BT-Drucksache 17/5056

Neue Netzstruktur für Wasserstraßen präzisieren und die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung reformieren

Vom 16. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5056
17. Wahlperiode 16. 03. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn, Dr. Anton Hofreiter, Nicole
Maisch, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Ingrid Nestle, Daniela Wagner,
Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl,
Oliver Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg), Friedrich Ostendorff, Dr. Hermann
Ott, Dorothea Steiner, Markus Tressel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Neue Netzstruktur für Wasserstraßen präzisieren und die Wasser- und
Schifffahrtsverwaltung reformieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) muss sich an den
vorhandenen Verkehrsströmen sowie ökonomischen und ökologischen Zielset-
zungen orientieren. Die Bedeutung der Bundeswasserstraßen hat sich in den ver-
gangenen Jahrzehnten verändert. Trotz hoher Investitionen hat sich das Ver-
kehrsaufkommen nicht erhöht und etwa 7 300 Kilometer Bundeswasserstraßen
werden weiterhin von sieben Wasser- und Schifffahrtsdirektionen, 39 Wasser-
und Schifffahrtsämtern, fünf Neubauämtern sowie 141 Außenbezirken, Bau-
höfen und Revier- bzw. Verkehrszentralen betrieben und verwaltet. Mehr als die
Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundesministerium für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) ist damit für nur etwa 12 Prozent des
Güterverkehrs verantwortlich. Neben Investitionen für den Erhalt müssen des-
halb die vorhandenen Mittel auf den Ausbau wichtiger Wasserstraßen sowie
eine hohe ökologische Qualität der Gewässer, den Schutz und die Reaktivierung
von Auen, den naturnahen Hochwasserschutz und die ökologische Durchgän-
gigkeit konzentriert werden.

Die Investitionen der vergangenen Jahrzehnte haben vor allem nicht zu mehr
Verkehr auf den östlichen Wasserstraßen wie Elbe, Saale und dem Korridor
Wolfsburg–Berlin–Stettin geführt. Der Verkehr konzentriert sich weiterhin auf
dem Rhein, dem Westdeutschen Kanalnetz, dem Mittellandkanal westlich von
Wolfsburg, dem Elbe-Seiten-Kanal, der Mosel, auf dem Main flussabwärts von
Frankfurt sowie auf dem Nord-Ostsee-Kanal und in den Seehäfen Bremen/Bre-
merhaven und Hamburg. Für die übrigen Wasserstraßen ist die Nutzbarkeit
durch größere Schiffe nicht oder nur sehr begrenzt sinnvoll und Entwicklungs-
strategien müssen auf Basis der vorhandenen Infrastruktur erarbeitet werden.

Wasserstraßen müssen in erster Linie erhalten werden, Neubauten sind bis auf
Weiteres nicht mehr vorzusehen.

Aufbauend auf einem priorisierten Wasserstraßennetz muss eine Reform der
WSV umgesetzt werden. Sowohl innerhalb der WSV als auch extern durch Be-
ratungsunternehmen wurden seit 1995 Vorschläge zur Anpassung der Verwal-
tung an ein zukünftig zu betreibendes Wasserstraßennetz unterbreitet. Besonders

Drucksache 17/5056 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

der Bundesrechnungshof (BRH) hat jedoch immer wieder die fehlende Umset-
zung kritisiert1.

Das BMVBS verfolgt mit der neuen Netzstruktur der Wasserstraßen2 und der
Konzentration der vorhanden Mittel einen Ansatz, der nun weiter präzisiert wer-
den muss. Gleichzeitig muss jedoch die Behördenreform weiter vorangetrieben
werden, da insbesondere die Vorschläge des BRH aufgegriffen werden müssen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. zur Entwicklung einer neuen Netzstruktur für Bundeswasserstraßen

– die Kategorisierung der Netzstruktur der Bundeswasserstraßen nicht nur
nach der Höhe der beförderten Tonnen pro Jahr vorzunehmen, sondern
weitere Faktoren wie die pro Jahr beförderten Containereinheiten (Stan-
dardcontainer in Twenty-foot Equivalent Unit – TEU) und das transpor-
tierte Volumen (Nettoraumzahl – NRZ) mit in die Bewertung einfließen zu
lassen;

– bei der Kategorisierung der Netzstruktur der Bundeswasserstraßen nicht
nur die messbaren Verkehrsströme auf Wasserstraßen, sondern das gesamte
Verkehrsnetz zu analysieren und dabei die vorhandene bzw. geplante
Schienen-, Straßen- und Hafeninfrastruktur sowie regional- und volks-
wirtschaftliche Kriterien, Umwelt- und Naturschutzaspekte und die Ent-
wicklung des Wassertourismus zu berücksichtigen;

– eine sogenannte vertikale Aufgabenverlagerung und die damit bevorzugte
Verwendung der Mittel zugunsten des Vorrangnetzes nicht generell fest-
zuschreiben;

– den Jade-Weser-Port als seewärtige Zufahrt und deutschen Tiefwasser-
hafen gemäß dem nationalen Hafenkonzept zu berücksichtigen und ihm
eine herausragende Bedeutung beizumessen;

– darzulegen, nach welchen Kriterien festgelegt wird, ob bedeutende oder
geringe Personenschifffahrt auf einer Wasserstraße bzw. große Bedeutung
für die Personenschifffahrt und den Wasserstourismus besteht;

– eine Netzkarte mit den neu definierten Kategorien der Wasserstraßen vor-
zulegen;

– entsprechend der Netzstruktur die Priorisierung der geplanten Investi-
tionsprojekte der Bundeswasserstraßen darzustellen;

– gleichzeitig ein Konzept zu entwickeln und vorzustellen, wie Wasser-
straßen entwidmet bzw. übertragen werden sollen;

2. zur Umsetzung einer Verwaltungsreform der WSV

– ein Gesamtkonzept vorzulegen, aus dem die Veränderungen der Aufga-
ben- und Personalstruktur sowie die hieraus folgende Aufbauorganisation
der WSV hervorgehen, und dieses mit dem BRH abzustimmen;

– einen aktuellen Gesamtkatalog aller Aufgaben der WSV vorzulegen und
hierbei eine Unterscheidung zwischen der Durchführungs- bzw. der Ge-
währleistungsverantwortung vorzunehmen und das benötigte Personal
hierfür zu quantifizieren;

1 Bundesrechnungshof: Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung über den
unzureichenden Fortschritt des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung bei der Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwal-
tung des Bundes (9. Dezember 2010).
2 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Bericht des BMVBS an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zur
Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) (24. Januar 2011).

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5056

– eine Regierungskommission „Wasserstraße“ einzusetzen, welche die Um-
setzung der neuen Netzstruktur und der Verwaltungsreform begleitet und
in der Vertreter der Schifffahrtsbranche, der Häfen, der Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer, von Bund, Ländern und Kommunen sowie der
Umwelt- und Naturschutzverbände und Expertinnen bzw. Experten für
Verwaltungsreformen vertreten sind;

– darzulegen, in welcher Form die Präsenz der WSV zugunsten der vorran-
gigen Netzteile im Neben-, Rand- und Restnetz reduziert und ob bzw. wie
Außenbezirke, Dienststellen, Ämter und Direktionen geschlossen oder zu-
sammengelegt, Personalstellen ab- und umgebaut sowie Qualifizierungs-
maßnahmen umgesetzt werden sollen;

– zukünftig bei der Kosten-Leistungsrechnung die Personalkosten nicht
mehr auszusparen;

– entsprechend der neuen Ausrichtung der WSV klare Zieldefinitionen so-
wie daraus folgende Zielvereinbarungen mit eindeutigen Verantwortlich-
keiten festzulegen und hierbei eine stärkere Budget- und Personalverant-
wortung zu berücksichtigen und ein Qualitätsmanagement einzuführen;

– bis zur Vorlage eines Reformvorschlages auf Dienstvereinbarungen mit
Personalräten und Tarifvereinbarungen mit Gewerkschaften zu verzich-
ten, um keine Fakten zu schaffen, die einer Reform entgegenstehen.

Berlin, den 15. März 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Am 27. Oktober 2010 forderte der Haushaltsausschuss das BMVBS auf (Aus-
schussdrucksache 17(8)2901), einen Bericht zu einem Verwaltungsumbau der
WSV vorzulegen, wie er von der Projektgruppe „Konzentration der Wasser- und
Schifffahrtsverwaltung auf ihre Kernaufgaben“ im Abschlussbericht vom
26. Juli 2001 vorgestellt wurde. Entgegen den Feststellungen des BRH und der
Aufforderung des Haushaltsausschusses wird in dem vom BMVBS erstellten
Bericht vom 24. Januar 2011 jedoch kein Umsetzungsvorschlag für eine Behör-
denreform gemacht, sondern eine neue Netzstruktur für Bundeswasserstraßen
vorgestellt, da eine Umsetzung unter „Berücksichtigung der bestehenden und zu
erwartenden Rahmenbedingungen nicht möglich“ wäre. Da sowohl bezüglich
der Netzstruktur als auch der Behördenreform weitere Schritte notwendig sind,
wurde das BMVBS am 9. Februar 2011 vom Haushaltsausschuss erneut damit
beauftragt, ein strategisches Gesamtkonzept vorzulegen (Ausschussdrucksache
17(8)2908).

Dieses strategische Gesamtkonzept muss folgende Aspekte berücksichtigen:

Der Ansatz, die Wasserstraßen nach Nutzungsstärke zu unterteilen und die knap-
pen Haushaltsmittel zu konzentrieren, erfordert weitere Präzisierungen. Eine
Festlegung der Netzstruktur allein anhand der beförderten Tonnen pro Jahr
ist nicht zweckmäßig, da bestimmte Güter nicht in physischen Gewichtsein-
heiten, sondern in der Anzahl der umgeschlagenen und transportierten Container
(TEU = twenty-foot equivalent unit) bewertet werden. Der steigende Anteil an
Containern in der Schifffahrt muss deswegen bei der Netzstruktur der Wasser-

straßen berücksichtigt werden. In Kombination mit der Tonnagebetrachtung
sollte eine Einteilung geschaffen werden, die dem volkswirtschaftlichen Nutzen

Drucksache 17/5056 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

der einzelnen Wasserstraßen gerecht wird. Darüber hinaus muss in die Bewer-
tung einer optimalen Netzstruktur die vorhandene bzw. geplante Schienen-,
Straßen- und Hafeninfrastruktur einfließen. Auch regional- und volkswirtschaft-
liche Kriterien sowie die wachsende Bedeutung von Umwelt- und Naturschutz
sowie Wassertourismus müssen berücksichtigt werden.

Es ist nicht zweckmäßig, die vorhandenen Mittel für eine vertikale Aufgaben-
verlagerung in die nächsthöhere Wasserstraßenkategorie festzuschreiben und
die Investitions- und Sachmittel damit nur auf das Vorrangnetz zu konzentrieren.
Der Umweltschutz allgemein, der Erhalt einer hohen ökologischen Qualität der
Gewässer, der Hochwasserschutz sowie die ökologisch verträgliche Durchwan-
derbarkeit gehören zum Aufgabenbereich der WSV und können nicht vernach-
lässigt werden.

Der neue Jade-Weser-Port wird derzeit zum deutschen Tiefwasserhafen ausge-
baut und ist ein wichtiges Bindeglied der zukünftigen deutschen Seehafeninfra-
struktur, in die auch Mittel des Bundes für eine leistungsfähige Bahnanbindung
fließen. Dazu stellt der Jade-Weser-Port eine Alternative zu kostenintensiven
und umweltschädlichen Flussvertiefungen dar. Deswegen muss er in der neuen
Netzstruktur neben den Häfen Hamburg, Bremerhaven, Lübeck und Rostock
ebenfalls eine herausragende Bedeutung erhalten.

Die vom BMVBS vorgeschlagene Kategorisierung der Netzstruktur lässt Spiel-
räume für die Einstufung in Neben-, Rand-, Rest- und Wassertourismusnetz. Um
die Entscheidung für die Einstufung nachvollziehbar und transparent zu gestal-
ten, müssen die Kriterien hierfür offengelegt und anschließend eine Karte mit
den neu definierten Kategorien der Wasserstraßen erstellt werden.

Eine Gesamtreform der Verwaltung, die auf einer neuen Netzstruktur für Bun-
deswasserstraßen aufbaut, ist weiterhin notwendig. Die Bündelung von Fach-
aufgaben in der WSV sowie eine Neustrukturierung der Ämter sind jedoch trotz
zahlreicher Vorschläge nicht vorangekommen. Für die Reform ist eine fundierte
Analyse der Ziele und Aufgaben der WSV notwendig. Ohne diese Analyse
würde eine Reform nur anhand pauschaler Stellenkürzungen erfolgen, die zu
einem Know-how-Verlust führt, den Bundeshaushalt nur kurzfristig entlastet
und langfristig die Kosten wieder steigen lässt. Da nach Auffassung des BRH
derzeit nicht sichergestellt ist, dass das BMVBS die Reform mit der notwendi-
gen fachlichen Kompetenz und Distanz zu den Eigeninteressen der Verwaltung
vorantreibt, muss im Einvernehmen mit dem BRH und unter Heranziehung
einer Expertenkommission ein neuer Reformvorschlag erarbeitet werden.

Bestimmte Fachaufgaben wie die Schleusenautomatisierung oder das Material-
management müssen neu organisiert werden. Obwohl der Bericht des BMVBS
die Präsenz der WSV zugunsten der vorrangigen Netzteile im Neben-, Rand-
und Restnetz reduzieren will, erläutert er nicht, ob und wie Dienststellen und
Außenbezirke zusammengelegt oder aufgelöst werden bzw. wie Fachaufgaben
gebündelt werden können.

Für eine Reform ist es notwendig, eine aktuelle Übersicht über die Aufgaben der
WSV zu erstellen, welche die Produkte der Durchführungs- bzw. der Gewähr-
leistungsverantwortung zuordnet. In den 90er-Jahren wurde ein detaillierter Pro-
duktkatalog unter Einbindung der Beschäftigten aufgestellt, um einen Kosten-
Leistungsvergleich zu erhalten. Dieser Produktkatalog wurde jedoch nie einge-
führt. Ein später eingeführter Produktkatalog enthält dagegen nur wenige Leis-
tungen, bildet Tätigkeiten bestimmter Organisationseinheiten nur unzureichend
ab und erfasst keine Personalkosten. Dieses Defizit muss ausgeräumt werden.

Weiterhin fehlen Zieldefinitionen und daraus folgende Zielvereinbarungen, so
dass die Aufgaben der WSV undeutlich und schwer oder nicht vergleichbar sind.

Die eingeführte Kosten-Leistungsrechnung berücksichtigt keine Personalauf-
wendung, so dass sie für ein Controlling als Steuerungsinstrument ungeeignet

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5056

und ein Vergleich von Organisationseinheiten nicht möglich sind. Die bisher
vorhandenen Ansätze für ein Qualitäts- bzw. Projektmanagement sind wenig ge-
eignet, um Prozesse besser zu steuern. So wurde z. B. ein „QM-Handbuch für
die Gewässervermessung der WSV“ eingeführt, aber weder organisatorisch
noch personell verankert. Auch diese Defizite müssen ausgeräumt werden.

Eine Reform der WSV kann nur zusammen mit den Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern erfolgen. Deswegen können Vereinbarungen mit Personalräten und
Gewerkschaften nur geschlossen werden, wenn die Vorschläge zum Umbau der
Verwaltung vorliegen, um darauf aufbauend eine Einigung für die sozialverträg-
liche Umsetzung zu erzielen.

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