BT-Drucksache 17/3728

Erforschung der Amyotrophen Lateralsklerose und Stand der Forschungsförderung

Vom 10. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3728
17. Wahlperiode 10. 11. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter
Bartels, Klaus Barthel, Willi Brase, Ulla Burchardt, Petra Ernstberger, Michael
Gerdes, Iris Gleicke, Klaus Hagemann, Oliver Kaczmarek, Daniela Kolbe (Leipzig),
Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Florian Pronold, Marianne Schieder
(Schwandorf), Swen Schulz (Spandau), Andrea Wicklein, Dagmar Ziegler,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Erforschung der Amyotrophen Lateralsklerose und Stand der
Forschungsförderung

Bei der Amyotrophen Lateralsklerose (im Folgenden: ALS) handelt es sich um
eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems. Im Verlauf der
Krankheit sterben Nervenzellen im Gehirn, im Gehirnstamm sowie im äußeren
Teil des Rückenmarks ab, die die Muskulatur versorgen, was zu Lähmungen
der gesamten Skelettmuskulatur und dadurch zum Tod führt.

Jedes Jahr erkranken in Deutschland rund ein bis drei von 100 000 Menschen an
dieser Krankheit. Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei 56 bis 58 Jah-
ren und Männer sind häufiger von ALS betroffen als Frauen (im Verhältnis
1,5 zu 1). Weltweit werden 120 000 Neuerkrankungen pro Jahr geschätzt.

Wegen der relativ geringen Zahl der Patientinnen und Patienten wird die
Krankheit als „seltene Krankheit“ (orphan disease) geführt und es gibt für
Unternehmen der pharmazeutischen Industrie kommerziell wenige Anreize, um
die Krankheit, ihre Ursachen und mögliche Therapien zu erforschen.

Hinzu kommt, dass ALS bei vielen Patientinnen und Patienten in kurzer Zeit zu
schweren Behinderungen und zum Tod führt und deshalb für die Öffentlichkeit
kaum wahrnehmbar verläuft.

In den Fokus der Öffentlichkeit rückt die ALS insbesondere dann, wenn be-
kannte Persönlichkeiten an ALS erkranken. Ein Beispiel aus der jüngeren Ver-
gangenheit ist der Fall des Kunstprofessors Jörg Immendorff.

Die Ursachen der ALS sind bis heute weitgehend ungeklärt und insbesondere
in der Anfangsphase der Erkrankung ist das Krankheitsbild sehr variabel. Die
ALS ist nicht heilbar und der Krankheitsverlauf führt im Schnitt nach drei bis
fünf Jahren zum Tod. Die Behandlung der ALS erfolgt daher in erster Linie
symptomatisch und dient nicht zuletzt dazu, die Lebensqualität der Betroffenen
zu erhöhen bzw. zu erhalten.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Neuerkrankungen an ALS gibt es nach Kenntnis der Bundesregie-
rung jährlich in Deutschland?

2. Handelt es sich nach Einschätzung der Bundesregierung bei der ALS um
eine „seltene Krankheit“?

Drucksache 17/3728 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Welche Ursachen der ALS sind der Bundesregierung bekannt und fördert der
Bund Projekte zur Erforschung aller aktuell bekannten Ursachen der ALS?

4. An welchen deutschen Forschungseinrichtungen werden derzeit For-
schungsprojekte mit Bezug zur ALS durchgeführt?

5. In welcher Höhe hat sich der Bund finanziell an der Erforschung der ALS
und ihrer Ursachen in den vergangenen Jahren beteiligt?

6. Mittels welcher Maßnahmen und Projekte unterstützt die Bundesregierung
die Suche nach verbesserten Verfahren zur frühzeitigen Diagnose der ALS?

7. Ist es richtig, dass – wenn man die Zahlen und Fakten aus der Antwort der
Bundesregierung auf die Schriftliche Frage 53 des Abgeordneten René
Röspel vom 13. April 2010 (Bundestagsdrucksache 17/1389) zugrunde legt –
in den Jahren 2009 bis 2012 das Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) die ALS-Forschung mit nur rund 130 Euro pro Neu-
erkrankung fördert?

8. Wie wurden durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung die
im Bundeshaushalt 2009 zusätzlich eingestellten 3 Mio. Euro für die Erfor-
schung von „seltenen“ sowie vernachlässigten Krankheiten genutzt (bitte
um tabellarische Übersicht mit Projektbeschreibung, Ziel, Projektverant-
wortlicher, Ort usw.)?

9. Sind über die in 2009 und 2010 eingestellten Finanzmittel zur Erforschung
von „seltenen“ sowie vernachlässigten Krankheiten zusätzliche Gelder für
dieses Forschungsfeld erforderlich, und wenn nein, aus welchen Gründen
nicht?

10. Woran scheitert nach Erkenntnissen des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung eine Ausweitung der ALS-Forschung in Deutschland (Qua-
lität der Projektskizzen, mangelnde Haushaltsmittel, Mangel an fachkundi-
gen Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftlern, usw.)?

11. Wie viele Projektförderanträge mit direktem Bezug zur ALS-Forschung
wurden in den vergangenen Jahren abgelehnt, und aus welchen Gründen
(bitte um tabellarische Übersicht)?

12. Wie erklärt die Bundesregierung, dass einerseits laut Antwort auf die
Schriftliche Frage 53 des Abgeordneten René Röspel vom 13. April 2010
auf Bundestagsdrucksache 17/1389 nur drei Projekte zu ALS über das
Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert werden, anderer-
seits aber laut Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage 120
der Abgeordneten Birgitt Bender vom 8. Juni 2010 (Bundestagsdrucksache
17/2060) die ALS in „einigen nationalen wie internationalen Förderpro-
grammen des BMBF Berücksichtigung finden“ könne und hier insgesamt
sechs Programme aufgezählt werden, und wie passen diese beiden Aus-
sagen zusammen?

13. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, damit in Deutschland eine
hinreichend große Forschungslandschaft im Bereich der ALS-Forschung
entsteht, damit sich etwa die Einrichtung eines eigenständigen Kompetenz-
netzes ALS lohnen würde?

14. Gibt es Pläne, im Rahmen der von der EU-Kommission vorangetriebenen
Maßnahmen zur Bekämpfung von „seltenen Krankheiten“ auch einen
Schwerpunkt im Bereich ALS zu setzen, und wenn nein, aus welchen
Gründen nicht?

15. Unterstützt die Bundesregierung die Pläne der EU-Kommission, im Bereich
der „seltenen Krankheiten“ die begrenzten nationalen (Forschungs-)Res-

sourcen besser miteinander zu vernetzen, um so die Bekämpfung dieser
Krankheiten zu erleichtern, und wenn ja, mittels welcher Maßnahmen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3728

16. Wird die Bundesregierung – wie von der Europäischen Union empfohlen
(Ratsempfehlung 2009/ C 151/02) – bis Ende 2013 einen nationalen Plan
zur Bekämpfung „seltener Krankheiten“ vorlegen, wird die ALS hier expli-
zit Berücksichtigung finden, und ist es der Bundesregierung möglich, be-
reits vor 2013 einen entsprechenden Plan vorzulegen?

17. Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dem Bereich der „seltenen
Krankheiten“ im 8. Forschungsrahmenprogramm (FRP) der Europäischen
Union einen im Vergleich zum 7. FRP noch höheren Stellenwert einzuräu-
men?

18. Wie viele Projekte der Versorgungs- und Pflegeforschung für den Bereich
ALS werden in Deutschland gefördert (bitte um Auflistung)?

19. Sieht die Bundesregierung Bedarf für eine sich im Besonderen mit der ALS
befassende Versorgungs- und Pflegeforschung, und wenn nein, aus wel-
chen Gründen nicht?

20. Welche Studien sind der Bundesregierung aktuell bekannt, in deren Rah-
men Medikamente, die bereits für andere neurologische Erkrankungen
genutzt werden, dahingehend untersucht werden, ob sie einen Beitrag zur
Behandlung der ALS leisten könnten (bitte um tabellarische Übersicht)?

21. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Finanzierung eines neu-
artigen Medikaments zur Behandlung der ALS bzw. zur Linderung der
Beschwerden von ALS-Kranken aufgrund der vergleichsweise geringen
Fallzahlen für die pharmazeutische Industrie nur von begrenztem Interesse
sein dürfte, und wenn nein, aus welchen Gründen nicht?

22. Ist der Bundesregierung bekannt, dass es Firmen gibt, die zwar Ansätze für
eine medikamentöse Behandlung von ALS entwickelt haben, diese jedoch
nicht weiterverfolgen können, da sie mangels wirtschaftlich interessantem
Markt keinen Investor bzw. Partner finden, der bereit ist, die notwendigen,
umfassenden klinischen Studien zu finanzieren, und wie gedenkt die Bun-
desregierung, dieses Problem zu lösen?

23. Gibt es Überlegungen von Seiten der Bundesregierung, mittels welcher
Maßnahmen die Entwicklung eines neuartigen Medikaments zur Behand-
lung der ALS bzw. zur Linderung der Beschwerden von ALS-Kranken ge-
fördert werden könnte, und wenn ja, welche Überlegungen werden hier von
den zuständigen Stellen des Bundes angestellt?

24. Fördert die Bundesregierung die Entwicklung von Hilfsmitteln, die in be-
sonderer Weise für ALS-Patientinnen und -Patienten genutzt werden kön-
nen, und wenn ja, in welcher Höhe und mit welchen Schwerpunkten?

25. Ist der Bundesregierung bekannt, inwieweit es in den vergangenen Jahren
Erfolge im Rahmen von klinischen Studien mit Medikamenten zur Be-
handlung der ALS in Deutschland gegeben hat (bitte um Auflistung)?

26. Welche Rolle spielt aus Sicht der Bundesregierung die Nutzung von Bio-
banken zur Erforschung genetischer Ursachen der ALS, und welche ge-
setzgeberischen Maßnahmen wären gegebenenfalls erforderlich, um die
Rahmenbedingungen der Forschung in Deutschland in dieser Frage zu ver-
bessern?

27. Wie bewertet die Bundesregierung den Aufbau eines ALS-Registers für
den Bereich Schwaben an der Universität Ulm, und welche Folgen hätte
nach Auffassung der Bundesregierung die Umsetzung der Empfehlungen
des Deutschen Ethikrates aus dem Jahr 2010 zur Regulierung von Bio-
banken für das hier eingerichtete Register?

Drucksache 17/3728 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
28. Ist der Hinweis in der Antwort des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung auf die Schriftliche Frage 120 der Abgeordneten Birgitt Bender
vom 8. Juni 2010 auf Bundestagsdrucksache 17/2060, laut der „voraus-
sichtlich Anfang 2011“ die Möglichkeit bestehen wird, Anträge für die
Förderung zu ALS einzureichen, dahingehend zu verstehen, dass ab 2011
über das Gesundheitsforschungsprogramm entsprechende Maßnahmen ge-
fördert werden können?

29. Hält es die Bundesregierung für erforderlich, die Nutzung von krankheits-
spezifischen Stammzelllinien in Deutschland zuzulassen, damit Forsche-
rinnen und Forscher auf diesem Wege die Krankheitsmechanismen zu un-
tersuchen und/oder um mögliche Ansatzpunkte für neue Arzneimittel zu
entdecken?

30. Wie viele Stammzelllinien (embryonale Stammzelllinien, induzierte pluri-
potente Stammzelllinien) zur Erforschung der ALS stehen weltweit zur
Verfügung (bitte um tabellarische Übersicht)?

31. Ist der Bundesregierung bekannt, ob und wenn ja, wie viele Untersuchungs-
projekte deutsche Forscherinnen und Forscher in der ALS-Forschung mit-
tels iPS-Zellen (Stammzellen) beantragt bzw. durchgeführt haben?

32. Plant die Bundesregierung, die Forderung der Initiative Therapieforschung
ALS umzusetzen und – angesichts der in Deutschland bestehenden Defizite
in der ALS-Forschung – ein Förderprogramm für die ALS-Therapiefor-
schung mit einer Laufzeit von 10 Jahren und einem Fördervolumen von
mindestens 10 Mio. Euro jährlich zu verabschieden, und wenn nein, aus
welchen Gründen nicht?

33. Hält die Bundesregierung die Einrichtung und Finanzierung einer Koordi-
nierungsstelle, die die internationale Entwicklung der ALS-Forschung kon-
tinuierlich beobachtet, auf dieser Grundlage Gelder für Forschungsprojekte
und klinische Studien auch in Deutschland bereitstellt und internationale
Kooperationen und die Zusammenarbeit mit Privatfirmen einbezieht, für
sinnvoll, und wenn nein, aus welchen Gründen nicht?

34. Welche Projekte im Rahmen des Deutschen Zentrums für Neurodegenera-
tive Erkrankungen (DZNE) in der Helmholtz-Gemeinschaft lassen sich der
Erforschung der ALS zuordnen?

35. Gibt es aktuell Pläne, die Zahl der Projekte zur Erforschung der ALS im
Rahmen des DZNE auszuweiten, und wenn ja, mit welcher Zielrichtung?

36. Wie hoch ist der Anteil am Gesamtbudget des DZNE (in Höhe von 66 Mio.
Euro pro Jahr), der für die Erforschung der ALS aufgewendet wird?

37. Hält es die Bundesregierung für sinnvoll und erforderlich, dem DZNE
zusätzliche Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, damit sich die Einrich-
tung noch stärker der Erforschung der ALS widmen kann, und wenn nein,
aus welchen Gründen nicht?

38. Im Rahmen welcher (internationaler) Kooperationsprojekte arbeitet das
DZNE an der Erforschung der ALS?

Berlin, den 10. November 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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