BT-Drucksache 17/4689

Rheintalbahn - Modellprojekt für anwohnerfreundlichen Schienenausbau

Vom 9. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4689
17. Wahlperiode 09. 02. 2011

Antrag
der Abgeordneten Winfried Hermann, Kerstin Andreae, Alexander Bonde,
Dr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius, Stephan Kühn, Ingrid Nestle,
Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg),
Friedrich Ostendorff, Dr. Hermann Ott, Dorothea Steiner und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rheintalbahn – Modellprojekt für anwohnerfreundlichen Schienenausbau

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der viergleisige Aus- und Neubau der Eisenbahnstrecke zwischen Karlsruhe
und Basel, die sogenannte Rheintalbahn, ist eines der bundesweit wichtigsten
Infrastrukturgroßprojekte, um eine Verlagerung des Schwerlastverkehrs von
der Straße auf die Schiene zu erreichen. Aufgrund ihrer Lage besitzt die Strecke
eine herausragende Stellung für den überregionalen und internationalen Ver-
kehr, insbesondere für die Gütertransporte von und zu den Nordseehäfen in
Deutschland und den Niederlanden. Sie ist Teil des europäischen Verkehrs-
korridors Nr. 24 Antwerpen/Rotterdam–Duisburg–Basel–Genua im Transeuro-
päischen Verkehrsnetz. Die fristgerechte Fertigstellung der Rheintalbahn als
Zulaufstrecke zu den Neuen Eisenbahn Transversalen (NEAT) der Schweiz, ist
Bestandteil des Vertrages von Lugano (1996). Darin garantiert die Bundesrepu-
blik Deutschland den Anschluss an das erweiterte Schweizerische Schienen-
netz zur geplanten Fertigstellung im Jahr 2017.

Seit nunmehr 25 Jahren plant der Bund den Aus- und Neubau der Rheintalbahn
und hat das Projekt im Bundesverkehrswegeplan als vordringlich eingestuft.
Der durchgängige Ausbau der Rheintalbahn auf eine viergleisige Strecke soll
durch die Entmischung von Güter- und Personenverkehren zur deutlichen Er-
höhung der Streckenkapazität sowie zur Verkürzung der Transport- und Reise-
zeiten beitragen. Fertiggestellt wurde bisher nur die 45 Kilometer lange Strecke
zwischen Rastatt und Offenburg. Diese kann seit 2004 mit max. 250 Stunden-
kilometern befahren werden.

Sehr viel problematischer gestaltet sich der Ausbau des dritten und vierten
Gleises der Rheintalstrecke in der Region „Südlicher Oberrhein“ zwischen
Offenburg und Basel. Dagegen gibt es massive Proteste der betroffenen Bürge-

rinnen und Bürger sowie der Anliegergemeinden mit unterschiedlichen Forde-
rungen für die einzelnen Teilabschnitte. Gemeinsam ist allen, dass sie sich aus-
drücklich nicht gegen die Notwendigkeit des Ausbaus der Rheintalstrecke rich-
ten, sondern mit Nachdruck eine lärm- und umweltschonendere Ausführung
des Projektes fordern.

Und dies zu Recht, denn mitten durch Ortschaften und zum Teil dichtbebaute
Wohn- und Siedlungsgebiete, an denen die Menschen heute schon massiv unter

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Schienenlärm, vor allem durch Güterzüge leiden, soll ein drittes und viertes
Gleis gebaut werden.

Mit passiven Lärmschutzmaßnahmen wie Schallschutzfenstern, Klimatisierung
und Schallschutzwänden kann die aus heutiger Sicht grundlegend falsch ange-
legte Planung der Deutschen Bahn AG (DB AG) aus den 80er- und 90er-Jahren
nicht sinnvoll kompensiert werden. Nachsorgender Lärmschutz ist teuer und
spaltete die Orte durch Schienen und meterhohe Mauern. Die betroffenen
Anwohnergemeinden sind daher entschlossen, mit allen rechtlichen Mitteln ge-
gen die bisherigen Planungen der DB AG vorzugehen. Sie haben mit großem
Kostenaufwand überzeugende Alternativtrassen entwickeln lassen.

Lange Zeit haben Bundesregierung und DB AG an den Planungen unverrückbar
festgehalten, trotz aller Proteste. Inzwischen haben sowohl der Vorstandsvorsit-
zende der DB AG, Dr. Rüdiger Grube, als auch Ministerpräsident Stefan Mappus
und Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer,
verlauten lassen, dass man im Rheintal kein zweites Stuttgart 21 wolle. Dies
kann aber nur vermieden werden, wenn die DB AG umgehend die beantragte
Trassenführung zurückzieht und im breiten Diskurs und Konsens mit den betrof-
fenen Gemeinden Neuplanungen vornimmt und entsprechende neue Planfest-
stellungsverfahren einleitet bzw. für schon planfestgestellte Abschnitte entspre-
chende Nachbesserungen vornimmt. Bei gegenwärtig 300 und künftig bis zu
600 Zügen pro Tag ist es unabdingbar, dass das dritte und vierte Gleis nicht mit-
ten durch die Städte und Gemeinden gelegt wird. Stattdessen sind für die aller-
meisten Anwohner und Anwohnerinnen die autobahnnahen Alternativtrassen
neben der A 5 die verträglichere Lösung. Die Entscheidung des Regierungsprä-
sidiums Freiburg am 18. Januar 2011, die von der DB AG geplante Antrags-
trasse im Bereich Offenburg (Abschnitt 7.1 Hohenberg–Offenburg) „als nicht
genehmigungsfähig“ zurückzuweisen, ist ein klares Signal, dass die Planungen
der DB AG für den Aus- und Neubau der Rheintalbahn am Oberrhein grund-
legend überarbeitet werden müssen. Die DB AG kann bei den Planungen nicht
länger ihre unternehmerischen Belange stärker gewichten als die entgegenste-
henden Interessen der Anwohnerinnen und Anwohner und sie darf auch keine
Planungen vornehmen, die im Widerspruch zum Vorgehen der EU-Umgebungs-
lärmrichtlinie stehen, den Lärm zu mindern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. durchzusetzen, dass die DB AG die alten Planungen (Antragstrasse) für den
Aus- und Neubau des dritten und vierten Gleises der Rheintalbahn zwischen
Offenburg und Basel zurückzieht und schon bestehende Planfeststellungs-
beschlüsse im Sinne des Lärm- und Anwohnerschutzes überprüft und nach-
bessert;

2. darauf hinzuwirken, dass die DB AG in enger Zusammenarbeit mit dem Land
Baden-Württemberg, dem Eisenbahn-Bundesamt, den betroffenen Gemein-
den und den Bürgerinnen und Bürgern eine bürger- und umweltfreundliche
Neuplanung der Strecke vornimmt, die zum größtmöglichen Lärmschutz der
Anwohnerinnen und Anwohner beiträgt und neue Betroffenheiten möglichst
vermeidet bzw. kompensiert;

3. darauf hinzuwirken, dass das Land Baden-Württemberg gegebenenfalls über
den gesetzlichen Rahmen hinausgehende Lärmschutzmaßnahmen mitfinan-
ziert;

4. bei den erwarteten Zugzahlen für die gesamte Strecke das Verkehrsgutach-
ten des Landes Baden-Württemberg „Prognose der Verkehrsnachfrage und
der Zugzahlen auf der Oberrheinstrecke 2025“ zugrunde zu legen;

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5. den Ausbau der bestehenden Rheintalbahn für Personenverkehre auf eine
maximale Geschwindigkeit von 200 Stundenkilometern zu begrenzen, statt
wie auf einigen Streckenabschnitten vorgesehen auf 250 Stundenkilometer,
damit zusätzliche Umbaumaßnahmen im Bestand entfallen können und die
Lärmschutzmaßnahmen kostengünstiger werden;

6. folgende zentralen Forderungen der Gebietskörperschaften sowie der An-
wohner und Anwohnerinnen für den bürgerfreundlichen Neu- und Ausbau
der Rheintalbahn (Baden 21), zu berücksichtigen und umzusetzen:

a) im Planfeststellungsabschnitt 7.1 den Bau eines Güterzugtunnels in Of-
fenburg,

b) im Planfeststellungsabschnitt 8.1 die Verbesserung des Lärmschutzes im
Bereich zwischen Riegel und March,

c) im Planfeststellungsabschnitt 8.2 die Verbesserung des Lärmschutz-
konzeptes und die Optimierung der Güterumfahrung für Freiburg,

d) in den Planfeststellungsabschnitten 7.1 bis 8.0 die autobahnparallele
Trassenführung zwischen Offenburg und Riegel,

e) im Planfeststellungsabschnitt 8.3 die Überprüfung einer alternativen
Trassenführung im Abschnitt zwischen Mengen und Heitersheim, der
sogenannten Bürgertrasse,

f) im Planfeststellungsabschnitt 9.0 die Umfahrung der Gemeinde Buggin-
gen,

g) im Planfeststellungsabschnitt 9.1 die Schaffung einer kreuzungsfreien
Verknüpfung der Güterzugtrassen vor dem Katzenbergtunnel,

h) im Planungsabschnitt 9.2 Haltingen–Weil am Rhein die Durchführung
lärmmindernder Nachbesserungen;

7. den Schienenverkehr im Rheintal zum Modellprojekt eines anwohner-
freundlichen Schienenausbaus zu erklären,

a) für ein Planungsverfahren mit hoher Transparenz unter umfangreicher
öffentlicher Beteiligung, das über die notwendigen Verfahren der Ver-
kehrs- und Raumplanung hinaus, auch Ergänzungen und Alternativ-
vorschläge der betroffenen Anwohnerinnen, Anwohner und Gebiets-
körperschaften berücksichtigt,

b) für die vorzeitige Einführung lärmabhängiger Trassenpreise (nach dem
Vorbild des Schweizer Modells mit drei Emissionsklassen),

c) für die vorzeitige Abschaffung des als „Schienenbonus“ bezeichneten
Abschlags von fünf Dezibel (A) an Schienenwegen,

d) für besseren Lärm- und Erschütterungsschutz an bestehenden Schienen-
wegen durch die Angleichung der für Aus- und Neubaustrecken gelten-
den Grenzwerte für Aus- und Neubaustrecken an das bestehende Schie-
nennetz,

e) für den vermehrten Einsatz moderner siedlungsschonender Lärm- und
Erschütterungs-Minderungstechnologien am Gleis wie beispielsweise
niedrige Schallschutzwände, Schienenstegebedämpfer, Unterschotter-
matten, unterschiedlich platzierte Schienenschwellen und hochelastische
Schienenbefestigungen,

f) an dieser Strecke das erste Lärm-Monitoring analog der Schweiz und
Österreichs zu installieren;

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8. sich in der Europäischen Union für ein europaweites Umrüstungs-
programm des rollenden Materials einzusetzen, da auch viele ausländische
Waggons auf dem deutschen Schienennetz fahren;

9. sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass laute Güterwaggons und An-
triebsfahrzeuge mittelfristig auf den internationalen Güterverkehrskorri-
doren nicht mehr zulässig sind;

10. das Förderprogramm des Bundes für die Umrüstung des rollenden Mate-
rials im Schienenverkehr aufzustocken (u. a. lärmarme Bremssysteme und
Drehgestelle) und voranzubringen;

11. das Lärmsanierungsprogramm des Bundes deutlich aufzustocken und den
Fortgang der Sanierung an bestehenden Schienenwegen zu beschleunigen.

Berlin, den 8. Februar 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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