BT-Drucksache 17/4754

a) zu dem Antrag der Abgeordneten Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD - Drucksache 17/3178 - Gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen fördern b) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Maria Klein-Schmeink, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 17/3863 - Gesundes Aufwachsen für alle Kinder möglich machen c) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - Drucksachen 16/12860, 17/790 Nr. A. 24 - Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland -13. Kinder- und Jugendbericht- und Stellungnahme der Bundesregierung

Vom 11. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4754
17. Wahlperiode 11. 02. 2011

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss)

a) zu dem Antrag der Abgeordneten Marlene Rupprecht (Tuchenbach),
Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
– Drucksache 17/3178 –

Gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen fördern

b) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Maria Klein-Schmeink,
Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 17/3863 –

Gesundes Aufwachsen für alle Kinder möglich machen

c) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
– Drucksachen 16/12860, 17/790 Nr. A. 24 –

Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die
Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland
– 13. Kinder- und Jugendbericht –
und
Stellungnahme der Bundesregierung

A. Problem

Gemäß § 84 des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder und Jugendhilfe-
gesetz (SGB VIII – KJHG) hat die Bundesregierung dem Bundestag und dem
Bundesrat in jeder Legislaturperiode einen Bericht über die Lage junger Men-
schen und die Bestrebungen und Leistungen der Jugendhilfe vorzulegen. Neben
der Bestandsaufnahme und Analyse sollen die Berichte Vorschläge zur Weiter-
entwicklung der Jugendhilfe enthalten.

Drucksache 17/4754 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Der 13. Kinder- und Jugendbericht, dem Deutschen Bundestag zugeleitet mit
Schreiben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
vom 29. April 2009, trägt den Titel „Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen –
Gesundheitsbezogene Prävention in der Kinder- und Jugendhilfe.“ Zur Begrün-
dung dieses Berichtsauftrags hatte die damalige Bundesregierung ausgeführt,
sie wolle die Rahmenbedingungen für das Aufwachsen der nachfolgenden Ge-
neration weiter verbessern. Dazu gehöre auch das soziale, psychische und phy-
sische Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen. Die bestmögliche Förde-
rung der Gesundheit sei dabei ein zentrales Anliegen.

Zur Förderung von gesundem Aufwachsen stünden in der Bundesrepublik
Deutschland neben den Eltern unterschiedliche Systeme in der Verantwortung.
Die verteilte Verantwortung könne jedoch die Versorgung an den Übergängen
von einem System zum anderen erschweren. Eine möglichst optimale Gestal-
tung dieser Übergänge sei daher ein wichtiges Ziel. Der 13. Kinder- und Jugend-
bericht habe auf der Basis des derzeitigen Wissens- und Erkenntnisstandes zu-
kunftsweisende und realistische Handlungsoptionen für Politik und Gesellschaft
erarbeiten sollen.

Auf dieser Grundlage hat eine neunköpfige Berichtskommission unter dem Vor-
sitz von Prof. Dr. Heiner Keupp einen umfassenden Bericht erarbeitet, der dem
Deutschen Bundestag auf Drucksache 16/12860 vorliegt. Die Anträge der Frak-
tionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksachen 17/3178 und
17/3863 greifen Empfehlungen dieses Berichts auf und leiten daraus Forderun-
gen für das politische Handeln ab.

B. Lösung

In Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 16/12860:

Zu Buchstabe a

Ablehnung des Antrags auf Drucksache 17/3178 mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen
SPD und DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN.

Zu Buchstabe b

Ablehnung des Antrags auf Drucksache 17/3863 mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen DIE
LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Frak-
tion der SPD.

C. Alternativen

Annahme der Anträge auf Drucksachen 17/3178 und 17/3863.

D. Kosten

Wurden nicht erörtert.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4754

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

in Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 16/12860

a) den Antrag auf Drucksache 17/3178 abzulehnen,

b) den Antrag auf Drucksache 17/3863 abzulehnen.

Berlin, den 9. Februar 2011

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Sibylle Laurischk
Vorsitzende

Dr. Peter Tauber
Berichterstatter

Marlene Rupprecht (Tuchenbach)
Berichterstatterin

Miriam Gruß
Berichterstatterin

Diana Golze
Berichterstatterin

Katja Dörner
Berichterstatterin

Drucksache 17/4754 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Dr. Peter Tauber, Marlene Rupprecht (Tuchenbach),
Miriam Gruß, Diana Golze und Katja Dörner

I. Überweisung

Der Antrag auf Drucksache 17/3178 wurde in der 65. Sit-
zung des Deutschen Bundestages am 7. Oktober 2010 dem
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend feder-
führend sowie dem Rechtsausschuss, dem Haushaltsaus-
schuss, dem Ausschuss für Arbeit und Soziales, dem Aus-
schuss für Gesundheit, dem Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung und dem Ausschuss für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung zur Mitberatung
überwiesen.

Der Antrag auf Drucksache 17/3863 wurde in der 81. Sit-
zung des Deutschen Bundestages am 16. Dezember 2010
dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
federführend sowie dem Ausschuss für Arbeit und Soziales
und dem Ausschuss für Gesundheit zur Mitberatung über-
wiesen.

Die Unterrichtung auf Drucksache 16/12860 wurde in der
24. Sitzung des Deutschen Bundestages am 25. Februar
2010 erneut an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend federführend sowie an den Sportausschuss, den
Rechtsausschuss, den Ausschuss für Arbeit und Soziales und
den Ausschuss für Gesundheit zur Mitberatung überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlagen

Zu Buchstabe a

Der Antrag der Fraktion der SPD würdigt den 13. Kinder-
und Jugendbericht als einen wertvollen Beitrag zur Analyse
der drei Systeme Kinder- und Jugendhilfe, Gesundheits-
wesen und Behindertenhilfe. Der Bericht sollte eine wichtige
Grundlage für die weitere Entwicklung von Initiativen und
Programmen zur Gesundheitsförderung und Prävention sein.
Nach Artikel 24 der UN-Kinderrechtskonvention hätten alle
Kinder das Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesund-
heit. An den Übergängen der Schnittstellen der drei hierfür
zur Verfügung stehenden Systeme gebe es jedoch Reibungs-
verluste, die es abzubauen gelte.

Der Großteil der Kinder in Deutschland sei gesund und
wachse unter gesundheitsförderlichen sozialen Rahmenbe-
dingungen auf. 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen sei-
en jedoch gesundheitlich auffällig. Ernährungsprobleme,
Übergewicht, chronische Erkrankungen wie etwa Allergien
sowie psychische Probleme und Verhaltensauffälligkeiten
wie das Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom
(ADHS) oder die sogenannten Störungen des Sozialverhal-
tens nähmen einen immer höheren Anteil an den schulbezo-
genen Problemdiagnosen ein. Für Kinder und Jugendliche,
die in belastenden Lebenslagen aufwüchsen, sei das Risiko
gesundheitlicher Beeinträchtigungen besonders groß. Für
die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen komme der
Familie eine besondere Bedeutung zu, weshalb die Ressour-
cen der Kinder, Jugendlichen und ihrer Eltern mit dem Ziel
gefördert werden müssten, die Widerstandsfähigkeit der
Kinder gegen krankmachende Bedingungen zu stärken. Um
nachhaltig Gesundheitsförderung und Prävention in

Deutschland zu stärken und zu einer weiteren Säule des Ge-
sundheitswesens auszubauen, seien entsprechende Initiati-
ven der Länder und der Krankenkassen durch ein bundesein-
heitliches Präventionsgesetz zu ergänzen.

Als eine weitere Erkenntnis sei aus dem 13. Kinder- und
Jugendbericht abzuleiten, dass sich alle mit Kindern und
Jugendlichen arbeitenden Stellen vernetzen müssten. Alle
politischen Ebenen seien gefordert, Lücken bei der Förde-
rung eines gesunden Aufwachsens und bei der Vernetzung
von Strukturen zu schließen. Bei der Überprüfung und Wei-
terentwicklung bundesgesetzlicher Regelungen müssten die
Schnittstellen zwischen dem Achten Buch Sozialgesetz-
buch – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), dem Fünften
Buch Sozialgesetzbuch – gesetzliche Krankenversicherung
(SBG V), dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch – Reha-
bilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) so-
wie dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe
(SGB XII) besondere Beachtung finden.

Alle Maßnahmen seien an einer Inklusionsperspektive aus-
zurichten, insbesondere im Hinblick auf in Armut aufwach-
sende Kinder, auf Heranwachsende mit Migrationshinter-
grund und für Jungen und Mädchen mit behinderungsbe-
dingten Handlungseinschränkungen, damit Aussonderung
von Anfang an vermieden werde. Die UN-Konvention über
die Rechte von Menschen mit Behinderungen betone „das
Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbare
Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund
von Behinderung“. Mit der Zusammenführung aller Kinder
und Jugendlichen ohne Unterscheidung nach Behinderung
und Erziehungsschwierigkeiten im Leistungssystem der
Kinder- und Jugendhilfe könnten Schnittstellenprobleme be-
seitigt und die Förderung dieser Kinder verbessert werden.

In Angeboten der frühkindlichen Bildung und Betreuung so-
wie in Schulen würden Weichen für ein gesundes Aufwach-
sen von Kindern und Jugendlichen gestellt. Laut dem
13. Kinder- und Jugendbericht habe das Thema Gesundheit
in den Einrichtungen der Kindertagesbetreuung und in der
Kindertagespflege eine große Bedeutung. Der Bericht stelle
überdies fest, dass die schulbezogene Gesundheitsförderung
eine besondere Bedeutung habe und weiter gestärkt werden
müsse. In diesem Zusammenhang habe die Jugendsozial-
arbeit bzw. Schulsozialarbeit (§13 SGB VIII) eine hervor-
gehobene gesundheitsfördernde Funktion. Deshalb sollte
die Vernetzung von Schulen mit der Kinder- und Jugendhilfe
– insbesondere mit der Jugendsozialarbeit – weiter intensi-
viert werden. Der Ausbau flächendeckender Ganztagsschu-
len bleibe ein wichtiges Ziel, weil gerade hier eine gezielte
Förderung der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
und eine Vernetzung mit Kooperationspartnern wie der
Jugendhilfe besonders gut möglich seien. Entsprechende
Schritte sollten im Rahmen eines nationalen Bildungspakts
verabredet und umgesetzt werden.

Der Antrag enthält sodann einen umfangreichen Forderungs-
katalog zur besseren Vernetzung der Leistungssysteme, zur
Verbesserung der Gesundheitsförderung, Prävention, Inklu-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/4754

sion und Teilhabe sowie zur Verbesserung der Infrastruktur
für Kinder und Jugendliche.

Zu Buchstabe b

Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be-
tont, alle Kinder hätten ein Recht darauf, gesund aufzuwach-
sen und sich gut zu entwickeln. Psychisches, physisches und
soziales Wohlbefinden seien wesentliche Bestandteile gelin-
gender Bildungs- und Entwicklungsprozesse. Aufgabe der
Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland sei es, das Recht
eines jeden jungen Menschen auf Förderung seiner Entwick-
lung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und
gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit in die Praxis umzu-
setzen. Der Antrag würdigt sodann die Leistung des 13. Kin-
der- und Jugendberichts, der sich zum ersten Mal in der
Kinder- und Jugendberichterstattung mit Gesundheitsförde-
rung und gesundheitsbezogener Prävention beschäftige und
Aussagen zu zentralen Einflussgrößen für die Gesundheits-
situation und -entwicklung junger Menschen in Deutschland
mache. Daran müsse sich das Handeln der Bundesregierung
ausrichten.

Ein Großteil der Angebote zur Gesundheitsförderung in der
Kinder- und Jugendhilfe sei derzeit punktuell und projektför-
mig organisiert; flächendeckende integrierte Regelangebote
fänden sich – mit Ausnahme der Kindertagesbetreuung –
noch zu selten. Für Gesundheitsförderung und gesundheits-
bezogene Prävention von Kindern und Jugendlichen seien in
Deutschland unterschiedliche Systeme verantwortlich, deren
Schnittstellen und Übergänge nicht selten Versorgungs-
brüche zur Folge hätten. Der 13. Kinder- und Jugendbericht
habe die wissenschaftlichen Erkenntnisse über anschluss-
fähige Konzepte zwischen den Systemen Kinder- und
Jugendhilfe, Gesundheit und Behindertenhilfe deutlich er-
weitert und erstmals die Lebenslagen aller Kinder, auch die
der Kinder und Jugendlichen mit Behinderung in den Blick
genommen. Er benenne neben den leistungsrechtlichen
Zuordnungs- und Abgrenzungsproblemen Defizite in der
Zusammenarbeit der Leistungsträger und Leistungserbrin-
ger, die es zu lösen gelte. Eine verbesserte Vernetzung und
Kooperation und ein besseres Schnittstellenmanagement
zwischen Kinder- und Jugendhilfe, Medizin- und Gesund-
heitssystem und Behindertenhilfe sei dringend geboten.

Gesundheitsförderung sei eine gesamtgesellschaftliche Auf-
gabe, die am besten gemeinsam durch die Krankenkassen
und durch Bund, Länder und Kommunen bewältigt werden
könne. Benötigt würden dringend eine nationale Präven-
tionsstrategie und ein Präventionsgesetz. Gute Ansätze der
Gesundheitsförderung vor Ort brauchten eine sichere
Arbeitsgrundlage und dauerhaftes Personal, das für Konti-
nuität sorge. Die Kommunen müssten für das Erreichen von
Gesundheitszielen besser ausgestattet werden.

Die Gesundheitschancen von Kindern und Jugendlichen in
Deutschland seien sehr unterschiedlich. Die Gesundheitsrisi-
ken konzentrierten sich bei ca. 20 Prozent der Kinder und
Jugendlichen; betroffen seien vor allem diejenigen aus sozial
benachteiligten Familien und mit Migrationshintergrund.
Zugleich sei eine dramatische Verlagerung des Krankheits-
spektrums bei Kindern und Jugendlichen insgesamt zu be-
obachten, nämlich von den akuten zu den chronischen Er-
krankungen und von den somatischen zu den psychischen
Störungen. Als Ursache gelte ein zivilisationsbedingt verän-
derter Lebensstil. Fehlende Bewegung, ungesunde und ein-

seitige Ernährung, Leistungsdruck, ein steigender, teilweise
suchtartiger Medienkonsum, aber auch ein zunehmender
Verlust von Sicherheit und sozialer Einbindung gälten als
wesentliche Faktoren.

Für die Chancen- und Teilhabegerechtigkeit von Kindern
und Jugendlichen sei eine Stärkung der Gesundheitsförde-
rung und Prävention in allen relevanten Bereichen notwen-
dig. Eine nachhaltige und wirksame Gesundheitsförderung
müsse Angebote machen, die Kinder und Jugendliche in
ihrem Lebensumfeld erreichten. Besonders gut geeignete
Kooperationspartner seien Kitas, Schulen, Jugendeinrich-
tungen, Vereine, Verbände, Stadtteilprojekte und Betriebe.
Gesundheitliche Prävention müsse als Querschnittsaufgabe
in der Arbeitswelt, im Bildungswesen und in der Stadtent-
wicklung verankert werden. Das bestehende Kooperations-
verbot im Bildungsbereich sei aufzuheben, so das Bund und
Länder ein neues Ganztagschulprogramm im Sinne einer
nachhaltigen Form der Gesundheitsförderung mit kind- und
jugendgerechten Lernbedingungen auflegen könnten.

Im Anschluss an die UN-Konvention über die Rechte von
Menschen mit Behinderungen und auch das SGB IX sei zu
konstatieren, dass Heranwachsende mit Behinderung oder
von Behinderung bedrohte Heranwachsende das gleiche
Recht und das gleiche Bedürfnis hätten, die für ihr soziales,
psychisches und physisches Wohlbefinden bestmögliche
Förderung zu erfahren. Deshalb müsse für Bildungseinrich-
tungen Inklusion selbstverständlich werden. Kindertages-
stätten, Schulen und außerschulische Bildungseinrichtungen
müssten zu inklusiven Einrichtungen weiterentwickelt wer-
den, die allen Menschen mit oder ohne Behinderung glei-
chermaßen offenstünden. Unterstützungsleistungen für Kin-
der und Jugendliche mit Behinderung und deren Familien
müssten sich an den Lebenslagen und nicht an Leistungssys-
temen der Institutionen orientieren. Die Bundesländer seien
gefordert, endlich ihre Schulgesetze entsprechend zu refor-
mieren. Auch die Bundesregierung müsse gemäß Artikel 8
der UN-Konvention bewusstseinsbildende Maßnahmen er-
greifen, um die Menschen von der inklusiven Schule zu
überzeugen.

Auch dieser Antrag enthält sodann einen umfangreichen
Forderungskatalog zur Umsetzung dieser Ziele.

Zu Buchstabe c

Thema des 13. Kinder- und Jugendberichts mit dem Titel
„Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen“ ist die gesund-
heitsbezogene Prävention und Gesundheitsförderung in der
Kinder- und Jugendhilfe. Nach dem Berichtsauftrag der
Bundesregierung sollte der Bericht unter der Perspektive des
sozialen, psychischen und physischen Wohlbefindens von
Kindern und Jugendlichen und ihren Determinanten das
Spektrum an gesundheitsbezogener Prävention und Gesund-
heitsförderung insbesondere mit Blick auf Leistungen der
Kinder- und Jugendhilfe aufarbeiten und deren spezifischen
Beitrag im Bereich gesundheitsbezogener Leistungen her-
ausarbeiten. Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei auf die
Situation von Kindern und Jugendlichen in schwierigen
Lebenslagen, die Lebensverlaufperspektive sowie auf Kin-
der und Jugendliche mit Behinderungen gelegt werden.

In seinem Teil A widmet sich der Bericht zunächst den Aus-
gangspunkten, indem er die gesellschaftlichen Bedingungen
des Aufwachsens in der Spätmoderne analysiert und Grund-

Drucksache 17/4754 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

konzepte der Prävention und Gesundheitsförderung darstellt.
Teil B untersucht sodann die gesundheitliche Situation von
Kindern und Jugendlichen in Deutschland, die nach einer
einleitenden Darstellung über die Entwicklungsbedingungen
von Gesundheit und Krankheit bei Kindern und Jugend-
lichen in eigenen Abschnitten für Kinder unter drei Jahren,
für Kinder im Alter von drei bis unter sechs Jahren, für Kin-
der von sechs bis unter zwölf Jahren, für Kinder und Jugend-
liche von zwölf bis unter 18 Jahren und für junge Erwachse-
ne von 18 bis 27 Jahren dargestellt wird. Teil C befasst sich
mit Strukturen und Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe,
der Gesundheitsversorgung und der Eingliederungshilfe
bzw. Rehabilitation, während Teil D sodann die Leistungen
der Kinder- und Jugendhilfe für junge Menschen im Bereich
der Gesundheitsförderung und gesundheitsbezogenen Prä-
vention – wiederum in eigenen Abschnitten für die verschie-
denen Altersgruppen – untersucht.

Im Teil E sind schließlich die Empfehlungen der Berichts-
kommission für den Beitrag der Kinder- und Jugendhilfe zu
gesundheitsbezogener Prävention und Gesundheitsförde-
rung zusammengestellt. Dabei wird betont, dies seien ge-
samtgesellschaftliche Aufgaben, bei der die Kinder- und
Jugendhilfe nur ein Akteur unter anderen sei, dessen Beitrag
in der besonderen pädagogischen Unterstützung von gesund-
heitsbezogener Prävention und Gesundheitsförderung bei
ihren Adressaten und Adressatinnen bestehe.

Der Bericht formuliert sodann zwölf Leitlinien, wobei insbe-
sondere die salutogenetische Perspektive als konzeptioneller
Rahmen betont wird. Die Stärkung der Lebenskohärenz und
die Ermöglichung von Selbstwirksamkeitserfahrungen bei
Heranwachsenden mit dem Ziel von mehr Befähigungsge-
rechtigkeit würden damit zu zentralen fachlichen Anliegen
der Kinder- und Jugendhilfe:

,Erste Leitlinie: Stärkung der Lebenssouveränität

Gesundheitsbezogene Prävention und Gesundheitsförderung
von Kindern und Jugendlichen zielen auf eine Stärkung der
Lebenssouveränität von Heranwachsenden durch die Ver-
minderung bzw. den gekonnten Umgang mit Risiken und
eine Förderung von Verwirklichungschancen, Entwick-
lungs- und Widerstandsressourcen.

Zweite Leitlinie: Gesellschaftsbezug

Maßnahmen der Gesundheitsförderung und gesundheitsbe-
zogenen Prävention müssen Antworten auf die Fragen be-
inhalten, in welche Gesellschaft Kinder und Jugendliche
hineinwachsen und welche Ressourcen sie benötigen, um
sich an dieser Gesellschaft aktiv beteiligen zu können. Sie
benötigen also eine zeitdiagnostische Komponente.

Dritte Leitlinie: Lebenswelt- und Kontextbezug

Die Angebote zur Gesundheitsförderung und Prävention der
Kinder- und Jugendhilfe sind lebensweltbezogen zu entwi-
ckeln. Sie sind an den sozialräumlichen Kontexten der Her-
anwachsenden zu orientieren. Mädchen und Jungen sollten
nicht lediglich als individualisierte Träger von medizinisch
diagnostizierten Symptomen wahrgenommen und allein
medizinisch bzw. medikamentös behandelt werden.

Vierte Leitlinie: Förderung positiver Entwicklungsbedin-
gungen

Kinder und Jugendliche wachsen in ihrer großen Mehrheit
gesund, selbstbewusst und kompetent auf. Sie dürfen nicht

unter einer generalisierten Risikoperspektive gesehen wer-
den; notwendig sind vielmehr der Blick auf die positiven
Entwicklungsbedingungen der nachwachsenden Generatio-
nen und Antworten auf die Frage, wie solche Bedingungen
für alle Kinder und Jugendlichen gefördert werden können
bzw. welcher unterstützender Strukturen und gesellschaft-
licher Investitionen es dazu bedarf. Im Wissen, dass sich ein
gesundes Leben und Aufwachsen nicht einfach „natur-
wüchsig“ entwickeln, ist es ratsam, dass im Sinne von „good
governance“ die schon geleisteten gesellschaftlichen An-
strengungen verdeutlicht und bestehende Errungenschaften
gepflegt und ggf. ausgebaut werden.

Fünfte Leitlinie: Befähigungsgerechtigkeit

Es gibt gesellschaftliche Segmente, in denen ein gesundes
Aufwachsen bedroht ist, weil in ihnen die erforderlichen
Entwicklungs- und Widerstandsressourcen nicht vorhanden
sind bzw. nicht an Heranwachsende weitergegeben werden
können. Hier ist vor allem die wachsende Armut zu nennen,
die in überproportionaler Weise Kinder und Jugendliche be-
trifft. Die Orientierung am Ziel der Befähigungsgerechtig-
keit verpflichtet zu Fördermaßnahmen, die allen Heran-
wachsenden die Chance zum Erwerb der Entwicklungsres-
sourcen geben, die zu einer selbstbestimmten Lebenspraxis
erforderlich sind. Dabei gilt es, aktiv an den vorhandenen
Ressourcen gerade sozial benachteiligter Heranwachsender
anzuknüpfen, statt diese implizit und explizit zu entwerten.

Sechste Leitlinie: Bildungsgerechtigkeit

Alle verfügbaren Daten belegen einen engen Zusammen-
hang nicht nur zwischen Einkommensarmut, sondern auch
zwischen dem Bildungsgrad von Eltern und ihren Kindern
und dem Grad an objektiver und subjektiver Gesundheit. Es
gilt daher, allen Kindern und Jugendlichen möglichst früh
formelle und informelle Bildungsmöglichkeiten zu eröffnen,
um damit sozialer Ungleichheit entgegenzuwirken und ge-
sundheitliche Ressourcen zu stärken.

Siebte Leitlinie: Inklusion

Im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention (§ 24) haben alle
Kinder, unabhängig von ihrem Rechtsstatus, ein Recht „auf
das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit sowie auf Inan-
spruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von
Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit“. In-
sofern sind alle Maßnahmen an einer Inklusionsperspektive
auszurichten, die keine Aussonderung akzeptiert. Inklusi-
onsnotwendigkeiten bestehen vor allem für Kinder, die in
Armut aufwachsen, für Heranwachsende mit Migrationshin-
tergrund und für Mädchen und Jungen mit behinderungsbe-
dingten Handlungseinschränkungen. Sprach-, Status- und
Segregationsbarrieren sind abzubauen und die Lebenslagen
von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung sind in allen
Planungs- und Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen
(disability mainstreaming).

Achte Leitlinie: Achtsamer Körperbezug, kommunikativer
Weltbezug, reflexiver Bezug

In jedem Lebensalter haben Mädchen und Jungen spezi-
fische Kompetenzen zu erwerben, die für ein gesundes Her-
anwachsen von zentraler Bedeutung sind und die in ihrer Ge-
samtheit ihre Handlungsbefähigung ausmachen. Wie in den
„gesundheitsrelevanten Entwicklungsthemen“ (vgl. Teil B)
ausgeführt, reichen diese von frühem Aufbau von sicheren

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/4754

Bindungen über Autonomiegewinnung, Erwerb von Sprache
und Möglichkeiten kommunikativer Verständigung, Bewe-
gungskompetenz, Beziehungsgestaltung, Welterschließung,
Beheimatung im eigenen Körper, Umgang mit Grenzerfah-
rungen und Identitätsbildung bis hin zu Entscheidungsfähig-
keit und Verantwortungsübernahme. Diese gesundheitsrele-
vanten Entwicklungsthemen, die von Mädchen und Jungen
unterschiedlich umgesetzt werden, lassen sich unter drei Per-
spektiven bündeln, die für die Gesundheitsförderung eine
besondere aktuelle Relevanz haben:

– ein achtsamer Körperbezug,

– ein kommunikativer Weltbezug,

– ein reflexiver Bezug auf das eigene Selbst.

Neunte Leitlinie: Lebensverlaufsperspektive

Gesundheitsförderung, die sich an einer Lebensverlaufsper-
spektive ausrichtet, wird der Förderung altersspezifischer
Entwicklungsressourcen in den frühen Lebensphasen beson-
dere Priorität einräumen, um möglichst gute Bedingungen
für die weitere Entwicklung zu schaffen. Sie darf trotzdem
die späteren Lebensphasen nicht vernachlässigen. Gerade
das Schul- und Jugendalter zeigt einen besonderen Förder-
und Unterstützungsbedarf im Sinne der Erhöhung von Ver-
wirklichungschancen, um die anstehenden gesundheitsrele-
vanten Entwicklungsthemen für sich selbst und bezogen auf
die gesellschaftlichen Anforderungen befriedigend bewälti-
gen zu können.

Zehnte Leitlinie: Interprofessionelle Vernetzung

Die bestehenden Systeme der Kinder- und Jugendhilfe, des
Gesundheitswesens und der Eingliederungshilfe und Reha-
bilitation müssen in einer Vernetzung auf kommunaler Ebe-
ne weiterentwickelt werden, sodass – bezogen auf die jewei-
ligen Personen und Gruppen – bedarfsgerechte, passgenaue
Förderkonzepte gemeinsam gestaltet und realisiert werden
können.

Elfte Leitlinie: Von einer Anbieter- zu einer Akteursperspek-
tive

Notwendig ist ein Paradigmenwechsel von einer Anbieter-
zu einer Akteursperspektive. Förderprogramme haben sich
an den Bedürfnissen und Handlungsmöglichkeiten von Her-
anwachsenden und deren Familien auszurichten. In der Kon-
sequenz bedeutet dies eine verbindliche Partizipation der
Heranwachsenden und ihrer Familien an den Leistungsange-
boten der Kinder- und Jugendhilfe und der anderen Akteure.

Zwölfte Leitlinie: Gesundheitsförderung und Prävention als
gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Gesundheitsförderung und Prävention bedürfen einer gesell-
schaftspolitischen Rahmung und Prioritätensetzung. In vie-
len Konstellationen, in denen Heranwachsende Förderung
und Unterstützung benötigen und die in hohem Maße ge-
sundheitsrelevant sind (Sozialpolitik, Armutsbekämpfung,
Integration von Migrantinnen und Migranten und Menschen
mit Behinderung, Bildung, Ökologie), ist eine integrierte
Gesamtpolitik erforderlich. Die Handlungsmächtigkeit der
Kinder- und Jugendhilfe, der Eingliederungshilfe und Reha-
bilitation sowie des Gesundheitssystems sind begrenzt und
bedürfen einer gezielten Unterstützung der anderen Politik-
felder.‘

Diese Leitlinien bilden die Grundlage für einen umfang-
reichen Katalog von Empfehlungen, die die Kommission
zunächst mit Blick auf die Fachebene der Kinder- und Ju-
gendhilfe formuliert, dann aber auch mit Blick auf arbeits-
feldübergreifende Voraussetzungen, die durch verbindliche
Kooperationsformen und Netzwerkbildungen der Systeme
der Kinder- und Jugendhilfe, der Gesundheitsversorgung
und der Eingliederungshilfe zu schaffen seien. Weitere Emp-
fehlungen, ohne die die Kinder- und Jugendhilfe in ihren
Leistungen nicht die Wirksamkeit entfalten könne, die für ei-
ne Verbesserung gesundheitsbezogener Chancen von Heran-
wachsenden notwendig seien, richten sich an die Politik auf
Bundes-, Landes und Kommunalebene.

III. Stellungnahmen der mitberatenden
Ausschüsse

Zu Buchstabe a

Der Rechtsausschuss, der Haushaltsausschuss, der Aus-
schuss für Arbeit und Soziales, der Ausschuss für Ge-
sundheit, der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung sowie der Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung haben jeweils in ihren Sit-
zungen am 19. Januar 2011 mit den Stimmen der Fraktionen
der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen
SPD und DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung des Antrags
empfohlen.

Zu Buchstabe b

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie der Aus-
schuss für Gesundheit haben jeweils in ihren Sitzungen am
19. Januar 2011 mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen DIE
LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimment-
haltung der Fraktion der SPD die Ablehnung des Antrags
empfohlen.

Zu Buchstabe c

Der Sportausschuss, der Rechtsausschuss, der Ausschuss
für Arbeit und Soziales sowie der Ausschuss für Gesund-
heit haben jeweils in ihren Sitzungen am 19. Januar 2011 die
Kenntnisnahme der Unterrichtung empfohlen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im
federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat
zunächst in seiner 19. Sitzung am 27. September 2010 ein
öffentliches Expertengespräch zum 13. Kinder- und Jugend-
bericht mit Professor Dr. Heiner Keupp, dem Vorsitzenden
der Berichtskommission und dem kooptierten Kommissions-
mitglied, Dr. Christian Lüders geführt. Bereits der Aus-
schuss der 16. Wahlperiode hatte im Mai 2009 ein Fachge-
spräch zu dem Bericht mit diesen beiden Kommissionsmit-
gliedern geführt. In seiner 23. Sitzung am 25. Oktober 2010
hat der Ausschuss sodann eine öffentliche Anhörung zum
13. Kinder- und Jugendbericht durchgeführt. Angehört wur-
den Prof. Dr. Birgit Babitsch, Charité – Universitätsmedizin
Berlin; PD Dr. Fabienne Becker-Stoll, Staatsinstitut für
Frühpädagogik München; Prof. Dr. Jörg M. Fegert, Univer-
sitätsklinikum Ulm; Herr Norbert Müller-Fehling, Bundes-

Drucksache 17/4754 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

verband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen
e. V.; Prof. Dr. Raimund Geene, Hochschule Magdeburg-
Stendal; Prof. Dr. Heiner Keupp, Ludwig-Maximilians-Uni-
versität München; Dr. Christian Lüders, Deutsches Jugend-
institut e. V.; Prof. Dr. Ute Thyen, Universitätsklinikum
Schleswig-Holstein und Prof. Dr. rer. soc. Elisabeth Wacker,
TU Dortmund. Wegen des Ergebnisses des Fachgesprächs
und der öffentlichen Anhörung wird auf die Protokolle der
19. und der 23. Ausschusssitzung verwiesen.

In seiner 29. Sitzung am 19. Januar 2011 hat der Ausschuss
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend den Bericht und
die vorliegenden Anträge abschließend beraten. Er empfiehlt
in Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 16/12860 mit
den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen
die Stimmen der Fraktionen SPD und DIE LINKE. bei
Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
die Ablehnung des Antrags auf Drucksache 17/3178.

Er empfiehlt mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen DIE LINKE.
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der
Fraktion der SPD die Ablehnung des Antrags auf Drucksa-
che 17/3863.

In der Ausschussberatung führte die Vertreterin der Frak-
tion der SPD aus, die „Große Lösung“ werde seit 15 Jahren
in Fachwelt und Wissenschaft diskutiert und die damit ver-
bundenen Schwierigkeiten seien sehr wohl bekannt. Das
eigentlich Wichtige sei jedoch ein Wechsel der Denkweise,
so dass nicht mehr das Funktionieren der Institutionen im
Vordergrund stehe, sondern das Wohl der Kinder. Maßstab
aller Überlegungen müssten gute Rahmenbedingungen für
Kinder, Jugendliche und deren Familien sein. Aus vielen
Petitionen sei bekannt, dass Kinder aufgrund der unterschied-
lichen Zuständigkeiten nach den verschiedenen Büchern des
Sozialgesetzbuchs mit ihren Bedürfnissen häufig letztlich
auf der Strecke blieben. Die „Große Lösung“ sei daher nicht
nur eine plakative Forderung, sondern eine große Herausfor-
derung, die bis hinunter in die Kommunen reiche. Nach der
UN-Kinderrechtskonvention hätten jedoch alle Kinder ein
Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit. Dies
gelte für alle Kinder unabhängig davon, woher sie kämen, ob
sie mit oder ohne Behinderung lebten, ob sie einen Migra-
tionshintergrund hätten oder nicht. Sie sollten deshalb mit
Blick auf die Kinder- und Jugendhilfe und ihre Teilhabe an
der Gesellschaft von einem Gesetz betreut werden. Es sei
deshalb zu hoffen, dass es noch in dieser Wahlperiode zur
„Großen Lösung“ kommen werde.

Die Vertreterin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wies auf die Bedeutung des 13. Kinder- und Jugendberichts
hin, der zum ersten Mal den gesamten Bereich des gesunden
Aufwachsens von Kindern aus der Perspektive der Kinder-
und Jugendhilfe untersuche und insbesondere das Thema
Prävention in den Vordergrund stelle. Eine wichtige Errun-
genschaft des Berichts sei es, Kinder mit und ohne Behinde-
rung gleichermaßen in den Blick zu nehmen und die spezifi-
schen Bedürfnisse von Kindern mit Behinderung an der
Schnittstelle zwischen Jugendhilfe und Behindertenhilfe in-
tensiv zu beleuchten. Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN wolle ganz grundsätzlich die Bundesre-
gierung auffordern, die Befunde des 13. Kinder- und Jugend-
berichts ernst zu nehmen und umzusetzen. Die Stellungnah-

me der Bundesregierung zu diesem Bericht aus dem Jahr
2009 stamme noch aus der Zeit der großen Koalition der
CDU/CSU und SPD. Seither habe die Bundesregierung aus
diesem sehr guten Bericht jedoch keine wirklichen Konse-
quenzen gezogen. Der Bericht konstatiere klare Versor-
gungslücken in einzelnen Bereichen und weise insbesondere
auf die sehr schwierige Schnittstellenproblematik zwischen
der Jugendhilfe und anderen SGB-unterstützten Hilfesyste-
men hin, insbesondere der Behindertenhilfe. Dies führe im-
mer wieder zu Reibungsverlusten. Viele Maßnahmen der
Jugendhilfe im Bereich der Gesundheitsprävention seien
projektförmig organisiert und hätten keine dauerhafte Finan-
zierung, so dass von flächendeckenden Standards in diesem
Bereich nicht die Rede sein könne.

Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ent-
halte sehr konkrete Forderungen wie zum Beispiel die nach
Einrichtung eines Bund-Länder-Arbeitskreises. Der Bericht
mache deutlich, dass es aufgrund der unterschiedlichen Zu-
ständigkeiten auf den verschiedenen Ebenen auch Reibungs-
verluste zwischen Bund und Ländern gebe. Wichtig sei wei-
terhin, endlich ein Präventionsgesetz zu schaffen und
Prävention als Teil der Jugendarbeit zu etablieren, beispiels-
weise im Rahmen von Settingansätzen wie sie in Kitas und
Jugendhilfeeinrichtungen zwar schon teilweise, aber nicht
flächendeckend eingeführt seien. Des Weiteren müsse die
Zuordnung von Kindern mit und ohne Behinderung in unter-
schiedliche Leistungssysteme überwunden werden. Der An-
trag der Fraktion der SPD spreche sich an dieser Stelle sehr
klar für die „Große Lösung“ aus, während der Antrag der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dies nicht so konkret
formuliere. Zwar halte man es vom Ansatz her ebenfalls für
richtig, Schnittstellenprobleme zu überwinden und Reibungs-
verluste zu verhindern; die „Große Lösung“ berge aber auch
sehr große Herausforderungen. Auf keinen Fall dürfe es
durch Einsparmaßnahmen zu Verschlechterungen in der
Situation von Kindern mit Behinderung kommen. Die
Thematik der Kinder chronisch kranker Eltern sei ebenfalls
erstmals in einen Kinder- und Jugendbericht aufgenommen
worden. Der Bericht mache die Mangelsituation in diesem
Bereich sehr deutlich, so dass auch darauf dringend ein
Augenmerk gelegt werden müsse.

Der Vertreter der Fraktion der CDU/CSU führte aus, der
13. Kinder- und Jugendbericht werde sicherlich noch über
einen langen Zeitraum hinweg diskutiert werden müssen,
denn hier stehe man in einem fortlaufenden Prozess, bei dem
angestoßene Initiativen auch immer wieder kritisch hinter-
fragt werden müssten. In der Bewertung des Berichts und der
daraus abzuleitenden Maßnahmen befinde sich die Fraktion
der CDU/CSU auf einer Linie mit der Bundesregierung. Eine
große Schwierigkeit sei, dass der Bund aufgrund der klaren
Abgrenzung zur Zuständigkeit der Länder viele Dinge nur
projektbezogen anstoßen könne. Auch wenn der Bericht hier
Verstetigung anmahne, könne der Bund vielfach gar nicht
anders agieren. In anderen Punkten seien die Anregungen
des Berichts bereits aufgegriffen; so stehe beispielsweise das
Bildungspaket aufgrund der allgemeinen Debatte zum
Thema Hartz IV vor der Umsetzung. Ähnliches gelte mit
Blick auf das Kinderschutzgesetz. Es gebe mithin bereits
eine Fülle von Vorhaben, die sich letztendlich auf den Kin-
der- und Jugendbericht beziehen ließen bzw. an seine Hand-
lungsempfehlungen anknüpften.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/4754

Aus dem Bericht werde auch deutlich, dass es nicht nur um
eine Verbesserung der materiellen Basis gehe, sondern dass
für die Verbesserung der Situation von Kindern auch andere
Faktoren eine wichtige Rolle spielten. Darüber hinaus müsse
immer wieder darauf hingewiesen werden, dass es sich hier
um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handele. Das
Stichwort „Große Lösung“ zeige bereits, dass der Bund nicht
alle Probleme alleine lösen könne. Gerade vor dem Hinter-
grund der schwierigen Diskussionen mit den Kommunen zu
deren finanzieller Ausstattung sei man auch auf das Engage-
ment der Länder und Kommunen angewiesen. Diese The-
men sollten deshalb als gemeinsamer Auftrag verstanden
und in Gespräche mit den Landesparteien und den kommu-
nalen Spitzenverbänden mitgenommen werden. Auf diese
Weise könne man einen Schritt vorwärts kommen, gerade
weil in der konkreten Umsetzung oft die kommunale oder
die Landesebene betroffen seien.

Hervorzuheben sei schließlich, dass es kaum ein Land auf
der Welt gebe, in dem Kinder so gute Bedingungen des Auf-
wachsens hätten wie in Deutschland. Dies habe auch der Vor-
sitzende der Berichtskommission, Prof. Dr. Heiner Keupp,
wie folgt hervorgehoben: „Katastrophenmeldungen […], in
denen von 70 Prozent psychisch kranken Kindern in
Deutschland die Rede ist, [sind] absoluter Unsinn. Etwa
80 Prozent der Kinder und Jugendlichen wachsen in Deutsch-
land nach wie vor gesund und gut in diese Gesellschaft hin-
ein. Das ist kein Naturphänomen, sondern […] das Ergebnis
eines guten Sozialstaates […] und von Familien, die so
schlecht nicht sind, wie sie immer wieder gemacht werden.“
Ohne Probleme vom Tisch wischen zu wollen, müsse des-
halb auch daran erinnert werden, dass Vieles in unserem
Land hervorragend sei.

Die Vertreterin der Fraktion DIE LINKE. hob hervor, so-
wohl in den zu diesem Thema durchgeführten Fachgesprä-
chen und der Anhörung des Ausschusses als auch im
13. Kinder- und Jugendbericht selbst sei deutlich geworden,
dass Gesundheit und Wohlbefinden von Kindern und Ju-
gendlichen in Deutschland in erheblichem Maße von ihrem
gesellschaftlichen Status abhingen. Ungleiche Lebensbedin-
gungen beeinflussten die körperliche, die psychische und die
seelische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Die
Politik trage deshalb eine hohe Verantwortung, hier an be-
stimmten Punkten anzusetzen, die der Bericht sehr kritisch
anspreche. Ein Hauptaugenmerk der Fraktion DIE LINKE.
liege dabei auf der Frage sozialer Ungleichheit. Der Bericht
habe beispielsweise festgestellt, dass chronische Krankhei-
ten bei Heranwachsenden zunähmen, und dies nicht auf-
grund des individuellen Lebensstils oder der Lebensführung
der Familie, sondern aufgrund von unzureichenden Wohn-
verhältnissen und unzureichenden Mitteln. In Auswertung
dieses Kinder- und Jugendberichts und der dazu durchge-

führten Fachgespräche und der Anhörung habe die Fraktion
DIE LINKE. beim Forschungsinstitut für Kinderernährung
eine Studie zu der Frage beauftragt, ob eine gesunde Er-
nährung für Kinder mit dem alten und jetzt unverändert vor-
geschlagenen Regelsatz gewährleistet werden könne. Die
Studie unter der Leitung von Prof. Dr. Mathilde Kersting und
Dr. Ute Alexy komme zu dem sehr klaren Ergebnis, dass die-
se Regelsätze der physiologischen Entwicklung der Kinder
nicht ausreichend Rechnung trügen. Der Nahrungsbedarf
steige im Wachstumsalter stetig an, so dass die Dreistufigkeit
der Regelsätze den Bedarf an gesunder Ernährung nicht aus-
reichend abbilde. Auch sei es nicht möglich, immer nur mit
den preiswertesten Lebensmitteln auszukommen, denn diese
hätten nicht den für eine gesunde Ernährung erforderlichen
Nahrungsgehalt. Andere Erhebungen kämen zu ähnlichen
Ergebnissen. Weitere Studien wären erforderlich, denn nach
wie vor gebe es keine kindbezogene und kindgerechte Er-
mittlung des Bedarfs. Ein großer Teil der jetzt benötigten
Maßnahmen sei in den Anträgen der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aufgeführt. Dem könne auch
die Fraktion DIE LINKE. vollumfänglich zustimmen. Zur
abschließenden Behandlung des 13. Kinder- und Jugendbe-
richtes im Plenum werde sie noch einen eigenen Entschlie-
ßungsantrag vorlegen.

Der Vertreter der Fraktion der FDP betonte, sicherlich gebe
dieser Kinder- und Jugendbericht keinerlei Grund dafür, sich
auf dem Erreichten auszuruhen. Zu Recht sei bereits darauf
hingewiesen worden, dass die große Mehrheit aller Kinder
und Jugendlichen in diesem Land gesund aufwachse. Den-
noch müsse es zu denken geben, dass die soziale Herkunft
auch über den gesundheitlichen Zustand von Kindern und
Jugendlichen entscheide. Innerhalb seiner Zuständigkeiten
habe der Bund deshalb bereits Initiativen ergriffen. Hinzu-
weisen sei beispielsweise auf das Modellprogramm „JU-
GEND STÄRKEN: Aktiv in der Region“, die Offensive
„FRÜHE CHANCEN“ sowie die Initiative „Bildungsketten“.

Die im Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
geäußerte Kritik an der unübersichtlichen Vielzahl oft nur
punktueller und projektförmiger Angebote sei sicherlich
nicht gänzlich unberechtigt. An anderer Stelle fordere jedoch
auch dieser Antrag wieder ein Modellprogramm. Dies ver-
deutliche erneut die Schwierigkeiten einer „Großen Lösung“.
Natürlich würden hierzu Gespräche geführt und man hoffe
auf gute Ergebnisse. Auch der Antrag der Fraktion der SPD
enthalte viele richtige Ansatzpunkte. Er fordere jedoch u. a.
ein Präventionsgesetz auf Bundesebene, was die Fraktion
der FDP kritisch sehe. Gerade im Bereich Prävention gebe es
viele dezentrale Akteure, so dass sich die Frage stelle, was
mit einem Präventionsgesetz auf Bundesebene tatsächlich
erreicht werden könnte.

Berlin, den 9. Februar 2011

Dr. Peter Tauber
Berichterstatter

Marlene Rupprecht (Tuchenbach)
Berichterstatterin

Miriam Gruß
Berichterstatterin

Diana Golze
Berichterstatterin

Katja Dörner
Berichterstatterin

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