein-
geführt werden, damit nach Deutschland entliehene auslän-
dische Beschäftigte ihre Ansprüche auf Mindestlohn und
Gleichbehandlung vor deutschen Arbeitsgerichten einklagen
könnten.

Der Sachverständige Dr. Frank Lorenz empfiehlt die Wie-
dereinführung der allgemeinen gewerberechtlichen Melde-
pflicht, um eventuelle Umgehungen durch eine scheinbar
selbständige Tätigkeit zu vermeiden. Des Weiteren sei vor
einer Verwässerung der Abgrenzung zwischen Niederlas-
sungsfreiheit, die eine kontinuierliche Tätigkeit von einiger
Dauer zum Gegenstand habe, und der Dienstleistungsfrei-
heit, welche durch einen vorübergehenden Charakter geprägt
sei, zu warnen. Eine unklare Abgrenzung werde künftig dem
Missbrauch Vorschub leisten. Daher sei es notwendig, ge-
setzliche Mindestkriterien zur Abgrenzung der beiden
Grundfreiheiten aufzustellen. Besondere Probleme gebe es
in der grenzüberschreitenden Leiharbeit. Das AÜG bedürfe
daher einer Novellierung. Der Entwurf eines Ersten Gesetzes
zur Änderung des AÜG enthalte bereits einige Neuerungen,
die geeignet erschienen, Missbrauchsfällen vorzubeugen.
Gleichwohl seien die Kernprobleme der Entgeltdifferenz
und der Abgrenzung von Dienst- und Werkverträgen nur un-
zureichend bzw. gar nicht gelöst worden. Es müsse vielmehr
eine Vermutungsregelung in das AÜG aufgenommen wer-
den, nach der bei Arbeitsleistungen, die bisher von den Be-
schäftigten des Entleihers ausgeführt worden seien, vermutet
werde, dass es sich um Arbeitnehmerüberlassung handele.

Für weitere Details wird auf die gesammelten Stellungnah-
men auf Ausschussdrucksache 17(11)477 verwiesen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse
im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den Antrag auf
Drucksache 17/5177 in seiner 61. Sitzung am 6. April 2011
abschließend beraten und mit den Stimmen der Fraktionen
CDU/CSU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen
die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthaltung
der Fraktion der SPD dem Deutschen Bundestag die Ableh-
nung des Antrags empfohlen.

Die Fraktion der CDU/CSU wies darauf hin, dass die Ent-
wicklung nach dem 1. Mai 2011 nicht absehbar sei. Migra-
tionsprognosen seien allgemein mit hohen Unsicherheiten
behaftet. Überwiegend werde erwartet, dass die Zuwande-
rung aus den EU8-Staaten zwar steigen, jedoch begrenzt
bleiben werde. Ein „Ansturm“ werde nicht erwartet. Für die-
se Einschätzung würden Erfahrungen anderer Mitgliedstaa-
ten und Entwicklungen in der Übergangszeit sprechen. Man
müsse gewappnet sein, unabhängig davon, wie viele Arbeit-
nehmer aus dem EU-Ausland dann eine Arbeit in Deutsch-
land aufnähmen. Man warne aber vor Panikmache. Die
Europäer, die dann kämen, seien willkommen. Der Antrag

ten Forderungen, wie die nach einem allgemeinen gesetz-
lichen Mindestlohn und der Ausweitung des Arbeitnehmer-
Entsendegesetzes auf alle Branchen. Aus diesen Branchen
lägen aber keine Anträge darauf vor. Man könne sie nicht
gegen ihren Willen „beglücken“. Mindestlöhne nach dem
Arbeitnehmer-Entsendegesetz würden insbesondere schon
für die Branchen Bau und Gebäudereinigung gelten, wo zum
1. Mai 2011 letzte Beschränkungen für die Arbeitnehmer-
entsendung wegfallen würden. Weitere Branchenmindest-
löhne würden für Sicherheitsdienstleistungen sowie in der
Weiterbildung angestrebt. Auch die von den Antragstellern
geforderte Ausweitung von Beratungskapazitäten und
Kontrollen sei offensichtlich nicht erforderlich, wie die An-
hörung ergeben habe. Man werde den Antrag daher ableh-
nen.

Die Fraktion der SPD kritisierte die Untätigkeit der Bun-
desregierung. Der Termin der vollen Arbeitnehmerfreizügig-
keit in der EU stehe nunmehr kurz bevor und Einschränkun-
gen im Bereich der Dienstleistungsfreiheit würden entfallen.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die dann nach
Deutschland kämen, seien willkommen – dazu gehörten
auch die entsandten Beschäftigten. Sie benötigten aber
Schutzregelungen, um dem Wettbewerb auf dem Arbeits-
markt nicht völlig ausgeliefert zu sein. Andernfalls werde es
zu Lohn- und Sozialdumping kommen, wie es die bisherige
Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland bereits
gezeigt habe. Das müsse verhindert werden. Informationen
seien nötig. Man dürfe sich angesichts der Befürchtungen in
der eigenen Bevölkerung auch nicht hinter vermeintlicher
Rechtssicherheit verstecken, sondern müsse handeln. Daher
habe die Fraktion der SPD in ihrem Antrag die dringend be-
nötigten Maßnahmen eingefordert.

Die Fraktion der FDP befürchtete keine Verwerfungen auf
dem Arbeitsmarkt nach dem 1. Mai 2011. Es gebe keinen
Grund zur Sorge, also auch keinen, dem Antrag der Fraktion
DIE LINKE. zuzustimmen. Vermutlich werde sich durch die
volle Arbeitnehmerfreizügigkeit ohnehin nur sehr wenig än-
dern. Leider werde dadurch aber auch der Facharbeitermangel
in Deutschland voraussichtlich nicht merklich gelindert. Die
Zuwanderungsdebatte bleibe also weiterhin dringend nötig.

Die Fraktion DIE LINKE. forderte ebenfalls eine Auswei-
tung der Schutzrechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer. Dazu benötige man einen allgemeinen gesetzlichen
Mindestlohn, aber auch erheblich mehr Beratung und Infor-
mationen für entsandte Beschäftigte als bisher. Das Land
Berlin habe dafür ein ausgezeichnetes Modell geschaffen,
das beim DGB angesiedelt sei. Dies müsse dauerhaft finan-
ziell abgesichert und mit weiteren Beratungsstellen über
Berlin hinaus ausgebaut werden.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN warf die Frage
auf, warum die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit so lange wie
möglich aufgeschoben worden sei – wenn es denn wirklich
keinen Grund zur Sorge gebe. Man hätte die Freizügigkeit
schon längst einlösen, den Arbeitsmarkt darauf aber auch
vorbereiten sollen. Die meisten anderen europäischen Staa-
ten hätten längst einen allgemeinen gesetzlichen Mindest-
lohn, der in Deutschland noch immer fehle. Besonders Ge-
ringqualifizierte müssten so einen zunehmenden Druck auf
wiederhole lediglich die schon bisher immer wieder gestell- ihre ohnehin schon schmalen Löhne befürchten. Sie würden

Drucksache 17/5424 destag – 17. Wahlperiode

Berlin, den 6. April 2011

Brigitte Pothmer
Berichterstatterin
– 6 – Deutscher Bun

ohne diese Schutzrechte absehbar zu den Verlierern des zu-
sammenwachsenden Europas zählen. Um das zu verhindern,
reiche ein Mindestlohn allein für die Leiharbeit nicht aus.
Eigentlich brauche man dafür Equal Pay.

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