BT-Drucksache 17/5155

Meldepflichtige Ereignisse und Zuständigkeit der Bundesbehörden in Fällen von kontaminierter Kabinenluft

Vom 21. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5155
17. Wahlperiode 21. 03. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Markus Tressel, Winfried Hermann
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Meldepflichtige Ereignisse und Zuständigkeit der Bundesbehörden
in Fällen von kontaminierter Kabinenluft

In den Medien wird regelmäßig von Ereignissen berichtet, bei denen es zu kon-
taminierter Kabinenluft kommt. Die dafür zuständigen Bundesbehörden sind
das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) und die Bundesstelle für Flugunfallunter-
suchung (BFU). Die Aufgaben, die das LBA zu erfüllen hat, sind äußerst viel-
fältig. Technische Aufgaben des Luftfahrt-Bundesamtes sind unter anderem die
Genehmigung und Überwachung von technischen Diensten (Instandhaltungs-
systeme) von gewerblichen Luftfahrtunternehmen und Luftfahrerschulen. Das
LBA kann auch in eigener Verantwortung oder zur Unterstützung der Euro-
päischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) Aufgaben übernehmen. Das LBA
erarbeitet zudem Instandhaltungsprogramme, gibt Lufttüchtigkeitsanweisungen
und arbeitet bei nationalen und internationalen Luftfahrt-Vorschriften mit.
Ebenso zählen die Flugmedizin einschließlich Anerkennung und Überwachung
flugmedizinischer Zentren und Sachverständiger zum Aufgabenfeld.

Gemäß § 5b der Luftverkehrs-Ordnung (LuftVO) „Meldung von sicherheits-
relevanten Ereignissen“ sind „Smoke/Fume Events“ dem LBA und der Bun-
desstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) anzuzeigen. Diese „Smoke/Fume
Events“ sind Ereignisse, bei denen Öl mit der sehr heißen, aus den Triebwerken
abgezapften, komprimierten Luft vermischt und als Dämpfe oder Rauch in die
Kabine gelangt. Wir benennen diese Vorkommnisse im weiteren Verlauf der An-
frage als Ereignisse mit kontaminierter Kabinenluft. In jüngster Zeit sind einige
Fälle bekannt geworden, die mit „Low Oil Pressure“ bezeichnet wurden und als
solche in den Logbüchern der betroffenen Luftfahrtzeuge erfasst sind. Bei die-
sem Ölverlust in den Triebwerken besteht jedoch auch die Möglichkeit, dass Öl
verdampft und durch das Zapfluftsystem in die Kabinenluft gelangt ist.

Die amerikanische Vereinigung von Klimaingenieuren (ASHRAE) hatte 2004
einen ersten Bericht über die Luftqualität von Flugzeugkabinen erstellt und 2007
und 2009 Tests bei weiteren Luftfahrtunternehmen durchgeführt sowie Vor-
schläge für Filter und Sensoren erarbeitet. Ein vorläufiger Bericht wurde der
US- Luftfahrtbehörde FAA, der europäischen EASA und der Internationalen
Zivilluftfahrt-Organisation ICAO vorgelegt. Der Endbericht der ASHRAE

sollte voraussichtlich Anfang 2011 vorliegen.

Airbus bestätigte mittlerweile Probleme mit kontaminierter Kabinenluft. Wäh-
rend Boeing im neuen „Dreamliner“ (B 787) nicht weiter auf den Zapfluft-
mechanismus setzt, wird bei Airbus das „More-Electric-Aircraft-System“ ent-
wickelt. Im neuen A 350 werden sogenannte HECCA-Filter eingesetzt, um die
Gefahr, dass Kabinenluft durch Triebwerköldämpfe kontaminiert wird, zu mini-

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mieren. Auch beim Typ Airbus A 380 ist das Problem – jedenfalls bisher – nicht
gelöst. So kam es auch bei diesem Flugzeugtypen bereits zu Zwischenfällen mit
kontaminierter Kabinenluft (vgl. u. a. die Schriftliche Frage 186 auf Bundes-
tagsdrucksache 17/4639 oder DER SPIEGEL, Ausgabe 9 vom 28. Februar 2011,
S. 125). Gemeldet wurden diese den zuständigen Behörden nicht, obgleich
durch Medien berichtet worden ist. Auffällig ist die große Diskrepanz zwischen
den in den Medien berichteten Fällen und den bei den Bundesbehörden regis-
trierten Fällen. Die Bundesregierung erklärte, die Unternehmen würden sich erst
auf Nachfrage äußern (vgl. die Antwort der Bundesregierung zu Frage 8 auf
Bundestagsdrucksache 17/3105).

Die Meldung von meldepflichtigen Ereignissen gemäß § 5b LuftVO wurde laut
WDR-Informationen mit Einverständnis des LBA vom verantwortlichen Luft-
fahrzeugführer auf die jeweiligen Flugbetriebe delegiert. Gemäß Artikel 9 der
Verordnung (EU) Nr. 996/2010 vom 20. Oktober 2010 über die Untersuchung
und Verhütung von Unfällen und Störungen in der Zivilluftfahrt und zur Aufhe-
bung der Richtlinie 94/56/EG ist nunmehr „jede beteiligte Person, die Kenntnis
vom Eintreten eines Unfalls oder einer schweren Störung hat“, angehalten, dies
der zuständigen Sicherheitsuntersuchungsstelle „unverzüglich“ zu melden. In
diesem Fall ist nicht das LBA, sondern die BFU die zuständige Behörde. Bislang
hat die BFU immer vorgetragen, dass sich die Behörde die Entscheidung über
die Klassifizierung einer schweren Störung vorbehält. Allerdings wurden Vor-
fälle der vorbenannten Art (Smoke/Smell Reports) – wenn überhaupt – erst mit
erheblicher zeitlicher Verzögerung durch den jeweiligen Flugbetrieb angezeigt.

In einer firmeninternen Information an ihre Mitarbeiter räumte die Lufthansa
bereits im April 2009 ein: „In DLH Flugzeugen tritt ein Smoke Incident äußerst
selten und in der Regel ohne Vorankündigung auf. In der Literatur werden Zah-
len wie ,ein Incident auf 2000 Starts‘ beschrieben“ (zitiert nach „Update Ölge-
ruch“ vom 2. April 2009 von Hanne Grimopont, FRA NL und Frank Lunemann,
FRA NF/O). Darüber hinaus bestätigt das Unternehmen sofort im Anschluss an
die zitierte Passage: „Eine Ausnahme bildet allerdings zur Zeit der A 340-600
mit dem Triebwerk Trent 500. Dort bestand ein technischer Fehler, dieser ist er-
kannt und wird mit hoher Priorität von der LHT über eine technische Modifika-
tion abgestellt.“ Die BFU bestätigte nun gegenüber dem „SPIEGEL“ (vgl. Aus-
gabe 9 vom 28. Februar 2011, S. 124 f.), dass allein eine einzige deutsche
Airline für 2010 über 60 Öldampfstörfälle gemeldet hätte. Gleichwohl sei die
„Dunkelziffer (…) aber hoch“, weil einige Fluggesellschaften vom Personal ge-
meldete Fälle nicht immer an die zuständigen Behörden weitergeben. Man ginge
auch bei der BFU von einem Störfall pro Tag aus.

In dem Begleitmaterial zu einer weiteren Fernsehsendung des WDR („Markt“
vom 29. März 2010, www.wdr.de/tv/markt/sendungsbeitraege/2010/0329/00_
aerotoxic.jsp) werden für den Zeitraum vom 2. Januar 2008 bis 21. März 2010
insgesamt 199 Fälle aufgeführt, bei denen ein Ereignis mit kontaminierter
Kabinenluft vermutet werden muss und welche gemäß der Verpflichtung nach
§ 5b LuftVO von den deutschen Luftfahrtunternehmen dem LBA hätten ange-
zeigt werden müssen. Diese Zahl steht in einem auffallenden Missverhältnis zu
den von der Bundesregierung beziehungsweise dem LBA vorgetragenen Fällen
(Antworten der Bundesregierung auf den Bundestagsdrucksachen 16/12179 und
16/12578).

Am 12. August 2010 zitierte ein Beitrag des NDR (vgl. www.tagesschau.de/
inland/kabinenluft100.html) aus einem dem Sender zugespielten vertraulichen
Papier des Bundesverbandes der deutsche Fluggesellschaften (BDF). Gemäß
diesem Dokument befürchten die deutschen Fluggesellschaften „eine zusätz-
liche Dynamik“, wenn die Berufsgenossenschaft Verkehr (BG Verkehr) oder die

BFU „weitere Untersuchungen vornehmen“. Das LBA, das die direkte Auf-
sichtsbehörde darstellt, wird in diesem Schreiben nicht weiter erwähnt.

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Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist das LBA die geeignete Institution zur Erfassung und Verfolgung von
Zwischenfällen mit kontaminierter Kabinenluft?

2. Gedenkt die Bundesregierung die Zuständigkeit in Fällen von kontaminier-
ter Kabinenluft vollständig an die BFU zu übertragen?

3. Worin genau unterscheiden sich die Zuständigkeiten zwischen LBA und
BFU in Fällen mit kontaminierter Kabinenluft?

4. Wie sieht die Kooperation bzw. Arbeitsteilung der beiden Behörden aus, um
die größtmögliche Effizienz und Effektivität zu erzielen?

5. Worin genau besteht der Dialog zwischen LBA und Luftfahrtindustrie bezüg-
lich der Ereignisse mit kontaminierter Kabinenluft, und wie ist es zu erklären,
dass meldepflichtige Ereignisse erst auf Nachfrage kommentiert werden?

6. Hat sich an der Form, wie das LBA seine technischen Aufgaben im Zu-
sammenhang mit Ereignissen mit kontaminierter Kabinenluft wahrnimmt,
seit der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundes-
tagsdrucksache 17/3105 etwas geändert?
Wenn ja, in welcher Form?

7. Wie gedenkt die Bundesregierung dem Artikel 9 der Verordnung (EU)
Nr. 996/2010 nunmehr gerecht zu werden?
Wann wurden die Flugbetriebe bzw. Lizenzinhaber hierüber und wie unter-
richtet?

8. Welche Sanktionsmaßnahmen sind seitens der Bundesregierung vorge-
sehen, wenn solche Meldungen unterbleiben?

9. Entspricht ein auf Nachfrage gemeldeter Vorfall gemäß § 5b LuftVO den
von der Bundesregierung geforderten Vorstellungen, Vorschriften und
Fristen (vgl. die Antwort der Bundesregierung zu Frage 8 auf Bundestags-
drucksache 17/3105)?

10. Gedenkt die Bundesregierung das Meldeverfahren bei Störfällen mit konta-
minierter Kabinenluft zu überarbeiten?

11. Wie überprüft das LBA, dass im Falle eines Störfalles mit kontaminierter
Kabinenluft auch der Informations- und Betreuungspflicht seitens der Luft-
fahrtunternehmen nachgegangen worden ist?

12. Wie erklärt sich die Bundesregierung die hohe Dunkelziffer, die dem
„SPIEGEL“ seitens der BFU mitgeteilt worden ist – auch nach einem Pa-
pier der Lufthansa geschieht alle 2 000 Flüge ein „fume event“, was die
Zahl mit einem Event pro Tag bestätigt –, und wieso liegen dem LBA ob-
gleich der Vielzahl der Fälle nur so wenige vor?

13. Was sieht die Bundesregierung vor, um die Dunkelziffer bei Störfällen zu
senken?
Wenn keine Maßnahmen geplant sind, warum nicht?

14. Was tut das LBA, um den Kontrollmechanismus zu verbessern?

15. Gibt es einen Sanktionsmechanismus, der die Unternehmen dazu anhält,
Fälle mit kontaminierter Kabinenluft zukünftig nicht erst auf Nachfrage
mitzuteilen, oder hält die Bundesregierung das für einen adäquaten Melde-
mechanismus?

16. Welche Sanktionen stehen dem LBA zur Verfügung, und liegt das Maß der
Sanktionen im Ermessen der Behörde?

17. Ist der (temporäre) Entzug der Flugberechtigung eine in Frage kommende
Sanktion?

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18. Wurde in der Vergangenheit eine Sanktionierung vorgenommen?
Wenn ja, wie sah diese aus?
Wenn nein, warum sah die Bundesregierung in der Vielzahl nicht gemel-
deter Fälle keinen Anlass dazu?

19. Wurde seitens der Bundesregierung darüber nachgedacht, besonders stör-
anfällige Flugzeugtypen vom Flugverkehr auszuschließen?

20. Wie erklärt sich die Bundesregierung die Fälle, wo ausschließlich Flugper-
sonal im Anschluss an ein „fume-event“ medizinisch betreut worden ist,
nicht jedoch die Passagiere?

21. Welche Maßnahmen wurden vom LBA beziehungsweise der BFU eingelei-
tet, um die spätestens seit der ARD-Berichterstattung aus dem Frühjahr
2009 (ARD-Sendung Plusminus vom 3. Februar 2009 sowie am 24. März
2009, WDR-Sendung „Markt“ vom 9. März 2009) sowie die in der Schrift-
lichen Frage 186 auf Bundestagsdrucksache 17/4639 des Abgeordneten
Markus Tressel auch dem LBA bekannten Fälle zu überprüfen?
Wenn keine Maßnahmen eingeleitet wurden, warum unterblieben diese?

22. Werden Verstöße der Luftfahrtunternehmen bezüglich der Betreuung von
Passagieren geahndet, wenn sie in Fällen von kontaminierter Kabinenluft
Passagiere weder informieren noch medizinisch betreuen (lassen)?
Wie kontrolliert das LBA die Betreuungspflicht in diesen Fällen?
Wie sanktioniert das LBA einen Verstoß gegen die Betreuungspflicht, wenn
die betreffenden Fälle erst im Nachhinein und auf Nachfrage gemeldet wer-
den?

23. Liegen der Bundesregierung mittlerweile Ergebnisse aus dem der EASA
vorgelegten Zwischenbericht der ASHRAE oder dem für Anfang 2011 ge-
planten Endbericht vor?

24. Ist der Bundesregierung mittlerweile bekannt, wann voraussichtlich mit den
Ergebnissen des Endberichts der ASHRAE zu rechnen ist (wenn ja, bitte
Datum angeben)?

25. Gibt es mittlerweile in den zuständigen nationalen Behörden Arbeitsgrup-
pen, die sich explizit mit dem Thema kontaminierter Kabinenluft auseinan-
dersetzen, um schnelle Schlussfolgerungen für die politische Praxis ziehen
zu können?
Wenn ja, welches sind die zuständigen Referate?

26. Sieht die Bundesregierung weiterhin in der ICAO die zuständige Institu-
tion, die dafür zuständige Arbeitsgruppen einberufen muss?
Wenn ja, was tut die Bundesregierung dafür, entsprechende Mehrheiten auf
internationaler Ebene zu schaffen, um eine entsprechende Arbeitsgruppe
einzuberufen?

27. Erkennt die Bundesregierung die Probleme mit Störfällen in dem von den
Medien berichteten Ausmaß an (vgl. u. a. die ARD-Sendung „Plusminus“
vom 3. Februar 2009 sowie am 24. März 2009, WDR-Sendung „Markt“
vom 9. März 2009, DER SPIEGEL, Ausgabe 9 vom 28. Februar 2011,
S. 124 f.), oder wie ist es zu erklären, dass die Bundesregierung durch die
umfangreiche Berichterstattung und das Aufdecken zahlreicher (nicht ge-
meldeter) Fälle keine neue Faktenlage erkennt (vgl. die Antwort der Bun-
desregierung zu Frage 10 auf Bundestagsdrucksache 17/3105)?

Berlin, den 18. März 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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