BT-Drucksache 17/4687

Klimaverträgliche Energien für Europa - Erneuerbar, effizient, sicher

Vom 9. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4687
17. Wahlperiode 09. 02. 2011

Antrag
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, Ingrid Nestle, Oliver Krischer,
Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Hermann Ott, Dorothea
Steiner, Cornelia Behm, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Ulrike Höfken,
Dr. Anton Hofreiter, Friedrich Ostendorff, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Klimaverträgliche Energien für Europa – Erneuerbar, effizient, sicher

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Bereits in den nächsten Jahren entscheidet sich, ob es der Europäischen Union
gelingt, ihre Energieversorgung grundlegend zu transformieren und so den
Grundstein für eine klimaverträgliche, sichere und bezahlbare Energieversor-
gung zu legen. Entscheidende Rahmenbedingungen für diese Neuausrichtung
sind die globale Klimaänderung, die absehbare Endlichkeit fossiler und nuk-
learer Brennstoffe und die hohe Verletzlichkeit von Unternehmen und Ver-
brauchern gegenüber Preissteigerungen für importierte Energieträger.

Der Europäische Rat und die EU-Kommission sind noch weit davon entfernt,
die erforderlichen politischen und rechtlichen Grundlagen für diesen Transfor-
mationsprozess zu legen. Dies wurde zuletzt deutlich beim EU-Sondergipfel
zur Europäischen Energiepolitik Anfang Februar 2011. Weder wurde hier ein
verbindliches Ziel für die Steigerung der Energieeffizienz noch für den Ausbau
erneuerbarer Energien nach 2020 festgelegt. Dazu kommt, dass auch beim Aus-
und Umbau der Energieinfrastruktur zentrale Fragen wie die künftige Finan-
zierung offen sind. Energieversorgungssicherheit soll im Wesentlichen mit
fossilen und atomaren Investitionen erreicht werden, wobei das heimische
große Potential der erneuerbaren Energien nicht die mögliche zentrale Rolle
spielt. Eine Anhebung des Klimaschutzziels auf minus 30 Prozent gegenüber
1990 bis 2020 wurde beim EU-Gipfel nicht einmal thematisiert. Zudem wurde
ein Vorrang für so genannte CO2-armer Technologien beschlossen, zu denen
auch die nicht verantwortbare Atomkraft sowie die unwirtschaftliche CCS-
Technologie (CCS = Carbon Capture and Storage) zählen.

Es ist nicht zu erkennen, welche wirksamen Strategien die EU in absehbarer
Zeit als Antwort auf die sich verknappenden konventionellen Energierohstoffe
und auf die hohe Importabhängigkeit der EU entfaltet. Die wesentlichen Inves-
titionen zur Sicherung der Energieversorgung sollen in neuen Infrastrukturen

zur weiteren Importabhängigkeitserhöhung wie neue Pipelines oder Terminals
gehen, statt eine offensive Erschließung der im Überfluss vorhandenen heimi-
schen Ressourcen wie Sonne, Wind, Wasser, Erdwärme und Bioenergien vor-
anzutreiben. Damit läuft die EU Gefahr, nach dem Überschreiten des so ge-
nannten Peak of Oil, welcher für Rohöl möglicherweise bereits 2006 erfolgte,
Preissteigerungen und machtpolitischen Spannungen zunehmend hilflos ausge-
liefert zu sein.

Drucksache 17/4687 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Beibehaltung der aktuellen EU-Klima- und -Energiepolitik führt unweiger-
lich zum Verfehlen der klimapolitischen Zielsetzungen, nämlich der Begrenzung
der Erderwärmung auf unter 2 ˚C. Nach Berechnungen des Öko-Instituts e. V.
würde die EU bis 2020 die Treibhausgasemission um 19 Prozent, bis 2030 um
25 Prozent und bis 2050 um 38 Prozent senken. Erneuerbare Energien würden
2020 lediglich 13 Prozent, 2050 etwa 24 Prozent des Primärenergiebedarfs ab-
decken. Mitte des Jahrhunderts basierte die Energieversorgung damit immer
noch überwiegend auf klimaschädlichen fossilen Energieträgern. Dies hätte gra-
vierende negative Folgen für das Klima – es wäre eine Erwärmung um weit über
4 ˚C zu befürchten – sowie für die wirtschaftliche Entwicklung und die Innova-
tionskraft Europas.

In einer konsequenten Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare
Energien und Energieeffizienz liegen große Chancen für Klimaschutz und Ener-
gieversorgungssicherheit, die von Rat und EU-Kommission nicht länger igno-
riert werden dürfen. Europa kann zum Motor des globalen Klimaschutzes wer-
den, eine Führungsrolle im zunehmend wichtigen Markt für klimaverträgliche
Technologien einnehmen und massiv neue Arbeitsplätze schaffen – bereits 2020
könnten 4,5 Millionen Menschen in Europa in der Erneuerbare-Energien-
Branche arbeiten. Nicht zuletzt würde die Abhängigkeit von Energieimporten
deutlich gesenkt. Schon 2020 könnte eine ambitionierte Energiepolitik eine Ein-
sparung von jährlich 130 Mrd. Euro an Brennstoffkosten erbringen; bis 2050
könnte diese auf über 450 Mrd. Euro ansteigen.

Eine konsistente Klimaschutzstrategie muss vom Ziel her gedacht und ange-
gangen werden. Soll die vom Menschen verursachte Erderwärmung unter 2 ˚C
gehalten werden, müsste sich die Klimagasemission in der Europäischen Union
um 90 Prozent verringern. Für den Energiesektor bedeutet dies die vollständige
und schnellstmögliche Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare
Energien sowie ein Höchstmaß an Energieeffizienz.

Gerade aufgrund des im Energiesektor häufig langfristig gebundenen Kapital-
stocks (etwa in Form von Kraftwerken, Netzen, Gebäuden) müssen heute die
richtigen Weichen für die Energieversorgung der kommenden Jahrzehnte ge-
stellt werden. Dazu bedarf es verbindlicher Zielsetzungen für die Emissions-
minderung, den Ausbau erneuerbarer Energien und die Energieeffizienz auch
über das Jahr 2020 hinaus.

Der EU-Gipfel hat die EU-Kommission aufgefordert, neue Vorschläge zur Stei-
gerung der Energieeffizienz vorzulegen. Dies ist dringend erforderlich, zumal
die Mitgliedstaaten statt des anvisierten Ziels einer 20-prozentigen Effizienz-
steigerung lediglich rund 10 Prozent erreichen werden. Deutschland ist mit einer
Quote von minus 12 Prozent maßgeblich für diesen drohenden Fehlschlag ver-
antwortlich. Die Bundesregierung steht hier in der Pflicht, die EU-Kommission
zu unterstützen und die Energieeffizienz auf nationaler Ebene massiv voran-
zubringen.

Die Regierungschefs haben die EU-Kommission zudem beauftragt, nationale
Fördersysteme für erneuerbare Energien zu stabilisieren. Dabei ist zu berück-
sichtigen, dass sich die Festpreisvergütung als effizientestes und wirksamstes
Instrument zur Förderung erneuerbar erzeugten Stroms erwiesen hat. Die Bun-
desregierung sollte sich dafür einsetzen, dieses Instrument als treibende Kraft
für die Umstellung der europäischen Energieversorgung auf erneuerbare Ener-
gien weiterzuentwickeln.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich auf euro-
päischer Ebene einzusetzen für
● die Einführung eines EU-weiten CO2-Minderungsziels von mindestens
30 Prozent bis 2020 gegenüber 1990,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4687

● die verbindliche Festlegung eines Einsparziels von minus 20 Prozent bis
2020,

● die Vereinbarung verbindlicher Zielsetzungen für den Ausbau erneuerbarer
Energien bis zu einer 100-prozentigen Vollversorgung mit erneuerbaren
Energien für den Zeitraum bis 2050, wobei eine Vollversorgung mit Strom
aus erneuerbaren Energien bereits bis 2030 anzustreben ist,

● eine Vorrangregelung für den Ausbau erneuerbarer Energien und die Steige-
rung der Energieeffizienz gegenüber so genannten CO2-armen Technologien,
zu denen z. B. auch die Atomkraft und Kohlekraftwerke mit CCS zählen,
deren Risiken nicht zu verantworten sind,

● einen verbindlichen Fahrplan sowie Energiestandards bei der Sanierung von
Gebäuden einzusetzen; Ziel muss es sein, die Sanierungsquote auf etwa
3 Prozent jährlich zu steigern,

● die Einführung strenger Energiestandards für Geräte und Anlagen sowie für
die Anwendung des Top-Runner-Ansatzes,

● eine rasche Klärung bei der Finanzierung des Energieinfrastrukturpakets der
EU unter Beteiligung der öffentlichen Hand,

● die Nutzung des großen Potentials der erneuerbaren Energien für die Ziele
der Energiesicherheit, um so die Importabhängigkeit der EU von Energieroh-
stoffen schnell zu reduzieren.

Berlin, den 8. Februar 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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