BT-Drucksache 17/4426

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Verbraucher konsequent schützen - Höchstmaß an Sicherheit für Lebensmittel gewährleisten

Vom 19. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4426
17. Wahlperiode 19. 01. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Kerstin Tack, Petra Crone, Elvira Drobinski-Weiß, Bernhard
Brinkmann (Hildesheim), Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Petra Hinz (Essen), Ulrich
Kelber, Ute Kumpf, Caren Marks, Dr. Matthias Miersch, Thomas Oppermann, Holger
Ortel, Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Mechthild Rawert, Rolf Schwanitz,
Stefan Schwartze, Rita Schwarzelühr-Sutter, Dr. Marlies Volkmer, Waltraud Wolff
(Wolmirstedt), Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Verbraucher konsequent schützen – Höchstmaß an Sicherheit für Lebensmittel
gewährleisten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Aus dem Skandal um die Dioxinbelastung von Lebensmitteln und Futtermitteln
müssen unmittelbare und wirksame Konsequenzen gezogen werden:

1. Alle relevanten Vorgänge müssen durch die zuständigen Landesbehörden
lückenlos aufgeklärt werden. Alle Verunreinigungsquellen sind zu ermitteln,
die Verantwortlichen zu identifizieren und bei Gesetzesverstößen zügig
Strafverfahren einzuleiten. Dabei müssen der zur Verfügung stehende Straf-
rahmen ausgeschöpft und Gewinne aus solchen Straftaten abgeschöpft wer-
den. Ist festzustellen, dass der bisherige Strafrahmen der Schwere der Tat
nicht gerecht wird, muss über eine Überprüfung des Strafrahmens nachge-
dacht werden.

2. Es ist aufzuklären, wann die ersten Beimischungen von dioxinbelasteten Fetten
erfolgt sind und warum die zuständigen Behörden erst am 23. Dezember
2010 von den betroffenen Futtermittelherstellern informiert wurden.

3. Des Weiteren muss hinterfragt werden, ob die Überwachungsbehörden Infor-
mationen schnell genug weitergeleitet und alle erforderlichen Maßnahmen

unverzüglich eingeleitet haben. Die Zeitspanne zwischen der erstmaligen
Übermittlung von besorgniserregenden Untersuchungsergebnissen und der
Sperrung von landwirtschaftlichen Betrieben war erheblich zu lang.

4. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen in die Lage versetzt werden,
dioxin- oder anderweitig belastete Lebensmittel auch unterhalb der erfassten
und zulässigen Grenzwerte zu meiden. Nach dem derzeitigen Stand der wis-
senschaftlichen Erkenntnisse gelten mit Dioxin belastete Lebensmittel unter-

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halb bestimmter Grenzwerte als ungefährlich. Die Gifte reichern sich jedoch
in der Nahrungskette an und lagern sich im Fettgewebe ein. Dioxine können
vom Körper kaum abgebaut oder ausgeschieden werden. Ziel muss es sein,
die Belastung mit Dioxin so weit wie möglich zu vermindern.

5. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen daher schnell und umfassend
über dioxinverseuchte Lebensmittel informiert werden. Sie haben das Recht
zu erfahren, wer zu welchem Zeitpunkt welche belasteten Erzeugnisse ver-
kauft hat und wie diese zu erkennen sind. Die zuständigen Landesbehörden
haben unverzüglich Rückrufe einzuleiten, wenn Grenzwerte für Dioxine in
Lebensmitteln überschritten sind. Sie müssen die Verbraucherinnen und Ver-
braucher aktiv informieren und Produkt- und Herstellernamen nennen. Diese
Warnung der Öffentlichkeit sollte selbstverständlich sein und ergibt sich aus
der Anwendung des mehrmals verschärften § 40 des Lebensmittel- und Fut-
termittelgesetzbuchs (LFGB).

6. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen sich bundesweit und zeitnah über
Rückrufaktionen, Warnungen, beanstandete Produkte sowie deren Identifika-
tionskennnummern informieren können. Als zentrale Informationsplattform
ist eine Internetseite www.lebensmittelwarnung.de vom Bundesministerium
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) einzurich-
ten, auf der sich Verbraucherinnen und Verbraucher ausführlich informieren
können. Auf dieser Plattform sollte erkennbar sein, welche Behörde für die
Information verantwortlich ist. Dieser Vorschlag wurde bereits im Frühjahr
2010 als Konsequenz aus den Informationsdefiziten im Fall des mit Listerien
verseuchten Käses diskutiert.

7. Das Verbraucherinformationsgesetz (VIG) muss unverzüglich novelliert und
an die neuen Anforderungen angepasst werden. Sämtliche Untersuchungs-
ergebnisse der betrieblichen Eigenkontrollen sowie die staatlichen Unter-
suchungsergebnisse sollen in einer Datenbank veröffentlicht werden. Dies
hat unabhängig davon zu geschehen, ob Grenzwerte eingehalten oder unter-
schritten wurden.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt, wenn die Länder

1. die Verbraucherinnen und Verbraucher umfassend über Dioxinbelastungen
informieren und die Namen von Herstellern und Produkten nennen.

Lebensmittel mit Dioxinbelastungen jenseits der zulässigen Grenzwerte müs-
sen vom Markt genommen werden. Verbraucherinnen und Verbraucher
müssen Informationen darüber erhalten, wer zu welchem Zeitpunkt welche
belasteten Erzeugnisse in Verkehr gebracht hat und wie man diese erkennt;

2. bundeseinheitliche Qualitätsstandards für die Lebensmittel- und Futtermittel-
überwachung umsetzen.

Zukünftig muss sich die Arbeit aller Kontrollbehörden an diesen Standards
nachvollziehbar messen lassen. Die Kontrollsysteme sind unter der Feder-
führung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
(BVL) regelmäßig zu evaluieren;

3. die länderübergreifende Behördenkommunikation und ihr Krisenmanage-
ment überprüfen und verbessern. Insbesondere sollten die Länder gemeinsam
mit dem BVL Vorschläge erarbeiten, mit denen der horizontale und vertikale
Informationsaustausch der Kontrollbehörden auf Bundes- und Landesebene
ausgebaut wird. Dabei ist insbesondere darauf zu achten, dass die in die
Informationssysteme eingestellten Informationen von allen interessierten
Behörden zeitnah genutzt werden können, um die Rückkopplung von ander-

orts gewonnenen Erkenntnissen in die eigene Überwachungspraxis zu er-
möglichen. Die bereits bestehenden landesweiten und bundesweiten Infor-

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mationssysteme bilden dafür die organisatorisch-technische Voraussetzung
und sollten entsprechend ausgebaut werden.

Die Länder sollten Vorschläge unterstützen, mit denen die gesetzliche Pflicht
zum Informationsaustausch zwischen Behörden und zur Erstellung eines
bundesweiten Lagebildes verschärft wird;

4. Schwerpunktstaatsanwaltschaften einrichten.

Dies trägt dazu bei, Expertenwissen innerhalb der Strafverfolgungsbehörden
zu bündeln und die Ermittlungen zur Verfolgung von Verstößen gegen Straf-
vorschriften des LFGB effektiv und den Branchenstrukturen entsprechend
durchzuführen;

5. zusätzliches Personal für die Kontrolle von Futtermittel- und Lebensmittel-
unternehmen bereitstellen und staatliche Kontrollen verschärfen;

6. die Gebührenordnungen kostendeckend gestalten.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf zur Novellierung des Verbraucherinformationsgesetzes
unverzüglich vorzulegen. Die Veröffentlichung von Untersuchungsergebnis-
sen der Lebensmittel- und Futtermittelkontrollen soll unabhängig von Grenz-
wertüberschreitungen oder Beanstandungen zur Pflicht gemacht werden.
Verbraucherinnen und Verbraucher müssen in die Lage versetzt werden,
dioxin- oder anderweitig belastete Lebensmittel auch unterhalb von Grenz-
wertüberschreitungen zu meiden;

2. eine bundesweite Informationsplattform im Internet einzurichten (www.
lebensmittelwarnung.de). Auf dieser zentralen Informationsplattform müs-
sen alle relevanten Informationen zu Rückrufaktionen, Warnungen sowie
beanstandeten Produkten zusammengetragen und anschaulich dargestellt
werden;

3. Zivilcourage zu fördern und zeitnah einen Gesetzentwurf zur Regelung des
Informantenschutzes vorzulegen. Mitarbeiter und Beschäftigte, die die zu-
ständigen Behörden über Missstände bei ihren Arbeitgebern informieren,
müssen gesetzlich vor Benachteiligungen geschützt werden. Bereits in der
öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages am 4. Juni 2008 ist die Not-
wendigkeit einer gesetzlichen Regelung deutlich geworden;

4. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Untersuchungslabore und das La-
borpersonal der Unternehmen verpflichtet, alle Ergebnisse von Lebensmittel-
und Futtermitteluntersuchungen unmittelbar an die zuständigen Überwa-
chungsbehörden zu melden;

5. eine strengere Kontrolle von Futterfetten zu gewährleisten und hierfür einen
Gesetzentwurf vorzulegen, der die Hersteller verpflichtet, jede Charge bepro-
ben zu lassen. Die Futtermittelfette sind als Haupteintragsquelle der fettlösli-
chen Dioxine besonders sensibel und deshalb schärfer zu überwachen;

6. eine europäische Initiative zu ergreifen, damit die Grenzwerte für Schad-
stoffe in Futtermittelausgangsstoffen und Vorprodukten europaweit deutlich
gesenkt werden. Für die Einzelkomponenten von Futtermitteln muss derselbe
Grenzwert gelten wie im Gesamtprodukt;

7. die bisherigen Rückverfolgbarkeitssysteme weiter auszubauen. Die Rückver-
folgbarkeit von Lebensmitteln und Futtermitteln, von der Lebensmittelge-
winnung dienenden Tieren und allen sonstigen Stoffen, die dazu bestimmt
sind oder von denen erwartet werden kann, dass sie in einem Lebensmittel

oder Futtermittel verarbeitet werden, ist über alle Produktions-, Verarbei-
tungs- und Vertriebsstufen europaweit lückenlos sicherzustellen;

Drucksache 17/4426 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
8. die gesetzliche Pflicht zum Informationsaustausch zwischen den Bundes-
ländern und dem Bund zu verschärfen, um die Erstellung eines aktuellen
bundesweiten Lagebildes jederzeit zu ermöglichen;

9. eine europäische Initiative zu ergreifen, damit eine Positivliste für Futter-
mittel europaweit verbindlich eingeführt wird;

10. eine offene und vollständige Deklaration aller Futtermittelinhaltsstoffe um-
zusetzen. Damit wird dafür gesorgt, dass nur sichere Bestandteile in die Fut-
termittelkette gelangen;

11. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der eine strikte Trennung der Produktion
von technischen Fetten und Fetten für Futtermittel vorschreibt. Die gleich-
zeitige Produktion in einer Betriebsstätte muss untersagt werden. Um die
kriminelle Verwendung von technischen Fetten in der Futtermittelproduk-
tion zu erschweren, sollte zudem eine Pflicht zur Einfärbung von techni-
schen Fetten geprüft werden;

12. einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem alle Futtermittelhersteller ver-
pflichtet werden, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen.

Berlin, den 18. Januar 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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