BT-Drucksache 17/5255

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 17/4803, 17/5249 - Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Bundesfreiwilligendienstes

Vom 23. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5255
17. Wahlperiode 23. 03. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Sönke Rix, Petra Crone, Christel Humme, Petra Ernstberger,
Iris Gleicke, Ute Kumpf, Caren Marks, Franz Müntefering, Aydan Özog˘uz,
Thomas Oppermann, Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Rolf Schwanitz, Stefan
Schwartze, Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/4803, 17/5249 –

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Bundesfreiwilligendienstes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit der geplanten Aussetzung der Wehrpflicht und der damit einhergehenden
Aussetzung des Zivildienstes werden Strukturen verändert, die das Leben von
jungen Männern und die gesamte Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten
prägten. Der Zivildienst hat sich seit seiner Einführung im Jahr 1960 zu einem
Dienst entwickelt, den junge Männer als bereichernd, prägend und als eine Er-
weiterung ihrer persönlichen und fachlichen Kompetenz erleben. In unter-
schiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wurden im Rahmen des Zivildienstes
wichtige Aufgaben von jungen Männern übernommen – die Anerkennung des
Zivildienstes und der Zivildienstleistenden in der Gesellschaft ist und war hoch.
Dennoch ist der Zivildienst als Pflichtdienst nicht mehr zeitgemäß. Denn die
verteidigungspolitische Lage, die zunehmende Wehrungerechtigkeit und der
bildungspolitische Anspruch an eine beschleunigte Schul- und Hochschulaus-
bildung machen die Konversion von Pflichtdiensten hin zu einem anderen Sys-
tem der Freiwilligkeit notwendig.

Die Bundesregierung hat es bislang versäumt, eine gesamtgesellschaftliche De-
batte über die Aussetzung der Wehrpflicht und des Zivildienstes anzustoßen, in
einen engen Dialog mit der Zivilgesellschaft einzutreten und einen breiten ge-
sellschaftlichen Konsens über die beabsichtigte Veränderung zu erzielen. Bis
zum heutigen Zeitpunkt mangelt es an durchdachten und praktikablen Lösun-
gen für die Zeit nach dem Pflichtdienst.
Fehlendes Gesamtkonzept

Die Bundesregierung plant zum Ersatz des Zivildienstes die Einführung eines
Bundesfreiwilligendienstes, der – analog zum Zivildienst – durch ein Bundes-
amt organisiert werden soll. Doch die Einführung eines neuen Freiwilligen-
dienstes als „Lückenfüller“ für den Zivildienst greift zu kurz. Notwendig ist
vielmehr ein Gesamtkonzept für die Zeit nach dem Zivildienst, bei dem die

Drucksache 17/5255 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements – insbesondere der bereits beste-
henden Jugendfreiwilligendienste Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) und Freiwil-
liges Ökologisches Jahr (FÖJ) – und der dafür benötigten Strukturen im Vor-
dergrund stehen. Zu einem solchen Gesamtkonzept gehörte auch, in den bishe-
rigen Tätigkeitsbereichen des Zivildienstes, soweit möglich, die Entstehung
von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen zu fördern. Dabei ist es
wichtig, die Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze zu ver-
hindern. Ein solches Gesamtkonzept hat die Bundesregierung bislang nicht vor-
gelegt.

Mit der Aussetzung der Wehrpflicht und des Zivildienstes entfällt ebenso die
Möglichkeit für junge Männer, im Rahmen einer langjährigen Tätigkeit bei
Einrichtungen des Zivil- und Katastrophenschutzes ihren Pflichtdienst abzu-
leisten. Für diese Einrichtungen fehlt ein Anschlusskonzept, das auf die beson-
deren Bedürfnisse hinsichtlich der Dauer und zeitlichen Einteilung des Diens-
tes eingeht. Der kurze Zeitraum für die Konversion zum 1. Juli 2011 sorgt bei
Betroffenen zusätzlich für Verunsicherung – sowohl bei den jungen Menschen
als auch bei den Einsatzstellen. Eine sorgfältige Vorbereitung seitens der Bun-
desregierung fand in der kurzen Übergangszeit nicht statt.

Gefahr der Doppelstrukturen

Die Einführung eines Bundesfreiwilligendienstes wird unnötige Doppelstruktu-
ren im Freiwilligendienstbereich etablieren. Denn mit den Jugendfreiwilligen-
diensten FSJ und FÖJ hält die Zivilgesellschaft erfolgreiche und seit Jahrzehn-
ten entwickelte Jugendfreiwilligendienste bereit, die sich bei jungen Männern
und Frauen hoher Beliebtheit erfreuen. Durch die Aussetzung des Zivildienstes
und den damit freiwerdenden Mitteln im Etat des Bundesministeriums für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend hätte sich die große Chance ergeben
können, einen deutlichen Ausbau und die Weiterentwicklung der bestehenden
Jugendfreiwilligendienste durch den Bund voranzubringen. Diese Chance hat
die Bundesregierung leichtfertig vertan.

Die Einführung eines Bundesfreiwilligendienstes birgt darüber hinaus die
große Gefahr, dass die erfolgreichen etablierten Jugendfreiwilligendienste in
breiter Trägerschaft durch einen staatlich gelenkten Freiwilligendienst des Bun-
des verdrängt werden. Denn Qualität muss gesichert sein. Freiwilligendienste
sind auch Bildungsdienste. Und die Gesamtverantwortung der Zivilgesellschaft
hat sich dabei bewährt. Das müsste auch für den Bundesfreiwilligendienst gel-
ten.

Unterschiedliche finanzielle Voraussetzungen

Während für den Bundesfreiwilligendienst ein monatlicher Zuschuss in Höhe
von 550 Euro pro Platz vorgesehen ist, sollen FSJ und FÖJ ab dem Sommer 2011
mit 200 Euro vom Bund gefördert werden. Es ist zu befürchten, dass Träger und
Einsatzstellen die Schaffung eines Bundesfreiwilligendienstplatzes für attrak-
tiver halten, als die Schaffung oder Erhaltung eines FSJ-/FÖJ-Platzes. Aus die-
sem Grund muss die Bundesregierung ihr Wort halten und die Pauschalen im
FSJ und FÖJ ab dem Sommer 2011 tatsächlich auf 200 Euro erhöhen. Die bis-
herige Zusicherung, dass die Schaffung von Bundesfreiwilligendienstplätzen
unmittelbar an die Bereitstellung von FSJ-/FÖJ-Plätzen gekoppelt werden soll
(Tandem-Modell) ist unzureichend. Sie muss auf eine solide finanzielle und
rechtliche Grundlage gestellt werden.

Kindergeldanspruch

Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollen die Freiwilligen im Rah-

men des Bundesfreiwilligendienstes beim Kindergeld anders behandelt werden
als die Freiwilligen im FSJ und FÖJ, obwohl sie sich künftig gleichartig enga-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5255

gieren. Während im FSJ und FÖJ das Kindergeld für Personen bis zum 25. Le-
bensjahr weitergezahlt wird, besteht im Bundesfreiwilligendienst nur der
grundsätzliche Kindergeldanspruch bis zur Volljährigkeit. Das kann zu erheb-
lichen Nachteilen für die Eltern und für die Freiwilligen selbst führen und die
Akzeptanz der Jugendfreiwilligendienste gefährden.

Altersoffene Gestaltung

Der Bundesfreiwilligendienst soll nach dem Gesetzentwurf auch einer älteren
Zielgruppe – Menschen während und nach der Berufsphase – offenstehen. Er-
fahrungen aus den Bundesprogrammen „Generationsübergreifende Freiwilli-
gendienste“ und „Freiwilligendienste aller Generationen“ haben gezeigt, dass
die Bedürfnisse von Menschen in verschiedenen Altersgruppen unterschiedlich
sind. Dem trägt der vorliegende Gesetzentwurf nicht Rechnung. Das gilt so-
wohl für die Aufgabenprofile in den Einsatzstellen als auch für die pädago-
gische Begleitung, denn junge Menschen benötigen andere Seminarinhalte als
ältere. Außerdem gibt es unterschiedliche Anforderungen bei der sozialver-
sicherungsrechtlichen Absicherung. Die Einbindung der älteren Zielgruppe in
den Bundesfreiwilligendienst ist deshalb nicht zielführend. Vielmehr bedarf es
weiterhin eines eigenständigen Konzeptes des Bundes zur Förderung bürger-
schaftlichen Engagements für Ältere wie im „Freiwilligendienst aller Genera-
tionen“.

Jugendfreiwilligendienst mit Pflichtdienststruktur

Der vorliegende Gesetzentwurf ist an mehreren Stellen von der alten Pflicht-
dienststruktur des Zivildienstes geprägt. Sie wird auf den geplanten Bundes-
freiwilligendienst übertragen. Die vorgesehene automatische Anerkennung der
alten Zivildienstplätze als Einsatzfelder für den Bundesfreiwilligendienst ist
nicht sachgerecht. Viele Zivildiensteinsatzplätze wie beispielsweise Tätigkeiten
als Pförtner, Fahrer oder Hausmeister sind für einen Freiwilligendienst gänzlich
ungeeignet. Pflichtdienststrukturen zeigen sich auch in der Vertragsgestaltung.
Beim Bundesfreiwilligendienst soll, wie im bisherigen Zivildienst auch, ein
Vertrag zwischen dem Bundesamt und dem oder der Freiwilligen geschlossen
werden. Freiwilligendienste werden demgegenüber seit Jahrzehnten aus der
Mitte der Zivilgesellschaft organisiert. Das müsste auch für den Bundesfrei-
willigendienst gelten. Denn ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis in einem
Freiwilligendienst ist der Lebenswirklichkeit junger Menschen nicht angemes-
sen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. zur Stärkung der Jugendfreiwilligendienste FSJ und FÖJ

a) dauerhaft die finanziellen und rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaf-
fen, die bestehenden Jugendfreiwilligendienste FSJ und FÖJ auszubauen
und weiterzuentwickeln,

b) die Pauschalen für die pädagogische Begleitung im FSJ und FÖJ ab 1. Juli
2011 tatsächlich auf 200 Euro zu erhöhen,

c) dafür Sorge zu tragen, dass keine unterschiedlichen Rechtsformen von
Freiwilligendiensten entstehen, die zu einer Konkurrenzsituation führen
und die Jugendfreiwilligendienste FSJ und FÖJ mittel- oder langfristig ver-
drängen können;

2. im Zusammenhang mit dem Bundesfreiwilligendienstgesetz

a) die Frist für den Übergang zwischen Zivil- und Freiwilligendiensten zu

verlängern,

Drucksache 17/5255 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
b) das Bundesfreiwilligendienstgesetz permanent zu evaluieren und dabei
die Auswirkungen auf die bereits bestehenden Jugendfreiwilligendienste
zu untersuchen und ein erstes Ergebnis noch in dieser Legislaturperiode
vorzulegen,

c) Träger von Bundesfreiwilligendienstplätzen bei der Vertragsgestaltung
einzubeziehen und als Verantwortliche zu stärken, um dem Grundsatz der
Nachrangigkeit von staatlichem gegenüber gesellschaftlichem Engage-
ment zu folgen und eine Schwächung der Trägerstruktur zu verhindern,

d) sicherzustellen, dass die Plätze im Bundesfreiwilligendienst arbeitsmarkt-
neutral ausgestaltet werden,

e) gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Akteuren Qualitätskriterien zu er-
arbeiten, die dem Anspruch eines Jugendfreiwilligendienstes als Lern-
und Bildungsdienst gerecht werden,

f) den Beirat nach § 15 des Gesetzentwurfs aus seiner Pflichtdienststruktur
zu lösen und eine Vertreterin bzw. einen Vertreter der Wissenschaft auf-
zunehmen,

g) ein eigenständiges Konzept des Bundes zur Förderung bürgerschaftlichen
Engagements für Ältere zu prüfen, in das die gewonnenen Erkenntnisse
aus dem Bundesprogramm „Freiwilligendienste aller Generationen“ ein-
fließen;

3. ein ganzheitliches Konzept zur Stärkung der Freiwilligendienste zu erarbei-
ten und es mit den Ländern abzustimmen.

Berlin, den 22. März 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.