BT-Drucksache 17/4554

Elberaum entwickeln - Nachhaltig, zukunftsfähig und naturverträglich

Vom 26. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4554
17. Wahlperiode 26. 01. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dorothea Steiner, Stephan Kühn, Undine Kurth (Quedlinburg),
Dr. Anton Hofreiter, Nicole Maisch, Dr. Valerie Wilms, Hans-Josef Fell, Bärbel
Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Dr. Hermann Ott, Cornelia Behm, Bettina
Herlitzius, Winfried Hermann, Ulrike Höfken, Ingrid Nestle, Friedrich Ostendorff,
Daniela Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Elberaum entwickeln – Nachhaltig, zukunftsfähig und naturverträglich

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Ober- und Mittelelbe bis Geesthacht ist für einen verlässlichen Gütertrans-
port nach Fahrplan nicht geeignet. Stark schwankende und mittelfristig nicht be-
rechenbare Wasserstände sowie anhaltende Niedrigwasserperioden sind typisch
für die Elbe und verhindern daher eine ganzjährig konstante Fahrrinnentiefe.
Diese aber ist für den Gütertransport die wichtigste Grundvoraussetzung. Alle
bisherigen Versuche eine ganzjährige Mindesttiefe von 1,60 Meter bei einem
Bezugswasserstand (GLW 89) zwischen Dresden und Geesthacht zu garantieren
sind gescheitert. Dies gilt ebenfalls für die angestrebte Fahrrinnentiefe von
1,50 Metern oberhalb von Dresden. Schon heute zeigt sich der Einfluss des
Klimawandels auf die Elbe, der die schwankenden Wasserstände verstärkt, deut-
lich. Das Niederschlags- und Abflussregime verändert sich stark und Niedrig-
wasserperioden nehmen zu. Letztere werden mit fortschreitendem Klimawandel
eher noch stärker, so dass damit zu rechnen ist, dass in den kommenden Jahren
immer häufiger niedrigere Pegelstände auf der Elbe zu erwarten sind. Zudem ist
schon jetzt klar, dass selbst bei einer ganzjährigen Fahrrinnentiefe von 1,60 Me-
tern kein wirtschaftlicher Güterverkehr möglich ist. Unter diesen Voraussetzun-
gen kann eine ganzjährige Schiffbarkeit der Elbe nicht gewährleistet werden.

Die seit 20 Jahren laufenden Bau- und Unterhaltungsmaßnahmen haben das
Ziel, mehr Verkehr auf die Elbe zu verlagern, nicht erreicht. Stattdessen haben
sie aber stetig den ökologischen Erhaltungszustand der Elbe verschlechtert. Sie
führten zur Sohleeintiefung und damit zur Absenkung der Grundwasserstände.
Das wiederum gefährdet schützenswerte Elbauen, die wichtige Hotspots der
Biodiversität sind. Eine konstante Mindesttiefe der Elbe könnte nur mit massi-
ven Eingriffen in das Ökosystem Elbe ermöglicht werden, durch einen kanal-
artigen Ausbaus mit einer Kette von Staustufen. Der Deutsche Bundestag lehnt

ein solches Vorgehen aufgrund der zu erwartenden extremen negativen Folgen
für die Natur und Landschaft, den Tourismus und den Hochwasserschutz ab.

Im Elberaum besteht kein Mangel an alternativen Transportmöglichkeiten. Die
Schiene bietet in weiten Teilen eine umweltfreundliche und verlässliche Alter-
native für den Güterverkehr. Auch der Elbe-Seitenkanal und der Mittellandkanal
können für Transporte im Elberaum in Zukunft eine größere Rolle als bisher
spielen.

Drucksache 17/4554 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die wirtschaftspolitische Bedeutung der Binnenschifffahrt für die Elberegion
sinkt weiter. Der Wert von Natur und Landschaft hingegen gewinnt eine immer
stärkere wirtschaftliche Relevanz. Die Elbe ist als Retentionsraum für Hochwas-
ser und Hotspot der Biodiversität ökologisch bedeutsam. Eine zunehmend wich-
tige Rolle kommt ihr aber auch als Regenerationsraum für Erholungssuchende
zu. Die touristische Nutzung der Natur- und Kulturpotentiale an der Elbe hat
sich zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor mit hoher Arbeitsplatzintensität
entwickelt. Noch immer gibt es aber in diesem Bereich ein großes Entwick-
lungspotenzial.

Der Deutsche Bundestag lehnt den Ausbau der mittleren und oberen Elbe daher
ab. Im Mittelpunkt einer nachhaltigen, zukunftsfähigen und naturverträglichen
Entwicklung der Elberegion muss der Erhalt dieser einzigartigen Naturland-
schaft mit allen seinen positiven Funktionen für Mensch und Natur stehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

eine umfassende Strategie zur Entwicklung der Elberegion und zum Erhalt der
einzigartigen Landschaft Elbe gemeinsam mit den Elbeanrainerbundesländern
und unter Einbeziehung aller relevanten gesellschaftlichen Gruppen zu ent-
wickeln. Im Rahmen dieser Strategie sollen unter anderem folgende Forderun-
gen zur nachhaltigen und umweltschonenden Weiterentwicklung der Flussland-
schaft Elbe umgesetzt werden:

Umwelt- und naturschutzpolitische Forderungen

● die Flussgebietsgemeinschaft Elbe im Rahmen ihrer Möglichkeiten und
Zuständigkeiten dabei zu unterstützen, dass die Elbe den ökologisch guten
Zustand gemäß der Wasserrahmenrichtlinie wesentlich schneller als im der-
zeitigen Bewirtschaftungsplan vorgesehen erreicht,

● dafür Sorge zu tragen, dass im Flussgebiet der Elbe keine Baumaßnahmen
zur Verbesserung der Schiffbarkeit mehr durchgeführt werden, die direkt
oder indirekt die Ausweisung von Flussabschnitten mit weniger strengen Be-
wirtschaftungszielen erforderlich machen,

● die bisher im Bewirtschaftungsplan angekündigten Maßnahmen zur Wieder-
herstellung der Durchgängigkeit der Elbe und der bedeutenden Flüsse in
ihrem Einzugsgebiet zu verstärken und die Wirksamkeit der Fischwander-
hilfen wissenschaftlich evaluieren zu lassen,

● die Entwicklung vielfältiger Gewässerstrukturen in der Elbe und ihren bedeu-
tenden Nebenflüssen zu fördern,

● der Elbe durch die Förderung von Ufer- und Auenrenaturierungen, Flut-
rinnen- und Altarmanbindungen mehr Raum zu geben,

● gewässerökologische Belange bei Unterhaltungsmaßnahmen durch die Was-
ser- und Schifffahrtsdirektion Ost in deutlichen stärkerem Maße zu berück-
sichtigen,

● von jeglichen Maßnahmen abzusehen, die zu einer weiteren Vertiefung des
Flussbettes führen, sowie Forschungsprojekte zur Eindämmung dieses Pro-
zesses zu initiieren,

● die Umsetzung von durch die Länder geplanten Deichrückverlegungsmaß-
nahmen aktiv zu fördern und weitere Maßnahmen zu Deichrückverlegung
gemeinsam mit den Ländern zu ergreifen,

● Maßnahmen zur Umsetzung der Ziele der nationalen Biodiversitätsstrategie
entlang der Elbe zu ergreifen,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4554

● Bau- und Unterhaltungsmaßnahmen zu unterbinden, die einen signifikanten
Wasserentzug der fast weitgehend unter Naturschutz stehenden die Elbe um-
gebende Flusslandschaft zur Folge haben, da dieser Wasserentzug zu einem
massiven Verlust an biologischer Vielfalt führen kann,

● sämtliche Bau- und Unterhaltungsmaßnahmen an der Elbe auf ihre Auswir-
kungen auf Natur und Umwelt, insbesondere vor dem Hintergrund der An-
forderungen der EU-Wasserrahmenrichtlinie sowie der Fauna-Flora-Habitat-
Richtlinie, zu prüfen,

● die Auswirkungen des Klimawandels auf den Wasserhaushalt allgemein und
insbesondere auf zu erwartende starke Schwankungen der Wasserstände der
Elbe über die bisherigen Forschungsprojekte hinaus umfassend zu untersu-
chen und die Planungen zur Nutzung der Elbe als Bundeswasserstraße mit
Blick auf die Ergebnisse dieser Untersuchungen zu überarbeiten,

● Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel in der Elberegion zu ent-
wickeln;

Wirtschafts- und verkehrspolitische Forderungen

● gemeinsam mit den Landesregierungen und den Kommunen ein Konzept
zum Ausbau der wirtschaftlichen Potenziale der Elberegion zu entwickeln
und dabei die Belange der verschiedenen Wirtschaftszweige einer verglei-
chenden makroökonomischen Betrachtung zu unterziehen, die die zu erwar-
tenden Folgen des Klimawandels mit einbezieht sowie sämtliche ökologische
Folgekosten berücksichtigt,

● den Ausbau der vorhandenen touristischen Infrastruktur unter Einhaltung der
Anforderungen an naturverträglichen und nachhaltigen Tourismus zu för-
dern,

● das Ziel aufzugeben eine durchgehende Mindesttiefe von 1,60 Metern ganz-
jährig zwischen Dresden bis Geesthacht und 1,50 Meter oberhalb von Dresden
zu erreichen, da dies aufgrund der natürlichen Rahmenbedingungen durch
Unterhaltungsmaßnahmen allein nicht zu erreichen ist,

● eine umweltverträgliche, an die natürlichen Wasserstände angepasste Bin-
nenschifffahrt zu ermöglichen, insbesondere für die touristische Personen-
schifffahrt sowie für leichte Gütertransporte mit flachgehenden Schiffstypen,

● eine aktuelle Analyse der derzeitigen und zu erwartenden Verkehrsströme im
Elberaum unter Einbeziehung aller Verkehrsträger vorzulegen,

● auf Grundlage der zu erwartenden höheren Bandbreiten und Unsicherheiten
des Witterungsgeschehens an der Elbe, Konzepte für flexible Transportketten
im Elberaum zu entwickeln, die einen Schwerpunkt im Schienenverkehr
haben und auf den Schiffsverkehr nur als zusätzliche Option auf ausgewähl-
ten Strecken setzen,

● die Kapazitäten der vorhandenen Bahnstrecken im Elberaum für den Güter-
verkehr umfassend zu nutzen, das Netz wo notwendig zu sanieren und an
eventuellen Streckenengpässen, die Kapazität der Bahnstrecken für den Gü-
terverkehr durch Netzausbau zu erhöhen,

● die Investitionen in die Bundeswasserstraße Elbe einer neuen Nutzen-Kosten-
Analyse, einschließlich der Ressourcenkosten zu unterziehen, welche die
durch den Klimawandel bereits eingetretenen und noch zu erwartenden Än-
derungen im Wasserhaushalt der Elbe mit einbezieht, um Fehlinvestitionen
zu verhindern,


alle geplanten Infrastrukturprojekte an der Elbe und ihren Nebenflüssen, die
in direkter Abhängigkeit zu den Fahrrinnentiefen entlang der Elbe stehen, an

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die derzeit tatsächlichen und die bei Unterlassung eines weiteren Ausbaus zu
erwartenden Tiefenverhältnisse der Elbe anzupassen;

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Elberaum

● sich für eine stärkere grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit der Tsche-
chischen Republik einzusetzen, die u. a. die Ziele verfolgt, ein gemeinsames
Güterverkehrskonzept sowie ein gemeinsames Tourismuskonzept für die
Euroregion Elbe/Labe zu entwickeln und eine klare Abstimmung bei geplan-
ten Baumaßnahmen sowie eine umfassende Information über die gegebenen
und zukünftig zu erwartenden Wasserstände der Elbe auf dem jeweiligen
Staatsgebiet zu gewährleisten, um Planungen von Bauprojekten unter An-
nahme falscher Prämissen zu verhindern,

● sich gegenüber der Tschechischen Republik dafür einzusetzen, die Planungen
für den Bau einer Elbestaustufe bei De µc µin aufzugeben.

Berlin, den 25. Januar 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Die Elbe ist der letzte große, noch relativ wenig verbaute und naturnahe frei flie-
ßende Fluss in Mitteleuropa. Nahezu lückenlos reihen sich 22 europäische
Schutzgebiete (FFH-Gebiete und Vogelschutzgebiete) aneinander. Mit zwei
Nationalparken (Sächsische Schweiz und Wattenmeer) sowie dem UNESCO-
Biosphärenreservat „Flusslandschaft Elbe“ finden sich an der Elbe einzigartige
Naturjuwelen. Hinzu kommt das letzte an der Elbe verbliebene UNESCO-Welt-
erbe, das „Dessau-Wörlitzer Gartenreich“, in dem Natur- und Kulturlandschaft
gleichermaßen als Erbe der Menschheit geschützt sind. Der Elbe-Radweg ist mit
seinem Natur- und Kulturreichtum seit fünf Jahren der beliebteste Fernradweg
ganz Deutschlands und wird von fast einer Million Menschen jährlich aufge-
sucht.

Die Bedeutung der Mittel- und Oberelbe als Transportweg für den Güterverkehr
war schon immer eher gering und geht, anstatt wie vorausgesagt zu steigen, wei-
ter stetig zurück. Noch 1992 wurde ein Güteraufkommen von jährlich zwölf
Millionen Tonnen für das Jahr 2010 prognostiziert. Doch im Jahr 2009 wurden
nur 0,9 Millionen Tonnen Güter auf der Elbe befördert. Der Umfang der Güter-
verkehre auf der Elbe schrumpfte in den letzten 15 Jahren und bis heute ist der
Anteil der Elbe an der gesamten Güterverkehrsleistung aller deutscher Bundes-
wasserstraßen mit 0,2 Prozent verschwindend gering.

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