BT-Drucksache 17/4015

Umsetzung der EU-Health-Claims-Verordnung voranbringen

Vom 1. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4015
17. Wahlperiode 1. 12. 2010

Antrag
der Abgeordneten Ulrike Höfken, Birgitt Bender, Cornelia Behm, Bärbel Höhn,
Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel,
Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Ingrid Nestle, Dr. Hermann Ott, Dorothea Steiner,
Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Umsetzung der EU-Health-Claims-Verordnung voranbringen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Zum 1. Juli 2007 trat die so genannte Health-Claims-Verordnung (EG) 1924/
2006 in Kraft. Mit dieser Verordnung soll sichergestellt werden, dass künftig
Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel nur dann mit gesundheitsbezoge-
nen Angaben beworben werden, wenn diese wissenschaftlich belegt sind. Un-
seriöse Angaben, die die Verbraucherinnen und Verbraucher täuschen, anstatt zu
informieren, sollen damit ausgeschlossen werden.

Um zu verhindern, dass Lebensmittel mit gesundheitsbezogenen Claims bewor-
ben werden, die aber in ihrer Gesamtzusammensetzung einer ausgewogenen
Ernährung nicht förderlich sind, war die Kommission verpflichtet, Nährwertpro-
file für einzelne Lebensmittelgruppen festzulegen. So sollte beispielsweise der
Gehalt an Fett, Zucker und Salz festgelegt werden, bis zu dem überhaupt noch
von einem gesundheitsförderlichen Lebensmittel gesprochen werden kann. Die
Nährwertprofile hätten bis Januar 2009 erstellt werden müssen, liegen jedoch bis
heute nicht vor. Der Verzug unterläuft damit den gesamten Schutz der Health-
Claims-Verordnung, weil bis zur Festlegung der Profile Lebensmittel mit nähr-
wert- und gesundheitsbezogenen Angaben gemäß Artikel 28 der Verordnung
einfach weiterhin in Verkehr gebracht werden dürfen.

Am 17. März 2009 hat die EU-Kommission ein erstes Arbeitspapier zur Fest-
legung der Nährwertprofile vorgelegt. Dieses traf auf massive Kritik aus Ver-
braucherverbänden, weil die darin festgelegten Profile weder wissenschaftlich
begründet, noch in ihrer Festlegung geeignet sind, nur gesundheitsfördernde
Lebensmittel für gesundheitsbezogene Angaben zu qualifizieren. Laut einer bri-
tischen Studie kämen demnach 93 Prozent des britischen Warenkorbes für ge-
sundheitsbezogene Werbung in Frage. Einer solch inflationären Verwendung
von Health Claims traten Verbraucherschützer und Ernährungswissenschaftler

im Rahmen einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Landwirtschaft,
Ernährung und Verbraucherschutz am 6. Oktober 2010 entschieden entgegen.
Die Experten forderten stattdessen eine rasche, wissenschaftlich fundierte und
verbraucherfreundliche Umsetzung. So plädierte beispielsweise das Bundesamt
für Risikobewertung (BfR) für strenge Grenzwerte für Fett, Salz und Zucker auf
der Basis der Ernährungsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernäh-
rung. Für landwirtschaftliche Primärprodukte und Süßwaren sollten laut BfR

Drucksache 17/4015 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

keine Nährwertprofile erstellt werden. Eine Vertreterin des dänischen Verbrau-
cherrates sprach sich ebenfalls für strenge und breiter angelegte Nährwertprofile
aus, unter Einbeziehung von Ballaststoffen, Transfettsäuren und zugesetztem
Zucker. Erfahrungen in Dänemark hätten gezeigt, dass diese für die Innovation
in der Lebensmittelbranche förderlich seien. Profile, nach denen fast alle auf
dem Markt befindlichen Produkte mit gesundheitsbezogenen Angaben bewor-
ben werden dürfen, sind nach Ansicht des dänischen Verbraucherrates auch den
Unternehmen im Wettbewerb eher hinderlich als dienlich. Der Vertreter der
Deutschen Gesellschaft für Ernährung wies darauf hin, dass Gehalte zum Bei-
spiel an Salz im Wesentlichen durch Erfahrung geprägt seien und sich bei
schrittweiser Herabsetzung des Gehalts die Sensorik der Verbraucherinnen und
Verbraucher anpassen würde. Nährwertprofile mit moderaten Salzgehalten
wären damit ein Beitrag zum wichtigen europäischen Gesundheitsziel Reduzie-
rung der Salzaufnahme.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher für eine zügige Umset-
zung der Nährwertprofile einzusetzen, die sich an ernährungswissenschaft-
lichen Kriterien orientiert und nur diejenigen Lebensmittel für eine gesund-
heitsbezogene Werbung qualifiziert, die in ihrer Gesamtzusammensetzung
einer gesunden Ernährung förderlich sind. Der Ansatz der Nährwertprofile
muss wissenschafts- nicht wirtschaftsbasiert sein;

2. dafür einzutreten, dass die Kategorie der Süßwaren von der Erstellung von
Nährwertprofilen ausgenommen bleibt, da diese aufgrund ihrer Zusammen-
setzung per se für Gesundheitswerbung ungeeignet sind. Für landwirtschaft-
liche Primärprodukte soll ebenfalls auf die Erstellung von Nährwertprofilen
verzichtet werden, da diese allgemein bekannt sind bzw. geringen Schwan-
kungen bezüglich der Inhaltsstoffe unterworfen sind. Zudem ist deren Zu-
sammensetzung vom Hersteller kaum beeinflussbar. Anders als Süßwaren
sollen landwirtschaftliche Primärprodukte jedoch nicht von einer möglichen
Qualifizierung für Health Claims ausgeschlossen werden;

3. sich gegen geplante Ausnahmen von den Nährwertprofilen, z. B. für so ge-
nannte traditionelle Lebensmittel einzusetzen. Die Voraussetzungen für die
Qualifizierung für gesundheitsbezogene Angaben müssen nach Lebensmit-
telgruppen (Milchprodukte, Backwaren, nichtalkoholische Getränke etc.)
getroffen werden, die dem Stellenwert des Lebensmittels in der Gesamter-
nährung Rechnung tragen und nicht anhand von Herstellungsweisen;

4. sich gegen die tranchenweise Freigabe der Health Claims einzusetzen, da
damit die Umsetzung durch die Lebensmittelkontrolle vor Ort nicht gewähr-
leistet werden kann;

5. sich für eine Reform der European Food Safety Authority (EFSA) einzuset-
zen, die der Forderung nach mehr Transparenz und Unabhängigkeit Rech-
nung trägt;

6. zu prüfen, inwiefern die bestehenden rechtlichen Regelungen zum Zusatz
von arzneilichen Wirkstoffen zu Lebensmitteln ausreichen, um die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher vor Täuschung und Gesundheitsgefährdung zu
schützen. Angesichts der zunehmenden Tendenz der Wirtschaft, Lebensmit-
tel auf den Markt zu bringen, die mit bestimmten arzneilichen Wirkstoffen
angereichert wurden, muss die Zulassung als Zusatzstoff für Lebensmittel,
neuartiges Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel und die Inverkehr-
bringung so geregelt werden, dass eine Gefährdung der Konsumenten und
Bevölkerung auch bei erwartbarem irrationalen Verzehrsverhalten ausge-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4015

schlossen werden kann und keine Anreize zur Entwicklung eines Pharma-
Lebensmittelmarktes entstehen.

Berlin, 30. November 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Mit gesundheitsbezogenen Werbeaussagen versuchen sich Lebensmittelherstel-
ler auf dem Markt zu behaupten und Kundenanteile zu erobern. Oftmals halten
die Aussagen der Überprüfung nicht stand. Von 44 000 Anträgen, die seit 2007
bei der EFSA zur Verwendung von Health Claims gestellt wurden, wurden nur
4 600 Claims zur weiteren Prüfung ausgewählt. Alle anderen stellten sich als
pure Verbrauchertäuschung heraus. So lange die Nährwertprofile nicht festge-
legt sind, können diese täuschenden Angaben jedoch weiterhin verwendet wer-
den.

Eine Freigabe von Health Claims in Tranchen würde zu einer gänzlich unüber-
sichtlichen Lage auf dem Markt führen, von der Hersteller, Kontrolleure und die
Verbraucherinnen gleichermaßen negativ betroffen wären. Das Nebeneinander
von erlaubten und nicht erlaubten, aber geduldeten Claims schafft keine Wahr-
heit und Klarheit. Die Verwirrung und Verbrauchertäuschung würde sich durch
einen amtlichem Stempel verschlimmern. Die rechtmäßige Verwendung der
Claims wäre durch die Lebensmittelkontrolle über Gebühr aufwändig und kost-
spielig und wegen des bestehenden Personalmangels nicht mehr vollziehbar.

Im Zuge der Health-Claims-Verordnung hat auch die Debatte um die so genannte
medical nutrition an Brisanz gewonnen. Führende Lebensmittelhersteller haben
millionenschwere Investments in den Bereich der Pharma-Lebensmittel ange-
kündigt. Verbraucherinnen und Verbraucher fürchten, dass Lebensmittel mit zu-
gesetzen Wirkstoffen auf den Markt kommen, deren Unbedenklichkeit für be-
stimmte Gruppen (Schwangere/Stillende, Kinder, ältere Menschen) nicht geprüft
wurde und damit das Risiko einer Gesundheitsgefährdung durch den Verzehr ge-
geben ist. Abzuwenden sind auch Gefährdungen durch eine unkontrollierte und
ungewollte „Medikation“ bis hin zur Überdosierung ganzer Bevölkerungsgrup-
pen, durch Fehlverzehr. Eine Studie des Bundesinstitut für Risikobewertung und
der Verbraucherzentralen zu Pflanzensterinzusätzen in Lebensmitteln kommt zu
alarmierenden Ergebnissen. Fast jeder zweite Konsument dieser Produkte gehört
nicht der Zielgruppe mit überhöhten Cholesteringehalten an. Der Verzehr wird
mit dem Arzt nicht abgestimmt. Erschreckenderweise gehören auch minderjäh-
rige Kinder zu den Verzehrern. Die Inverkehrbringung solcher Lebensmittel
muss durch eine entsprechende rechtliche Rahmensetzung so geregelt sein, dass
eine Verbrauchergefährdung ausgeschlossen werden kann, beispielsweise durch
eine umfassende Risikobewertung unter Einbeziehung von Verzehrsmengen
und -gewohnheiten, Zulassungsverfahren, Höchstmengenfestlegung für die Zu-
setzung, tägliche Verzehrsempfehlungen und/oder Warnhinweise für den Ver-
zehr durch bestimmte Bevölkerungsgruppen bzw. Maßnahmen für die Sicher-
stellung einer zielgruppengenauen Anwendung.

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