BT-Drucksache 17/5228

Polarregionen schützen - Polarforschung stärken

Vom 23. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5228
17. Wahlperiode 23. 03. 2011

Antrag
der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels,
Klaus Barthel, Uwe Beckmeyer, Willi Brase, Ulla Burchardt, Petra Ernstberger,
Michael Gerdes, Iris Gleicke, Klaus Hagemann, Oliver Kaczmarek, Daniela Kolbe
(Leipzig), Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Florian Pronold, Marianne Schieder
(Schwandorf), Swen Schulz (Spandau), Dr. Carsten Sieling, Franz Thönnes, Andrea
Wicklein, Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Polarregionen schützen – Polarforschung stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Polarforschung ist vielfältig. So werden zum Beispiel die topografischen
Verhältnisse des Meeresbodens, der geologische und tektonische Aufbau und
seine Entwicklung, die Reliefformen und ihre Bildung, die Bodenbildungspro-
zesse, der Permafrostboden und sein Verhalten, das Inland- und Gletschereis und
sein Massenhaushalt, die Meeresverhältnisse, Eisbedeckung des Meerwassers,
das Wetter und Klima einschließlich der Physik der höheren Atmosphäre, die
Pflanzen- und Tierwelt und auch die einheimischen und zugewanderten Bewoh-
ner mit einbezogen. Polarforschung ist grundsätzlich multidisziplinär und inter-
national angelegt. An ihr beteiligt sind unter anderem Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler der Biologie, Ozeanographie, Geophysik, Glaziologie, Geoöko-
logie, Mineralogie, Geologie, Geografie, Kartografie, Geodäsie, Anthropologie,
Ethnologie, Medizin, Physik und zahlreicher Technikwissenschaften. Im Haus-
halt 2011 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sind explizit für
die Projektförderung der Meeres- und Polarforschung 6,8 Mio. Euro vorgesehen.

Polarforscherinnen und Polarforscher haben frühzeitig begriffen, dass aus dem
Wissen über die Polarregionen Rückschlüsse auf das Klima der Erde zu ziehen
sind. So hatte zum Beispiel die letzte Expedition des deutschen Polarforschers
Alfred Wegener Anfang des 20. Jahrhunderts das Ziel, durch Messungen des
grönländischen Inlandeises Rückschlüsse auf das Klima in Mitteleuropa zu zie-
hen. Denn die Polargebiete spielen bei der Klimasteuerung eine wichtige Rolle.
Sie dienen als „Kühlschrank der Atmosphäre“, als „Pumpen für die Ozeanzirku-
lation“ und als „Spiegel für den Strahlungshaushalt“ unseres Planeten. Sie rea-
gieren bereits auf geringe Klimaänderungen sehr empfindlich und werden des-
halb auch als Klimafrühwarnsystem für die gesamte Erde gesehen. Zahlreiche

Staaten nutzen sie als „wissenschaftliches Freiluftlabor“, was unter anderem zur
Entdeckung des Ozonlochs geführt hat. Heute bildet die Erforschung der klima-
tischen, glazialen und marinen Verhältnisse einen Schwerpunkt der modernen
Polarforschung. Sie liefert damit wichtige Erkenntnisse zum Schutz unserer
Erde und stellt ein wichtiges Element der Forschung für Nachhaltigkeit dar.

Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) koordiniert
heute die deutsche Polarforschung. Es wurde im Zusammenhang mit dem deut-

Drucksache 17/5228 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

schen Beitritt zum Antarktisvertrag gegründet. Das AWI ist Mitglied der Helm-
holtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e. V. und stellt die erforder-
liche Ausrüstung und Logistik für die deutsche Polarforschung zur Verfügung.
Darüber hinaus unterhält es Polarforschungsstationen, das Forschungsschiff
„Polarstern“ und Polarforschungsflugzeuge. Außer am AWI bearbeiten Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler an Universitäten in ganz Deutschland, an der
Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), am IFM- GEOMAR
in Kiel sowie an Max-Planck-Instituten das Thema Polarforschung.

Fast 80 Jahre nachdem für die erste deutsche Südpolarexpedition ein Forschungs-
schiff gebaut wurde, ist 1982 eines der weltweit modernsten Forschungsschiffe
unter deutscher Flagge in Dienst gestellt worden – das „FS Polarstern“. Es ist bis
heute im Einsatz. In den Jahren 2006 und 2008 lag die Auslastung dieses For-
schungsschiffes für wissenschaftliche Arbeiten bei fast 90 Prozent. Und für den
Zeitraum von 2005 bis 2009 konnten allein 530 Fachpublikationen den For-
schungsarbeiten von Expeditionen mit der „Polarstern“ zugeordnet werden.
Weltweit ist das „FS Polarstern“ darüber hinaus der einzige moderne Forschungs-
eisbrecher, der dezidiert die Arktis befährt. Die im Einsatz befindlichen Schiffe
anderer Staaten weisen hingegen nicht durchgängig die notwendigen Spezifika-
tionen auf, um arktisweit und ganzjährig eingesetzt werden zu können. Da das
„FS Polarstern“ zwischen Arktis und Antarktis pendelt, steht es nicht ausschließ-
lich für die Arktisforschung zur Verfügung.

In den Polarregionen unterhalten verschiedene Staaten mittlerweile mehrere
Forschungsstationen. Allein in der Antarktis existieren derzeit mehr als 40 ganz-
jährig besetzte Stationen; darunter sind auch mehrere deutsche Einrichtungen.
Die größte deutsche Einrichtung in den Polargebieten ist die 2009 in Betrieb ge-
nommene Neumeyer-Station III in der Antarktis. Deutschland besitzt ebenfalls
spezielle Forschungsflugzeuge für die Polarregionen. Ab August 2011 wird das
neue Forschungsflugzeug Polar 6 für die Polarregionen zur Verfügung stehen.
Erstmals können dann Flugmissionen zeitgleich in der Arktis und in der Antark-
tis durchgeführt werden.

Für 2014 war die Fertigstellung des europäischen Forschungseisbrechers
AURORA BOREALIS geplant. Er sollte ganzjährig einsatzbereit sein und
darüber hinaus einen speziellen Tiefseebohrer an Bord haben, mit dem Sedi-
mentkerne einer Länge von bis zu 1 000 Metern auch in großer Wassertiefe
gezogen werden können. 2006 ist das Projekt vom Wissenschaftsrat unter Vor-
behalt empfohlen worden. Deutschland hat daraufhin für eine technische Mach-
barkeitsstudie 5,1 Mio. Euro zur Verfügung gestellt. Laut aktuellem Gutachten
des Wissenschaftsrates hat sich seit 2006 die Ausgangslage bezüglich Relevanz
und Dringlichkeit des Projekts verändert. So benötige man für die aktuelle Kli-
maforschung nur Bohrkerne, die 200 Meter lang sind. Außerdem habe sich kein
internationales Konsortium gefunden, welches die mittlerweile fast verdoppel-
ten Kosten für Bau und Unterhalt des Schiffes zeitnah tragen wolle. Mit einem
Bau ist zum jetzigen Zeitpunkt deshalb nicht zu rechnen.

In seinem aktuellen Gutachten „Empfehlungen zur zukünftigen Entwicklung der
deutschen marinen Forschungsflotte“ hat sich der Wissenschaftsrat auch mit der
deutschen Polarforschung und ihrer Infrastruktur auseinandergesetzt und stellt
zu Recht fest, dass sich die deutsche Polarforschung international auf einem sehr
hohen Niveau befindet. Dabei spielt die „Polarstern“ eine maßgebliche Rolle.
Der Wissenschaftsrat weist in seinem Gutachten darauf hin, dass es derzeit zu
wenige Forschungsschiffe gibt, die in der Arktis interdisziplinäre Forschung
durchführen können, und dass diese wiederum nicht regelmäßig und dauerhaft
aktiv sind. Konkret empfiehlt der Wissenschaftsrat, über einen begrenzten
Zeitraum zeitgleich zwei Eis brechende Forschungsschiffe zu betreiben, um an

beiden Polen, das heißt sowohl in der Arktis als auch der Antarktis, ganzjährig
forschen zu können. Dazu sollten ab 2016 ein neues Eis brechendes Forschungs-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5228

schiff verfügbar sein und zugleich, zeitlich begrenzt über drei bis fünf Jahre, die
Betriebszeit der „Polarstern“ verlängert werden. Der Betrieb der „Polarstern“
während der Betriebsverlängerung sollte nach Möglichkeit, laut Wissenschafts-
rat, gemeinsam mit europäischen Partnern finanziert werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich dafür einzusetzen, dass sowohl in Deutschland als auch im Achten For-
schungsrahmenprogramm der EU ein fokussierendes Polarforschungspro-
gramm aufgenommen wird;

2. die Mittel für die Projektförderung der Polarforschung im Rahmen der For-
schung für Nachhaltigkeit zu verstärken;

3. dafür Sorge zu tragen, dass der Betrieb der notwendigen Infrastrukturen für
die Polarforschung gesichert ist und dass das Alfred-Wegener-Institut als
Nukleus der deutschen Polarforschung und als Koordinator für an beiden
Polen und global einsetzbare Forschungsschiffe angemessen unterstützt
wird;

4. die deutsche Bevölkerung durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit noch
stärker auf die Bedeutung der Polargebiete für die Lebensbedingungen in
Europa hinzuweisen und auf die Reichhaltigkeit, aber auch Empfindlichkeit
der Polargebiete aufmerksam zu machen;

5. die für die Polarforschung so wichtigen internationalen Beziehungen und
Multidisziplinarität stärker zu fördern, beispielsweise durch die Unterstüt-
zung der Mobilität junger Forscherinnen und Forscher, mit besonderer För-
derung des wissenschaftlichen Austausches mit Russland als einem zen-
tralen Partner für die deutsche Polarforschung;

6. zur Nachwuchsgewinnung einen Polarforschungspreis für junge Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler zu etablieren;

7. sich dafür einzusetzen, dass internationale Vereinbarungen getroffen wer-
den, die, analog zum Antarktisvertrag, die Freiheit der wissenschaftlichen
Forschung in der Arktisregion verbriefen;

8. sich mit allen diplomatischen Mitteln dafür einzusetzen, dass der ungehin-
derte Zugang von Forschungsschiffen durch eine eisfreie Nordostpassage
wie auch Nordwestpassage gewährleistet bleibt;

9. auf europäischer Ebene dafür Sorge zu tragen, dass bei der Planung gemein-
samer europäischer Polarforschungsinfrastruktur von vornherein ein rea-
listisches Finanzierungkonstrukt sichergestellt wird;

10. die Forderung des Wissenschaftsrates umzusetzen und für eine begrenzte
Zeit zeitgleich zwei Eis brechende Forschungsschiffe zu betreiben, um an
beiden Polen und ganzjährig forschen zu können, unter der Voraussetzung,
dass die finanzielle Beteiligung für das zweite Forschungsschiff auf euro-
päischer Ebene gesichert wird;

11. sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, dass die Polarforschung
bzw. Polarforschungsinfrastrukturen noch besser koordiniert werden, so
dass beide Polargebiete mit der nötigen Intensität kontinuierlich beforscht
werden;

12. sicherzustellen, dass die deutsche Polarforschungsinfrastruktur kontinuier-
lich auf einem hohen Standard erhalten wird.

Berlin, den 23. März 2011
Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.