BT-Drucksache 17/4822

Verfahren und Produkte auf Basis nachwachsender Rohstoffe in der chemischen Industrie

Vom 18. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4822
17. Wahlperiode 18. 02. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Dorothea Steiner, Oliver Krischer,
Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Hermann Ott,
Cornelia Behm, Ulrike Höfken und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verfahren und Produkte auf Basis nachwachsender Rohstoffe in der chemischen
Industrie

Die energieintensiven Verfahren und Prozesse des produzierenden Gewerbes
stehen angesichts der Erfordernisse des Klimawandels vor großen Herausfor-
derungen. Nach den Erkenntnissen des Weltklimarates müssen die Industrie-
länder ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 um mindestens 80 bis 95 Prozent
im Vergleich zu 1990 gesenkt haben. Insbesondere der chemischen Industrie
kommt vor dieser Herausforderung eine besondere Rolle zu. Auf der einen
Seite ist sie durch die Produktion von neuen leichten und energiesparenden
Werkstoffen oder Dämmmaterialien Teil der Lösung, auf der anderen Seite aber
in Form energieintensiver Prozesse und Verfahren auch ein Verursacher des
fortschreitenden Klimawandels. Darüber hinaus ist sie in Bezug auf ihre Roh-
stoffbasis überwiegend von fossilen Rohstoffen wie Erdöl abhängig. Damit
wird die chemische Industrie zunehmend nicht nur mit steigenden Rohstoff-
preisen konfrontiert sein, die Produktion überwiegend erdölbasierter Produkte
bedeutet auch eine zusätzliche Freisetzung von Treibhausgasemissionen, wenn
diese am Ende ihres Lebenszyklus einer energetischen Nutzung zugeführt wer-
den. Vor diesen Herausforderungen stellt sich die Frage, welches Potenzial Ver-
fahren und Produkte auf der Basis nachwachsender Rohstoffe zur Lösung der
genannten Probleme haben, ohne dass neue Probleme geschaffen werden, wie
z. B. eine Verschärfung der Flächenkonkurrenz für den Anbau von Nahrungs-,
Rohstoff- oder Energiepflanzen oder eine Beeinträchtigung von Naturschutz-
belangen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die Bundesregierung Planungen und trifft sie Vorbereitungen, um bei
einer Verknappung der Rohstoffbasis Erdöl für die chemische Industrie eine
alternative Rohstoffbasis verfügbar zu haben, die über die Forschung hinaus-
gehen, wie sie z. B. in der „Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie
2030“ der Bundesregierung dargelegt ist, und wenn ja, was tut die Bundes-
regierung?
2. In welchem Umfang wird seitens der Bundesregierung gegenwärtig For-
schungs- und Entwicklungsgeld mit welchen Schwerpunkten eingesetzt, um
Vorsorge für eine Rohstoffverknappung am Standort Deutschland/Europa zu
treffen (bitte aufschlüsseln nach Geschäftsbereich, Zuordnung Kapitel/Titel-
gruppe/Titel, Laufzeit der Projekte, Höhe der Bundesmittel über die Ge-
samtlaufzeit und in den einzelnen Jahren, beteiligte Bundes- und Landes-
behörden sowie Kooperationspartner)?

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3. Welche der in Frage 2 genannten Projekte dienen dem Ziel, organische Rest-
stoffe (z. B. aus land- bzw. forstwirtschaftlichen Rückständen und/oder
Nebenprodukten wie z. B. Stroh, Gülle oder Waldrestholz) für die stoffliche
Verwertung in der chemischen Industrie nutzbar zu machen?

4. Welche der in Frage 2 genannten Projekte dienen dem Ziel, Pflanzen als
Rohstoffquelle für den Ersatz von fossilen Kunststoff- und Plastikmateria-
lien nutzbar zu machen?

5. Bei welchen der in Frage 2 genannten Projekten werden gentechnisch ver-
änderte Pflanzen mit dem Ziel der stofflichen Nutzung in der chemischen
Industrie entwickelt?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung der Mineralölindustrie,
zur Aufrechterhaltung der Fördermengen in immer riskantere und umwelt-
belastende sog. unkonventionelle Erdölquellen zu investieren, und teilt die
Bundesregierung die in Kreisen der chemischen Industrie weit verbreitete
Meinung, dass bei sich abzeichnender Erdölknappheit, der Rohstoff für die
Versorgung der chemischen Industrie reserviert werden sollte?

7. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Rohstoffkosten im
Verhältnis zu den Energiekosten in der Chemieindustrie in den nach Um-
satz und Gewinn wichtigsten Produktionsbereichen?

8. Hält die Bundesregierung es für erforderlich, dass im Rahmen der Klima-
schutzbemühungen in Deutschland bzw. Europa die chemische Industrie
auf der Rohstoffseite verstärkt auf Biomasse setzen muss?

9. Sieht die Bundesregierung in einer Abkehr von fossilen Rohstoffen wie
Erdöl einen Wettbewerbsvorteil für die chemische Industrie in Deutschland
und Europa?

10. Wie hoch ist nach Erkenntnissen der Bundesregierung derzeit der Anteil
des Anbaus von Biomasse für die stoffliche Nutzung (mit und ohne Holz
als Werkstoff)?

Wie hoch ist dazu im Vergleich der Anteil der Biomasseerzeugung für die
energetische Nutzung?

Wie hat sich der Anbau von Biomasse für die stoffliche Nutzung in den
letzten Jahren geändert?

11. Wie hoch ist derzeit der Anteil von nachwachsenden Rohstoffen an der
Rohstoffbasis in der chemischen Industrie, und in welchen Verfahren und
für welche Produkte kommen nachwachsende Rohstoffe bislang vor allem
zum Einsatz?

12. Inwieweit hat sich der Anteil der nachwachsenden Rohstoffe in der Pro-
duktion der chemischen Industrie in den letzten zehn Jahren vor dem Hin-
tergrund weltweit gestiegener Ölpreise verändert, und welche nachwach-
senden Rohstoffe kamen vor allem aus welchen Herkunftsländern zum
Einsatz?

13. Erachtet die Bundesregierung die Einführung von Nachhaltigkeitskriterien
auch für die stoffliche Biomassenutzung für sinnvoll, und wenn ja, welche
Schritte unternimmt sie, und welche Interessengruppen werden hierbei ein-
gebunden, um ein entsprechendes Konzept zu erarbeiten?

Hat die Bundesregierung in diesem Zusammenhang Kenntnis von Initiati-
ven in anderen Ländern?

14. In welchem Umfang wird seitens der Bundesregierung gegenwärtig For-
schungs- und Entwicklungsgeld eingesetzt, um die ökologischen und sozio-

ökonomischen Auswirkungen eines verstärkten Einsatzes von nachwach-
senden Rohstoffen z. B. im Hinblick auf eine Verschärfung der Flächen-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4822

konkurrenz für den Anbau von Nahrungs-, Rohstoff- oder Energiepflanzen
oder eine Beeinträchtigung von Naturschutzbelangen zu untersuchen (bitte
aufschlüsseln nach Geschäftsbereich, Zuordnung Kapitel/Titelgruppe/Titel,
Laufzeit der Projekte, Höhe der Bundesmittel über die Gesamtlaufzeit und
in den einzelnen Jahren, beteiligte Bundes- und Landesbehörden sowie
Kooperationspartner)?

15. Hält die Bundesregierung eine Anhebung des Biomasseanteils in der Che-
mie für wünschenswert und notwendig, und welche Steuerungsinstrumente
hält sie für zielführend?
Wie wird von Seiten der Bundesregierung in diesem Zusammenhang ein
Biomassequotengesetz, vergleichbar dem Biokraftstoffquotengesetz, beur-
teilt, das über eine sukzessiv ansteigende Quote, Anstrengungen der chemi-
schen Industrie zur Rohstoffumstellung fordern würde?

16. Wie bewertet die Bundesregierung Konzepte, wonach eine Förderung des
Einsatzes von Biomasse grundsätzlich stärker an die erreichten Treibhaus-
gaseinsparungen auszurichten ist, so wie dies bei Biokraftstoffen bereits
rechtlich ab 2015 vorgesehen ist und auch für andere Einsatzbereiche der
Biomasse wie etwa der stofflichen Nutzung möglich wäre?

17. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass vor dem Hintergrund des
Effizienzgedankens der stofflichen Nutzung von Biomasse ein Vorrang ge-
genüber der energetischen Nutzung eingeräumt werden müsste, da sich im
Sinne einer Kaskadennutzung die energetische Nutzung einer stofflichen
Nutzung mit der Möglichkeit zur mehrfachen Kreislaufführung immer an-
schließen kann?

18. Plant die Bundesregierung der Höherwertigkeit der stofflichen Biomasse-
nutzung im Rahmen ihrer Gesetzgebungskompetenz Rechnung zu tragen,
und wenn ja, in welcher Form und mit Hilfe welcher Steuerungsinstru-
mente?

Was ist insbesondere konkret geplant, um der grundsätzlich zu bevorzugen-
den Kaskadennutzung von Biomasse Rechnung zu tragen.

19. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung die derzeitige Marktsituation
für Kunststoffe, Schmierstoffe sowie Farben und Lacke auf der Basis nach-
wachsender Rohstoffe?

Welche Zahlen zu den derzeitigen Marktanteilen liegen der Bundesregie-
rung vor, und wie schätzt die Bundesregierung die weitere Marktentwick-
lung für diese Produkte ein?

20. Kann die Bundesregierung beziffern, in welcher Höhe bislang die Entwick-
lung von Produkten auf Basis nachwachsender Rohstoffe, wie z. B. Bio-
kunststoffen, Bioschmierstoffen oder Farben und Lacke auf Basis nach-
wachsender Rohstoffe mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden?

21. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass seitens großer deutscher
Kunststoffhersteller die aktuelle positive Marktentwicklung für Kunst-
stoffe auf der Basis nachwachsender Rohstoffe unterschätzt wurde, und
was unternimmt die Bundesregierung, um die Marktentwicklung von
Kunststoffen auf der Basis nachwachsender Rohstoffe und bioabbaubaren
Kunststoffen zu unterstützen?

Welche rechtlichen und sonstigen Maßnahmen sind ggf. in der Planung?

22. Was unternimmt die Bundesregierung in Hinblick auf die Kommunikation
an den Endverbraucher über die Möglichkeiten von Produkten auf der
Basis nachwachsender Rohstoffe?

Welche Kampagnen zur Markteinführung hat die Bundesregierung bislang

initiiert oder unterstützt und welche sind ggf. in Planung?

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23. Wie interpretiert die Bundesregierung die Bioabfallverordnung (BioAbfV)
bezüglich der Zulässigkeit des Einsatzes von biologisch abbaubaren Kunst-
stoffen in der Biotonne, wenn alternativ der Einsatz des getrennt gesam-
melten Bioabfalls in einer Kompostierungs- und/oder in einer Vergärungs-
anlage unterstellt wird

– für bioabbaubare Kunststoffe, die vollständig aus nachwachsenden Roh-
stoffen bestehen,

– für Biokunststoffe, die zu einem relevanten Anteil oder zum überwie-
genden Teil aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen und die vollstän-
dig abbaubar sind,

– für auf Mineralölbasis hergestellte aber biologisch abbaubare Kunst-
stoffe?

24. Wie beurteilt die Bundesregierung die Erfahrungen, die mit der Befreiung
von Lizenzgebühren der dualen Systeme für kompostierbare Verpackungs-
materialien in den vergangenen Jahren gemacht worden sind, und hat die
Bundesregierung vor, diese Gebührenbefreiung ggf. wieder einzuführen?

25. Wie beurteilt die Bundesregierung die Potenziale eines geschlossenen Re-
cyclingkreislaufs für Biokunststoffe, z. B. durch eine stoffliche Nutzung?

26. Welche Anstrengungen werden von Seiten der Bundesregierung unternom-
men oder sind in Planung, um eine getrennte Erfassung von unterschied-
lichen Biokunststoffen zu ermöglichen und damit das Potenzial zur stoff-
lichen Nutzung von Biokunststoffen zu nutzen?

Gibt es Planungen, die Erfassung von Biokunststoffen in den Sortieranlagen
zur Verwertung von Verpackungen zu unterstützen, und wenn ja, welche?

27. Ist der Bundesregierung bekannt, dass in Europa italienische Marktteilneh-
mer hohe Wachstumsraten auf dem Feld von Biokunststoffen aufweisen,
und wie beurteilt die Bundesregierung die kürzlich getroffenen Entschei-
dungen der italienischen Regierung, im Bereich der Polymere für den All-
tagsgebrauch vermehrt auf abbaubare Kunststoffe aus nachwachsenden
Rohstoffen zu setzen (z. B. Einkaufstüten)?

28. Wie bewertet die Bundesregierung die Technologie der Bioraffinerie?

Wie bewertet sie die Technologie, insbesondere hinsichtlich folgender
Punkte:

– effektivere Nutzung von Biomasse,

– Förderung der ländlichen Räume,

– Verringerung der Importabhängigkeit von erdölbasierten Rohstoffen,

– Sicherung der Rohstoffversorgung der chemischen Industrie und Klima-
schutzpotenzial?

29. Können Bioraffinerien aus Sicht der Bundesregierung insbesondere durch
die Möglichkeit zur Nutzung von Stroh und grüner Biomassen einen Bei-
trag zu einer umweltverträglichen Biomassenutzung leisten?

30. Welche Zahlen, Abschätzungen oder Studien liegen der Bundesregierung
zum Potenzial von Bioraffinerien, insbesondere hinsichtlich der Nutzung
von Rest und Abfallstoffen aus der Landwirtschaft und Lebensmittelindus-
trie, der Möglichkeiten zur inländischen Wertschöpfung, des Beschäfti-
gungspotenzials und des notwendigen Investitionsvolumens vor?

31. Erachtet die Bundsregierung die Technologie der Bioraffinerie mittelfristig
als eine geeignete Alternative zur Rohstoffversorgung der chemischen In-

dustrie?

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32. Durch welche Maßnahmen wird nach Kenntnis der Bundesregierung diese
Technologie von der chemischen Industrie selbst unterstützt und gefördert?

Inwieweit arbeitet die Bundesregierung bei diesem Thema mit der Indus-
trie zusammen?

33. Wie ist der augenblickliche Stand der Arbeiten an der Roadmap Bioraffi-
nerie, und will die Bundesregierung die Arbeit zum Abschluss bringen, und
wenn ja, bis wann?

34. Wie ist der Entwicklungsstand der Bioraffinerieentwicklung in Deutsch-
land im Vergleich zur ausländischen Forschungs- und Entwicklungssitua-
tion zu beurteilen?

35. Welche Finanzmittel werden aktuell von der Bundesregierung in die Bio-
raffinerieforschung eingesetzt?

36. Plant die Bundesregierung die Finanzierung der Bioraffinerieforschung
aufzustocken, und wenn ja, in welcher Höhe und für welche Projekte oder
Verfahren?

37. Würden aus Sicht der Bundesregierung alternativ oder zusätzlich Planun-
gen in Richtung einer Kohlechemie sinnvoll sein, und teilt sie die Sorgen,
dass diese Entwicklungen unter Klimaschutzgesichtspunkten kontrapro-
duktiv wären?

38. Plant die Bundesregierung insbesondere die nach § 13 Absatz 7 und 8 des
Zuteilungsgesetzes 2012 bestehende Möglichkeit per Rechtsverordnung
ggf. eine abweichende Zuordnung eines Emissionswertes je erzeugter Pro-
dukteinheit vorzunehmen, wenn Synthesegas aus der Kohlevergasung ein-
gesetzt wird?

39. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung Überlegungen der chemi-
schen Industrie bei, zukünftig Kohlendioxid als Rohstoffbasis verstärkt zu
nutzen?

40. Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Anwen-
dung der Carbon Capture and Storage (CCS)-Technologie in der chemi-
schen Industrie, und gibt es bereits konkrete Forschungserfahrungen oder
Pläne für eine CCS-Erprobung in diesem Industriezweig?

Berlin, den 18. Februar 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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