BT-Drucksache 17/4430

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Verbraucher konsequent schützen - Höchstmaß an Sicherheit für Lebensmittel gewährleisten

Vom 19. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4430
17. Wahlperiode 19. 01. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Friedrich Ostendorff, Ulrike Höfken, Cornelia
Behm, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Markus Tressel, Hans-Josef
Fell, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl,
Oliver Krischer, Ingrid Nestle, Dr. Hermann Ott, Dorothea Steiner, Daniela Wagner,
Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Verbraucher konsequent schützen – Höchstmaß an Sicherheit für Lebensmittel
gewährleisten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Wieder einmal erschüttert ein Futtermittelskandal Deutschland und verunsichert
die Verbraucherinnen und Verbraucher ebenso wie die Produzentinnen und Pro-
duzenten. Das Krisenmanagement der Bundesregierung hat versagt. Belastete
Lebensmittel sind in den Handel gelangt, weil nicht rechtzeitig gehandelt wurde.
Die Öffentlichkeit wurde nur häppchenweise informiert.

Die aktuellen Dioxinfunde machen deutlich, dass die Lehren aus vergangenen
Futter- und Lebensmittelskandalen nicht ausreichend in die Praxis umgesetzt
wurden. Die Agrarwende als Schlussfolgerung aus der BSE-Krise im Jahr 2001
muss fortgeführt werden. Damals war das Motto „Klasse statt Masse“. Einmal
mehr ist belegt, dass der Systemwechsel in der Land- und Lebensmittelwirt-
schaft überfällig ist. Eine Erzeugung, die nur auf Kostenoptimierung ausgerich-
tet ist, hat sich von der Produktion guter Lebensmittel verabschiedet.

Der Dioxinskandal muss tiefgreifende Konsequenzen im Verbraucherschutz, bei
der Lebensmittelsicherheit und für die Agrarpolitik haben. Die Verantwortung
für den Skandal darf nicht auf die Länder oder die Europäische Union abgescho-
ben werden. Ein Aktionsplan „Verbraucherschutz in der Futtermittelkette“, der
den Ereignissen nur hinterherläuft und den Konflikten ausweicht, reicht nicht
aus. Der Widerstand gegen eine neue Agrarpolitik und die Verbesserung der Fut-

ter- und Lebensmittelsicherheit ist endgültig aufzugeben.

Die schwarz-gelbe Koalition hat die Agrarwende zurückgedreht und setzt
gezielt auf Massentierhaltung und industrielle Landwirtschaft. Die Bundes-
ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ilse Aigner
blockiert das nötige Umsteuern in der Landwirtschaftspolitik national und auf
europäischer Ebene. Die Dioxinkrise ist damit auch ein Offenbarungseid der
Agrarpolitik der Bundesregierung.

Drucksache 17/4430 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Agrarwende 2.0:
mit dem EU-Kommissar Dacian Ciolos eine transparente Agrarpolitik zu ver-
folgen, die von der Zuschauer- zur Beteiligungslandwirtschaft geht, indem
sie die gesellschaftlichen Forderungen nach Lebensmittelsicherheit, Nach-
haltigkeit, Tierschutz und lebenswerten ländlichen Räumen umsetzt und die
Bürgerinnen und Bürger aktiv beteiligt;

2. Lebensmittelkontrolle:
bundeseinheitliche Standards in den Ländern für das System der Lebensmit-
tel-, Futtermittel- und Veterinärkontrollen und die Rückverfolgbarkeit von
Lebens- und Futtermitteln quantitativ und qualitativ festzusetzen und mög-
licherweise belastete Produkte unverzüglich zurückzurufen und bei Verdacht
Betriebe vorsorglich zu sperren;

3. Verbraucherinformation:
aktuelle Lageberichte und betriebliche Eigenkontrollen zu veröffentlichen,
alle betroffenen Unternehmen und Produkte mit Namen zu nennen, Untersu-
chungsergebnisse mit einem Smiley-System öffentlich sichtbar zu machen
sowie das Verbraucherinformationsgesetz zu novellieren und damit Unter-
nehmen zur Information zu verpflichten, Betriebsgeheimnisse auf das unab-
wendbare Mindestmaß zu reduzieren und den Informationszugang bürger-
freundlich und gebührenfrei zu gestalten;

4. Risikobewertung:
eine auf den aktuellen Fall bezogene Risikobewertung in Auftrag zu geben,
die im Besonderen sensible Verbrauchergruppen und chronische Risiken ein-
bezieht und die langfristige Belastung durch ein dauerhaftes Dioxin- und
Rückstandsscreening zu erfassen;

5. Kennzeichnung:
die Kennzeichnung von tierischen Produkten zu verbessern, insbesondere die
Eierkennzeichnung nun endlich auf verarbeitete Eiprodukte auszuweiten. Für
Rindfleisch gibt es ein detailliertes Kennzeichnungssystem. Entsprechend ist
für Fleisch, Wurstwaren und andere fleischhaltige Produkte ein vergleichbares
Kennzeichnungssystem über die Haltung und die Herkunft der Tiere einzu-
führen und produktbezogen ein System auf den Weg bringen, das deutlich
macht, mit welchen Futtermitteln ein Lebensmittelprodukt hergestellt wurde;

6. Positivliste:
eine rechtlich verbindliche Positivliste für Stoffe, die in der Tierfütterung ein-
gesetzt werden dürfen, national und europäisch einzubringen;

7. Futtermittelbetriebe:
die notwendigen Gesetzesänderungen, die Herstellung und Handel von Fet-
ten für die Futtermittelproduktion einerseits und zur industriellen Nutzung
andererseits räumlich klar trennen, schnellstmöglich vorzulegen, für Herstel-
ler von Futtermittelkomponenten die Zulassungspflicht zu verschärfen, die
Haftung auch bei Fahrlässigkeit zum Beispiel durch einen Haftungsfonds
sicherzustellen, eine Versicherungspflicht einzuführen sowie die Strafen bei
Verstößen gegen das Lebens- und Futtermittelrecht deutlich zu verschärfen;

8. Förderpolitik:
die Förderung und den Erhalt einer nachhaltigen, bäuerlichen Landwirtschaft
mit regionalen Kreisläufen zu verfolgen und anspruchsvolle Tierschutzstan-
dards zum Maßstab zu machen, die einer Massentierhaltung entgegenwirken.

Berlin, den 18. Januar 2011
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4430

Begründung

Lebensmittelskandale wie die aktuellen Dioxinfunde sind Ausfluss einer zu-
nehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft. Einzelne Arbeitsschritte, in
diesem Fall Futtermittelerzeugung und Tierhaltung, werden immer weiter von-
einander entkoppelt. Die Agrarindustrie, die nur auf Kostenersparnis und Profit-
orientierung ausgerichtet ist, wird dauerhaft keine sicheren, qualitätsvollen Le-
bensmittel produzieren können. Darum muss die Agrarpolitik die Förderung und
den Erhalt einer nachhaltigen, bäuerlichen Landwirtschaft mit regionalen Kreis-
läufen verfolgen. Die intensivierte und exportorientierte Agroindustrie ist dage-
gen ein Irrweg. Einseitige Krisentreffen mit der Futtermittelindustrie sind nicht
mehr zeitgemäß.

Das System der Lebensmittel-, Futtermittel- und Veterinärkontrollen und die
Rückverfolgbarkeit von Lebens- und Futtermitteln sind auf Schwachstellen zu
analysieren. Seit Jahren wird die Unterausstattung der amtlichen Überwa-
chungsämter bemängelt. Wenn ein einziger Betrieb in einem einzigen Landkreis
nicht ausreichend kontrolliert wird, kann ganz Deutschland von einem verheeren-
den Skandal betroffen werden. Deshalb muss es bundeseinheitliche Mindest-
standards geben. Die mangelhafte Zusammenarbeit mit den Ländern beim
Krisenmanagement darf nicht länger die Versäumnisse entschuldigen. Das Vor-
sorgeprinzip muss konsequent durchgesetzt werden, auch bei Produktrückrufen
oder Betriebssperren.

Im Sinne des vorsorgenden Verbraucherschutzes müssen die Konsumenten so-
fort und umfassend informiert werden, nicht nur über akute, auch über langfris-
tige Gesundheitsgefahren. Und nicht nur in drei Ländern, sondern überall mit
einheitlichen Informationsstandards. Vom Futtermittelhersteller bis zum Teller
muss ein Smiley-System die Untersuchungsergebnisse öffentlich sichtbar ma-
chen. Nur so können Konsumentinnen und Konsumenten mündig Entschei-
dungen treffen. Und die Veröffentlichung von „Ross & Reiter“ ist beste Ab-
schreckung für „Wiederholungstäter“.

Die Unbedenklichkeitsbescheinigung des Bundesinstituts für Risikobewertung
ist verfrüht. Obwohl noch nicht genau bekannt ist, in welcher Dimension auch
Hühner-, Schweine- und Rindfleisch betroffen ist und wie lange mit Dioxin kon-
taminiertes Futter bereits vertrieben wurde, gibt es bereits Entwarnung. Diese
Bewertung greift zu kurz. Auch sensible Verbrauchergruppen wie Kinder und
Kranke sowie die Kumulation von Dioxin und seine chronischen Auswirkungen
sind in der Risikoanalyse zu wenig berücksichtigt. Ein Dioxin- und Rückstands-
screening muss einen besonderen Schwerpunkt auf Kinder legen.

Kennzeichnungssysteme wie die Eierkennzeichnung ermöglichen Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern nicht nur, auf Produkte aus artgerechter Tierhaltung
zurückzugreifen. Im aktuellen Dioxinfall geben sie auch verlässlich Auskunft
darüber, ob das gekaufte Ei von einem betroffen Betrieb stammt oder nicht. Die
Ausweitung auf verarbeitete Eiprodukte und die Haltung und die Herkunft von
Tieren ist überfällig, um für die Konsumenten Klarheit zu schaffen. Für Rind-
fleisch gibt es detaillierte Rückverfolgungsmerkmale. An diesen kann man sich
orientieren. Die diesbezüglichen Beschlüsse des Europäischen Parlaments zur
Lebensmittelinformationsverordnung müssen dafür schnell umgesetzt werden.
Futtermittel sind systemrelevant für die Erzeugung von Fleisch und Eiern. Ver-
braucherinnen und Verbraucher haben ein Recht zu erfahren, mit welchen Fut-
termitteln ein Lebensmittelprodukt hergestellt wurde. Das strenge Regime der
Ökolandwirtschaft soll zukünftig als Vorbild dienen. Für Futtermittel muss eine
Art Reinheitsgebot gelten. Das Verwenden isolierter Komponenten bei Futter-
mitteln wirft immer wieder Probleme auf. Das Ganze ist eben mehr als die
Summe aller Teile. Deshalb sind im Ökolandbau der Einsatz von isolierten Fett-

säuren oder die Verfütterung von Tiermehlen verboten. Der systematischen
Lobbyarbeit der Futtermittelindustrie muss endlich begegnet werden. Es dürfen

Drucksache 17/4430 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
nur noch Futtermittel zugelassen werden, die auf einer Positivliste geführt wer-
den. Auch die enge Kopplung von Futtermittelerzeugung und Tierhaltung, wie
sie zu den Prinzipien des ökologischen Landbaus gehört, muss in der gesamten
Landwirtschaft Usus werden.

Die Initiativen von Nordrhein-Westfalen für getrennte Produktströme, eine ver-
schärfte Zulassung und eine Haftpflichtversicherung sind zu unterstützen. Da-
rüber hinaus sollte eine europaweite Regelung angestrebt werden. Unternehmen,
die Gifte in die Lebensmittelkette einbringen, müssen vollumfänglich für den
verursachten Schaden haften, sowohl gegenüber Landwirten und anderen Ver-
arbeitungsunternehmen als auch gegenüber dem Verbraucher. Die Einführung
stellt sicher, dass alle Schäden in der Lebensmittelkette gedeckt werden.

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