BT-Drucksache 17/4652

Schutz vor Bahnlärm verbessern - Veraltetes Lärmprivileg "Schienenbonus" abschaffen

Vom 7. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4652
17. Wahlperiode 07. 02. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Kerstin Andreae,
Alexander Bonde, Bettina Herlitzius, Stephan Kühn, Ingrid Nestle, Daniela
Wagner, Dr. Valerie Wilms, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg),
Friedrich Ostendorff, Dr. Hermann Ott, Dorothea Steiner und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schutz vor Bahnlärm verbessern – Veraltetes Lärmprivileg „Schienenbonus“
abschaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eines der wichtigsten verkehrspolitischen Ziele ist die Verlagerung transportier-
ter Güter von der Straße auf die Schiene. Der Transport auf der Schiene ist im
Gegensatz zum Güterverkehr auf der Straße umweltfreundlicher, klima-
schonender, flächensparender und sicherer. Doch mehr Schienengüterverkehr,
zumal auf den Hauptstrecken, wird von den Anwohnern nur dann akzeptiert
werden, wenn vorhandene Lärmminderungspotentiale ausgeschöpft werden.
Untersuchungen des Umweltbundesamtes zufolge fühlen sich drei Viertel der
Bevölkerung von Verkehrslärm beeinträchtigt. 20 Prozent der Bevölkerung sind
besonders vom Schienenlärm betroffen, etwa ein Viertel davon auf einer Skala
von „mittelmäßig“ bis „sehr stark“. Wie die aktuelle Lärmkartierung des Eisen-
bahn-Bundesamtes (EBA) zeigt, ist die Lärmbelastung an viel befahrenen
Bahnstrecken inzwischen so hoch, dass sie nicht nur als Belästigung empfunden
wird, sondern auch zu Gesundheitsgefährdungen der Anwohner führt.

Der nach wie vor nicht ausreichende Lärmschutz sowie der hohe Bedarf an
Lärmsanierung an Altstrecken führen dazu, dass Anwohner von Güterbahn-
strecken deutlich zu hohen Belastungen ausgesetzt sind. Hinzu kommt, dass im
Vergleich mit anderen Verkehrslärmquellen beim Bahnverkehr mit zweierlei
Maß gemessen wird. Der Grund liegt im sogenannten Schienenbonus, der nach
der Sechzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutz-
gesetzes (16. BImSchV) besagt, dass 5 dB (A) vom gemessenen Schallpegel ab-
gezogen werden. Diese Regel greift auch nachts. Zugrunde liegt dem Schienen-
bonus die Annahme des Gesetzgebers, dass Anlieger an Schienenwegen durch
Lärm weniger belastet werden als Anlieger an Straßen, da die Frequenzen deut-

lich geringer ausfallen. Diese Annahme ist jedoch durch zahlreiche Studien
widerlegt (vgl. Studie des Universitätsklinikums Freiburg, Macht Schienenlärm
krank?, April 2010) und zudem angesichts der dichten Zugfolge und dem Hoch-
geschwindigkeitsverkehr auf der Schiene heute nicht mehr aufrechtzuerhalten.
Tatsächlich ist die Lärmbelastung an hoch frequentierten Strecken deutlich ge-
stiegen, weil es kaum noch längere Ruhepausen gibt.

Drucksache 17/4652 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Dies unterstreicht auch die Entscheidung des Regierungspräsidiums Freiburg
vom 18. Januar 2011, welches die von der Deutschen Bahn AG (DB AG) ge-
plante Antragstrasse im Bereich Offenburg (Abschnitt 7.1 Hohenberg–Offen-
burg) „als nicht genehmigungsfähig“ zurückzuweisen hat. Unternehmerische
Belange dürfen nicht stärker gewichtet werden als der Lärmschutz von Anwoh-
nerinnen und Anwohnern und sie dürfen auch nicht im Widerspruch zur EU-
Umgebungslärmrichtlinie stehen, den Lärm zu mindern.

Lärmminderung ist technisch vielfältig möglich. Neben passiven Maßnahmen
wie Gleispflege, Lärmschutzwänden und -fenstern, dient vor allem der aktive
Lärmschutz an der Quelle der Lärmminderung. Verbundbremsen aus Kunststoff
(K-Sohlen), Radschallabsorber oder dämpfende Federungen sind wichtige
technische Neuerungen. In Nachbarländern wie der Schweiz oder Österreich
werden lärmärmere Lokomotiven eingesetzt. Bis heute bestehen für in Deutsch-
land tätige Bahnunternehmen jedoch wenig Anreize für einen Lärmschutz an
der Quelle einzutreten. Deshalb ist es notwendig, die Lärmsanierung sowohl
mit neuen gesetzlichen Regeln als auch mit einem marktwirtschaftlichen An-
reizsystem voranzutreiben. Diese Forderung beruht auf einem breiten gesell-
schaftlichen Konsens. Selbst im Koalitionsvertrag für die 17. Legislaturperiode
von CDU, CSU und FDP wird die Absicht erklärt, den Schienenbonus zu redu-
zieren mit dem Ziel, ihn ganz abzuschaffen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● den Schienenbonus abzuschaffen, da die Anwendung gemäß Anlage 2 zu
§ 3 16. BImSchV nicht mehr dem Verkehrsaufkommen entspricht und die
dem Schienenbonus zugrundeliegenden Gutachten wissenschaftlich über-
holt sind;

● auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse neue gesetz-
liche Regelungen und Grenzwerte für Lärmsanierung im Schienenverkehr
sowie Lärmgrenzwerte für Schienenfahrzeuge per Rechtsverordnung nach
§ 38 Absatz 2 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) zu schaf-
fen;

● die DB Netz AG entsprechend der Regelung des § 21 Absatz 2 der Eisen-
bahninfrastruktur-Benutzungsverordnung zu veranlassen, die bestehenden
gesetzlichen Möglichkeiten zu nutzen und lärmabhängige Trassenpreise ein-
zuführen, um wirtschaftliche Anreize zur Umrüstung der Bestandsfahrzeuge
auf lärmarme Bremsen zu schaffen;

● die Regelung des § 38 Absatz 1 Satz 2 BImSchG konsequent umzusetzen,
wonach Schienenfahrzeuge so betrieben werden müssen, dass vermeidbare
Emissionen verhindert und unvermeidbare Emissionen, einschließlich Lärm,
auf ein Mindestmaß reduziert werden;

● das Lärmsanierungsprogramm des Bundes aufzustocken und den Fortgang
der Sanierung an bestehenden Schienenwegen zu beschleunigen.

Berlin, den 7. Februar 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.