BT-Drucksache 17/4187

Bildungszusammenarbeit von Bund und Ländern verlässlich weiterentwickeln

Vom 15. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4187
17. Wahlperiode 15. 12. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Ulla Burchardt, Dr. Hans-Peter
Bartels, Klaus Barthel, Willi Brase, Petra Crone, Petra Ernstberger, Michael
Gerdes, Iris Gleicke, Klaus Hagemann, Christel Humme, Oliver Kaczmarek,
Daniela Kolbe (Leipzig), Ute Kumpf, Gabriele Lösekrug-Möller, Caren Marks,
Katja Mast, Franz Müntefering, Aydan Özog˘uz, Thomas Oppermann, Florian
Pronold, Sönke Rix, René Röspel, Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Marianne
Schieder (Schwandorf), Silvia Schmidt (Eisleben), Swen Schulz (Spandau),
Stefan Schwartze, Andrea Wicklein, Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Bildungszusammenarbeit von Bund und Ländern verlässlich weiterentwickeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine erfolgreiche Bildungspolitik ist nur auf der Grundlage einer konstruktiven
Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen möglich. Unbeschadet der
föderalen Verteilung der Zuständigkeiten kann es insbesondere in Zeiten an-
gespannter Finanzlagen nur gemeinsam gelingen, den Ausgleich zwischen
wachsenden bildungspolitischen Herausforderungen einerseits und den Konso-
lidierungserfordernissen der öffentlichen Haushalte andererseits sicherzustellen.
Der Deutsche Bundestag begrüßt und unterstützt daher das erklärte gemeinsame
Ziel von Bund und Ländern, trotz der unabweisbar notwendigen Anstrengungen
zur Haushaltskonsolidierung der Bildungspolitik Priorität einzuräumen und die
gemeinsamen Anstrengungen für Bildung auszubauen. Die gemeinsam ver-
folgte Qualifizierungsinitiative belegt dies ebenso wie das auf dem ersten
Bildungsgipfel in Dresden 2008 erklärte Ziel, die Bildungsausgaben bis spätes-
tens 2015 auf 7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zu steigern.

Mit Sorge nimmt der Deutsche Bundestag zur Kenntnis, dass drei Bildungs-
gipfel ohne greifbares Ergebnis für die Bildungs- und Hochschullandschaft ge-
blieben sind und es bisher nicht gelungen ist, zu einer einvernehmlichen Finan-
zierungsregelung zu kommen. Angesichts der angespannten öffentlichen Etats
und abnehmender finanzieller Gestaltungsspielräume – vor allem der Länder
und Kommunen – bedarf es daher dringend einer nachhaltigen Verbesserung
der Bildungsfinanzierung. Die folgenden drei Punkte wären ein erster Schritt in
die richtige Richtung:

Bildungsfinanzierung nachhaltig stärken

Die wesentlichen Bildungsleistungen werden in und durch die Länder und
Kommunen erbracht. Ohne handlungsfähige Länder und Kommunen können
daher Qualität und Leistungsfähigkeit des Bildungswesens weder gesichert noch
gestärkt werden. Eine Voraussetzung dafür ist die Verwirklichung des 7-Pro-

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zentziels von Dresden, um einen nachhaltigen Wachstumspfad für die Bildungs-
finanzierung sicherzustellen. Daher müssen Bund und Länder gemeinsam ab
2015 mindestens 20 Mrd. Euro zusätzlich im Jahr für Bildung aufbringen. Die
angekündigten oder drohenden Sparbeschlüsse im Bildungsbereich in den Län-
dern sind nur dann abzuwenden, wenn der Bund den Ländern ein glaubwürdiges
und der Aufgabe angemessenes Angebot vorlegt. Dieses muss zugleich den
Ländern einen entsprechenden Aufwuchs ihrer Finanzierungsmittel für Bildung
ermöglichen als auch den notwendigen direkten Beitrag des Bundes von min-
destens 10 Mrd. Euro im Jahr zum Finanzierungsziel ab 2015 sicherstellen.

Einstieg in den Ausbau der Bildungsinfrastrukturen verwirklichen

Eine nachhaltige Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Bildungssystems
gelingt nur über den Ausbau und die Qualitätssicherung der Bildungsinfra-
strukturen. Die Bürgerinnen und Bürger wollen keine kleinteiligen Sonder-
programme, sondern mehr und bessere Kitas, bessere Schulen und leistungs-
fähige Hochschulen mit besseren Betreuungsrelationen und mit verlässlichen
Zeit- und Qualitätsrahmen. Leistungsfähige Bildungsinfrastrukturen leisten
zudem einen unverzichtbaren Beitrag für die Gewährleistung der Bildungs-
teilhabe. Sie sind ein wichtiger Teil des bestehenden Bildungsangebots und
haben somit einen direkten Einfluss auf die Chancen der Kinder und Jugend-
lichen vor Ort. Auch der Anspruch der Inklusion im Schulbereich – das ge-
meinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung von Anfang an – er-
fordert verstärkte Investitionen in die Bildungsinfrastruktur. Die Regelschulen
brauchen einen verlässlichen Aufbau von Ressourcen für den wachsenden Be-
darf an förderpädagogischer Kompetenz.

Der Ausbau der Bildungsinfrastrukturen kann ohne einen substanziellen Bei-
trag des Bundes nicht realisiert werden. Es ist daher notwendig, dass Bund,
Länder und Kommunen in einem nationalen Bildungspakt den Einstieg in den
gemeinsamen, nachhaltigen und stufenweisen Ausbau der Bildungsinfrastruk-
turen in allen Bildungsbereichen vereinbaren. Eine Schlüsselstelle darin muss
der weitere Ausbau des Ganztagsschulangebots einnehmen, weil es den not-
wendigen Raum für mehr individuelle Förderung, zusätzliche kreativitäts-
fördernde Lernangebote und die bessere Vereinbarkeit von Ausbildung und
Familie gewährleistet. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Grund-
sicherung einer Bildungsteilhabe für bedürftige Kinder und Jugendliche kann
dadurch berücksichtigt werden, dass ein bedarfsgerechter, flächendeckender
Ausbau der Schulsozialarbeit in den nationalen Bildungspakt aufgenommen
wird. Sie leistet einen Beitrag dazu, dem erhöhten Betreuungs- und Beratungs-
bedarf an der Schnittstelle von bedürftigen Kindern, deren Eltern, der Schule
sowie der Agentur für Arbeit und relevanten Bildungsanbietern gerecht werden
zu können.

Koordinierung der Bildungspolitik weiterentwickeln

Eine erfolgreiche konstruktive Bildungszusammenarbeit von Bund und Ländern
setzt Vertrauen, Erwartungssicherheit und Planungssicherheit voraus. Dies gilt
umso mehr, als dass das Grundgesetz zwar Bildungszuständigkeiten klar zwi-
schen Bund und Ländern ordnet, aber weiterhin auch bildungsrelevante Gemein-
schaftsaufgaben definiert und die in der Praxis zunehmend entscheidenden
Frage, wie die Schnittstellen zwischen den Bildungsphasen trotz unterschied-
licher Zuständigkeiten reibungsfrei zu gestalten sind, offen lässt. Eine durch-
setzungsstarke Plattform für eine gemeinsame bildungspolitische Steuerung
oder Koordinierung ist verfassungsrechtlich nicht vorgesehen. Allein die Über-
sicht über bildungsrelevante Entscheidungen in den Ländern und Kommunen zu
erhalten und auch nachzuhalten, gestaltet sich in der Praxis bereits als kaum leist-
bar. Nicht anders ist es bei den Berichten über Sachstände und Fortschritte bei be-
stehenden Bund-/Länderinitiativen oder bildungspolitischen Zielvereinbarun-

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gen. Fast umgekehrt proportional zu ihrer hohen bildungspolitischen Bedeutung
bleibt ihre Rezeption in der Regel engen Experten- und Fachpolitikerkreisen vor-
behalten und trägt somit wenig zur parlamentarischen wie öffentlichen Mei-
nungsbildung bei.

Deutschland braucht daher ein Koordinierungsinstrument, welches ermöglicht,
dass die Erreichung europäischer wie nationaler Bildungsziele besser über-
prüfbar ist, relevante Entwicklungen schneller erfassbar werden und erfolg-
reiche Lösungsansätze in den Ländern zügiger erkannt und übertragen werden
können. Das Ziel ist dabei nicht die direkte Steuerung von Bildungsmaßnah-
men, sondern muss die Etablierung und Unterstützung einer gemeinsamen Ziel-
orientierung von Bund, Ländern und Kommunen sein. Hierzu bietet sich die
entsprechende Weiterentwicklung der nationalen Bildungsberichterstattung an.
Insbesondere der im Zweijahresrhythmus vorgelegte nationale Bildungsbericht
kann als Hilfsinstrument einen Beitrag leisten. Dazu ist es aber notwendig, den
Bildungsbericht erstens um eine Darstellung wesentlicher europäischer wie na-
tionaler Zielvereinbarungen einschließlich ihres Erfüllungsgrades, möglichst
länderspezifisch, zu ergänzen. Zweitens sollte der Auftrag an die Experten der
Autorengruppe erweitert werden, damit sie explizit Bewertungen von Maßnah-
men und handlungsleitende Empfehlungen aussprechen können.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung und die Länder auf,

1. gemeinsam an der Stärkung des Bildungswesens weiterzuarbeiten;

2. an dem Ziel, bis 2015 mindestens 7 Prozent des BIP in Bildung zu inves-
tieren, festzuhalten und gemeinsam ab 2015 mindestens jährlich 20 Mrd.
Euro für Bildung zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Die Verhandlungen
zur Umsetzung sind unverzüglich wieder aufzunehmen;

3. in einem nationalen Bildungspakt den nachhaltigen Ausbau der Bildungs-
infrastrukturen zu vereinbaren und auf den Weg zu bringen;

4. den nationalen Bildungsbericht weiterzuentwickeln zu einem Hilfsinstru-
ment für eine offene Koordinierung von Bund und Ländern, indem der
nationale Bildungsbericht eine Auswahl bestehender wesentlicher Ziel-
vereinbarungen zusammenhängend aufnimmt und Empfehlungen und Be-
wertungen zulässt. Dazu ist eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Bund und
Ländern einzusetzen, die die Auswahl möglicher Zielvereinbarungen vor-
bereitet und Vorschläge zur entsprechenden konkreten Ausgestaltung der
Weiterentwicklung des Berichts macht.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. bei den Verhandlungen zur Umsetzung des 7-Prozentziels die prekäre Fi-
nanzsituation der Länder und Kommunen zu berücksichtigen, indem der
Bund ab 2015 mindestens 10 Mrd. Euro jährlich zusätzlich für Bildung zur
Verfügung stellt;

2. ein Konzept für einen nationalen Bildungspakt vorzulegen, der folgende
Eckpunkte enthält:

– gegenseitige Verpflichtung, bei den notwendigen Maßnahmen zur Haus-
haltskonsolidierung die Aufwendungen für Bildung und Forschung nicht
zu kürzen, sondern wie vereinbart zu steigern;

– verbindliche Vereinbarungen für die notwendige langfristige Absiche-
rung der zusätzlichen Bildungsmittel von Bund und Ländern;

– verbindliche Vereinbarungen für den weiteren Ausbau und einheitliche
Qualitätsstandards in der frühkindlichen Bildung;

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– verbindliche Vereinbarungen für eine Fachkräfteoffensive bei Erzieherin-
nen und Erziehern;

– verbindliche Vereinbarungen für den flächendeckenden Ausbau der
Ganztagsschulangebote;

– verbindliche Vereinbarungen für eine bessere Personal- und Sachaus-
stattung von Kindertageseinrichtungen, der Kindertagespflege und Schu-
len;

– verbindliche Vereinbarungen für eine schrittweise Gebührenfreiheit von
Anfang an; verbindliche Vereinbarungen zur hinreichenden Sicherung
der Bildungsteilhabe, etwa über Lernmittelfreiheit, einen kostenlosen
Förderunterricht an den Schulen sowie für eine flächendeckende Schul-
sozialarbeit;

– verbindliche Vereinbarungen zur Schaffung flächendeckender Inklusiver
Bildung in Regelschulen, zum Aufbau der dafür nötigen Ressourcen und
zur Nutzung der förderpädagogischen Kompetenz der Förderschulen im
Regelschulsystem;

– verbindliche Vereinbarungen für eine angemessene Ausstattung des
Lehrpaktes sowie für eine Bologna-Umsetzung, die auch Zeitfenster für
die gesellschaftliche Verantwortung sowie eigenverantwortliches Lernen
und Erfahren stärkende Studieninhalte vorsieht;

– Ausweitung des Finanzvolumens des bestehenden Hochschulpaktes für
den Effekt der Aussetzung der Wehrpflicht bzw. des Zivildienstes auf-
grund des dadurch entstehenden zusätzlichen Bedarfs an Studienplätzen;

3. unverzüglich mit den Ländern Verhandlungen mit dem Ziel aufzunehmen,
zügig zu Vereinbarungen zu einem nationalen Bildungspakt sowie zur
Weiterentwicklung des nationalen Bildungsberichts zu einem offenen Ko-
ordinierungsinstrument zu gelangen. Die Verhandlungen mit den Ländern
für eine bessere, offene Koordinierung der Bund-/Länder-Bildungszusam-
menarbeit sind dadurch zu befördern, dass die Bundesregierung ein Konzept
für die Weiterentwicklung des nationalen Bildungsberichts vorlegt, das fol-
gende Eckpunkte berücksichtigt:

– Die ausgewählten Zielvereinbarungen müssen klar bestimmt, terminiert
und quantifiziert sein.

– Die gesamte Bildungskette von der frühkindlichen Bildung bis zur Wei-
terbildung ist einzubeziehen.

– Die wesentlichen Faktoren für erfolgreiche Bildungsbiographien sind ein-
zubeziehen (Bildungsniveau, Abschlüsse, Bildungsbeteiligung, soziale
Herkunft, Übergangsquoten in Ausbildung bzw. Arbeitsmarkt usw.).

– Die finanziellen Rahmenbedingungen sind ebenfalls zusammenhängend
und ländervergleichend darzustellen (Bildungsaufwendungen, Anteil
Bildungsausgaben an BIP sowie an öffentlichen Ausgaben, Pro-Kopf-
Aufwendungen in den Bildungsbereichen usw.).

– Bei der Auswahl der Zielvereinbarungen sind aktuell sowohl die auf
europäischer Ebene vereinbarten fünf Kernziele (Benchmarks) des
„Strategischen Rahmens für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der all-
gemeinen und beruflichen Bildung 2020“ als auch die in der „Qualifizie-
rungsinitiative für Deutschland“ von Bund und Ländern vereinbarten
Ziele angemessen zu berücksichtigen.

– Zu diesen Zielen sind die jeweiligen nationalen und – sofern vorhanden –
länderspezifischen Erreichungsgrade auszuweisen.

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– Die Sachstände und Zielvereinbarungen zu den bestehenden Bund-/
Länderinitiativen, wie u. a. Hochschulpakt 2020, Exzellenzinitiative für
die Hochschulen sowie das Professorinnenprogramm sind aufzunehmen.

– Die Autorengruppe ist zusätzlich zu beauftragen, zu diesen Zielverein-
barungen sowie weiteren, von ihr als relevant erachteten Kennzahlen des
Bildungsberichts sowie bildungspolitischen Maßnahmen von Bund, Län-
dern und Kommunen Bewertungen und Handlungsempfehlungen zu ent-
wickeln und als Teil des Bildungsberichts vorzulegen;

4. dem Deutschen Bundestag bis zum 1. Juli 2011 die Konzepte sowohl zum
nationalen Bildungspakt wie auch zur Weiterentwicklung des nationalen
Bildungsberichts vorzulegen.

Berlin, den 14. Dezember 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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