BT-Drucksache 17/4906

Sachstand der Aktivitäten der Bundesregierung zur Einbeziehung der Luftfahrtunternehmen in das außergerichtliche Schlichtungsverfahren der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e.V. (söp) bei Streitfällen

Vom 23. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4906
17. Wahlperiode 23. 02. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulrike Gottschalck, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ute Kumpf,
Thomas Oppermann, Florian Pronold, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der
Fraktion der SPD

Sachstand der Aktivitäten der Bundesregierung zur Einbeziehung der
Luftfahrtunternehmen in das außergerichtliche Schlichtungsverfahren der
Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V. (söp) bei
Streitfällen

Flugreisende können in der Europäischen Union seit dem 17. Februar 2005
weitreichende Rechte gegenüber den Fluggesellschaften geltend machen. Die
Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (Fluggastrechte-Verordnung) sieht bei inakzep-
tabler Beförderungsleistung wie Nichtbeförderung, Annullierung, Verspätung
und Höher- beziehungsweise Herabstufung, je nach Schwere der Situation, Aus-
gleichs- und Unterstützungsleistungen durch die Luftfahrtunternehmen vor,
weitere Ziele dieser Verordnung sind die Fluggäste über Flugstörungen früh-
zeitig zu informieren und angemessene Betreuungsleistungen bei Flugstörungen
anzubieten.

Durchsetzungs- und Beschwerdestelle dieser Fluggastrechte ist in Deutschland
das Luftfahrt-Bundesamt (LBA). Bei einem Verstoß gegen die Verordnungen
bezüglich der EU-Fluggastrechte ist es die Aufgabe des LBA, mit Hilfe von
Ordnungswidrigkeitsverfahren, die Einhaltung der Verordnungen zum Schutz
der Fluggastrechte zu gewährleisten.

Das LBA ist nicht ermächtigt, etwaige zivilrechtliche Ansprüche wie beispiels-
weise Ausgleichs- und Erstattungsleistungen oder Schadenersatz durchzusetzen.
Diese können Flugreisende nur nach den im jeweils anzuwendenden Recht vor-
gesehenen Verfahren selbständig geltend machen.

Es gibt in vielen europäischen Staaten die Möglichkeit der Konfliktlösung
durch ein Schlichtungsverfahren. Experten weisen darauf hin, dass die häufige
Inanspruchnahme solcher Schlichtungsmöglichkeiten auf einen großen Bedarf
bei der Geltendmachung von Fluggastrechten durch Schlichtungsverfahren hin-
deutet, der über das vorhandene Beschwerdemanagement der Luftfahrtunter-
nehmen, über die Aufsicht durch die nationalen Durchsetzungsstellen und über
die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung deutlich hinausgeht.
Die ehemalige Bundesministerin der Justiz Brigitte Zypries hat 2009 durch das
sogenannte Fahrgastrechtegesetz die rechtlichen Grundlagen für die Arbeit der
verkehrsübergreifenden Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenver-
kehr e. V. (söp) gelegt, die im Dezember 2009 eingerichtet worden ist. Bei
dieser Schlichtungsstelle sind bis zum 6. Dezember 2010 nach eigenen Angaben
der söp rund 3 351 Schlichtungsanträge eingegangen, davon 2 022 Fälle für den
Bereich Bahn und 1 321 Fälle für den Bereich Flug. Die söp konnte nach eige-

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nen Angaben für Bahnreisende in 91 Prozent dieser Fälle eine einvernehmliche
Lösung erzielen. Die Luftfahrtunternehmen nehmen nicht am Schlichtungsver-
fahren der söp teil.

Auf der 6. Verbraucherschutzministerkonferenz (VSMK) vom 17. September
2010 stellten die für den Verbraucherschutz zuständigen Vertreter und Vertrete-
rinnen der Länder fest, dass der Bedarf nach außergerichtlicher Streitschlich-
tung auch im Flugverkehr dringend besteht. Die in Deutschland tätigen Flug-
gesellschaften wurden von ihnen aufgerufen sich am Schlichtungsverfahren der
söp im Interesse der Reisenden zu beteiligen und forderten die Bundesregierung
auf, bei einer Weigerung der Fluggesellschaften, die Teilnahme an und Mit-
gliedschaft in der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V.
verpflichtend für alle in Deutschland tätigen Reiseverkehrsunternehmen gesetz-
lich festzuschreiben.

Auch die Verbraucherzentralen der Länder und der Verbraucherzentrale Bundes-
verband e. V. fordern eine gesetzliche Regelung für ein verbindliches Schlich-
tungsverfahren und wirksame Sanktionen, da sie zunehmend bei ihrer Arbeit
feststellen, dass Fluggesellschaften bei Verspätungen, Ausfällen von Flügen
oder anderen Störungen des Flugbetriebs häufig die EU-weit geltenden Rechte
betroffener Fluggäste missachten und die Beschwerden der Fluggäste sehr oft
nicht ernst nehmen sowie ihren Informationspflichten und der Kundenbetreuung
nicht zufriedenstellend nachkommen.

Eine Onlinebefragung der Verbraucherzentralen von Mai bis September 2010
nach der Umsetzung der EU-Rechte durch die Fluggesellschaften, die vom Bun-
desministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz finan-
ziert worden ist, bestätigen diese Erfahrungen aus der Verbraucherberatung.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Art und wie viele Anzeigen und Beschwerden sind beim Luftfahrt-
Bundesamt als offizielle Durchsetzungs- und Beschwerdestelle für die
Rechte der Fluggäste bei Annullierung, Verspätung und Nichtbeförderung
nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ab Ende November 2010 bis Ende
Dezember 2010, während der winterlichen Witterung, eingegangen?

2. Hat das Luftfahrt-Bundesamt ordnungsrechtliche Maßnahmen wegen Ver-
stöße gegen die oben genannte Verordnung ergriffen, und wenn ja, welche?

3. Ist die Bundesregierung der Meinung, dass Fluggesellschaften und Flug-
häfen ihrer Pflicht ausreichend nachkommen, Fluggäste umfassend über ihre
Verbraucherrechte zu informieren?

4. Wie positioniert sich die Bundesregierung zur Forderung der Verbraucher-
zentralen, dass die Ergebnisse der Kontrollen und Sanktionsmaßnahmen von
Luftfahrtunternehmen hinsichtlich der Einhaltung der sog. EU-Fluggast-
rechte-Verordnung des Luftfahrt-Bundesamtes regelmäßig der Öffentlich-
keit zur Verfügung gestellt werden sollen?

5. Hat die Bundesregierung seit ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Frak-
tion der SPD (Bundestagsdrucksache 17/2561) vom 12. Juli 2010 mittler-
weile einen Zeitplan für die Umsetzung der Forderung des Koalitionsvertrages
zwischen CDU, CSU und FDP zur gesetzlichen Verankerung der Einrichtung
einer unabhängigen übergreifenden Schlichtungsstelle für die Verkehrsträger
Bus, Bahn, Flug und Schiff, und kann sie kann der Fraktion der SPD inzwi-
schen darlegen, bis zu welchem konkreten Zeitpunkt sie dies unter der
Berücksichtigung der Luftfahrtunternehmen umsetzen wird?

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6. Hat die Bundesregierung aus den in der Antwort auf die Kleine Anfrage der
Fraktion der SPD (Bundestagsdrucksache 17/2561) vom 12. Juli 2010 an-
gekündigten Prüfungen zur Umsetzung der o. g. Forderung des Koalitions-
vertrages aktuelle Erkenntnisse darüber, wie sie eine Einbeziehung der Luft-
verkehrsträger in eine Schlichtung durch gesetzliche Maßnahmen erreichen
kann, und wenn ja, welche?

7. Wie oft hat sich die Bundesregierung bereits mit Luftverkehrsgesellschaf-
ten zu Gesprächen über die Beteiligung der Fluggesellschaften am Schlich-
tungsverfahren getroffen, und wann haben diese Treffen mit welchen Flug-
gesellschaften stattgefunden?

8. Was sind die bisherigen Ergebnisse dieser Gespräche, und welche Schlüsse
zieht die Bundesregierung aus ihnen?

9. Wie setzt sich die Bundesregierung, vor dem Hintergrund des Urteils des
Bundesgerichtshofes (BGH) vom 19. Januar 2011, dafür ein, dass auch
ausländische Fluggesellschaften, die von deutschen Flughäfen starten, in
das Schlichtungsverfahren in Deutschland mit einbezogen werden?

10. Führt die Bundesregierung auch diesbezügliche Gespräche mit ausländi-
schen Fluggesellschaften, die von deutschen Flughäfen starten?

11. Mit welchen ausländischen Fluggesellschaften hat die Bundesregierung
diesbezügliche Gespräche geführt, und wie sind die bisherigen Ergebnisse
dieser Gespräche?

12. Wann werden die nächsten Gespräche mit welchen Fluggesellschaften zur
Beteiligung der Luftfahrtunternehmen am Schlichtungsverfahren statt-
finden?

13. Welche Gründe haben die Fluggesellschaften in den Gesprächen mit der
Bundesregierung gegen ihre Teilnahme am Schlichtungsverfahren ge-
nannt?

14. Haben Fluggesellschaften in den Gesprächen mit der Bundesregierung als
Grund für die Ablehnung der Teilnahme am Schlichtungsverfahren auch
die in der söp-Satzung enthaltenen Mitgliedsbeiträge genannt, die sie als zu
hoch bewerten?

15. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu einer Ablehnung von Luft-
fahrtunternehmen am Schlichtungsverfahren wegen zu hoher oder über-
haupt zu entrichtender Mitgliedsbeiträge?

16. Welche Kosten würden den Fluggesellschaften für jeden über die söp ab-
gewickelten Schlichtungsfall entstehen, und in welcher Größenordnung
entstehen den Fluggesellschaften Kosten für ihren eigenen Kundenservice
pro Jahr?

17. Welche gesetzlich verankerten Möglichkeiten sieht die Bundesregierung,
dem Argument der Fluggesellschaften Rechnung zu tragen, ihnen einen
Erstkontakt zu unzufriedenen Kunden sicherzustellen, bevor eine für sie
kostenträchtige Schlichtung über die söp erfolgt?

18. Wie setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass die in Überarbeitung
befindliche Verordnung (EG) Nr. 261/2004 die verbindliche Einführung
von Schlichtungsverfahren im ganzen Geltungsbereich der Verordnung
aufnehmen wird?

19. Favorisiert die Bundesregierung unter der Berücksichtigung ihrer bis-
herigen Prüfergebnisse eine Schlichtungsstelle auf nationaler oder zentral
europäischer Ebene, wie es die französische und niederländische Regierung

vorschlagen, und was ergeben die Prüfergebnisse der Bundesregierung
bezüglich dieser Frage?

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20. Hält die Bundesregierung den hinter der Schlichtung stehenden Gedanken
von weniger Bürokratie und größerer Effizienz durch hohe Praktikabilität
des Verfahrens mit einer europäischen Zentralinstanz noch für gewahrt?

21. Erachtet die Bundesregierung eine nationale Schlichtungsstelle mit einer
größeren Nähe sowohl zu den Hintergründen eines Schlichtungsfalls als
auch zu Sprache und Rechtsprechung für sinnvoll?

22. Wird sich die Bundesregierung für die Aufnahme des Schlichtungsver-
fahrens nach dem Vorbild des im vergangenen Jahr neu gefassten § 37 der
Eisenbahn-Verkehrsordnung, die die Möglichkeit einer verkehrsträgerüber-
greifenden Schlichtung vorsieht, in die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ein-
setzen?

23. Welche alternative Verfahren erwägt die Bundesregierung zu installieren,
um gesetzlich verankerte Fluggastrechte effektiv durchzusetzen bzw. ent-
standene Konflikte zwischen Passagier und Verkehrsträger einvernehm-
lich, schnell und kostenextensiv zu schlichten?

24. Wie wird die Bundesregierung das deutsche verkehrsträgerübergreifende
Schlichtungsmodell der söp als positives Beispiel in die Diskussion für den
Luftverkehr auf europäischer Ebene einbringen?

25. Wann wird die Bundesregierung alle in Deutschland tätigen Luftverkehrs-
unternehmen zur Teilnahme an einer Schlichtungsstelle verpflichten?

26. Wird die Bundesregierung diese Teilnahme durchsetzen, bevor euro-
päisches Recht formuliert und in nationales Recht umgesetzt wird?

Berlin, den 23. Februar 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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