BT-Drucksache 17/3765

Vorbereitung Deutschlands auf Peak Oil und seine Folgen

Vom 11. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3765
17. Wahlperiode 11. 11. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia
Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Dr. Hermann Ott,
Dorothea Steiner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Vorbereitung Deutschlands auf Peak Oil und seine Folgen

Peak Oil, auch bekannt unter dem Stichwort globales Ölfördermaximum, ist
der Zeitpunkt der weltweit aus geologischen und technischen Gründen höchst
möglichen Erdölförderung. Ist dieser Punkt erreicht, geht die Förderrate all-
mählich zurück, was bei gleichbleibender oder wachsender Nachfrage nach
Erdöl zu einem immer höheren Ölpreis führen wird.

Über den Zeitpunkt des globalen Peak Oil herrschen unterschiedliche Ansich-
ten. Einige – wie die „Energy Watch Group“ 1 – glauben, er läge bereits hinter
uns, andere sehen ihn erst – wie die Bundesanstalt für Geowissenschaften und
Rohstoffe (BGR) 2 – in zehn Jahren, und einige Ölgesellschaften in noch weite-
rer Ferne auf uns zukommen.

Aufsehen erregte deshalb eine Ende Juli 2010 fertiggestellte, jedoch offiziell
noch nicht freigegebene Studie des „Dezernats Zukunftsanalyse“ im Zentrum
für Transformation der Bundeswehr mit dem Titel „Peak Oil – Sicherheitspoli-
tische Implikationen knapper Ressourcen“3, die den Peak Oil mit einer „gewis-
sen Wahrscheinlichkeit“ für das Jahr 2010 sieht. Globale sicherheitspolitische
Auswirkungen erwartet sie allerdings erst mit einer zeitlichen Verzögerung von
15 bis 30 Jahren. Dennoch konstatieren die Bundeswehr-Experten schon für die
kommenden Jahre sowohl weltweit als auch für Deutschland erhebliche gesell-
schaftliche und wirtschaftliche Konsequenzen der unausweichlichen Ölver-
knappung. Ihr wesentliches Merkmal ist das mittelfristige Ende der wirtschaft-
lichen Wachstumsdynamik, in deren Folge mit Versorgungsengpässen, einem
wirtschaftlichen Bedeutungsverlust westlicher Industrieländer, mit humanitären
(inklusive Hunger-)Krisen und geopolitischen Machtverschiebungen gerechnet
werden muss.

Für die von Peak Oil geprägte Zukunft erwartet die Bundeswehrstudie „ein
hohes systemisches Risiko […] in Anbetracht des Globalisierungsgrades
Deutschlands […] unabhängig von der eigenen Energiepolitik“. Die betroffe-
nen Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche wie Verkehr, Landwirtschaft, che-
mische und Automobilindustrie sowie sinkende Kaufkraft und die zu erwar-

tende Transformationsarbeitslosigkeit werden eine Herausforderung darstellen.
Deshalb sei es notwendig, sich von lokaler Seite aus Gedanken über die recht-
zeitige Umgestaltung der Kommunen und Regionen zu machen.

1 www.energywatchgroup.org
2 www.wbz-ingelheim.de/fileadmin/user_upload/fna/Vortrag_KW_neu_Rempel.pdf
3 http://peak-oil.com/peak-oil-studie-bundeswehr.php

Drucksache 17/3765 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Im Jahr 2005 hat der „Hirsch-Report“ des US-Departments of Energy (DoE) 4

in einer grundlegenden Studie die ökonomischen und technologischen Heraus-
forderungen für Peak Oil analysiert. Er gelangte dabei für hochindustrialisierte
Länder wie etwa die USA zu dem Schluss, dass ein „sanfter“, möglichst krisen-
freier Übergang aus der Vor-Peak-Oil- in die Nach-Erdöl-Zeit eines gesell-
schaftlich und industriell umfassend geplanten und politisch gesteuerten Vor-
laufs von mindestens 20 Jahren vor dem Erreichen des Peak Oil bedarf. Einige
Großstädte und Regionen in den USA – z. B. Portland (Oregon) und San Fran-
cisco (Kalifornien) haben bereits mit legislativen und administrativen Vorberei-
tungen und unter offener Adressierung des Peak-Oil-Problems begonnen, sich
systematisch auf die möglichen Folgen von Peak Oil auf lokaler bzw. regiona-
ler Ebene vorzubereiten.

Auch wenn es unterschiedliche Einschätzungen über den Zeitpunkt von Peak
Oil gibt, muss eine sachgemäße Darstellung der weltweiten Ölvorkommen die
Endlichkeit unmissverständlich ausdrücken. Daher ist es Aufgabe der Politik,
sich trotz bleibender Unsicherheiten darauf zumindest vorbereitend einzustel-
len, welches ein Gebot kluger Vorsorgepolitik ist.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Erkenntnisse der Peak-Oil-Studie des „Dezer-
nats Zukunftsanalyse“ im Zentrum für Transformation der Bundeswehr zur
Gänze oder in Teilen?

In welchen Aspekten teilt sie die Erkenntnisse, in welchen die Schlussfolge-
rungen ausdrücklich nicht?

2. Welche Entwicklung des Erdölpreises erwartet die Bundesregierung in den
nächsten Jahren?

Teilt sie die Annahme des Gutachtens von der Gesellschaft zur Förderung
des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI),
Prognos AG und Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung mbH
(GWS), dass der Preis für ein Barrel Öl auf 130 US-Dollar im Jahr 2050
steigt?5

3. Sieht die Bundesregierung im Falle steigender Ölpreise einen Einfluss dieser
auf andere Energiepreise, wie Erdgas und Kohle und somit einen Preis-
anstieg für die Stromerzeugung aus fossilen Kraftstoffen?

4. Wie beurteilt die Bundesregierung die Annahme der Studie, dass uns eine
umfassende Transformation der Wirtschaftsstrukturen bevorsteht?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die Marktposition der wenigen Ölförder-
staaten zur Durchsetzung von Monopolpreisen?

6. Rechnet die Bundesregierung vor dem Hintergrund steigender Ölpreise mit
höheren Investitionen in Exploration und Förderung von Öl?

7. Da die Mengenangaben über Ölreserven und -ressourcen auf Aussagen der
ölfördernden Staaten basieren, wie schätzt die Bundesregierung die Verläss-
lichkeit der Zahlen ein, unter anderem vor dem Hintergrund, dass z. B. die
OPEC seit Anfang der 80er-Jahre keine Einzeldaten mehr über ihre Öl-
quellen veröffentlicht hat?

4 www.netl.doe.gov/publications/others/pdf/Oil_Peaking_NETL.pdf

5 Vergleiche Tabelle Ü1: Numerische Annahmen und Ergebnisse des Referenzszenarios im Überblick (S. 17)

www.bmwi.de/studie-energiezenarien

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3765

8. Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung – ungeachtet ihrer
Anstrengungen zur Implementierung erneuerbarer Energien – bisher unter-
nommen bzw. gedenkt sie zu unternehmen, um Industrie und Gesellschaft
unter Berücksichtigung der im „Hirsch-Report“ veranschlagten 20 Jahre
Mindestvorlaufzeit systematisch auf eine Periode knappen und sprunghaft
sich verteuernden Erdöls vorzubereiten, für das wahrscheinlich im erfor-
derlichen Umfang kein gleichwertiger Ersatz geschaffen werden kann?

9. Befassen sich jenseits des Bundesministeriums der Verteidigung weitere
Einzelressorts der Bundesregierung mit langfristig wirksamen, aber kurz-
bis mittelfristig eintretenden Erdöl-Verknappungsszenarien, und falls ja,
wie im Einzelnen genau?

10. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Bundeswehr- und anderer
Expertenstudien im Einzelnen oder im Ganzen, dass ein Niedergang in der
globalen Erdölgewinnung kurz- und mittelfristig zu wachsender geopoli-
tischer Instabilität, zu Nahrungsmittelkrisen, zum Zusammenbruch ganzer
Wirtschaftszweige, zu größerer Verarmung und infolge all dessen zu sozia-
len Spannungen, zu Ressourcennationalismus und zur Krise der Handels-
beziehungen in den europäischen Ländern führen wird?

11. Gibt bzw. gab es in der Vergangenheit Studien und Planspiele im Verantwor-
tungs- oder Beobachtungsbereich der Bundesregierung, vergleichbar etwa
zum Krisenplanspiel „Oil Shockwave“ der US-amerikanischen gemeinnüt-
zigen Interessenverbände „National Commission on Energy Policy“ und
„Securing America’s Future Energy“ im Jahr 2005, an der u. a. der frühere
CIA Direktor Robert James Woolsey und der jetzige US-Verteidigungs-
minister Robert Michael Gates teilnahmen6, die sich mit einer angespannten
Erdölversorgungssituation aufgrund internationaler Konflikt- oder wirt-
schaftlicher Krisenszenarien befassen, und falls ja, welche?

12. Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um auf nationaler
und auf europäischer Ebene Pläne und Mechanismen eines akuten sozialen,
politischen und technischen Krisenmanagements zu entwerfen, falls die
technologischen und/oder mengenmäßigen Voraussetzungen für Alternati-
ven zum Erdöl nicht im erforderlichen Umfang beim Erreichen von Peak
Oil bereitstehen?

13. Hat die Bundesregierung Maßnahmen zur Versorgungssicherheit des Ver-
kehrs und der Transportsicherheit vorgesehen, die über die 90-Tage-Öl-
reserve hinausgehen?

14. Welche Konsequenzen von Peak Oil sieht die Bundesregierung im Bereich
Wärme auf Deutschland zukommen?

Gibt es Pläne oder Konzepte wie die Wärmeversorgung gewährleistet wer-
den soll, insbesondere für einkommensschwächere Gruppen, welche einen
möglichen Heizkostenanstieg nicht aus eigener Kraft tragen könnten?

15. Welche Auswirkungen von Peak Oil sieht die Bundesregierung auf die
Chemiebranche zukommen?

Gibt es Pläne wie – angesichts der großen Bedeutung von ölbasierten
Düngemitteln für die Landwirtschaft – die Sicherheit der Nahrungsversor-
gung sichergestellt werden soll?

6 Vergleiche „Outcome Grim at Oil War Game – Former Officials Fail to Prevent Recession in Mock

Energy Crisis“, Washington Post, 24. Juni 2005 http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/
article/2005/06/23/AR2005062301896.html sowie in der WIKIPEDIA (engl.): „Oil Shockwave“

Drucksache 17/3765 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

16. Glaubt die Bundesregierung im Lichte der Bundeswehrstudie und anderer
Berechnungen zur Peak-Oil-Eintrittswahrscheinlichkeit mit der Leitvor-
gabe des „Nationalen Aktionsplans Elektromobilität“ bis zum Jahr 2020
eine Million und bis 2030 fünf Millionen Elektroautos auf Deutschlands
Straßen mit seinen derzeit ca. 46 Millionen Pkw bringen zu wollen, den sich
aus den erwartenden Verknappungsszenarien resultierenden Problemen im
Bereich Mobilität und Transport in zeitlicher und mengenmäßiger Hinsicht
noch angemessen und vor allem zeitgerecht begegnen zu können?

17. Sieht die Bundesregierung sich veranlasst darauf hinzuwirken, dass alle
mittel- und langfristigen Infrastruktur-, Investitions- und Entwicklungsvor-
haben ab sofort unter der Maßgabe der mit Peak Oil verbundenen Treib-
stoffpreisentwicklungen und der mit diesen verbundenen sonstigen Preis-
steigerungen neu kalkuliert und in ihrer Relevanz ggf. neu bewertet wer-
den?

Wenn ja, welche Ergebnisse liegen hierzu bereits vor?

Wenn nein, warum nicht?

18. Sieht die Bundesregierung sich veranlasst, auf Länder und Kommunen ein-
zuwirken, in analoger Weise mit vergleichbaren Vorhaben in den jeweils
betroffenen Resorts Peak Oil orientierte sachliche und kalkulatorische
Neubewertungen von geplanten Vorhaben vorzunehmen?

Wenn ja, in welchem Maße?

Wenn nein, warum nicht?

19. Welche Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung gegen die stark stei-
genden Ölpreise in Zusammenhang von Peak Oil bei Bürgern, Gemeinden,
Handwerkern oder bei im internationalen Wettbewerb stehende Unterneh-
men?

20. Welche Maßnahmen – vergleichbar mit den Anstrengungen zur Informa-
tions- und Bewusstseinsbildung zum Klimaschutz des Staates – sind zum
Thema „Öl-Förderrückgang“ vorgesehen oder schon in die Wege geleitet
worden?

21. Ist der Bundesregierung der Abschlussbericht der „Enquetekommission
des Landtags NRW zu den Auswirkungen längerfristig stark steigender
Preise von Öl- und Gasimporten auf die Wirtschaft und die Verbraucherin-
nen und Verbraucher in Nordrhein-Westfalen“ aus dem Jahr 2008 bekannt,
und wenn ja, findet dieser Bericht Berücksichtigung bei der Auseinander-
setzung der Bundesregierung mit dem Thema?

Wenn ja, in welcher Weise?

Wenn nein, warum nicht?

22. Gibt es seitens der Bundesregierung Überlegungen, sich für die Verwirk-
lichung des Vorschlags des britischen Erdölgeologen Colin J. Campbell
einzusetzen, der für ein globales kooperatives Erdöl-Rationierungssystem
plädiert, bei dem eine international abgestimmte Produktionsreduktion von
Erdöl mit einer Verbrauchs- und Importreduktion korrespondiert und da-
durch den erhofften Effekt erzielt, dass der Ölpreis zwar hoch, aber stabil
und damit kalkulierbar bleibt?

Wenn ja, in welchen konkreten Schritten?

Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/3765

23. Steht die Bundesregierung mit ihren Partnern in der EU sowie mit anderen
Regierungen – etwa in der OECD oder im Rahmen der G8-Treffen – in
einem koordinierten Austausch- und Abstimmungsprozess über die Folgen
von Peak Oil und über Fragen, die die Strategien der gemeinsamen Krisen-
bewältigung betreffen?

Wenn ja, welche Beschlüsse wurden hierzu gefasst?

Wenn nein, warum nicht?

24. Welches Potential sieht die Bundesregierung in der Förderung von sog.
nichtkonventionellen Ölen (Teersande, Schwerstöle, …) vor dem Hinter-
grund der Wirtschaftlichkeit und der Umweltbelastungen durch die Förde-
rung?

25. Rechnet die Bundesregierung mit der Erschließung unkonventioneller, also
bisher nicht wirtschaftlich erschließbarer Ölvorkommen in Deutschland
und in Europa?

Wenn ja, wann, wo und in welchem Ausmaß?

Berlin, den 11. November 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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