BT-Drucksache 17/4665

Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohnes (Mindestlohngesetz - MLG)

Vom 8. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4665 (neu)
17. Wahlperiode 08. 02. 2011

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Anette Kramme, Gabriele Lösekrug-Möller, Bernhard Brinkmann
(Hildesheim), Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Hubertus Heil (Peine), Gabriele
Hiller-Ohm, Petra Hinz (Essen), Josip Juratovic, Angelika Krüger-Leißner,
Ute Kumpf, Katja Mast, Thomas Oppermann, Karin Roth (Esslingen), Anton
Schaaf, Silvia Schmidt (Eisleben), Ottmar Schreiner, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohnes
(Mindestlohngesetz – MLG)

A. Problem

Der Umfang der Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland ist seit Mitte der
90er-Jahre deutlich gewachsen und liegt inzwischen klar über dem europäischer
Nachbarländer. Immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer arbeiten für
ein Arbeitsentgelt, das selbst bei einer Vollzeitbeschäftigung keine hinreichende
materielle und soziokulturelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Deutsch-
land ermöglicht. Ein wachsender Niedriglohnsektor und die Zunahme prekärer
Beschäftigungsverhältnisse bedeuten auch für den Staat eine Herausforderung.
In erheblichem Umfang müssen Steuergelder eingesetzt werden, um den von
Niedriglöhnen betroffenen Menschen zumindest das Existenzminimum zu ge-
währleisten. Darüber hinaus führen Niedriglöhne auch zu einer Erosion der
Einnahmebasis der Sozialversicherungen und des Staates.

B. Lösung

Durch das Gesetz werden die unabdingbare Verpflichtung zur Zahlung eines
Mindestlohnes festgelegt sowie Regelungen zur Festsetzung des Mindestlohnes
geschaffen.

C. Alternativen

Keine.
D. Kosten

1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand

Das Gesetz führt nicht zu unmittelbaren Belastungen der öffentlichen Haus-
halte.

Drucksache 17/4665 (neu) – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Vollzugsaufwand

Zusätzliche Kosten werden durch den Vollzug des Gesetzes entstehen durch
Verwaltungsaufwand bei der Überprüfung der Einhaltung des Mindestlohn-
gesetzes. Dem steht eine Entlastung der öffentlichen Haushalte u. a. durch Ein-
sparungen bei ergänzendem Arbeitslosengeld II (sog. Aufstocker) entgegen. Es
ist mit einem Rückgang der Sozialtransfers an bedürftige Haushalte zu rechnen.
Überdies sind Mehreinnahmen an Steuern und Sozialversicherungsabgaben
durch die Umsetzung des Mindestlohnes zu erwarten.

E. Sonstige Kosten

In Wirtschaftsbereichen mit einem überdurchschnittlich hohen Niedriglohn-
anteil wird sich voraussichtlich der Personalaufwand erhöhen.

und acht weiteren Mitgliedern besteht. Es beruft die Vor-

sitzende/den Vorsitzenden und zwei weitere Mitglieder, die
im Benehmen mit den Spitzenorganisationen der Arbeitge-
berinnen und Arbeitgeber und der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer bestellt werden. Die Spitzenorganisationen
schlagen zusätzlich je drei Mitglieder aus den Kreisen der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Arbeitgebe-

Kontrollen und Nachweise

(1) Für die Prüfung der sich aus diesem Gesetz in Verbin-
dung mit der auf Grund des § 4 erlassenen Rechtsverord-
nung ergebenden Verpflichtungen zur Zahlung des Mindest-
lohnes sind die Behörden der Zollverwaltung zuständig.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4665 (neu)

Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohnes
(Mindestlohngesetz – MLG)

Vom …

Der Bundestag hat mit der Mehrheit seiner Mitglieder
und mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz
beschlossen:

§ 1
Mindestlohn

(1) Als unterste Grenze des Arbeitsentgelts wird der Min-
destlohn festgesetzt. Er soll vollzeitbeschäftigten Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern ein ihre Existenz sichern-
des Einkommen gewährleisten und eine angemessene Teil-
habe am soziokulturellen Leben ermöglichen.

(2) Der Mindestlohn wird als Bruttoarbeitsentgelt für
eine Zeitstunde festgesetzt. Seine Festsetzung erfolgt unter
Berücksichtigung der Beschäftigungseffekte, des Existenz-
minimums und der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen.

§ 2
Wirkung des Mindestlohnes

(1) Jede Arbeitgeberin und jeder Arbeitgeber ist ver-
pflichtet, den bei ihr oder ihm beschäftigten Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmern mindestens den auf der Grund-
lage dieses Gesetzes festgesetzten Mindestlohn zu zahlen.
Ist das Arbeitsentgelt nach Zeitabschnitten bemessen, so ist
der Mindestlohn nach Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte
zu zahlen, spätestens am dritten Werktag nach Ablauf des
Kalendermonats für diesen Kalendermonat.

(2) Andere arbeitsvertragliche oder tarifvertragliche Ent-
geltvereinbarungen sowie Entgeltfestsetzungen auf Grund
anderer Gesetze sind nur zulässig, wenn sie ein Arbeitsent-
gelt mindestens in Höhe des Mindestlohnes vorsehen.

(3) Ein Verzicht auf Mindestlohnansprüche ist unzu-
lässig. Ihre Verwirkung ist ausgeschlossen. Ausschlussfris-
ten für die Geltendmachung des Anspruchs auf den Min-
destlohn sind unwirksam. Der Anspruch auf den Mindest-
lohn verjährt in zehn Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt
mit der Entstehung des Anspruchs; eine Verkürzung der
Verjährungsfrist ist ausgeschlossen.

§ 3
Mindestlohnkommission

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales errichtet
eine Kommission zur Festsetzung des Mindestlohnes (Min-
destlohnkommission), die aus einem vorsitzenden Mitglied

merinnen und Arbeitnehmer ihr Vorschlagsrecht nicht aus,
erfolgt die Berufung auf Vorschlag des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales.

§ 4
Festsetzung des Mindestlohnes

(1) Die Mindestlohnkommission schlägt unverzüglich
nach Inkrafttreten des Gesetzes, danach jeweils zum 31. Au-
gust eines jeden Jahres den Mindestlohn durch Beschluss
vor.

(2) Der Mindestlohn beläuft sich auf mindestens 8,50 Euro
brutto je Zeitstunde für das gesamte Bundesgebiet. Die Min-
destlohnkommission kann nur einen höheren Mindestlohn
vorschlagen.

(3) Der Mindestlohn bedarf der Zustimmung des Bun-
desministeriums für Arbeit und Soziales. Stimmt das Bun-
desministerium für Arbeit und Soziales zu, so setzt es den
von der Mindestlohnkommission vorgeschlagenen Mindest-
lohn durch Rechtsverordnung fest.

(4) Stimmt das Bundesministerium für Arbeit und Sozia-
les dem von der Mindestlohnkommission vorgeschlagenen
Mindestlohn nicht zu, legt es der Bundesregierung unver-
züglich einen Bericht vor, in dem die Gründe für diese Ent-
scheidung dargestellt werden. In diesem Fall bestimmt das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales den Mindest-
lohn und setzt ihn mit Zustimmung der Bundesregierung
durch Rechtsverordnung fest. Absatz 2 Satz 1 gilt entspre-
chend.

(5) Schlägt die Mindestlohnkommission bis zu dem in
Absatz 1 genannten Zeitpunkt keinen Mindestlohn vor, be-
stimmt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den
Mindestlohn und setzt ihn durch Rechtsverordnung fest.

(6) Die Rechtsverordnung nach Absatz 3 Satz 2, Absatz 4
Satz 2 oder Absatz 5 bedarf nicht der Zustimmung des Bun-
desrates. Sie ist an der vom Bundesministerium für Arbeit
und Soziales zu bestimmenden Stelle zu verkünden und tritt
am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden Kalender-
monats in Kraft, sofern das Bundesministerium für Arbeit
und Soziales bei der Rechtsverordnung nach Absatz 3 Satz
2 im Einvernehmen mit der Mindestlohnkommission in der
Rechtsverordnung keinen anderen Zeitpunkt bestimmt.

§ 5
rinnen und Arbeitgeber vor. Üben die Spitzenorganisationen
der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder der Arbeitneh-

(2) Die §§ 12 bis 16 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
sind entsprechend anzuwenden.

1. § 17 Satz 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und § 5
Absatz 1 Satz 1 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgeset-
zes eine Prüfung nicht duldet oder bei einer Prüfung
nicht mitwirkt,

2. § 17 Satz 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und § 5
Absatz 1 Satz 2 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes
das Betreten eines Grundstücks oder Geschäftsraumes
nicht duldet,

3. § 17 Satz 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und § 5
Absatz 3 Satz 1 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes
Daten nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der
vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig übermittelt,

4. § 18 Absatz 1 Satz 3, auch in Verbindung mit Absatz 3
Satz 2, des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes eine Anmel-
dung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der

§ 7
Durchführungsbestimmungen

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erlässt
durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des
Bundesrates bedarf, die zur Durchführung dieses Gesetzes
erforderlichen Bestimmungen insbesondere über die Errich-
tung und die Arbeit der Mindestlohnkommission und das
Verfahren bei der Festsetzung des Mindestlohnes.

§ 8
Inkrafttreten

Die §§ 3 und 7 treten am Tag nach der Verkündung in
Kraft. Im Übrigen tritt dieses Gesetz am ersten Tag des auf
die Verkündung folgenden 13. Kalendermonats in Kraft.

Berlin, den 8. Februar 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion
Drucksache 17/4665 (neu) – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

§ 6
Ordnungswidrigkeiten

(1) Ordnungswidrig handelt, wer

1. vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 2 Absatz 1 den
festgesetzten Mindestlohn nicht oder nicht rechtzeitig
zahlt oder

2. als Unternehmerin oder Unternehmer eine andere Unter-
nehmerin oder einen anderen Unternehmer beauftragt,
von der oder dem sie oder er weiß oder fahrlässig nicht
weiß, dass diese oder dieser bei der Erfüllung dieses
Auftrags

a) gegen § 2 Absatz 1 verstößt oder

b) eine Nachunternehmerin oder einen Nachunterneh-
mer einsetzt oder zulässt, dass eine Nachunternehme-
rin oder ein Nachunternehmer tätig wird, die oder der
gegen § 2 Absatz 1 verstößt.

(2) Ordnungswidrig handelt auch, wer vorsätzlich oder
fahrlässig entgegen § 19 Absatz 2 in Verbindung mit

vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig vorlegt
oder zuleitet,

5. § 18 Absatz 2 oder 4 des Arbeitnehmer-Entsendegeset-
zes eine Versicherung nicht beifügt,

6. § 19 Absatz 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes eine
Aufzeichnung nicht, nicht richtig oder nicht vollständig
erstellt oder nicht mindestens zwei Jahre aufbewahrt oder

7. § 19 Absatz 2 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes eine
Unterlage nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder
nicht in der vorgeschriebenen Weise bereithält.

(3) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Ab-
satzes 1 mit einer Geldbuße bis zu fünfhunderttausend Euro,
in den übrigen Fällen mit einer Geldbuße bis zu fünfund-
zwanzigtausend Euro geahndet werden.

(4) Verwaltungsbehörden im Sinne des § 36 Absatz 1
Nummer 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sind
die in § 12 genannten Behörden jeweils für ihren Geschäfts-
bereich. § 19 Absatz 5 und § 16 Absatz 3 und 4 des Arbeit-
nehmer-Entsendegesetzes sind entsprechend anzuwenden.

ping und Niedrigstlöhne.

1 Bundesagentur für Arbeit 2010, 25
2 IAQ 2010, 5
3 IAQ 2010, 7

6 IAB Betriebspanel 2010, zit. n. WSI Tarifarchiv
7 Bundestagsdrucksache 17/1502, eigene Berechnung gemäß IAQ
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/4665 (neu)

Begründung

A. Allgemeines

Der Niedriglohnsektor ist in Deutschland stark gewachsen.
Zwischen 1999 und 2009 stieg der Anteil der sozial-
versicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten, die weniger
als zwei Drittel des Medianbruttolohnes erhielten, von
16,6 Prozent in Westdeutschland auf 20,2 Prozent bzw. von
17,9 Prozent in Ostdeutschland auf 21,3 Prozent. Derzeit
arbeiten 21 Prozent der Beschäftigten für einen Niedrig-
lohn.1 Absolut betrachtet erhöhte sich die Zahl der niedrig
entlohnten Beschäftigten (inklusive geringfügig Beschäftig-
ter und Teilzeitbeschäftigter) zwischen 1998 und 2008 von
4,29 Millionen auf 6,55 Millionen.2

Der Anteil der Beschäftigten mit Armutslöhnen, also der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (inklusive gering-
fügig Beschäftigter und Teilzeitbeschäftigter), die weniger
als ein Drittel des Medianbruttolohnes verdienten, wuchs
zwischen 1998 und 2008 von 8,3 Prozent auf 12,7 Prozent
an.3 2008 verdienten 3,4 Millionen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer weniger als 7 Euro pro Stunde, davon rund
ein Drittel (ca. 1,15 Millionen Menschen) sogar unter
5 Euro pro Stunde.

Von einem gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro
pro Stunde, wie von Seiten der Gewerkschaften gefordert,
würden über 5,8 Millionen Beschäftigte profitieren.

Der Anteil der Beschäftigen mit Armutslöhnen, also der Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer (inklusive geringfügig
Beschäftigter und Teilzeitbeschäftigter), die weniger als ein
Drittel des Median-Brutto-Lohnes verdienten, ist zwischen
1998 und 2008 von 8,3 Prozent auf 12,7 Prozent gestiegen.4

Von Niedriglöhnen sind keineswegs nur gering Qualifizierte
betroffen, wie fälschlicherweise oft angenommen wird. Na-
turgemäß haben zwar insbesondere Beschäftigte ohne ab-
geschlossene Berufsausbildung ein erhöhtes Niedriglohn-
risiko. Der Anteil dieser Personengruppe ist jedoch zwischen
1995 und 2008 von 29,1 Prozent auf 20,4 Prozent gesunken.
Im gleichen Zeitraum ist hingegen der Anteil der Beschäftig-
ten mit einer abgeschlossen Berufsausbildung deutlich ange-
wachsen – von 63,4 Prozent im Jahr 1995 auf 71,9 Prozent in
2008. Nimmt man die Beschäftigten mit einem akademi-
schen Abschluss hinzu, sind vier von fünf Niedriglohn-
beschäftigten in Deutschland formal qualifiziert.5

Die rasche Zunahme von Niedrig- und Niedrigstlöhnen ist
vor allem auf den deutlich zurückgegangenen Grad der Ta-
rifbindung zurückzuführen. In Deutschland arbeitet nur
noch jeder zweite Beschäftigte in einem Unternehmen, für
das ein Branchentarifvertrag gilt. Zwischen 1998 und 2009
ist die Tarifbindung von 76 Prozent aller Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer in Westdeutschland auf 65 Prozent
und in Ostdeutschland von 63 Prozent auf 51 Prozent ge-

sunken.6 Auch die Tarifbindung der Betriebe ist erheblich
zurückgegangen, nur noch 32 Prozent unterliegen einem
Flächentarifvertrag.

Lohndumping geht nicht nur zu Lasten der Beschäftigten,
sondern auch zu Lasten der Gemeinschaft der Steuerzahler.
2009 wurden fast 11 Mrd. Euro als Leistungen nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) an Beschäftigte
und Selbstständige gezahlt.7 Im März 2010 bezifferte die
Bundesagentur für Arbeit die Zahl der Beschäftigten, die
zusätzlich Sozialleistung beziehen (sog. Aufstocker), auf
1,37 Millionen. Dabei waren 340 000 Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, also fast ein Viertel der Aufstockerinnen
und Aufstocker, in Vollzeitarbeitsverhältnissen beschäftigt.8
Nach einer Veröffentlichung des Instituts für Arbeitsmarkt-
und Berufsforschung (IAB) erhielt die Hälfte aller Auf-
stocker im Jahr 2008 einen Stundenlohn von weniger als
6,44 Euro. Ein Viertel der Betroffenen verdiente sogar weni-
ger als 4,95 Euro.9 Die aus arbeitsmarkt- und sozialpoliti-
schen Gesichtspunkten an sich richtigen Hinzuverdienst-
regelungen des SGB II werden in Verbindung mit der nach
unten offenen Lohnflexibilität offensichtlich als Einfallstor
für Lohndumping missbraucht.

Niedriglöhne schwächen aufgrund der Lohn- und Beitrags-
bezogenheit der Sozialversicherungen auch die soziale Ab-
sicherung der Beschäftigten im Alter. Bereits heute erhalten
etwa 400 000 Bürgerinnen und Bürger Grundsicherung im
Alter. Aufgrund niedriger und niedrigster Löhne und der
damit verbundenen geringen Rentenbeiträge sowie Zeiten
der Arbeitslosigkeit werden viele Geringverdienerinnen und
Geringverdiener Renten unterhalb oder knapp an der Grenze
zur Grundsicherung erhalten. Mit einem ausreichenden
Mindestlohn würde erreicht, dass vollzeitbeschäftigte Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Alterssicherung
erreichen können, die oberhalb der bedürftigkeitsorientierten
Leistungen der Grundsicherung im Alter liegt.

Gleichzeitig würde durch einen gesetzlichen Mindestlohn
die Erosion der Beitragsbasis der Sozialversicherungen ge-
stoppt. Durch einen generellen gesetzlichen Mindestlohn in
Höhe von 8,50 Euro, wie von den Gewerkschaften gefordert,
würde diese Entwicklung gestoppt und tendenziell umge-
kehrt werden. So ergäben sich Mehreinnahmen in der gesetz-
lichen Rentenversicherung von gut 3 Mrd. Euro jährlich und
bei der Bundesagentur für Arbeit von ca. 0,5 Mrd. Euro jähr-
lich (auf Berechnungsgrundlage des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales in der letzten Legislaturperiode).

Dumpinglöhne verzerren nicht zuletzt den Wettbewerb und
schaden den Märkten. Denn seriöse Anbieter von Waren
und Dienstleistungen, die auf Qualität setzen, benötigen
motivierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und eine
niedrige Fluktuation. Lohndumpingstrategien schaden die-
sen Anbietern im Wettbewerb. Daraus schlussfolgert sich
ein ordnungspolitischer Handlungsbedarf gegen Lohndum-
4 IAQ 2010, 8
5 IAQ 2010, 6

8 IAB 2010, 1
9 IAB 2010, 3

Drucksache 17/4665 (neu) – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Niedriglohn betrifft überwiegend weibliche Beschäftigte:
Der Anteil der abhängig beschäftigten Frauen mit Niedrig-
lohn ist etwa doppelt so groß wie der der Männer. 2009
arbeiteten 34,3 Prozent der westdeutschen und 28,8 Prozent
der ostdeutschen vollzeitbeschäftigten sozialversicherungs-
pflichtigen Arbeitnehmerinnen zu Niedriglöhnen.10 Ein ge-
setzlicher Mindestlohn ist ein wichtiger Beitrag zur Ge-
schlechtergerechtigkeit.

Niedrig- und Niedrigstlöhne unterminieren das Lohnab-
standsgebot. Dieses kann auf Grund der Verpflichtung des
Staates zur Sicherung der Menschenwürde – besonders im
Lichte der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesver-
fassungsgerichts – nicht durch eine Deckelung der Regel-
sätze nach dem SGB II erreicht werden. Folglich führen
Niedrigstlöhne zu einer Aushöhlung des Lohnabstandsge-
bots. Die Einführung von Mindestlöhnen stellt demgegen-
über die ordnungspolitisch klare Alternative dar.

Am 1. Mai 2011 tritt die vollständige Arbeitnehmerfreizü-
gigkeit und Dienstleistungsfreiheit für Beschäftigte und Un-
ternehmen aus den 2004 beigetretenen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union in Kraft. Die damit verbundene Steige-
rung des Wettbewerbs- und Lohndrucks erfordert zusätzli-
che Anstrengungen zur sozialen Flankierung des europäi-
schen Binnenmarktes. Der Wettbewerb zwischen den Regi-
onen und den Unternehmen darf nicht auf dem Rücken der
Beschäftigten ausgetragen werden, indem er zu einer Ab-
wärtsspirale bei den Arbeits-, Sozial- und Lohnstandards
führt.

Die Unordnung am Arbeitsmarkt zerstört die Würde der Ar-
beit und das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft.
Niedrigstlöhne, die nach unten ausfransen, zerstören die
Lohnstruktur und schaffen soziale Ungerechtigkeiten bis
weit in die Mitte der Gesellschaft. Hieraus ergibt sich ein
drängender Handlungsbedarf des Gesetzgebers, Niedrigst-
löhne zu unterbinden und Mindestlöhne einzuführen.

Gegner eines gesetzlichen Mindestlohns warnen vor dessen
negativen Beschäftigungswirkungen. Die neuere empiri-
sche Forschung – vor allem des UC Institute for Labor and
Employment in Berkeley – sowie zahlreiche Studien im
Auftrag der britischen Low Pay Commission kommen je-
doch zum Ergebnis, dass die Einführung oder Erhöhung
von Mindestlöhnen neutrale oder sogar leicht positive
Beschäftigungseffekte hat. 1995 führten David Card und
Alan B. Krueger eine vergleichende Studie zwischen New
Jersey und Pennsylvania durch. Lediglich New Jersey er-
höhte den Mindestlohn, so dass es gemäß der Argumenta-
tion gegen Mindestlöhne eine schlechtere Beschäftigungs-
entwicklung hätte aufweisen müssen als Pennsylvania.
Doch in der beispielhaft gewählten Fast-Food-Branche war
das Gegenteil der Fall. 2008 untersuchten Sylvia Allegretto,
Arindrajit Dube und Michael Reich die Effekte einseitiger
Mindestlohnerhöhungen in Grenzregionen von US-Bundes-
staaten auf die Erwerbsbeteiligung junger Menschen. Es
wurden keine negativen Effekte auf die Beschäftigung fest-
gestellt. Untersuchungen des britischen Mindestlohnes
zeigten ebenfalls keine negativen Auswirkungen auf die
Beschäftigung. Dies ergab die Überblicksstudie von David
Metcalf (London School of Economics) von 2007.

Mindestlöhne schaden auch gering qualifizierten Gruppen
am Arbeitsmarkt nicht. So waren im Jahr 2007 in Frank-
reich (10,2 Prozent), Spanien (9 Prozent), Großbritannien
(6,5 Prozent) und in den Niederlanden (4 Prozent) die Ar-
beitslosenquoten gering Qualifizierter deutlich niedriger als
in Deutschland (17 Prozent).11

Angesichts der Tatsache, dass in 20 von 27 Staatender Euro-
päischen Union Mindestlöhne bestehen,12 handelt es sich
bei der Einführung ebensolcher in Deutschland nicht um ein
politisches Experiment, sondern um die Übernahme einer in
vielen anderen Staaten erprobten und erfolgreichen Gesetz-
gebung. Bereits im Jahr 2007 hat sich das Europäische Par-
lament für existenzsichernde Mindestlöhne ausgesprochen
und folgte explizit nicht der Auffassung, dass Mindestlöhne
eine negative Beschäftigungswirkung zeigten.13 Im Übrigen
wurden in neun Branchen in Deutschland branchenbezo-
gene Mindestlöhne eingeführt, ohne dass negative Beschäf-
tigungswirkungen bekannt geworden sind.14 Mindestlöhne
werden mittlerweile von den verschiedenen Tarifpartnern
für unterschiedliche Branchen gefordert.

Und auch eine breite Mehrheit der Bevölkerung spricht sich
für einen gesetzlichen Mindestlohn aus. Selbst unter sog.
Besserverdienern und Selbständigen sind nach einer reprä-
sentativen Befragung des Instituts für Wirtschaft, Arbeit
und Kultur der Universität Frankfurt am Main die Befür-
worter und Befürworterinnen in der Mehrheit. Danach wol-
len gut zwei Drittel der Bevölkerung einen gesetzlichen
Mindestlohn.

B. Einzelbegründung

Zur Eingangsformel

In Hinblick auf die Übertragung von Aufgaben auf die Zoll-
verwaltung besteht der Vorbehalt eines formell doppelt qua-
lifizierten Bundesgesetzes gemäß Artikel 87 Absatz 3
Satz 2 des Grundgesetzes.

Zu § 1 (Mindestlohn)

Absatz 1 Satz 1 regelt die Funktion des Mindestlohnes als
unterste Grenze des Arbeitsentgelts. Absatz 1 Satz 2 greift
die Vorgaben der Artikel 1 und 20 Absatz 1 des Grundgeset-
zes auf und legt die auf Grund der Menschenwürdegarantie
und des Sozialstaatsprinzips für die Bestimmung der Höhe
des Mindestlohnes erforderlichen maßgeblichen Zielvor-
gaben fest. Er stellt auch klar, dass es um die Existenzsiche-
rung der einzelnen Arbeitnehmerin und des einzelnen
Arbeitnehmers geht. Familienbezogene Transferzahlungen
sollen nicht durch den Mindestlohn kompensiert werden.

Die Festsetzung des Mindestlohnes als Bruttoarbeitsentgelt
für eine Zeitstunde in Absatz 2 Satz 1 macht den Mindest-
lohn einfach und transparent. Er bietet allen am Wirtschafts-
leben Beteiligten eine verlässliche Planungsgrundlage. Es
wird einerseits klargestellt, dass der Mindestlohn dem reinen
Stundenentgelt ohne Zuschläge entspricht. Darüber hinaus-
gehende Entgeltbestandteile, wie zusätzliches Monatsgehalt

11 Böcklerimpuls 6/2010
12 Destatis
10 Bundesagentur für Arbeit 2010, 26

13 2007/2104(INI)
14 Destatis

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/4665 (neu)

oder Urlaubsgeld, sind neben dem Mindestlohn zu zahlen;
Aufwendungsersatzleistungen dürfen nicht angerechnet
werden. Andererseits wird der fortschreitenden Ausdifferen-
zierung der Arbeitsverhältnisse Rechnung getragen.

Absatz 2 Satz 2 legt die neben den in Absatz 1 Satz 2 ent-
haltenen Zielvorgaben für die Festlegung der Höhe des
Mindestlohnes maßgeblichen Determinanten fest. Die posi-
tiven Erfahrungen bei der Festsetzung des Mindestlohnes in
Großbritannien haben gezeigt, dass die Berücksichtigung
allgemeiner wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhänge,
der Entwicklung der Arbeitseinkommen, des voraussicht-
lichen Beschäftigungseffekts, der Auswirkungen auf die
Unternehmenskosten und die Wettbewerbsfähigkeit der Un-
ternehmen und der Folgen für den Staatshaushalt und die
Sozialversicherungen eine gute Grundlage darstellen, um
im Spannungsfeld zwischen einkommens- und sozialpoli-
tisch wünschenswerten Mindeststandards und eventuell ne-
gativen Beschäftigungswirkungen die angemessene Höhe
für den Mindestlohn zu finden.

Zu § 2 (Wirkung des Mindestlohnes)

Absatz 1 Satz 1 formuliert in Verbindung mit der Rechtsver-
ordnung nach § 4 die Anspruchsgrundlage für die Zahlung
des Mindestlohnes. Die Regelung stellt klar, dass der für
eine Zeitstunde festgesetzte Mindestlohn bei allen Arbeits-
verhältnissen, das heißt sowohl bei Vollzeitarbeitsverhält-
nissen als auch bei Teilzeitarbeitsverhältnissen, zu zahlen
ist. Absatz 1 Satz 2 modifiziert § 614 Satz 2 des Bürger-
lichen Gesetzbuchs und legt für den Mindestlohn einen ein-
deutigen spätesten Fälligkeitszeitpunkt fest. Die angeord-
nete mindestens monatliche Zahlung stellt sicher, dass die
Zielsetzung des Gesetzes (§ 2 Absatz 1 Satz 2) kontinuier-
lich erreicht wird und erleichtert den Behörden der Zollver-
waltung die Kontrolle der Zahlung des gesetzlichen Min-
destlohnes.

Absatz 2 sichert die in § 2 Absatz 1 Satz 1 formulierte Ziel-
setzung des Mindestlohnes. Der Zweck des gesetzlichen
Mindestlohnes, eine für alle verbindliche Entgeltunter-
grenze festzusetzen, lässt die Vereinbarung oder Festset-
zung geringerer Entgelte, unabhängig auf welcher Rechts-
grundlage dies erfolgt, nicht zu.

Die vorgesehene Regelung steht im Einklang mit dem Ver-
fassungsrecht. Die gesetzliche Regelung des Mindestlohnes
verletzt nicht die in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes
enthaltene Bestands- und Betätigungsgarantie der Koali-
tionen. Der Schutz erstreckt sich auf alle koalitionsspezifi-
schen Verhaltensweisen und umfasst insbesondere auch die
Tarifautonomie, die im Zentrum der den Koalitionen einge-
räumten Möglichkeiten zur Verfolgung ihrer Zwecke steht
(BVerfGE 88, 103, 114; 94, 268, 283; 103, 293, 304). Das
Aushandeln von Tarifverträgen ist ein wesentlicher Zweck
der Koalitionen (BVerfGE 94, 268, 283). Zu den der Rege-
lungsbefugnis der Koalitionen überlassenen Materien ge-
hören insbesondere das Arbeitsentgelt und die anderen ma-
teriellen Arbeitsbedingungen (BVerfGE 94, 268, 283; 100,
271, 282; 103, 293, 304).

In diesen Schutzbereich greift die Regelung des Absatzes 2
ein, da sie den Gestaltungsfreiraum der Koalitionen, niedri-

lich legitimierte, überwiegende Gründe des Gemeinwohls
gerechtfertigt. Die in Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes
garantierte Koalitionsfreiheit kann, obwohl sie ohne Geset-
zesvorbehalt gewährleistet ist, jedenfalls zum Schutz von
Gemeinwohlbelangen eingeschränkt werden, denen glei-
chermaßen verfassungsrechtlicher Rang gebührt (BVerfGE
84, 212, 228, ständige Rechtsprechung). Dem Gesetzgeber
ist es, wenn solche Gründe vorliegen, grundsätzlich nicht
verwehrt, Fragen zu regeln, die Gegenstand von Tarifverträ-
gen sein können (BVerfGE 94, 268, 284).

Die Festsetzung des Mindestlohnes dient dazu, die Existenz
sichernde Funktion des Arbeitsentgelts und die elementare
Würde und ökonomische Funktion von Arbeit zu sichern.
Sie soll in den Bereichen, in denen die Gefahr besteht, dass
elementare Gerechtigkeitsmaßstäbe verletzt werden, Lohn-
gerechtigkeit absichern. Dieses Ziel hat auf Grund des So-
zialstaatsprinzips Verfassungsrang. Die gerechte und ange-
messene Entlohnung ermöglicht es den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern erst, das Grundrecht aus Artikel 12
Absatz 1 des Grundgesetzes zu verwirklichen, sich durch
Arbeit in ihrer Persönlichkeit zu entfalten und darüber Ach-
tung und Selbstachtung zu erfahren. Insofern wird das ge-
setzliche Ziel auch durch Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2
Absatz 1 des Grundgesetzes getragen.

Die vorgesehene gesetzliche Regelung verletzt auch nicht
die durch Artikel 12 des Grundgesetzes geschützte Vertrags-
freiheit bei der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen. Arti-
kel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes schützt vor staatlichen
Beeinträchtigungen, die gerade auf die berufliche Betäti-
gung bezogen sind. Er gewährleistet den Arbeitgeberinnen
und Arbeitgebern das Recht, die Arbeitsbedingungen mit
ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Rahmen
der Gesetze frei auszuhandeln (BVerfGE 77, 84, 114; 77,
308, 332). Gesetzliche Vorschriften, die die Gestaltung der
Arbeitsbeziehungen betreffen und die sich deshalb für die
Arbeitgeberseite als Berufsausübungsregelungen darstel-
len, sind daher grundsätzlich an Artikel 12 Absatz 1 des
Grundgesetzes zu messen (BVerfG, Beschluss vom 11. Juli
2006 – 1 BvL 4/00 – unter CII2a). In diesen Schutzbereich
greift die Regelung des Absatzes 2 ein, da sie den Gestal-
tungsfreiraum der Arbeitsvertragsparteien insoweit be-
schränkt, als sie die Vereinbarung niedrigerer Entgelte als
den Mindestlohn untersagt. Der Eingriff ist jedoch auch aus
den zu Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes dargestellten
Gründen gerechtfertigt.

Absatz 3 enthält ergänzende Sicherungen zum Schutz des
Mindestlohnanspruchs. Der Zweck des gesetzlichen Min-
destlohnes würde unterminiert, könnte der Anspruch durch
Verzicht, Verwirkung oder den Ablauf von Ausschlussfris-
ten untergehen. Auch die in § 195 des Bürgerlichen Gesetz-
buchs geregelte regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jah-
ren wird dem erforderlichen Schutz des Mindestlohnes nicht
gerecht. Das fehlende Kräftegleichgewicht im Arbeitsver-
hältnis erfordert es, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Mög-
lichkeit zu erhalten, ihre gesamten Mindestlohnansprüche
durchzusetzen, auch und gerade wenn das Arbeitsverhältnis
länger als drei Jahre dauerte. Daher wird eine eigenständige
zehnjährige Verjährungsfrist vorgesehen, die mit der Entste-
gere Entgelte als den Mindestlohn zu vereinbaren, be-
schränkt. Dieser Eingriff ist jedoch durch verfassungsrecht-

hung des Mindestlohnanspruchs beginnt und deren Verkür-
zung ausdrücklich ausgeschlossen wird.

Drucksache 17/4665 (neu) – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Zu § 3 (Mindestlohnkommission)

§ 3 regelt die Zusammensetzung der Mindestlohnkommis-
sion. Durch die Berufung von Vertreterinnen und Vertretern
aus Kreisen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und
der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie zum Beispiel
der Wissenschaft wird eine ausgewogene Berücksichtigung
der für die Entscheidung erforderlichen Aspekte gewähr-
leistet. Auf diese Weise besteht die Möglichkeit, die Min-
destlohnfestsetzung zu versachlichen und die Akzeptanz der
Mindestlohnfestsetzung zu erhöhen. Das Bundesministe-
rium für Arbeit und Soziales errichtet eine Kommission zur
Erarbeitung von Arbeitsbedingungen oder deren Änderung
und schlägt einen Vorsitzenden/eine Vorsitzende sowie zwei
weitere Mitglieder vor, die im Einvernehmen mit den Spit-
zenorganisationen berufen werden, und beruft jeweils drei
der Mitglieder auf Vorschlag der Spitzenorganisationen der
Arbeitgeber und der Arbeitnehmer. Für den Fall, dass ein
Spitzenverband sein Vorschlagsrecht nicht ausübt, geht das
Vorschlagsrecht auf das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales über. Ein solcher Fall der Nichtausübung liegt auch
dann vor, wenn der Verband sein Vorschlagsrecht nicht-
rechtzeitig ausübt.

Zu § 4 (Festsetzung des Mindestlohnes)

Absatz 1 legt das Recht und die Pflicht der Mindestlohn-
kommission fest, den Mindestlohn bis zum 31. August eines
jeden Jahres vorzuschlagen. Durch die Verpflichtung zur
jährlichen Überprüfung wird sichergestellt, dass der Min-
destlohn auch zeitlich im Gleichklang mit der wirtschaft-
lichen und sozialen Entwicklung fortgeschrieben wird.

Absatz 2 regelt den Fall, dass zwischen Mindestlohnkom-
mission und Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Konsens über den festzusetzenden Mindestlohn besteht. Es
wird die nach § 4 Absatz 3 Satz 1 und 2 des Gesetzes über
die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen für die ein-
vernehmliche Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen
geltende Regelung übernommen.

Absatz 3 sichert die Festsetzung eines Mindestlohnes in
dem Fall, in dem zwischen Mindestlohnkommission und
Bundesministerium für Arbeit und Soziales Dissens über
den festzusetzenden Mindestlohn besteht. Er sieht zur Auf-
lösung des Dissenses vor, dass die Entscheidung des Bun-
desministeriums für Arbeit und Soziales der Zustimmung
der Bundesregierung bedarf.

Absatz 4 sichert für den Fall, dass die Mindestlohnkommis-
sion nicht rechtzeitig einen Vorschlag unterbreitet, die jähr-
lich erforderliche Entscheidung über den Mindestlohn.

Absatz 5 enthält nähere Regelungen zum Erlass der den Min-
destlohn festsetzenden Rechtsverordnung in Anlehnung an
die Bestimmungen des § 4 Absatz 3 Satz 2 und 3 des Ge-
setzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen.
Absatz 5 Satz 1 bestimmt, dass zum Erlass der Rechtsverord-
nung die Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich ist.
Durch Absatz 5 Satz 2 wird sichergestellt, dass die Fest-
setzung von Mindestlöhnen und die durch die Verkündung
erfolgende Information der Betroffenen bei Mindestlöhnen
einheitlich erfolgt; der für das Inkrafttreten festgelegte Zeit-
punkt berücksichtigt die im Arbeitsleben üblichen monat-

Zu § 5 (Kontrollen und Nachweise)

Absatz 1 legt fest, dass die Kontrolle der Zahlung des gesetz-
lichen Mindestlohnes durch die Behörden der Zollverwal-
tung erfolgt, die auch für die Kontrolle der Einhaltung der
nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zwingenden Ar-
beitsbedingungen zuständig sind. Diese übereinstimmende
Zuständigkeit ist auch aus Gründen der Verfahrensökonomie
geboten. Der gesetzliche Mindestlohn ist ein Mindestent-
geltsatz im Sinne des § 2 Nummer 1 des Arbeitnehmer-Ent-
sendegesetzes und findet daher auch auf Arbeitsverhältnisse
zwischen im Ausland ansässigen Arbeitgeberinnen oder Ar-
beitgebern und deren im Inland beschäftigten Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmern zwingend Anwendung.

Absatz 2 regelt die Kontroll- und Zusammenarbeitsbefug-
nisse der Kontrollbehörden, begründet in diesem Zusam-
menhang Verpflichtungen der Arbeitgeberinnen und Arbeit-
geber und stellt die Zustellung von Schriftstücken gegenüber
Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern mit Sitz im Ausland
sicher. Um ein einheitliches Verfahren bei den Kontrollen
der Behörden der Zollverwaltung zu ermöglichen, sieht die
Regelung die entsprechende Geltung der diesbezüglichen
Bestimmungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vor.

Zu § 6 (Ordnungswidrigkeiten)

Die Regelungen in § 6 orientieren sich an den entsprechen-
den Regelungen in § 16 Absatz 3 und 4 sowie § 19 Absatz 1
bis 5 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.

Absatz 1 Nummer 1 enthält die erforderliche Bußgeld-
vorschrift, durch die Verstöße gegen die Verpflichtungen
des § 3 Absatz 1 sanktioniert werden können. Absatz 1
Nummer 2 entspricht der Regelung in § 19 Absatz 2 des Ar-
beitnehmer-Entsendegesetzes.

Absatz 2 korrespondiert mit der Regelung des § 19 Absatz 1
des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Er ermöglicht es, Ver-
stöße gegen die auf Grund der Bestimmung des § 19
Absatz 2 entsprechend den anwendbaren §§ 13 und 14 des
Arbeitnehmer-Entsendegesetzes zu sanktionieren.

Die Bußgeldregelung in Absatz 3 entspricht der Regelung
des § 19 Absatz 3 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.

In Absatz 4 werden die Bestimmungen des § 19 Absatz 4
und 5 sowie des § 16 Absatz 6 und 7 des Arbeitnehmer-Ent-
sendegesetzes übernommen.

Zu § 7 (Durchführungsbestimmungen)

§ 7 enthält die Ermächtigung des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales, die zur Umsetzung des Gesetzes erfor-
derlichen Regelungen durch Rechtsverordnung zu erlassen.

Zu § 8 (Inkrafttreten)

Um den Arbeits- und Tarifvertragsparteien Zeit zur Anpas-
sung ihrer Lohnvereinbarungen zu geben, tritt das Gesetz,
mit Ausnahme der §§ 3 und 7, erst nach einer Übergangsfrist
von einem Jahr in Kraft. Das vorgezogene Inkrafttreten der
§§ 3 und 7 ermöglicht es, die zur Festsetzung des Mindest-
lohns erforderlichen vorbereitenden Maßnahmen umgehend
lichen Abrechnungszeiträume. einzuleiten.
t mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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