BT-Drucksache 17/5108

Ursachen und Perspektiven für 1,5 Millionen junge Menschen ohne Schul- oder Berufsabschluss

Vom 16. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5108
17. Wahlperiode 16. 03. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Willi Brase, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Ulla Burchardt,
Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, Petra Ernstberger, Michael Gerdes,
Iris Gleicke, Klaus Hagemann, Christel Humme, Oliver Kaczmarek, Daniela Kolbe
(Leipzig), Ute Kumpf, Caren Marks, Thomas Oppermann, Florian Pronold,
René Röspel, Marianne Schieder (Schwandorf), Silvia Schmidt (Eisleben),
Swen Schulz (Spandau), Andrea Wicklein, Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter
Steinmeier und der Fraktion der SPD

Ursachen und Perspektiven für 1,5 Millionen junge Menschen ohne Schul-
oder Berufsabschluss

In Deutschland leben rund 1,5 Millionen junge Erwachsene im Alter zwischen
20 und 29 Jahren ohne Berufsabschluss. Damit verfügen laut Berufsbildungs-
bericht 2010 rund 15 Prozent der Menschen dieser Altersgruppe nicht über die
notwendige Voraussetzung für eine hinreichende und zukunftssichernde Beteili-
gung am Erwerbsleben. So haben sich Bund und Länder in der „Qualifizierungs-
initiative für Deutschland“ verpflichtet, die Zahl der jungen Erwachsenen ohne
abgeschlossene Berufsausbildung von 17 Prozent in 2008 auf 8,5 Prozent bis
2015 zu halbieren. Von diesem Ziel ist Deutschland somit noch weit entfernt.

Der Berufsbildungsbericht vermag keine differenzierte Analyse der Betroffenen
zu leisten, auch weil die Datenlage zur Zusammensetzung, typischen Lebensla-
gen und auch zu den Gründen, wie lebensbiografischen Weichenstellungen der
betroffenen Personen, offenbar unzureichend ist. Hinzu kommt eine hohe Dyna-
mik, da die nach wie vor rund 65 000 Schulabbrecher jedes Jahr oder auch die
am Ausbildungsmarkt wiederholt erfolglosen und in nichtqualifizierenden Maß-
nahmen ausharrenden Jugendlichen den Kreis der potenziell Betroffenen stän-
dig wieder auffüllen.

Die Ursachen für eine dauerhafte Ausbildungslosigkeit sind in Grundzügen be-
kannt. Zu den individuellen Ursachen zählen zum Beispiel ein fehlender oder
niedriger Schulabschluss oder auch ein Ausbildungsabbruch. Zudem gelang es
in den vergangenen Jahren auch regelmäßig nicht, eine ausreichende Zahl an
dualen Ausbildungsplätzen oder anderen vollqualifizierenden Ausbildungsan-
geboten zur Verfügung zu stellen. Die Rekordzahl von so genannten Altbewer-
bern sowohl im Übergangssystem als auch bei den Ausbildungsplatzbewerbe-
rinnen und -bewerbern jedes Jahr belegt dies unzweifelhaft. Zwar konnte jüngst
die weitere Steigerung gestoppt werden, aber von einer nachhaltigen Trend-

umkehr zum Abbau der Altbewerber kann noch keine Rede sein. Ein tatsächlich
bedarfsdeckendes Ausbildungsangebot bleibt auch 2011 eine reine Wunschvor-
stellung der Wirtschaftsverbände.

Die Folgen für junge Erwachsene ohne Schul- und Berufsabschluss liegen auf
der Hand. Arbeitslosigkeit oder die zwangsläufige Aufnahme einer prekären
Beschäftigung erschwert die Entwicklung einer Perspektive in der Lebens- und

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Berufsplanung und verringert die Chance auf eine Teilhabe an der Gesellschaft.
Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten liegen Begabungspotenziale brach, die
besonders angesichts der demografischen Entwicklung und dem daraus prognos-
tizierten Fachkräftemangel in Deutschland gehoben werden müssen. Es besteht
folglich akuter Handlungsbedarf, um diesen jungen Erwachsen bessere Lebens-
perspektiven zu eröffnen und sie umgehend in den Ausbildungs- und Arbeits-
markt zu integrieren.

Wir fragen die Bundesregierung:

Soziale Dimension

1. Wie setzten sich die 1,5 Millionen betroffenen jungen Erwachsenen hin-
sichtlich des sozioökonomischen Status der Eltern zusammen (z. B. nach
International Socio-Economic Index of Occupational Status)?

2. Wie hoch ist der Anteil von Frauen an den Betroffenen?

3. Wie hoch ist der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund an den
Betroffenen?

4. Wie hoch ist unter diesen der Anteil der Migrantinnen und Migranten der
zweiten bzw. späteren Generation?

5. Wie viele der Betroffenen haben ein unterhaltpflichtiges Kind?

Wie viele haben zwei oder mehr unterhaltpflichtige Kinder?

6. Wie hoch ist darunter der Anteil von alleinerziehenden Elternteilen?

Wie viele davon sind Frauen?

7. Wie hoch ist der Anteil der Menschen mit Behinderung an den Betroffenen
sowie an den in Frage 2 bis 6 abgefragten Gruppen, und wie wird dies ins-
besondere für den Bericht der Bundesregierung über die Lage der Menschen
mit Behinderung in Zukunft erfasst und dargestellt?

Qualifikatorische Dimension

8. Wie hoch ist der Anteil von Menschen ohne allgemeinbildenden Schulab-
schluss an den 1,5 Millionen betroffenen jungen Erwachsenen?

Wie viele davon sind Frauen?

Wie viele davon haben einen Migrationshintergrund?

Wie viele haben eine Behinderung?

9. Wie hoch ist der Anteil von Menschen ohne Berufsabschluss an den 1,5 Mil-
lionen betroffenen jungen Erwachsenen?

Wie viele davon sind Frauen?

Wie viele davon haben einen Migrationshintergrund?

Wie viele haben eine Behinderung?

10. Wie hoch ist der Anteil von Menschen sowohl ohne allgemeinbildenden
Schulabschluss als auch ohne Berufsabschluss an den Betroffenen?

Wie viele davon sind Frauen?

Wie viele davon haben einen Migrationshintergrund?

Wie viele haben eine Behinderung?

11. Wie hoch ist der Anteil derjenigen an den Betroffenen, die einen begonne-

nen vollqualifizierenden Ausbildungsgang (differenzieren nach dual, über-
betrieblich und vollschulisch) abgebrochen haben?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5108

Wie viele haben bereits zwei oder mehr Ausbildungsgänge abgebrochen?

Wie viele davon sind Frauen?

Wie viele davon haben einen Migrationshintergrund?

Wie viele haben eine Behinderung?

12. Wie hoch ist der Anteil derjenigen an den Betroffenen, die ein Studium an
einer Hochschule abgebrochen haben bzw. nicht erfolgreich beendet haben?

Wie viele davon sind Frauen?

Wie viele davon haben einen Migrationshintergrund?

Wie viele haben eine Behinderung?

13. Wie hoch ist der Anteil derjenigen an den Betroffenen, die bereits eine
nicht- oder nur teilqualifizierende Maßnahme der Bundesagentur für Arbeit
(BA) oder der Länder abgeschlossen haben?

Wie viele haben bereits zwei oder mehr solcher Maßnahmen abgeschlos-
sen?

Wie viele davon sind Frauen?

Wie viele davon haben einen Migrationshintergrund?

Wie viele haben eine Behinderung?

14. Wie hoch ist darunter der Anteil derjenigen an den Betroffenen, die eine
Einstiegsqualifizierung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III)
durchlaufen haben?

Wie viele davon sind Frauen?

Wie viele davon haben einen Migrationshintergrund?

Wie viele haben eine Behinderung?

15. Wie hoch ist der Anteil derjenigen an den Betroffenen, die eine nicht- oder
nur teilqualifizierende Maßnahme der BA oder der Länder abgebrochen ha-
ben?

Wie viele haben bereits zwei oder mehr solcher Maßnahmen abgebrochen?

Wie viele davon sind Frauen?

Wie viele davon haben einen Migrationshintergrund?

Wie viele haben eine Behinderung?

Erwerbssituation

16. Wie hoch ist der Anteil derjenigen an den 1,5 Millionen betroffenen jungen
Erwachsenen, die erwerbslos sind?

Wie viele davon sind Frauen?

Wie viele davon haben einen Migrationshintergrund?

Wie viele haben eine Behinderung?

17. Wie hoch ist jeweils der Erwerbslosenanteil unter den Betroffenen, die kei-
nen Schulabschluss haben, die keinen Berufsabschluss sowie die ein Stu-
dium begonnen und abgebrochen haben?

18. Wie hoch ist unter den Erwerbslosen der Anteil der ALG-II-Bezieher nach
dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bzw. der Sozialhilfebezieher
nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII)?
Wie viele davon sind Frauen?

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Wie viele davon haben einen Migrationshintergrund?

Wie viele haben eine Behinderung?

19. Wie hoch ist der Anteil derjenigen an den erwerbstätigen Betroffenen, die
einer nicht bzw. nicht voll sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung
nachgehen?

Wie viele davon sind Frauen?

Wie viele davon haben einen Migrationshintergrund?

Wie viele haben eine Behinderung?

20. Wie hoch ist darunter der Anteil derjenigen an den Betroffenen, die einem
so genannten Minijob (bis 400 Euro/Monat) nachgehen?

Wie viele davon sind Frauen?

Wie viele davon haben einen Migrationshintergrund?

Wie viele haben eine Behinderung?

21. Wie hoch ist darunter der Anteil derjenigen, die einem so genannten 800-
Euro-Job nachgehen („Gleitzone Niedriglohnsektor“, 401 bis 800 Euro/
Monat)?

Wie viele davon sind Frauen?

Wie viele davon haben einen Migrationshintergrund?

Wie viele haben eine Behinderung?

22. Wie hoch ist der Anteil derjenigen an den erwerbstätigen Betroffenen, die
einer Beschäftigung in Teilzeit nachgehen?

Wie viele davon sind Frauen?

Wie viele davon haben einen Migrationshintergrund?

Wie viele haben eine Behinderung?

23. Wie hoch ist der Anteil derjenigen an den erwerbstätigen Betroffenen, die
zur Sicherung des Existenzminimums aufstockende Transferleistungen
nach SGB II zu ihrem Einkommen erhalten?

Wie viele davon sind Frauen?

Wie viele davon haben einen Migrationshintergrund?

Wie viele haben eine Behinderung?

24. In welchen Branchen sind die erwerbstätigen Betroffenen tätig (fünf wich-
tigsten)?

25. Welchen Tätigkeiten gehen die erwerbstätigen Betroffenen nach (zehn
wichtigsten)?

Maßnahmen

26. Mit welchen Maßnahmen bekämpft die Bundesregierung, wie in der Quali-
fizierungsinitiative verlangt, den hohen Anteil junger Erwachsener ohne
Schul- oder Berufsabschluss (jährliche Teilnehmerzahl ab 2008, dafür ein-
gesetzte Mittel, Abbruchquote, geplante Mittel bis 2015)?

27. Welche Maßnahmen sind dabei vor allem auf Frauen und Alleinerziehende
ohne Schul- oder Berufsabschluss ausgerichtet (jährliche Teilnehmerzahl ab
2008, eingesetzte Mittel, Abbruchquote)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5108

28. Welche Maßnahmen sind dabei vor allem auf Menschen mit Behinderung
ohne Schul- oder Berufsabschluss ausgerichtet (jährliche Teilnehmerzahl ab
2008, eingesetzte Mittel, Abbruchquote)?

29. Welche Maßnahmen sind auf die Gruppe derjenigen jungen Erwachsenen
gerichtet, die ohne einen erfolgreichen Studienabschluss geblieben sind?

30. Welche Maßnahmen sind dabei vor allem auf junge Erwachsene mit Migra-
tionshintergrund ausgerichtet (jährliche Teilnehmerzahl ab 2008, einge-
setzte Mittel, Abbruchquote)?

31. Welche zusätzlichen Maßnahmen plant oder erwägt die Bundesregierung,
um die Verringerung des Anteils junger Erwachsener ohne Schul- oder Be-
rufsabschluss zu fördern, zu beschleunigen oder besser auf Zielgruppen zu
fokussieren?

32. Wie bewertet die Bunderegierung die Tatsache, dass der Anteil der jungen
Erwachsenen ohne Schul- oder Berufsabschluss bereits seit Jahren auf dem
Niveau von rund 1,5 Millionen stagniert und eingeleitete Maßnahmen zur
Reduzierung offenbar nicht gegriffen haben?

33. Hält die Bundesregierung vor diesem Hintergrund an der Zielquote fest, den
Anteil junger Erwachsener ohne Berufsabschluss bis 2015 auf 8,5 Prozent
zu senken?

34. Welche Bedeutung hat aus Sicht der Bundesregierung das Nachholen eines
Schulabschlusses für die betroffenen Menschen hinsichtlich ihrer Chancen
auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und damit ihrer Lebens- und Be-
rufsperspektiven?

35. Wie viele junge arbeitslose Erwachsene machen von der Möglichkeit zum
Nachholen eines Hauptschulabschlusses über eine Förderung durch die
Bundesagentur für Arbeit Gebrauch (nach § 61a SGB III), jährliche Teilneh-
merzahlen, eingesetzte Mittel)?

36. Sieht die Bundesregierung die Kopplung des Nachholens des Hauptschul-
abschlusses an eine berufsvorbereitende Maßnahme als Einstiegshürde für
die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an?

Wenn ja, was unternimmt die Bundesregierung, damit Jugendliche auch
außerhalb einer berufsvorbereitenden Maßnahme eine Hauptschulabschluss
nachholen können?

37. Hält die Bundesregierung an ihrer Absicht fest, diese bisherige Pflichtleis-
tung der Arbeitsförderung nach SGB III in eine Ermessensleistung umzu-
wandeln?

Wenn ja, wann wird sie einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen?

38. Welche Maßnahmen des Ende vergangenen Jahres verlängerten Nationalen
Pakts für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs 2010 bis 2014 sind aus
Sicht der Bundesregierung darauf ausgerichtet oder zumindest geeignet, die
Zahl junger Erwachsener ohne Schul- oder Berufsabschluss zu verringern
(differenziert nach Vorhaben, eingesetzte Mittel)?

39. Welche dieser Maßnahmen sind auf die Förderung von jungen Frauen ohne
Schul- oder Berufsabschluss ausgerichtet?

40. Welche dieser Maßnahmen sind auf die Förderung von Menschen mit Be-
hinderung ohne Schul- oder Berufsabschluss ausgerichtet?

41. Welche dieser Maßnahmen sind auf die Förderung von jungen Erwachsenen
mit Migrationshintergrund ohne Schul- oder Berufsabschluss ausgerichtet?

Drucksache 17/5108 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

42. Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag, wichtige Indikatoren zur
Situation und Perspektiven von jungen Erwachsenen ohne Schul- oder
Berufsabschluss in die regelmäßige Berichterstattung des Nationalen Bil-
dungsberichts aufzunehmen?

43. Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag, darüber hinaus die Situa-
tion und Perspektiven von jungen Erwachsenen ohne Schul- oder Berufsab-
schluss zum Schwerpunktthema des Nationalen Bildungsberichts 2014 zu
wählen (nach „kulturelle und musisch-ästhetische Bildung“ für 2012)?

44. Wie bewertet die Bundesregierung das von der Bertelsmann Stiftung am
24. Januar 2011 vorgelegten Rahmenkonzept zu einer Initiative „Übergänge
mit System“?

Welche darin vorgeschlagenen Maßnahmen will sie gegebenenfalls für die
kurz-, mittel- oder langfristige Verringerung der Quote von jungen Erwach-
senen ohne Schul- oder Berufsabschluss nutzen?

45. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag, in einer Bund-Länder-
Arbeitsgruppe einen kurzfristig wirkenden Maßnahmenkatalog zu ent-
wickeln, um auch vor dem Hintergrund des prognostizierten Fachkräfte-
mangels die jungen Erwachsenen ohne Schul- oder Berufsabschluss um-
gehend zu einem nachholenden Schul- bzw. Berufsabschluss bzw.
akademischen Abschluss zu führen?

46. Ist eine solche Arbeitsgruppe derzeit vorgesehen, und wenn nein, wird die
Bundesregierung ihrerseits eine Initiative zur Einsetzung einer solchen Ar-
beitsgruppe ergreifen?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 16. März 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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