BT-Drucksache 17/3868

Biobanken als Instrument von Wissenschaft und Forschung ausbauen, Biobanken-Gesetz prüfen und Missbrauch genetischer Daten und Proben wirksam verhindern

Vom 23. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3868
17. Wahlperiode 23. 11. 2010

Antrag
der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels,
Klaus Barthel, Willi Brase, Ulla Burchardt, Petra Ernstberger, Michael Gerdes,
Iris Gleicke, Klaus Hagemann, Oliver Kaczmarek, Daniela Kolbe (Leipzig),
Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Florian Pronold, Marianne Schieder
(Schwandorf), Swen Schulz (Spandau), Andrea Wicklein, Dagmar Ziegler,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Biobanken als Instrument von Wissenschaft und Forschung ausbauen,
Biobanken-Gesetz prüfen und Missbrauch genetischer Daten und Proben
wirksam verhindern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In so genannten Biobanken werden Gewebeproben, medizinische sowie weitere
Daten für die medizinische und insbesondere für die genetische Forschung ge-
speichert. Bereits seit rund zehn Jahren wird in Wissenschaft und Forschung ver-
stärkt über die Potentiale, aber auch über die Risiken einer Zunahme der Samm-
lung von genetischen Proben und Daten diskutiert. Langfristig wird eine
Forschung, die auf in Biobanken gesammelten Ressourcen und Daten aufbaut,
nur dann gesellschaftlich akzeptiert werden, wenn sichergestellt ist, dass ein
Missbrauch von Proben oder Daten wirksam ausgeschlossen ist. Die Sicherung
eines umfassenden Datenschutzes ist daher eine zentrale Voraussetzung für den
Umgang mit Biobanken und die auf Biobanken zugreifende, genetische For-
schung. Öffentliche vorhandene Kritik an der im Jahr 2012 startenden, so ge-
nannten Helmholtz-Kohorte zeigt, welche Schäden für Wissenschaft und For-
schung entstehen können, wenn die Nutzung von Biobanken als nicht
hinreichend gesetzlich geregelt kritisiert werden kann.

Im internationalen Vergleich erfüllen Biobanken in der Bundesrepublik
Deutschland bereits heute überdurchschnittlich hohe Datenschutzstandards, und
bei den beteiligten Forscherinnen und Forschern ist das Bewusstsein für die
Sensibilität der Daten und Proben, mit denen sie arbeiten, stark ausgeprägt.
Dennoch werden von einigen Beobachterinnen und Beobachtern Defizite
konstatiert, die sich teilweise auf die unterschiedlichen Organisationsformen,
die Verwaltung der Daten- und Probenbestände sowie der Abläufe zurückzu-

führen lassen.

Bereits im Oktober 2001 hat sich die 62. Konferenz der Datenschutzbeauf-
tragten des Bundes und der Länder für eine gesetzliche Regelung zum Umgang
mit Proben und zur Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von genetischen Daten
– insbesondere – zu Forschungszwecken ausgesprochen. In seiner Stellung-
nahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Gesundheit am 21. Ja-
nuar 2009 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz über gene-

Drucksache 17/3868 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

tische Untersuchungen bei Menschen hatte der Bundesbeauftragte für den
Datenschutz und die Informationsfreiheit die Notwendigkeit einer gesetzlichen
Regelung für den Umgang mit genetischen Proben und Daten zu Forschungs-
zwecken gefordert.

Besonders betonte der Bundesdatenschutzbeauftragte den Bedarf einer gesetz-
licher Regelung „für bereits vorhandene Gendatenbanken, für Pseudonymisie-
rungsverfahren in diesen Datenbanken und für die Rechte der Betroffenen“. Der
Nationale Ethikrat hat sich in einer Stellungnahme im März 2004 in seiner Stel-
lungnahme „Biobanken für die Forschung“ unter anderem für eine gesetzliche
Festschreibung eines Forschungsgeheimnisses für den Umgang mit Biobanken
ausgesprochen.

Die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ des Deut-
schen Bundestages hat sich im September 2005 in ihrem Sachstandsbericht
(Bundestagsdrucksache 15/5980, S. 60 f.) dafür ausgesprochen, eine spezial-
gesetzliche Regelung zum Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestim-
mung und der Persönlichkeitsrechte von Patienten und Probanden bei Erhebung
und Nutzung der bei ihnen zu Forschungszwecken erhobenen Proben und Daten,
zu prüfen. Weiter führte die Enquete-Kommission aus: „Dabei ist auch zu dis-
kutieren, ob als Voraussetzung für den Aufbau von Gewebe- bzw. Biobanken ein
allgemeines Forschungsgeheimnis gesetzlich verankert werden sollte, welches
sicherstellt, dass die Proben und Daten nur im Rahmen der Einwilligung zu For-
schungszwecken verwendet werden dürfen und keinen anderen Zugriff ermög-
lichen.“

Im Dezember 2006 veröffentlichte das Büro für Technikfolgenabschätzung
(TAB) beim Deutschen Bundestag einen ausführlichen und äußerst fundierten
Bericht zum Thema „Biobanken für die humanmedizinische Forschung und An-
wendung“. Das TAB sprach sich ebenfalls dafür aus, dass der Gesetzgeber einen
adäquaten Mittelweg finden müsse, „um sowohl Überregulierung als auch
‚Wildwuchs‘ bei der weiteren Entwicklung zu vermeiden“.

Ungeachtet der genannten Stellungnahmen ist festzuhalten, dass die seit Jahren
von Expertengremien konstatierte Missbrauchsgefahr bisher nur in Einzelfällen
eingetreten ist. Hinzu kommt, dass in diesen Fällen nicht selten bereits Regelun-
gen bestehen. So wurde etwa Anfang 2010 darüber berichtet, dass das Univer-
sitätsklinikum in Hamburg-Eppendorf Gewebeproben von Krebspatienten wei-
terverkauft hatte. Dieses Handeln wurde unter Verweis auf § 12a des Hambur-
gischen Krankenhausgesetzes (Sammlungen von Proben und Daten/„Bioban-
ken-Paragraph“) legitimiert. Insofern ist dieses Beispiel nicht wirklich tauglich
für den Nachweis von Missbrauch und den hieraus folgenden Bedarf einer bun-
desgesetzlichen Regelung. Gleichzeitig kann das Beispiel aus Hamburg als
Nachweis dafür dienen, dass auch rechtlich zulässiges Handeln beim Umgang
mit genetischen Daten und Proben zu negativen öffentlichen Reaktionen führen
kann, sofern die Handlungen der Beteiligten als nicht hinreichend transparent
und rechtlich legitimiert erscheinen. Dass sich dies langfristig negativ auf die
Nutzung von Biobanken in Wissenschaft und Forschung auswirken kann, steht
außer Frage.

Auf europäischer Ebene wird im Rahmen des 7. Forschungsrahmenprogramms
die „Biobanking and Biomolecular Resources Research Infrastructure (BBMRI)“
gefördert. Über 200 Organisationen aus den Mitgliedstaaten der Europäischen
Union arbeiten in diesem Projekt mit. Ziel dieses Vorhabens ist der Aufbau einer
pan-europäischen Forschungsinfrastruktur für die biomedizinische und biologi-
sche Forschung insbesondere mittels Biobanken.

Der Rat der OECD hat 2009 seine „Recommendation on Human Biobanks and
Genetic Research Databases (HBGRD)“ verabschiedet. Diese Empfehlungen

enthalten unter anderem Vorgaben für die Etablierung, die Verwaltung, die Nut-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3868

zung und die Auflösung von Biobanken. Ziel der Regelungen ist die Ermög-
lichung eines umfassenden Zugriffs der Forschung auf die biomedizinischen
und biologischen Ressourcen in Biobanken. Gleichzeitig betont die OECD die
Bedeutung des Spenderschutzes, der Menschenwürde sowie der Menschen-
rechte im Umgang den genetischen Ressourcen.

Auch die „Universal Declaration on Bioethics and Human Rights“ der
UNESCO befasst sich in einigen Artikeln der Deklaration mit für den Umgang
mit Biobanken relevanten Aspekten (Zustimmungsregelungen, „sharing of be-
nefits“, Aspekte transnationaler Forschung sowie der internationalen (For-
schungs-)Kooperation). Weitere Einrichtungen und Organisationen wie etwa die
Weltgesundheitsorganisation (WHO), die European Group on Ethics in Science
and New Technologies (EGE) und die European Society of Human Genetics
(ESHG) haben sich in den vergangenen Jahren zum Thema Biobanken bezie-
hungsweise zu Teilaspekten des Umgangs mit genetischen Proben und Daten
geäußert.

Im April 2009 hat die Fraktion der SPD anlässlich der Schlussberatung des Ent-
wurfs der Bundesregierung für ein Gesetz über genetische Untersuchungen bei
Menschen im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung die Bundesregierung aufgefordert, ein nationales Biobanken-Gesetz auf
den Weg zu bringen. Im Rahmen der Prüfung einer entsprechenden gesetzlichen
Regelung sollten neben einer Definition und Abgrenzung von Biobanken insbe-
sondere datenschutzrechtliche Vorgaben sowie die Einbindung von Ethikkom-
missionen und Verfahrensregelungen für die Nutzung von Proben zu For-
schungszwecken geprüft werden. Dies ist bisher noch nicht erfolgt. Gleichzeitig
wurde die erhebliche wissenschaftliche Bedeutung und das Forschungspotential
im Bereich Biobanken durch die Fraktion der SPD hervorgehoben. Ziel der
Regelungen sollte daher sein, einen tragfähigen Ausgleich zwischen der Aus-
schöpfung des wissenschaftlichen Potentials und den notwendigen rechtlichen
Klarstellungen herbeizuführen.

Angesichts der Komplexität, der Vielschichtigkeit, der Dynamik des For-
schungsfeldes und des wissenschaftlichen Potentials von Biobanken müssen ge-
setzgeberische Maßnahmen behutsam geprüft werden. Eine überhastete Regu-
lierung von Biobanken über die bereits bestehenden Sicherungsmaßnahmen
hinaus könnte dazu führen, dass es zu nachteiligen Auswirkungen für den For-
schungsstandort Deutschland kommt. Daher plädiert die Fraktion der SPD für
eine behutsame und ergebnisoffene Debatte über ein Gesetz zur Regelung von
Biobanken.

Auch Vertreterinnen und Vertreter der Fraktion der CDU/CSU hatten in der
Schlussberatung des Gendiagnostikgesetzes auf den Regelungsbedarf im Be-
reich der Forschung an und mit genetischen Daten und Proben hingewiesen. So
äußerte etwa die Abgeordnete Annette Widmann-Mauz in ihrem Debattenbei-
trag vom 24. April 2009, dass man sich mit der rasanten Entwicklung bei den
Biobanken eingehender beschäftigen müsse und hier in der nächsten Legislatur-
periode (also in der nunmehr laufenden 17. Wahlperiode) Handlungsbedarf
bestünde.

In seiner Stellungnahme vom Juni 2010 hat der Deutsche Ethikrat erneut und
nachdrücklich auf den Regelungsbedarf im Bereich Biobanken hingewiesen. In
seiner Stellungnahme skizzierte der Deutsche Ethikrat insbesondere die Zu-
nahme der Zahl von Biobanken und machte zahlreiche Regelungs- und Syste-
matisierungsvorschläge. Dennoch ließ auch der Deutsche Ethikrat einige Fragen
offen, die sich durch die Vielschichtigkeit und Komplexität der Materie bei einer
gesetzlichen Regelung ergeben. Diese offenen Fragen – etwa die Abgrenzung
von größeren Forschungs-Biobanken und kleineren Sammlungen zum Beispiel

im Rahmen von Verfahren zur Erlangung eines akademischen Grades – müssen
in einem ausführlichen Gesetzgebungsverfahren einer Klärung zugeführt wer-

Drucksache 17/3868 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

den. Gleiches gilt für die vom Deutschen Ethikrat aufgeworfene Frage, inwie-
weit der Zugriff auf genetische Daten und Proben durch Strafermittlungsbehör-
den verboten werden sollte und welche Ausnahmetatbestände hier denkbar und
notwendig sein könnten.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung dazu auf,

– einen Entwurf für ein Biobanken-Gesetz vorzulegen, welches die notwen-
digen rechtlichen Rahmenbedingungen für den nationalen Umgang mit Bio-
banken regelt, ohne die wissenschaftliche Nutzung von Biobanken und den
Erkenntnisfortschritt für Wissenschaft und Patienten zu behindern;

– alternativ zu prüfen, ob anstatt einer spezialgesetzlichen Regelung zu Bio-
banken auch eine Ergänzung bereits bestehender Regelungen wie insbeson-
dere des Gendiagnostik-Gesetzes zu offenen Fragen des wissenschaftlichen
Umgangs und der Forschung mit genetischen Daten und Proben sinnvoll und
notwendig sein könnte;

– zu prüfen, zu welchem Zeitpunkt ein nationales Regelungswerk vor dem Hin-
tergrund der internationalen Bemühungen für eine Vereinheitlichung des
Umgangs mit genetischen Proben und Daten im Rahmen von Biobanken um-
gesetzt werden sollte;

– ein umfassendes Förderkonzept für den Auf- und Ausbau von Biobanken in
der Bundesrepublik Deutschland vorzulegen;

– ihre Bemühungen zur Schaffung einer nationalen und europäischen Bio-
bankeninfrastruktur zu verstärken;

– dem Deutschen Bundestag alle drei Jahre einen Sachstandsbericht zur For-
schungsinfrastruktur im Bereich Biobanken zu übermitteln und hierbei auch
Missbrauchsfälle, Regelungslücken und gegebenenfalls notwendigen gesetz-
geberischen Handlungsbedarf darzustellen;

– die Weiterentwicklung des Konzepts der informierten Zustimmung („infor-
med consent“) angesichts der Fortschritte in Wissenschaft und Forschung
(und hierbei insbesondere in Bezug auf die Vernetzung von Informa-
tionstechnologien mit Disziplinen wie Biologie, Medizin und Chemie) durch
geeignete Maßnahmen der Forschungsförderung voranzutreiben und

– dem Deutschen Bundestag zu berichten, wie die Bundesregierung plant, auf
Ebene der Europäischen Union sowie in internationalen Organisationen eine
Vereinheitlichung der Rahmenbedingungen für Biobanken zu erreichen.

Der Entwurf für ein Biobanken-Gesetz soll insbesondere folgende Punkte be-
inhalten:

– eine einheitliche Definition des Begriffs Biobanken;

– eindeutige und klare Normen, die die Einhaltung des deutschen Datenschutz-
niveaus zugunsten der Probandinnen und Probanden garantieren und insbe-
sondere auch in Bezug auf eine nationale und internationale wissenschaft-
liche Zusammenarbeit die Behandlung der Daten und Proben regeln;

– eindeutige Kriterien und Verfahren für die Auditierung von Biobanken;

– Regelungen zur Einbindung von Ethikkommissionen in die Arbeit von Bio-
banken;

– Verfahrensregelungen für die Nutzung von Proben und Daten zu Forschungs-
zwecken;

– klare Mindeststandards für die Dokumentation der Einwilligung der Proben-

spender („informed consent“);

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/3868

– Maßnahmen, die einen unbefugten Zugriff auf die in Biobanken vorhandenen
Daten verhindern;

– eine Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechtes nach § 53 der Strafpro-
zessordnung (StPO) und des Beschlagnahmeverbotes nach § 97 StPO auf aus-
schließlich zu Forschungszwecken erhobene genetische Daten und Proben;

– ein umfassendes Forschungsprivileg zum Umgang mit Forschungsdaten und
insbesondere mit genetischen Daten und Proben. Wissenschaft lebt vom Aus-
tausch von Daten und Informationen sowie vom Vertrauen der Probandinnen
und Probanden und

– strafrechtliche Regelungen bei Verstößen gegen die Vorgaben des Bioban-
ken-Gesetzes.

Berlin, den 23. November 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.