BT-Drucksache 17/5156

Reisewarnungen durch das Auswärtige Amt

Vom 21. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5156
17. Wahlperiode 21. 03. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Markus Tressel, Omid Nouripour, Tom Koenigs,
Viola von Cramon-Taubadel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Reisewarnungen durch das Auswärtige Amt

Die vergangenen Wochen haben zu gravierenden Veränderungen des gesell-
schaftlichen Lebens in der arabischen/nordafrikanischen Welt geführt. Die
Volksbewegungen haben zu Ausnahmezuständen in verschiedenen Ländern ge-
führt. Neben Tunesien, Ägypten und Libyen betrifft das unter anderem auch den
Jemen. Das Auswärtige Amt hat dabei zu äußerst verschiedenen Zeitpunkten
Reisewarnungen beziehungsweise Reise- und Sicherheitshinweisen (Teilreise-
warnungen) ausgesprochen.

Medien haben diese Praxis erheblich in Frage gestellt. Auch bei deutschen
Staatsangehörigen, die sich zur Zeit der Unruhen in Ägypten aufhielten, führte
die Zurückhaltung zu erheblichem Missmut. Es sei nicht ausreichend auf die
dramatische Lage reagiert worden. Weder Bundesregierung noch die deutsche
Botschaft vor Ort hätten der Situation angemessen reagiert, hieß es in verschie-
denen Berichterstattungen (vgl. u. a. Kontrovers vom 2. Februar 2011). Erst auf
Druck der Medien reagierte das Auswärtige Amt und sprach am 3. Februar 2011
spätabends erstmals für bestimmte Regionen Ägyptens Reisewarnungen aus.

Aktuell (Stand: 2. März 2011) gelten für die Länder Elfenbeinküste, Jemen,
Libyen, Irak, für den Gaza-Streifen, Haiti, die Demokratische Republik Kongo,
Somalia und Afghanistan Reisewarnungen. Teilreisewarnungen gelten für Liba-
non, Algerien, Mali, Niger, Mauretanien, die Palästinensische Gebiete, Eritrea,
Pakistan und Georgien (vgl. www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformatio-
nen/01-Reisewarnungen-Liste_node.html). Für Tunesien und Ägypten gelten
trotz weiterhin unruhiger Lage in verschiedenen Regionen der Länder keinerlei
Reise- und Sicherheitshinweise oder Reisewarnungen mehr.

Auf zwei Schriftliche Fragen bezüglich der Praxis von Reisewarnungen antwor-
tete das Auswärtige Amt erst verspätet und äußerst ausweichend. Die Interpre-
tation, die daraus abzuleiten ist, dass das Auswärtige Amt keine objektiven Kri-
terien hat, wann zwischen Reisewarnung sowie Reise- und Sicherheitshinweisen
unterschieden werden muss. Wenn es sie doch geben sollte, ist es absolut un-
verständlich, warum weder auf die Schriftlichen Fragen (Schriftliche Fragen 25
und 26 des Abgeordneten Markus Tressel auf Bundestagsdrucksache 17/4813)
noch auf Fragen im Rahmen des Ausschusses für Tourismus am 9. Februar 2011

adäquat geantwortet worden ist. Dort hob das Auswärtige Amt hervor, sich
regelmäßig zu Krisengesprächen zusammenzusetzen, bei denen auch Vertreter
der Reiseindustrie anwesend wären.

Während sich in Tunesien zum Zeitpunkt der Reisewarnung verhältnismäßig
wenige Urlauber aufhielten, herrschte am Roten Meer in Ägypten Hochsaison.
Somit waren ungleich mehr Touristen betroffen. In den Medien entstand schnell
der Verdacht, dass das Auswärtige Amt seine Reisewarnung für Ägypten hinaus-

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zögerte, sie erst nach anderen europäischen Ländern aussprach, um größere
finanzielle Verluste für die deutsche Tourismusindustrie abzuwenden. Gestützt
wurde dieses durch die Expertise vom Reiserechtsexperten Prof. Ernst Führich
in der Sendung „Kontrovers“ vom 2. Februar 2011 im Bayerischen Rundfunk.
Er unterstellte dem Auswärtigen Amt, dass sich Wirtschaftsinteressen gegen-
über Sicherheitsüberlegungen durchgesetzt hätten. Thomas Cook erwartet bei-
spielsweise, dass sich der Gewinn durch die Unruhen in Ägypten um rund 23,7
Mio. Euro reduziert (AFP-Meldung vom 8. Februar 2011). Auch die TUI-Rei-
setochter TUI-Travel meldete, dass die Unruhen in Ägypten und Tunesien bis zu
35 Mio. Euro Gewinn kosten würden (dapd-Meldung vom 3. Februar 2011).

Nicht ganz klar ist, ob das Aussprechen einer Reisewarnung auch juristische
Auswirkungen für Verbraucherinnen und Verbraucher hat. Ohne Reisewarnung
fällt in der Regel kein kostenloses Storno-Recht an. Hier ist die Rechtsprechung
bislang wenig eindeutig. Nicht jeder Veranstalter hat mit der Kulanz reagiert, die
die Branchenriesen zeigen konnten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche objektiven Kriterien werden einer Reisewarnung zugrunde gelegt?

2. Welche objektiven Kriterien werden Sicherheitshinweisen und Reise-
hinweisen zugrunde gelegt?

3. Inwieweit werden externe Experten für die Einschätzung herangezogen, ob
es eine Reisewarnung, einen Sicherheits- oder Reisehinweis seitens des
Auswärtigen Amts gibt?

4. Wie sieht dieser Beratungsprozess aus?

5. Inwieweit spielen wirtschaftliche und außenwirtschaftliche Erwägungen
dabei eine Rolle?

6. Inwieweit werden Reiseveranstalter bei der Erstellung von Reisewarnungen
konsultiert?

7. Wer waren die Wirtschaftsvertreter, die die Entscheidung in Ägypten beein-
flusst haben und die das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
dazu veranlasst haben im Fall Ägypten die „Gute Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Reiseindustrie“ ausdrücklich in Form einer Presse-
mitteilung zu loben (vgl. Pressemitteilung des Bundesministeriums für Wirt-
schaft und Technologie: „Ägypten – Gute Zusammenarbeit von Bundes-
regierung und Reiseindustrie bewährt sich erneut“ vom 3. Februar 2011)?

8. Inwieweit versteht die Bundesregierung Reisewarnungen auch als ein poli-
tisches Instrument, auf Instabilität in einem Land hinzuweisen?

9. Welche Rolle spielen die Fachabteilungen des Auswärtigen Amts bezie-
hungsweise der jeweiligen Botschaften, und werden diese gegebenenfalls
durch wirtschaftliche Interesse „korrigiert“?

10. Welche objektiven Kriterien wurden der Reisewarnung in Tunesien zu-
grunde gelegt?

In welchem Gremium ist diese Entscheidung getroffen worden?

Welche Stakeholder waren daran beteiligt?

11. Welche objektiven Kriterien wurden der Reisewarnung im Jemen zugrunde
gelegt?

In welchem Gremium ist diese Entscheidung getroffen worden?

Welche Stakeholder waren daran beteiligt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5156

12. Welche objektiven Kriterien wurden der Reisewarnung in Libyen zugrunde
gelegt?

In welchem Gremium ist diese Entscheidung getroffen worden?

Welche Stakeholder waren daran beteiligt?

13. Welches waren die Sicherheitsüberlegungen, die dazu führten, die Lage für
deutsche Touristen in Tunesien und Ägypten (bis zum Stand 31. Januar
2011) unterschiedlich zu bewerten?

14. In welcher Form bestand Austausch mit anderen Ländern, wie zum Beispiel
Luxemburg und Österreich, die zu diesem Zeitpunkt schon eine Reisewar-
nung ausgesprochen hatten und Staatsangehörigen die sichere Ausreise mit
extra bereitgestellten Flugzeugen gewährten, und inwiefern hat das die Ein-
schätzung der Bundesregierung bezüglich der Reisewarnungen beeinflusst?

15. Warum wurde keine Reisewarnung ausgesprochen, wenn selbst Reisever-
anstalter (dapd-Meldung vom 31. Januar 2011) davon abrieten, nach Ägyp-
ten zu reisen?

16. Wieso besteht aktuell eine Reisewarnung für die Teilrepublik von Georgien,
Abchasien, obwohl gerade Abchasien traditionell ein touristisch gut er-
schlossenes, landschaftlich sehr reizvolles Gebiet ist und mit Genehmigung
der georgischen Regierung ebenso gut zu bereisen ist?

In den Reisewarnungen wird von „Zwischenfällen“ in Abchasien gespro-
chen, auf welche Zwischenfälle konkret wird sich hier bezogen?

17. Wieso gibt es im Gegensatz dazu keine Reisewarnung für andere „frozen
conflict Gebiete“ im Südkaukasus beziehungsweise in Osteuropa wie
Nagorny-Karabakh oder Transnistrien, die aus sicherheitspolitischer Sicht
und aufgrund aktueller Vorfälle deutlich schwieriger zu bereisen sind und in
denen potentielle Touristen deutlich größeren Gefährdungen ausgesetzt
sind?

18. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, bereits bei den jewei-
ligen Sicherheitshinweisen für ein Land auf die Lage der Menschenrechte
und der Entwicklung der demokratischen Strukturen hinzuweisen?

19. Ist es nach Auffassung der Bundesregierung möglich, bei den jeweiligen
Reisehinweisen auch die regierungs- und wirtschaftsunabhängigen Er-
kenntnisse etwa von Amnesty International oder des von der britischen
Zeitschrift „Economist“ jährlich veröffentlichten Demokratie-Index einflie-
ßen zu lassen?

Wenn nein, warum nicht?

20. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, bei diesen Sicherheits-
hinweisen auch auf die besonderen Gefahren und Probleme hinzuweisen,
mit denen bestimmte Touristen in verschiedenen Ländern zu rechnen haben,
beispielsweise bekennende Homosexuelle in den Vereinigten Arabischen
Emiraten, und solche Hinweise dann auch so prominent zu platzieren, wie
etwa bei Thailand auf die besonders schweren Strafandrohungen für Dro-
genbesitz hingewiesen wird?

Berlin, den 18. März 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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