BT-Drucksache 17/4854

Konsequenzen aus dem Zugunglück von Hordorf ziehen

Vom 22. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4854
17. Wahlperiode 22. 02. 2011

Antrag
der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Sören Bartol,
Martin Burkert, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Michael Groß, Ulrike Gottschalck,
Hans-Joachim Hacker, Gustav Herzog, Petra Hinz (Essen), Johannes Kahrs,
Ute Kumpf, Kirsten Lühmann, Thomas Oppermann, Florian Pronold,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Undine Kurth (Quedlinburg),
Winfried Hermann, Stephan Kühn, Bettina Herlitzius, Ingrid Nestle,
Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn,
Sylvia Kotting-Uhl, Friedrich Ostendorff, Dr. Hermann Ott, Dorothea Steiner,
Markus Tressel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Konsequenzen aus dem Zugunglück von Hordorf ziehen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 29. Januar 2011 kam es auf der eingleisigen Hauptstrecke Magdeburg–Hal-
berstadt bei Hordorf zu einem folgenschweren Zugunglück, bei dem ein Güter-
zug und ein Personenzug kollidierten und zehn Menschen getötet wurden. Die
bisherige Aufklärung der Unglücksursache hat ergeben, dass der Lokführer des
Güterzugs sowohl das Vor- als auch das Hauptsignal der Überleitstelle Hordorf
missachtet hat.

In diesem Zusammenhang wurde die nicht durchgängig vorhandene Ausrüstung
der Strecke Magdeburg–Halberstadt mit einem System zur Zugbeeinflussung
thematisiert. So war der Bahnhof Hordorf nicht mit der Punktförmigen Zug-
beeinflussung (PZB 90) ausgerüstet. Nach heutigem Kenntnisstand hätte das
Zugunglück von Hordorf bei einer entsprechenden Ausstattung der Signale mit
PZB 90 verhindert werden können, denn dieses Systems löst eine Zwangsbrem-
sung aus, wenn ein rotes Signal überfahren wird.

Die ungenügende Ausrüstung des Streckennetzes der ehemaligen Deutschen
Reichsbahn mit einem Zugbeeinflussungssystem war bekannt und ist eine in-
vestive Altlast, die auch 20 Jahre nach Vollendung der Deutschen Einheit nicht
vollständig beseitigt ist.

Dabei entsprach das System zur Zugbeeinflussung im Netz der Deutschen Bun-
desbahn bereits Ende der 80er-Jahre dem Stand der Technik; schon 1969 war auf

allen Hauptstrecken die Induktive Zugsicherung (Indusi, Vorgängersystem der
PZB) installiert. In den 70er-Jahren wurde die Indusi-Ausrüstung auch im
Nebenstreckennetz vorangetrieben.

Obwohl seit 1990 rund 25 Mrd. Euro für den Aus- und Neubau des ostdeutschen
Eisenbahnnetzes investiert wurden, unterblieb bis heute die Angleichung des
Sicherheitsstandards bei der Streckenausrüstung mit einem Zugbeeinflussungs-
system. Selbst auf Hauptstrecken, die im Güterverkehr stark genutzt werden,

Drucksache 17/4854 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
wie der Halle-Kasseler-Bahn, fehlt auf weiten Abschnitten die Zugbeeinflus-
sung.

Das Netzwerk Privatbahnen schätzt den Investitionsbedarf zur PZB-Streckenaus-
rüstung im ostdeutschen Bahnnetz auf rund 50 Mio. Euro. Das entspricht 2 Pro-
zent der jährlich im Rahmen der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung
(LuFV) an die DB Netz AG gezahlten Bundesmittel für die Unterhaltung des
Schienennetzes.

In der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) ist die Ausrüstung mit Zug-
beeinflussungsanlagen in § 15 geregelt. Für Strecken, auf denen bis zu 100 km/h
zugelassen sind – so wie es bei der Unglücksstrecke der Fall war –, ist eine Aus-
rüstung mit Zugbeeinflussungsanlagen nicht obligatorisch vorgeschrieben.
Allerdings hätte das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
nach § 15 Absatz 4 EBO eine solche Ausrüstung längst anordnen können, was
aber unterblieb, da die DB Netz AG im Jahr 2007 ein Sofortprogramm zur Nach-
rüstung mit PZB 90 für definierte Strecken aufgelegt hat, dessen Umsetzung
sich aber immer weiter verzögert hat.

Durch eine Nachrüstung mit PZB 90 wird nicht nur die Eisenbahnsicherheit
verbessert, in einigen Fällen kann auch die Streckengeschwindigkeit ohne
weiteren Ausbau auf 120 km/h angehoben werden. Davon profitieren die Fahr-
gäste durch kürzere Reisezeiten. Dies nutzt aber auch den Betreibern, da sie
ggf. Umläufe einsparen können, wodurch auch der Zuschussbedarf durch die
öffentliche Hand sinkt.

In § 15 EBO soll daher klar geregelt werden, dass bisher noch nicht nachgerüs-
tete Hauptbahnen unverzüglich nachgerüstet werden müssen. Die dafür nötigen
Investitionen in das bundeseigene Schienennetz sind aus den LuFV-Mitteln zu
tätigen. In begründeten Ausnahmefällen, z. B. bei Zugstrecken, die ausschließ-
lich und wenig frequentiert durch den Güterverkehr genutzt werden, kann das
Eisenbahninfrastrukturunternehmen eine Ausnahmegenehmigung von der
Nachrüstung beim Eisenbahnbundesamt beantragen.

Für die Finanzierung der Nachrüstung mit PZB 90 von Schienenstrecken von
nicht bundeseigenen Eisenbahninfrastrukturunternehmen muss der Bund in
Abstimmung mit den Bundesländern eine Lösung finden. Dafür soll zunächst
der Finanzbedarf durch ein unabhängiges Gutachten ermittelt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die EBO in § 15 dergestalt anzupassen, dass alle Hauptbahnen unverzüglich
mit Zugbeeinflussungsanlagen ausgerüstet werden müssen und für Neben-
bahnen mit Personenverkehr eine Nachrüstung mit einer an die betrieblichen
Erfordernisse angepassten Sicherungstechnik vorgeschrieben wird,

2. die Mittel für die Nachrüstung von bundeseigenen Schienenwegen im Rah-
men der 2,5 Mrd. Euro Zuschüsse des Bundes an die DB Netz AG im Rah-
men der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) bereitzustellen,

3. den Finanzbedarf für die Nachrüstung von Strecken von nicht bundeseigenen
Eisenbahninfrastrukturunternehmen durch ein unabhängiges Gutachten er-
mitteln zu lassen und in Abstimmung mit den Bundesländern eine Finanzie-
rungslösung zu finden.

Berlin, den 22. Februar 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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