BT-Drucksache 17/5409

Hintergründe des bewaffneten Angriffs auf Libyen

Vom 5. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5409
17. Wahlperiode 05. 04. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Wolfgang Gehrcke, Andrej Hunko,
Dr. Diether Dehm, Christine Buchholz, Annette Groth, Harald Koch und der
Fraktion DIE LINKE.

Hintergründe des bewaffneten Angriffs auf Libyen

Am 18. März 2011 beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der
Resolution 1973 auf Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta bei zehn Ja-
Stimmen und fünf Enthaltungen (Brasilien, China, Deutschland, Indien und
Russland) eine Reihe von Maßnahmen, darunter die militärisch abgesicherte
Einrichtung einer Flugverbotszone, welche mit der Sorge um den Schutz der
Zivilbevölkerung in Libyen begründet wurden. Die Resolution 1973 erlaubt
zum Zwecke des Schutzes der Zivilbevölkerung den Einsatz militärischer Mit-
tel, insbesondere gegen Angriffe aus der Luft. Nicht zuletzt durch den geschei-
terten Einsatz der britischen Spezialeinheit SAS in Libyen wurde deutlich, dass
die gegenwärtig intervenierenden Staaten keineswegs nur defensiv auf die Ein-
haltung einer Flugverbotszone hinwirken, sondern vielmehr einen massiven An-
griff gegen die libysche Infrastruktur und die Landstreitkräfte zugunsten ausge-
wählter bewaffneter Oppositionsgruppen führen, (siehe die britische Tageszei-
tung The Telegraph vom 6. März 2011, www.telegraph.co.uk/news/worldnews/
africaandindianocean/libya/8365069/Libya-SAS-mission-that-began-and-ended-
in-error. html). Laut einem Bericht des Magazins „DER SPIEGEL“ vom
24. März 2011 (www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,752447,00.html) steht
der vom Nationalen Libyschen Übergangsrat ernannte Generalstabschef Abd al-
Fattah Junis in ständigem Kontakt zu den intervenierenden Streitkräften. Ver-
handlungsoptionen zur friedlichen Beilegung des Konfliktes wurden von der in-
ternationalen Gemeinschaft nicht wahrgenommen, obwohl u. a. die Afrikanische
Union am 10. März 2011 die Einrichtung eines Vermittlungskomitees beschlos-
sen hat.

Der Außenministerrat der Arabischen Liga bekräftigte bereits in seiner Resolu-
tion vom 3. März 2011, dass er jegliche Form der ausländischen Intervention in
Libyen ablehnt und die Einrichtung einer Flugverbotszone als Aufgabe der Ara-
bischen Liga und der Afrikanischen Union betrachtet. Die Forderung nach Ein-
richtung einer Flugverbotszone gegen libyschen Militärflugverkehr sowie von
Sicherheitszonen in Gegenden, die von der Luft angegriffen werden, wurde er-
neut durch einen Sondergipfel der Liga am 12. März 2011 bestätigt. Diese Maß-

nahmen wurden ausdrücklich unter Anerkennung der Souveränität Libyens als
Vorsichtsmaßnahmen bezeichnet und sollten nur defensiven Zwecken zum
Schutz von Zivilisten dienen. Der Rat für Frieden und Sicherheit der Afrikani-
schen Union bekräftigte bei seiner Sitzung am 10. März 2011 in Addis Abeba
die Achtung der Einheit und territorialen Integrität Libyens und lehnte jede
Form der militärischen Intervention – egal welcher Form – ab.

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Im arabischen Raum bemühen sich einzig die sechs Mitgliedsländer des Golf-
Kooperationsrates (GCC), seit Jahren verlässliche Militärpartner der westlichen
Staaten, darum, die militärische Intervention zu unterstützen. Zeitgleich lassen
diese autoritären Regierungen im Schatten der Intervention friedliche Proteste in
ihren eigenen Staaten blutig niederschlagen. So wurden in Bahrain zahlreiche
Demonstranten durch Sicherheitskräfte erschossen und das menschenverach-
tende Regime durch eine militärische Intervention Saudi-Arabiens unterstützt.

Die Resolution 1973 gilt als Umsetzung eines mit dem Völkerrecht kaum ver-
einbaren Rechtskonstrukts einer „Verantwortung zum Schutz“ und dient, wie
von Kritikern dieses Konzepts prognostiziert, dazu, einen Regimewechsel mili-
tärisch durchzusetzen. Frankreich und andere intervenierende Staaten haben das
Ziel das Regime Muammar al-Gaddafis zu beseitigen, mehrmals offen ausge-
sprochen. Bezeichnend ist es, dass diese „Verantwortung zum Schutz“ erstmals
gegenüber einem ölreichen und strategisch enorm wichtigen Land zur Geltung
gebracht wurde.

Der Sicherheitsrat hatte bereits am 26. Februar 2011 in der Resolution 1970 in
Zusammenhang mit der fortdauernden Gewalt in Libyen ein Waffenembargo,
Reiseverbote und Konteneinfrierungen gegen die im dazugehörigen Annex der
Resolution genannten Personen verhängt. Die Resolution 1970 beinhaltete eine
Bewertung, nach welcher die in Libyen stattfindenden „flächendeckenden und
systematischen Angriffe gegen die Zivilbevölkerung möglicherweise Verbrechen
gegen die Menschlichkeit gleichkommen“. Gemäß Artikel 7 des Römischen Sta-
tuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) werden Verbrechen gegen die
Menschlichkeit als Handlungen definiert, die im Rahmen eines ausgedehnten
oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des
Angriffs begangen werden und u. a. folgende Akte umfassen: Ausrottung, Ver-
sklavung, Vertreibung oder zwangsweise Überführung der Bevölkerung, Folter,
sexuelle Sklaverei oder Verfolgung aus politischen, rassischen, nationalen, ethni-
schen, kulturellen oder religiösen Gründen.

Bislang wurden der Weltöffentlichkeit keine detaillierten Beweise für die bean-
standeten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, welche der Resolution 1970
vom 26. Februar 2011 und der Resolution 1973 vom 18. März 2011 zugrunde
gelegt wurden, vorgestellt. In diesem Zusammenhang wurde vorgetragen, liby-
sche Luftstreitkräfte würden zur Bombardierung von Zivilisten eingesetzt, ohne
jedoch konkrete Vorfälle und Opferzahlen zu nennen. Dies ist insofern unver-
ständlich, als die Einrichtung der Flugverbotszone in Libyen einmütig als not-
wendiges Instrument zur Verhinderung eben dieser Angriffe ausgegeben wurde.
Auch Amnesty International bemängelte, dass trotz begründeter Kritik an der
Menschenrechtslage in Libyen bislang keine Beweise für den Einsatz der liby-
schen Luftwaffe gegen Zivilisten vorgelegt wurden (www.amnesty.org/en/
news-and-updates/qa-human-rights-and-war-libya-2011-03-21). Die seit mehr
als zehn Jahren anhaltend prekäre Menschenrechtslage in Libyen und die dort
herrschenden diktatorischen Verhältnisse stellten in der Vergangenheit für die
westlichen Regierungen kein Hindernis in der Pflege und dem Ausbau ihrer
freundschaftlichen, strategischen, politischen und wirtschaftlichen Beziehungen
mit Libyen dar. Zugleich berichtet Amnesty International kontinuierlich über
massive Menschenrechtsverletzungen in anderen arabischen Diktaturen, insbe-
sondere den langjährigen Partnern der intervenierenden Staaten wie Bahrain und
Saudi-Arabien, die eine Intervention angeblich zum Schutze der Zivilbevölke-
rung in Libyen unterstützen, jedoch selbst friedliche Proteste brutal mit Schuss-
waffen niederschlagen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die Deutsche
Sektion der International Association of Lawyers against Nuclear Arms in ihrem
Gutachten vom 24. März 2011 und fordert deshalb die Bundesregierung auf,
sich für eine sofortige Beendigung der Bombardierung Libyens einzusetzen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5409

Gemäß Artikel 2 Nummer 7 der UN-Charta kann aus der Charta keine Befugnis
der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen
nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung
der Mitglieder, solche Angelegenheiten einer Regelung auf Grund dieser Charta
zu unterwerfen, abgeleitet werden. Auch die Friendly Relations Declaration der
Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 24. Oktober 1970 verpflich-
tet jeden Staat, die Organisierung, Anstiftung oder Unterstützung von Bürger-
kriegs- oder Terrorhandlungen in einem anderen Staat und die Teilnahme daran
oder die Duldung organisierter Aktivitäten in seinem Hoheitsgebiet, die auf die
Begehung solcher Handlungen gerichtet sind, zu unterlassen, wenn die in die-
sem Absatz genannten Handlungen die Androhung oder Anwendung von
Gewalt einschließen. Das Interventionsverbot wurde auch durch die ständige
Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) bestätigt. So wurden in
der berühmten Nicaragua-Entscheidung nicht nur die völkerrechtswidrige
Gewaltanwendung als solche verurteilt, sondern auch die rechtswidrige Inter-
vention gegen eine Regierung durch die Unterstützung von militärischen und
paramilitärischen Gegenkräften. Das Gericht hat dabei ausdrücklich auch die
Unterstützung bewaffneter Gruppen zum Sturz einer Regierung verurteilt.

Nach internationalen Presseberichten wurde eine ausländische Intervention in-
nerhalb der heterogenen libyschen Oppositionsgruppen kontrovers diskutiert,
aber von der Opposition nicht ausdrücklich gefordert (siehe z. B. The New York
Times vom 1. März 2011, www.nytimes.com/2011/03/02/world/africa/02libya.
html). Nach Angaben der Pressagentur „Reuters“ vom 28. Februar 2011 sprach
sich der Sprecher des Nationalen Libyschen Übergangsrates, Abdul Hakim
Ghoga, ausdrücklich gegen eine ausländische Intervention aus: „We are
completely against foreign intervention. The rest of Libya will be liberated by
the people … and Gaddafi's security forces will be eliminated by the people of
Libya” (siehe: http://af.reuters.com/article/libyaNews/idAFLDE71Q0DM2011
0227). Die eindeutige militärische Unterstützung der bewaffneten Opposition
durch die intervenierenden Staaten legt nahe, dass die Resolution 1973 in Wirk-
lichkeit einen völkerrechtswidrigen Regimewechsel in Libyen durchsetzten soll,
nachdem das Verhältnis der westlichen Staaten zu Muammar al-Gaddafi zerrüt-
tet war und Muammar al-Gaddafi den Bürgerkrieg zu gewinnen schien.

Viele Libyer wollten dem tunesischen bzw. ägyptischen Model einer demokra-
tischen Revolution folgen. Die militärische Intervention und einseitige Unter-
stützung von Teilen der bewaffneten Opposition durch den Westen haben maß-
geblich zur Eskalation der Aufstände zu einem internationalisierten Bürgerkrieg
beigetragen. Die derzeit stattfindenden Bombardierungen haben die friedlichen
Kräfte der Opposition zum Verstummen gebracht und ihre Initiative zur demo-
kratischen Umgestaltung in die Hände von Militärs gelegt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Fälle von flächendeckenden und systematischen Angriffen der
libyschen Luftwaffe auf Zivilisten, die als Grund der ausländischen Interven-
tion angegeben wurden, sind der Bundesregierung bekannt (bitte nach Da-
tum, Ort, Anzahl der Toten bzw. der Verletzten, Geschlecht und Todesursache
auflisten)?

2. Aus welchen Quellen hat die Bundesregierung die Kenntnisse über die in
Frage 1 genannten Fälle bezogen?

3. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Nichteinhaltung des
Waffenstillstands durch die libysche Luftwaffe in Form von flächendecken-
den und systematischen Bombardierungen von Zivilisten seit der Verabschie-
dung der Resolution des Sicherheitsrates vom 18. März 2011?

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4. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die zivilen Opfer der
militärischen Maßnahmen der intervenierenden Staaten (bitte nach Datum,
Ort, Anzahl der Toten bzw. der Verletzten, Geschlecht und Todesursache
auflisten)?

5. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass die Resolution 7360 der Arabi-
schen Liga vom 12. März 2011, welche maßgeblich zur Legitimierung der
Einrichtung einer Flugverbotszone in Libyen beigetragen hat, unter Ab-
wesenheit einer bedeutenden Anzahl der Mitgliedstaaten der Organisation
verabschiedet wurde, und der Beschluss – ohne eine Abstimmung – allein
auf Grundlage einer Erklärung des Vorsitzes auf eine Initiative des General-
sekretärs Amr Mussa zurückgeht?

Wenn nein, welche Staaten der Arabischen Liga waren in der entsprechen-
den Sitzung nicht anwesend, und welche Form der Abstimmung hat es ge-
geben?

6. Hat die Bundesregierung Kenntnis über Bedenken, die von Vertretern der
Arabischen Liga gegen die Verhängung der Flugverbotszone geäußert wur-
den?

Wenn ja, welche (bitte nach Ländern und Inhalt auflisten)?

7. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Nichteinhaltung
des Waffenstillstands, seit der Verabschiedung der Resolution des Sicher-
heitsrates vom 18. März 2011 durch

a) regierungstreue Truppen,

b) bewaffnete Opposition?

8. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Nichteinhaltung
des Waffenstillstands sowie Angriffe auf Zivilisten durch die bewaffnete
Opposition, die den Rückzug der libyschen Regierungstruppen infolge der
Bombardierungen der intervenierenden Staaten dazu nutzten, um in diese
Gebiete vorzurücken (bitte nach Ort, Anzahl, Angehörigkeit zu Opposi-
tionsgruppen auflisten)?

9. Sind der Bundesregierungen Fälle bekannt, bei denen sich Militärflugzeuge
der bewaffneten Opposition nicht an die eingerichtete Flugverbotszone ge-
halten haben?

10. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung darüber, welche bewaffne-
ten und welche nichtbewaffneten oppositionellen Gruppen in Libyen sich
wann für eine Intervention ausländischer Truppen ausgesprochen haben
sollen (bitte die jeweilige Gruppe nach dem Datum der Äußerung benen-
nen)?

11. Welche Ziele oder Objekte wurden bislang von den intervenierenden Staa-
ten bombardiert, die nicht strikt mit der Sicherstellung eines Flugverbots für
libysche Militärflugzeuge zum Zwecke des Schutzes von Zivilisten gegen
Angriffe aus der Luft zusammenhängen?

12. Inwiefern vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass militärische
Angriffe von zivilen Objekten bzw. von Objekten, die aufgrund ihres Stand-
orts, der Lage, des Zeitpunkts und der zivilen Nutzung, namentlich Brü-
cken, Straßen und Privattransporter, die maßgeblich zivil genutzt werden,
von der Resolution 1973 des Sicherheitsrates zur Einrichtung einer Flugver-
botszone gedeckt sind, und warum?

13. Wenn ja, teilt die Bundesrepublik Deutschland die Ansicht, dass Angriffe
auf solche zivile Objekte einen Verstoß gegen das Zusatzprotokoll zu dem

Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer inter-
nationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) darstellen?

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14. Gedenkt die Bundesregierung solche Angriffe, die gegen die Regeln des hu-
manitären Völkerrechts (insbesondere Artikel 48 ff. des Zusatzprotokolls
zu dem Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer
internationaler bewaffneter Konflikte) gerichtet sind, als Kriegsverbrechen
zur Überprüfung an zuständige internationale Gerichte zu verweisen?

15. Worin besteht die „Gefährdung des internationalen Friedens“ im aktuellen
Bürgerkrieg in Libyen, der zur Grundlage der Verabschiedung der Resolu-
tion 1973 am 18. März 2011 wurde?

Welche grenzüberschreitenden Tatbestände sind der Bundesregierung als
Mitglied des Sicherheitsrates bei der Festlegung des Sicherheitsrates dies-
bezüglich bekannt geworden?

16. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die angebliche Nut-
zung von Zivilpersonen als Schutzschilder durch regimetreue Truppen, um
so Bombardierungen militärischer Objekte in Libyen zu verhindern?

17. Wie beurteilt in Zusammenhang mit Frage 16 die Bundesregierung die
Glaubwürdigkeit der TV-Medienberichterstattung zum Thema Kriegsein-
satz in Libyen, insbesondere nach der Weiterverbreitung von gezielten
Falschmeldungen in Deutschland, wie die des US-TV-Senders FOX NEWS
vom 21. März 2011 unter dem Titel „EXCLUSIVE: Libyans Use Journa-
lists as Human Shields“ (www.foxnews.com/world/2011/03/21/exclusive-
libyans-use-journalists-human-shields/) betreffend die angebliche Nutzung
von menschlichen Schutzschildern durch das libysche Regime?

18. Welche Teile der libyschen Opposition werden derzeit von den intervenie-
renden Staaten bzw. Deutschland militärisch, politisch, finanziell oder
logistisch unterstützt?

Welche Kontakte unterhält die Bundesregierung zum Nationalen Libyschen
Übergangsrat sowie dem Generalstabschef Abd al-Fattah Junis?

19. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Unterstützung der-
jenigen Teile der bewaffneten Opposition in Libyen durch die Koalition in-
tervenierender Staaten, die Kämpfer der Al Qaida aus Afghanistan in
Kämpfen gegen Regierungstruppen in Libyen einsetzt, wie der Opposi-
tionsführer Abdel-Hakim al-Hasidi in einem Interview mit der italienischen
Tageszeitung „Il Sole 24 Ore“ bestätigte und dabei zugab, zuvor selbst gegen
die US-Streitkräfte in Afghanistan gekämpft zu haben, bevor er von diesen
im Jahr 2002 festgenommen wurde (www.telegraph.co.uk/news/worldnews
/africaandindianocean/libya/8407047/Libyan-rebel-commander-admits-his-
fighters-have-al-Qaeda-links.html)?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung die Äußerung des türkischen Staatsprä-
sidenten Abdullah Gül vom 23. März 2011, in der er die intervenierenden
Staaten mit folgenden Worten kritisiert: „Es scheint klar, dass einige Län-
der, die diesen Diktatoren bis gestern sehr nahe standen, heute extreme
Maßnahmen ergreifen. Dies schürt den Verdacht, dass es geheime Absich-
ten gibt“?

Wie erklärt die Bundesregierung die Hintergründe dieser Kritik und der
Rücktrittsforderung an den libyschen Staatspräsidenten mit den Worten
„Die Mächtigen in Libyen müssen umgehend abtreten, um eine Plünderung
durch andere abzuwenden“?

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21. Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussagen des Bundesministers für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel, vom
24. März 2011 in der ZDF-Fernsehsendung „Maybrit Illner“, dass vor der
militärischen Intervention „noch nicht alle nichtmilitärischen Mittel ausge-
schöpft“ wurden und, es „bemerkenswert [sei], dass gerade die Nationen
munter in Libyen bomben, die noch Öl von Libyen beziehen“?

22. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Anzahl, den Haft-
grund, den Unterbringungsort sowie die Haftbedingungen von Häftlingen,
die sich im Gewahrsam der regierungstreuen Truppen sowie der bewaffne-
ten Opposition befinden?

23. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Anzahl und die
Hintergründe von extralegalen Hinrichtungen, die von Regierungstruppen
sowie der bewaffneten Opposition durchgeführt werden?

24. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die in Libyen operie-
renden Spezialeinheiten und Geheimdienste intervenierender oder anderer
Staaten (darunter Deutschlands, falls zutreffend), und seit wann, wo, mit
welchem Ziel und auf welcher Grundlage operieren diese auf libyschem
Staatsgebiet?

25. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die militärischen,
politischen und strategischen Ziele, welche die bewaffnete Opposition ver-
folgt, zu deren Gunsten die britische Spezialeinheit SAS in Libyen ope-
rierte?

26. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Festschreibung
von militärischen Zielen durch ausländische Spezialeinheiten und Geheim-
dienste in der Zeit vor der Verabschiedung der Resolutionen 1973 bzw.
1970?

Auf welcher rechtlichen Grundlage erfolgte das Sammeln von Informatio-
nen über den Feind (militärische Aufklärung), die Durchführung von Sabo-
tageakten hinter feindlichen Linien und das Markieren von Zielen für den
Beschuss im Rahmen einer anschließenden militärischen Intervention, wie
im Falle der britischen SAS u. Ä.?

27. Auf Grundlage welcher Anhaltspunkte hat der IStGH in Den Haag Ermitt-
lungen gegen Libyen wegen möglicher Verbrechen gegen die Menschlich-
keit eingeleitet (bitte genaue inkriminierte Vorfälle und Umstände der Ver-
brechen nennen sowie der strafrechtlich relevanten normativen Tatbe-
standsmäßigkeit)?

28. Inwiefern erlaubt die Einfügung der Passage um Artikel 16 des Römischen
Statuts im Feststellungsteil der UN-Resolution 1970 vom 26. Februar 2011
eine faktische Immunität gegenüber Ermittlungen des StGH in Den Haag
wegen möglicher Kriegsverbrechen, die von Staatsbürgern und Militäran-
gehörigen der intervenierenden Staaten in Libyen verübt werden?

Wenn ja, warum hat Deutschland im Sicherheitsrat für die Gewährung die-
ser Immunität gestimmt?

29. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Arbeitsinhalte, Ar-
beitsplanung, Treffen und Beschlüsse des Menschenrechtsausschusses der
Vereinten Nationen, der am 25. Februar 2011 mit der Resolution A/HRC/S-
15/2 das Einsetzen einer unabhängigen Untersuchungskommission zur
Aufklärung aller behaupteten Menschenrechtsverletzungen beschlossen
hatte?

In welcher Weise bringt sich Deutschland in die Arbeiten dieser Unter-

suchungskommission ein?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/5409

30. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Herkunft, Motiva-
tion, Entlohnung und den Umfang von nicht aus Libyen stammenden
Kämpfern, die an den Gefechten in Libyen teilnehmen?

Befürwortet die Bundesregierung eine internationale Untersuchung über
die Beteiligung von Söldnern durch alle Konfliktparteien?

31. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die vom UN-Flüchtlings-
werk UNHCR beklagten massiven gewalttätigen Übergriffe auf ausländi-
sche Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Migrantinnen und Migranten insbe-
sondere im Osten Libyens, die sich im Zuge der Eskalation der Gewalt nach
Beginn der Luftschläge auf der Flucht befinden?

32. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die anscheinend pogrom-
artige Verfolgung von Menschen mit dunkler Hautfarbe durch die soge-
nannten Rebellen, welche sich in diesem Zusammenhang wie im Falle der
Betroffenen aus Mali zu Hunderten in ihre Botschaft flüchteten?

33. Wie viele Personen waren bislang nach Kenntnis der Bundesregierung von
solchen pogromartigen Verfolgungen betroffen, wo befinden sie sich
momentan, und aus welchen Ländern stammen diese?

34. Inwieweit sind der Bundesregierung extralegale Morde an libyschen Staats-
angehörigen sowie Migrantinnen und Migranten, insbesondere schwarzer
Hautfarbe, bekannt?

35. Was hat die Bundesregierung unternommen bzw. was wird sie in Zukunft
unternehmen, um die pogromartige Verfolgung dieser Personen zu verhin-
dern?

36. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über die Zugänglichkeit
des Seeweges zwischen der libyschen Küste und Italien in den vergangenen
fünf Wochen für etwaige Flüchtlinge aus Libyen und die Kontrolle oder Be-
hinderung ihrer Reisebewegungen durch Schiffe oder sonstige Maßnahmen
des Militärs der intervenierenden Staaten?

37. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag Maltas und anderer EU-
Mitgliedstaaten, im Rahmen eines europäischen Marineeinsatzes, der mit
der Sicherung humanitärer Hilfsgüter begründet wird, im Falle größerer
Fluchtbewegungen über das Mittelmeer den Einsatz der EU-Grenzschutz-
agentur FRONTEX zu unterstützen?

38. Welche Kenntnisse besitzt die Bundesregierung über den Abschluss
(Rechtsgrundlage, Inhalt, Fördervolumen, Laufzeit) und zugesicherten
Gegenleistungen von Verträgen zwischen der deutschen BASF-Tochter
Wintershall Holding GmbH und der Libya’s National Oil Corporation
(NOC), welche unter der Vermittlung von Saif al-Islam al-Gaddafi bezüg-
lich der Ausbeutung der Ölfelder von al-Jurf im Sirte-Becken zustande ge-
kommen sind, bei denen es nach Berichten der norwegischen Tageszeitung
„Aftenposten“ vom 10. März 2011 zu einem erheblichen Vermögensscha-
den zuungunsten des libyschen Staatseigentums gekommen ist?

39. Welche Konten von ehemaligen oder amtierenden hohen libyschen Staats-
beamten sowie anderen Amtsträgern und deren Angehörigen hat die Bun-
desregierung (wann, durch welche Behörde, bei welcher Bank und in wel-
cher Höhe) im Zusammenhang mit der Verabschiedung der Sicherheitsrats-
Resolution 1970 vom 26. Februar 2011 gesperrt?

a) Auf welcher rechtlichen Grundlage erfolgten (falls zutreffend) die Sper-
rungen der Konten von ehemaligen oder amtierenden Staatsoberhäup-
tern und Regierungsmitgliedern sowie anderen Amtsträgern und deren

Angehörigen aus Libyen, Ägypten und Tunesien?

Drucksache 17/5409 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
b) Was passiert mit dem Vermögen, das auf diesen eingefrorenen Konten
liegt?

c) Welche Möglichkeiten stehen den betroffenen Staaten zur Verfügung,
um dieses Vermögen den rechtmäßigen Besitzerinnen und Besitzern
rückzuüberweisen?

Berlin, den 31. März 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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