BT-Drucksache 17/4542

Gemeinsame Europäische Agrarpolitik nach 2013 - Förderung auf nachhaltige, bäuerliche Landwirtschaft ausrichten

Vom 26. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4542
17. Wahlperiode 26. 01. 2011

Antrag
der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Bärbel
Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg), Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, Winfried
Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Ingrid Nestle,
Dr. Hermann Ott, Dorothea Steiner, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gemeinsame Europäische Agrarpolitik nach 2013 – Förderung auf nachhaltige,
bäuerliche Landwirtschaft ausrichten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung „Die GAP bis 2020:
Nahrungsmittel, natürliche Ressourcen und ländliche Gebiete – die künftigen
Herausforderungen“ den Reformbedarf hin zu einer nachhaltigeren, gerechteren
und grüneren Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) anerkannt. Mit der Einführung
einer Ökologisierungskomponente in die Direktzahlungen, einer besonderen
Unterstützungsregelung für Kleinlandwirte sowie einer Deckelung der Direkt-
zahlungen unter Berücksichtigung der Arbeitsplätze, mit der Ausrichtung der
Wettbewerbsfähigkeit bäuerlicher Betriebe auf lokale, regionale und europäi-
sche Märkte sowie mit dem Bekenntnis zur Fortführung einer starken, zweiten
Säule hat die EU-Kommission richtige und wegweisende Vorschläge gemacht.
Sie führt damit die Agrarreform von 2003 folgerichtig fort. Ziel des Deutschen
Bundestages ist es, dass dieser hoffnungsvollen Mitteilung ambitionierte Legis-
lativvorschläge folgen.

Die Durchsetzung des Rechts auf Nahrung weltweit, der Klimaschutz, der
Erhalt der biologischen Vielfalt und der Schutz des Wassers sind die globalen
Herausforderungen unserer Zeit. Die Landwirtschaft darf nicht länger zur Ver-
schärfung der globalen Probleme beitragen, sondern muss zum Teil der Lösung
werden.

Vielerorts in Europa sind aber andere Entwicklungen zu beobachten. Die zu-
nehmende Verdrängung nachhaltig wirtschaftender Bauern, die fortschreitende
Intensivierung der Tierhaltung einhergehend mit immer höheren Futtermittel-
importen, Maismonokulturen in vielen Landstrichen, das drohende Aussterben
von einem Drittel der heimischen Tier- und einem Viertel der heimischen
Pflanzenarten, die Zulassung von Gentechnikpflanzen, die niemand braucht,

der Verlust von Arbeitsplätzen und lebenswerten ländlichen Strukturen – all
dies geschieht trotz einer Gemeinsamen Agrarpolitik, die sich den Erhalt des
multifunktionalen europäischen Landwirtschaftsmodells auf die Fahnen ge-
schrieben hat. Diese Fehlentwicklungen gilt es im Rahmen der Weiterentwick-
lung der GAP zu stoppen.

Drucksache 17/4542 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Politik muss dafür Sorge tragen, dass klimafreundliche landwirtschaftliche
Produktionsweisen gefördert und nachwachsende Rohstoffe nicht in Konkur-
renz zu Lebensmitteln erzeugt werden. Die Landwirtschaft darf Biodiversität
nicht länger zerstören, sondern muss wieder zum Träger biologischer Vielfalt
werden. Ebenso muss sie die natürlichen Ressourcen für die nachfolgenden
Generationen erhalten. Dem Wunsch von Verbraucherinnen und Verbrauchern
nach guten, sicheren, nachhaltig und tiergerecht erzeugten, gentechnikfreien
Lebensmitteln aus der Region muss Rechnung getragen werden. Europäische
Agrarpolitik darf die Märkte in Entwicklungsländern nicht länger zerstören,
sondern muss die Ernährungssouveränität und faire Bedingungen in der Land-
wirtschaft weltweit befördern. Bei jeglichem Import von Biomasse muss
sichergestellt werden, dass Anbau, Verarbeitung und Transport nach klaren,
strengen und überprüfbaren Klima-, Umwelt- und Sozialstandards erfolgen.
Den stetig zunehmenden Futtermittelimporten muss mit einer Strategie zur Ver-
besserung der Selbstversorgung Europas mit Eiweißfuttermitteln begegnet wer-
den. Ziel muss also die ökologische Modernisierung der europäischen Land-
wirtschaft im Sinne der europäischen Ziele bei Klima- und Artenschutz und in
Kohärenz zur europäischen Umwelt-, Entwicklungs- und Kohäsionspolitik
sein. Der ökologische Landbau erfüllt hierbei eine wichtige Funktion als Leit-
bild und Innovationsmotor.

Ein weiterer Schwerpunkt der Politik muss auf dem Erhalt und der Schaffung
lebendiger ländlicher Regionen liegen. Eine Landwirtschaft, die gute, fair ent-
lohnte Arbeitsplätze schafft und kulturell gewachsene Landschaftsbilder erhält,
ist ein wichtiger Baustein. Aber auch andere innovative und zukunftsfähige
Wirtschaftszweige wie die Erzeugung regionaler Spezialitäten, die erneuer-
baren Energien, der naturnahe Tourismus oder die Gesundheitsbranche setzen
wichtige Impulse zur ländlichen Entwicklung und müssen weiter ausgebaut
und vernetzt werden. Entscheidend für eine positive regionale Entwicklung ist
dabei, dass den Menschen vor Ort mehr Verantwortung und Entscheidungs-
kompetenz übertragen wird. Denn insbesondere in der Erschließung regionaler
Wertschöpfungspotentiale sind Wissen und Erfahrung der regionalen Akteure
unersetzlich.

Darüber hinaus ist und bleibt die Förderung der ländlichen Entwicklung im
Rahmen der GAP mit ihrer auf Kleinprojekte angelegten Förderphilosophie
eine notwendige Ergänzung zu den großflächig ausgerichteten Maßnahmen der
anderen Strukturfonds. Durch die Unterstützung kleiner und mittlerer Unter-
nehmen im Bereich der Regionalwirtschaft bietet sich beispielsweise die Mög-
lichkeit, regionale Wirtschaftspotentiale auch jenseits des Agrarsektors zu akti-
vieren sowie Arbeitsplätze und gewinnbringende Werte zu schaffen.

Angesichts dieser Aufgaben bedarf es auch weiterhin einer starken gemein-
samen Agrarpolitik auf europäischer Ebene, allerdings auf Grundlage einer
neuen, ökologisch-sozialen Fördersystematik. Denn nur mit einer starken, auf
nachhaltige Entwicklung ausgerichteten Agrarpolitik kann die Diskrepanz
zwischen den Bekenntnissen zum europäischen Agrarmodell einer multi-
funktionalen, flächendeckenden Landwirtschaft und der Wirklichkeit auf den
landwirtschaftlichen Betrieben überwunden werden.

Mit der Agrarreform von 2003 wurde der Paradigmenwechsel in der Agrar-
politik eingeleitet. Die Förderbedingungen wurden nachhaltiger und gerechter
gestaltet, die Benachteiligung der bäuerlichen Gründlandwirtschaft gestoppt.
Dieser Weg muss bei der für 2013 anstehenden Weiterentwicklung der Gemein-
samen Agrarpolitik konsequent fortgesetzt werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4542

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Vorschläge der EU-Kommission zur Ausgestaltung einer starken Gemein-
samen Agrarpolitik bis 2020 dem Grunde nach zu unterstützen und sich bei den
Verhandlungen über die Legislativvorschläge für die folgenden Punkte ein-
zusetzen:

1. „Öffentliche Gelder für öffentliche Güter“ muss zum Prinzip aller Agrar-
zahlungen werden. Jegliche Fördergelder müssen an die Erbringung von
gesellschaftlichen Leistungen in den Bereichen Klima- und Umweltschutz,
Tierschutz, Erhalt von Biodiversität, Verbraucherschutz, Ernährungssicher-
heit und Arbeitsplätze geknüpft werden. Fördermaßnahmen, die Umwelt,
Klima, Biodiversität und die bäuerliche Landwirtschaft hier und weltweit
schädigen oder den Gedanken des Tierschutzes untergraben, müssen hin-
gegen eingestellt werden.

2. Obligatorische Voraussetzung für den Erhalt von Direktzahlungen muss die
Umsetzung der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Ökologisierungs-
komponente sein. Als Maßnahmen für diese Qualifizierung der Direkt-
zahlungen müssen die Einhaltung einer mindestens dreigliedrigen Frucht-
folge mit Eiweißpflanzen, der Erhalt von Dauergrünland, die Beweidung,
die Ausweisung ökologischer Vorrangflächen für besonders umweltgerechte
Bewirtschaftungsverfahren, die flächengebundene Tierhaltung sowie der
Verzicht auf den Einsatz gentechnisch veränderter Organismen im Vorder-
grund stehen.

3. Ausgleichszahlungen für Betriebe in benachteiligten Gebieten sollen ebenso
wie der Ausgleich von Bewirtschaftungsauflagen im Rahmen von Natura-
2000-Gebieten als weitere Komponente in die Direktzahlungen einfließen.

4. Für eine gerechtere Verteilung der Agrarfördermittel und zur Sicherung von
Arbeitsplätzen müssen die Direktzahlungen auf aktive Landwirte in Haupt-,
Neben- oder Zuerwerb konzentriert und eine Deckelung der Direktzahlun-
gen mit Arbeitsplatzberücksichtigung eingeführt werden. Für Kleinbetriebe
müssen besondere Förderregeln geschaffen werden.

5. Der Erhalt einer multifunktionalen, auch in den Betriebsgrößen vielfältigen
Landwirtschaft setzt die Einführung fairer Marktregeln voraus, denn eine
uneingeschränkte Liberalisierung der Agrarmärkte beschleunigt den Struk-
turwandel. Damit Landwirte faire Preise für hochwertige Produkte erzielen
können, muss ihre Position in der Lebensmittelkette gegenüber den häufig
monopolartigen Strukturen von Verarbeitung und Handel gestärkt werden.
Im Milchmarkt muss die Einführung flexibler Mengenregulierungsinstru-
mente in den Händen der Landwirte unterstützt werden. Erzeugerzusam-
menschlüssen sollte die Bündelung von Milchmengen deutlich über den von
der EU-Kommission eingeräumten 3 Prozent erlaubt sein, um die Markt-
macht der Erzeuger zu stärken.

6. Die zweite Säule als Instrument zur Honorierung einer besonders nach-
haltigen Bewirtschaftung und zur Stärkung der ländlichen Regionen muss in
der Förderperiode nach 2013 finanziell weiter gestärkt und enger mit den an-
deren europäischen Fördertöpfen, die für die ländliche Entwicklung wirk-
sam sind, abgestimmt und vernetzt werden.

7. Das Angebot an Agrarumweltmaßnahmen vor allem in den Bereichen
Klima- und Artenschutz muss ambitioniert ausgebaut und um eine Anreiz-
komponente ergänzt werden.

Drucksache 17/4542 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
8. Ökologische Leistungen zur Beantwortung der sogenannten neuen Heraus-
forderungen Klimawandel, Artensterben und Wassermanagement müssen
zukünftig bis zu 100 Prozent aus der EU finanziert werden, denn der drin-
gende Handlungsbedarf bei diesen Herausforderungen darf nicht länger
aufgrund des Kofinanzierungsvorbehalts von der Haushaltssituation in den
Mitgliedstaaten gebremst werden.

9. Im Rahmen der ländlichen Entwicklung muss die Förderung integrierter
Entwicklungskonzepte und die Vergabe von Regionalbudgets deutlich ver-
stärkt werden, denn eine solche Förderung nach dem Bottom-up-Prinzip ist
– wie die Erfahrungen vieler Modellprojekte belegen – effizienter, nach-
haltiger und erfolgreicher als eine Gießkannenförderung von oben.

Bei allem berechtigten Interesse an einer kontrollierbaren Vergabe euro-
päischer Fördermittel darf hierbei die Dokumentationspflicht nicht zum
Hemmschuh für eine Stärkung der Aktiven vor Ort werden.

10. Ein besonderer Schwerpunkt der Wettbewerbsförderung muss auf der Ent-
wicklung regionaler Wirtschaftspotentiale liegen. Hierzu müssen Diversifi-
zierungsstrategien landwirtschaftlicher Betriebe, regionale Wirtschafts-
kreisläufe beispielsweise bei der Etablierung einer flächendeckenden
Schul- und Kindergartenernährung aus ökologischen und regionalen Pro-
dukten und die Gründung von Kleinstunternehmen im ländlichen Raum
stärker im Rahmen der GAP gefördert werden.

11. Im Sinne von mehr Fairness im Welthandel müssen die Exportsubventionen
und andere handelsverzerrenden Subventionen sofort abgeschafft werden,
unabhängig von den weiteren Verhandlungen im Rahmen der Doha-Runde
der Welthandelsorganisation. Darüber hinaus muss die EU im Rahmen von
bilateralen Vereinbarungen die Grundlagen fairen Handels, des Rechts auf
Nahrung, des Klima- und Biodiversitätsschutzes stringent einhalten und
darf die Handelspartner nicht zur völligen Liberalisierung ihrer Agrar-
märkte drängen.

Berlin, den 25. Januar 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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