BT-Drucksache 17/4749

Ausrüstung des Streckennetzes der Deutschen Bahn AG mit Zugbeeinflussungssystemen

Vom 10. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4749
17. Wahlperiode 10. 02. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Stephan Kühn, Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann,
Bettina Herlitzius, Ingrid Nestle, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ausrüstung des Streckennetzes der Deutschen Bahn AG mit Zugbeeinflussungs-
systemen

Am 29. Januar 2011 kam es auf der eingleisigen Hauptstrecke Magdeburg–Hal-
berstadt bei Hordorf zu einem folgenschweren Zugunglück, bei dem ein Güter-
zug und ein Personenzug kollidierten und zehn Menschen getötet wurden. Die
bisherige Aufklärung der Unglücksursache hat ergeben, dass der Lokführer des
Güterzugs sowohl das Vor- als auch das Hauptsignal der Überleitstelle Hordorf
missachtet hat.

In diesem Zusammenhang wurde die nicht durchgängig vorhandene Ausrüstung
der Strecke Magdeburg–Halberstadt mit einem System zur Zugbeeinflussung
thematisiert. So war der Bahnhof Hordorf nicht mit der Punktförmigen Zug-
beeinflussung (PZB 90) ausgerüstet. Nach heutigem Kenntnisstand hätte das
Zugunglück von Hordorf bei einer entsprechenden Ausstattung der Signale mit
PZB 90 verhindert werden können.

Die ungenügende Ausrüstung des Streckennetzes der ehemaligen Deutschen
Reichsbahn mit einem Zugbeeinflussungssystem war bekannt und ist eine „in-
vestive Altlast“, die auch 20 Jahre nach Vollendung der Deutschen Einheit nicht
vollständig beseitigt ist.

Dabei entsprach das System zur Zugbeeinflussung im Netz der Deutschen Bun-
desbahn bereits Ende der 80er-Jahre dem Stand der Technik; schon 1969 war auf
allen Hauptstrecken die Induktive Zugsicherung (Indusi, Vorgängersystem der
PZB) installiert. In den 70er-Jahren wurde die Indusi-Ausrüstung auch im Ne-
benstreckennetz vorangetrieben.

Obwohl seit 1990 rund 25 Mrd. Euro für den Aus- und Neubau des ostdeutschen
Eisenbahnnetzes investiert wurden, unterblieb bis heute die Angleichung des
Sicherheitsstandards bei der Streckenausrüstung mit einem Zugbeeinflussungs-
system. Selbst auf Hauptstrecken, die im Güterverkehr stark genutzt werden,
wie der Halle-Kasseler-Bahn, fehlt auf weiten Abschnitten die Zugbeeinflus-
sung.
Das Netzwerk Privatbahnen schätzt den Investitionsbedarf zur PZB-Strecken-
ausrüstung im ostdeutschen Bahnnetz auf rund 50 Mio. Euro.

Drucksache 17/4749 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welcher Rückstand ergab sich bei der Ausrüstung des Streckennetzes der
Deutschen Reichsbahn mit einem Zugbeeinflussungssystem zum Stichtag
3. Oktober 1990 unter Zugrundelegung des damaligen Standards im Netz
der Deutschen Bundesbahn?

Wie viele Streckenkilometer des Streckennetzes (untergliedert nach Haupt-
und Nebenstrecken) der Deutschen Reichsbahn waren mit einem System
zur Zugbeeinflussung ausgerüstet?

Welcher Ausrüstungsgrad ergibt sich daraus?

2. Wie viele Streckenkilometer rüstete die Deutsche Reichsbahn bis zum
31. Dezember 1993 mit einem entsprechenden System zur Zugbeeinflus-
sung aus (untergliedert nach Haupt- und Nebenstrecken)?

Welcher Ausrüstungsgrad ergibt sich daraus?

3. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass es sich bei der unzurei-
chenden Ausrüstung des Reichsbahnnetzes mit einem Zugsicherungssys-
tem um eine „investive Altlast“ im Sinne des § 22 des Deutsche Bahn Grün-
dungsgesetzes handelt?

4. Welchen wertmäßigen Umfang hatten die „investiven Altlasten“ im Bereich
Leit- und Sicherungstechnik – und hier konkret der Nachholbedarf bei der
Ausstattung mit Zugbeeinflussungssystemen – im Streckennetz der Deut-
schen Reichsbahn zum 31. Dezember 1993, und welcher Teil der festge-
stellten „investiven Altlasten“ in diesem Bereich konnte bis zum 31. De-
zember 2009 abgebaut werden?

5. Welche Strecken der DB Netz AG sind derzeit noch ohne Zugbeeinflussung
(untergliedert nach Haupt- und Nebenstrecken)?

6. Welche Strecken in den Regionalbereichen Ost und Südost der DB Netz AG
sind derzeit noch ohne Zugbeeinflussung (untergliedert nach Haupt- und
Nebenstrecken)?

7. Welche Investitionen wären nötig, um alle Hauptstrecken und die Neben-
strecken der DB Netz AG, auf denen Personenverkehr mit Zugbegegnungen
stattfindet, mit einem Zugbeeinflussungssystem auszurüsten?

8. Welche Empfehlungen hat die Lenkungsgruppe „Verbesserung der Ver-
kehrssicherheit beim Eisenbahntransport“ beim damaligen Bundesministe-
rium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zur Beseitigung des Investi-
tionsstaus bei der PZB-Streckenausrüstung in Ostdeutschland gegeben?

9. Welchen Zeitplan hat die Lenkungsgruppe „Verbesserung der Verkehrssi-
cherheit beim Eisenbahntransport“ zur PZB-Nachrüstung vorgeschlagen?

10. Entsprach das „PZB-Lückenschlussprogramm“ der DB Netz AG aus dem
Jahr 2000 den Empfehlungen der Lenkungsgruppe „Verbesserung der Ver-
kehrssicherheit beim Eisenbahntransport“?

Wenn nein, warum hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung (BMVBS) die DB Netz AG nicht auf die Ergebnisse der Len-
kungsgruppe festgelegt?

11. Auf welchen Strecken sollte nach dem „PZB-Lückenschlussprogramm“ die
Zugbeeinflussung installiert werden?

12. Welcher Zeitplan war für das „PZB-Lückenschlussprogramm“ ursprünglich
vorgesehen, und welche Investitionen wurden dafür eingeplant?

13. Wurde der Zeitplan des „PZB-Lückenschlussprogramms“ eingehalten?
Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4749

14. Welche Investitionen wurden bis heute für das „PZB-Lückenschlusspro-
gramm“ der DB Netz AG getätigt?

15. In welcher Höhe wurden bisher Bundesmittel für das Programm eingesetzt?

16. In welcher Höhe setzte die Deutsche Bahn AG (DB AG) für das „PZB-
Lückenschlussprogramm“ Eigenmittel ein?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass noch Anfang 2008
ca. 1 700 Streckenkilometer mit Reisezugverkehr der im genannten Pro-
gramm zur Umrüstung vorgesehenen Strecken keine PZB hatten?

18. Wie kommt das BMVBS in der Pressemitteilung vom 1. Oktober 2010 zu
der Feststellung, „dass die so genannten investiven Altlasten im Bereich des
Sondervermögens Deutsche Reichsbahn vollständig abgebaut wurden“, ob-
wohl bis heute Defizite bei der Sicherungstechnik im ostdeutschen Eisen-
bahnnetz im Bereich der Zugbeeinflussung fortbestehen?

19. Wie viele Streckenkilometer der im genannten Programm zur Umrüstung
vorgesehenen Strecken sind bis heute nicht mit der PZB ausgerüstet wor-
den?

20. Warum bezieht sich das „PZB-Lückenschlussprogramm“ der DB Netz AG
nur auf das Hauptstreckennetz?

21. Sind PZB-Ausrüstungen für das Nebenstreckennetz grundsätzlich auch zu-
wendungsfähig?

Wenn nein, warum nicht?

22. Was hat die Bundesregierung unternommen, um die Umsetzung des „PZB-
Lückenschlussprogramms“ der DB Netz AG zu beschleunigen?

23. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass das „PZB-Lückenschluss-
programm“ von der DB AG eher schleppend umgesetzt wurde?

Wenn nein, warum nicht?

24. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass es bereits im Novem-
ber 2006 auf der Strecke Magdeburg–Halberstadt zu einem gefährlichen Er-
eignis im Bahnbetrieb – einem Beinahezusammenstoß zweier Reisezüge –
kam?

25. Welche Konsequenzen wurden aus dem Ereignis gezogen?

Wurde das „PZB-Lückenschlussprogramm“ der DB Netz AG nunmehr be-
schleunigt umgesetzt?

Wenn nein, warum nicht?

26. Warum hat das BMVBS nach diesem Ereignis nicht von § 15 Absatz 4 der
Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) Gebrauch gemacht und die
Ausrüstung mit PZB auf bestimmten Strecken vorgeschrieben?

27. Welche Strecken der DB Netz AG wurden bisher nach § 15 Absatz 4 EBO
mit PZB ausgestattet?

28. Plant das BMVBS nach dem Zugunglück von Hordorf die Streckenausrüs-
tung mit PZB nach § 15 Absatz 4 EBO der DB Netz AG als Betreiber der
Infrastruktur vorzugeben?

Wenn nein, warum nicht?

29. Hält die Bundesregierung das vom Vorstandsvorsitzenden der DB AG,
Rüdiger Grube, angekündigte Programm zur PZB-Nachrüstung für ausrei-
chend?
Wenn nein, welche Ergänzungen hält die Bundesregierung für notwendig?

Drucksache 17/4749 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
30. Plant die DB AG nach dem Unglück von Hordorf ein PZB-Programm, das
vom Umfang über das bestehende „PZB-Lückenschlussprogramm“ hinaus-
geht?

31. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, bei der das Eisenbahn-Bundesamt
unter Setzung von Terminen und Androhung von Zwangsgeldern die PZB-
Ausrüstung angeordnet hat?

Wenn ja, um welche Strecken handelt es sich?

32. Warum unterblieb beim Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 6 (Ausbau-
strecke Halle–Sangerhausen–Eichenberg) die lückenlose Installation der
PZB im östlichen Abschnitt Niederorschel–Halle (Saale)?

33. Welche Investitionen wären notwendig gewesen, um das Verkehrsprojekt
Deutsche Einheit Nr. 6, wie dem Stand der Technik entsprechend, vollstän-
dig mit PZB auszurüsten?

34. Wie beurteilt die Bundesregierung die bis heute weitgehend fehlende PZB
bei der Halle-Kasseler-Bahn insbesondere vor dem Hintergrund der Bedeu-
tung der Strecke für den Schienengüterverkehr?

35. Hält die Bundesregierung die Regelungen des § 15 EBO – insbesondere
Absatz 2 – für reformbedürftig?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, welche Änderungen hält die Bundesregierung für sinnvoll?

Berlin, den 10. Februar 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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