BT-Drucksache 17/3485

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP -Drucksachen 17/3051, 17/3409, 17/3453- Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes

Vom 27. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3485
17. Wahlperiode 27. 10. 2010

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Oliver Krischer, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, Sylvia
Kotting-Uhl, Ingrid Nestle, Dr. Hermann Ott, Dorothea Steiner und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
– Drucksachen 17/3051, 17/3409, 17/3453 –

Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Energiepolitik steht vor einer epochalen Herausforderung – bei uns in
Deutschland aber auch europa- und weltweit. Die Probleme der Klimaände-
rung, des wachsenden Energiehungers, der zunehmenden Rohstoffknappheit
und der steigenden Energiepreise müssen gleichzeitig gelöst werden. Und zwar
so, dass kommenden Generationen die Zukunft eröffnet und nicht verbaut wird.

Die bisher erreichten Rückgänge beim Energieverbrauch und bei den Treib-
hausgasemissionen in Deutschland sind auf wirtschaftliche Effekte der deut-
schen Vereinigung, der Finanzkrise sowie auf die Klimaschutzmaßnahmen der
rot-grünen Bundesregierung – der Ökosteuer, des Erneuerbare-Energien-Geset-
zes (EEG), der Einführung des Emissionshandels – zwischen 1998 und 2005
zurückzuführen.

Bereits die große Koalition der CDU, CSU und SPD ist an den Erfordernissen
einer zukunftsfähigen Energiepolitik gescheitert. Sie hat ein Programm aufge-
legt, das zwar Ziele benennt, aber keine adäquaten Maßnahmen durchsetzte.
Dringend notwendige Maßnahmen unterblieben, etwa zur Steigerung der Ener-
gieeffizienz, beim konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien vor allem im
Wärmebereich oder der Stopp des Neubaus von klimaschädlichen Kohlekraft-
werken. Auch beim Weg weg vom Öl oder dem Umbau der Mobilität wurden
keine neuen Fortschritte erzielt. Die von Schwarz-Rot getragene Bundesregie-
rung hat de facto eine Politik des energie- und klimapolitischen Rückschritts
eingeleitet.
Mit der Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke will die Bundesregie-
rung nunmehr eine vollständige Umkehr in der Energiepolitik herbeiführen.
Milliardenprofite der Atomkonzerne sind ihr wichtiger als Sicherheit in der
Atompolitik, als Klimaschutz und als der Ausbau zukunftsfähiger Technolo-
gien. Durch die falsch ausgerichtete Politik der letzten Jahre hat Deutschland
bereits seine Vorreiterrolle im Klimaschutz verloren; dasselbe droht nun bei der
Technologieführerschaft im Bereich der erneuerbaren Energien.

Drucksache 17/3485 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Um dies zu verhindern, gilt es jetzt, eine Energie- und Klimapolitik durchzuset-
zen, die sich am für die Gesellschaft Notwendigen orientiert und nicht an den
kurzsichtigen Interessen der Energiekonzerne. Energiesicherheit und Klima-
schutz gehören zusammen. Nimmt man die wachsende Konkurrenz um be-
grenzte Ressourcen ernst, will man den Anstieg der globalen Temperatur um
mehr als 2 Grad Celsius verhindern, dann muss der Ausstoß von Klimagasen in
Deutschland um mindestens 40 Prozent bis 2020 und um 95 Prozent bis 2050
gesenkt werden. Das große Ziel heißt also, innerhalb von nur 40 Jahren faktisch
die gesamte Energieversorgung in Deutschland CO2-frei zu machen. Das Ziel
ist hoch ambitioniert. Aber es ist erreichbar, wenn wir heute Ernst machten mit
Energieeinsparung und Ausbau erneuerbarer Energien in allen Sektoren. Dazu
ist es zunächst notwendig, ambitionierte Sektorziele zu setzen. So ließe sich im
Stromsektor der Anteil erneuerbarer Energien bis 2020 auf deutlich über
40 Prozent steigern. Möglicherweise bereits 2030 könnte der Strom nahezu
vollständig aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden. Im Verkehrsbereich ist
eine Reduzierung des Einsatzes fossiler Kraftstoffe um ein Viertel bis 2020 er-
reichbar. Möglichst bereits bis 2040 sollte der Umstieg auf erneuerbare Ener-
gien hier angestrebt werden. Dies gilt ebenso für den Wärmebereich. Bis 2020
sollten ein Fünftel der heute noch eingesetzten Wärmeenergie eingespart und
der Anteil von erneuerbarer Wärme auf 25 Prozent ausgeweitet werden.

Bisher wurden Energieeinsparungen und Effizienzgewinne immer durch stei-
genden Energieverbrauch wettgemacht. Daher konnte der Anstieg des Energie-
verbrauchs lediglich gebremst werden. Zur Erreichung unserer Ziele müssen wir
aber unseren Stromverbrauch bis 2020 um 12 Prozent gegenüber 2010 redu-
zieren. Dies wird erhebliche Anstrengungen erfordern. Die Erreichung dieser
Ziele bei vollem Erhalt der Energiesicherheit ist die Richtschnur einer zukunfts-
fähigen Energiepolitik. Dafür bedarf es eines umfassenden Maßnahmepaketes –
vom Atomausstieg, dem Stopp des Neubaus von Kohlekraftwerken, dem Aus-
bau der Netze, der Förderung der Elektromobilität, des Stromsparens und einer
schnelleren energetischen Gebäude- bzw. Quartierssanierung. Nur mit mehr er-
neuerbaren Energien, mehr Energiesparen, mehr Energieeffizienz wird Deutsch-
land fit für die Anforderungen der kommenden Jahrzehnte. Nur mit einer solchen
konsequent an Innovation und Verantwortung orientierten Energiepolitik lösen
wir die Probleme des Klimawandels, des wachsenden Energiehungers, der zu-
nehmenden Rohstoffknappheit und der steigenden Energiepreise. Die Politik der
Bundesregierung dagegen führt unser Land in die Sackgasse.

Mit ihren Vorstellungen will sie einen hohen Anteil fossiler und atomarer Ener-
gie an der Stromerzeugung für die nächsten Jahre festschreiben und mit dem
Neubau von Kohlekraftwerken klimaschädliche Emissionen über Jahrzehnte
zementieren. Damit würden das Wachstumsniveau der erneuerbaren Energien
der letzten Jahre erheblich reduziert und der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopp-
lung (KWK) verhindert, weil Atom- und Kohlestrom die Netze verstopfen und
Absatzmärkte blockieren. Aus dem Gutachten des Energiewirtschaftlichen Insti-
tuts an der Universität zu Köln, der Prognos AG und der Gesellschaft für Wirt-
schaftliche Strukturforschung mbH, von der Bundesregierung in Auftrag ge-
geben und für die angebliche Notwendigkeit der Laufzeitverlängerung als Be-
gründungsvorlage benutzt, geht hervor, dass es einen drastischen Einbruch beim
Zubau der heutigen starken Säulen des Ökostromes geben soll. So sollen bis
2020 die jährlichen Zubauraten gegenüber dem aktuellen Ausbau bei Windkraft-
anlagen an Land um 65 Prozent, bei Fotovoltaik um 75 Prozent und bei Bio-
energien gar um 85 Prozent gesenkt werden. Die Anteile der KWK an der
Strom- und Wärmeversorgung sollen sogar erheblich sinken statt steigen.

Konkurse und der Verlust zehntausender Arbeitsplätze in der Branche der er-
neuerbaren Energien und bei Stadtwerken wären die Folge, wenn sich die

Bundesregierung mit diesen von den Gutachtern vorgelegten Zielen tatsächlich
durchsetzen würde.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3485

Energiesicherheit für morgen gibt es aber nur, wenn heute das Zeitalter der
erneuerbaren Energien schnell eingeleitet wird und nicht wie von der Bundes-
regierung ausgebremst werden soll. Wer heute erneuerbare Energien ausbremst,
damit große Konzerne mit Uran, Kohle und Öl weiter Monopolgewinne
machen können, wird morgen von Energieimporten abhängig sein und techno-
logisch abgehängt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

ein Energiekonzept zu erstellen und dem Deutschen Bundestag zur Beschluss-
fassung vorzulegen, mit dem die Klima- und Energieziele bis 2020 erreicht
werden und zugleich der Weg für die schnellstmögliche Abkehr von fossilen
und nuklearen Brennstoffen geebnet wird.

Im Strombereich

● soll der Atomausstieg forciert werden, z. B. durch die vorzeitige Abschal-
tung der acht ältesten und unsichersten Atomkraftwerke;

● soll eine Brennelementesteuer zur Begleichung der gesellschaftlichen Schul-
den der Atomwirtschaft eingeführt werden, die zu einer Nettojahresein-
nahme von 3,7 Mrd. Euro führt;

● sollen die Privilegien für die Atomwirtschaft abgeschafft werden, etwa
durch die Erhöhung der Deckungsvorsorge für Unfälle oder die Überfüh-
rung der Atomrückstellungen in einen öffentlichen Fonds;

● soll der Neubau von Kohlekraftwerken durch die Einführung eines Mindest-
wirkungsgrads für fossile Kraftwerke wirksam gestoppt werden;

● sollen ein Energieeffizienzgesetz mit verbindlicher Einsparquote für Ener-
gieversorger erarbeitet, eine unabhängige Effizienzagentur gegründet sowie
ein neuer Energiesparfonds in Höhe von 3 Mrd. Euro eingerichtet werden,
aus dem z. B. der Austausch ineffizienter Stromheizungen, die Anschaffung
besonders stromsparender Geräte und Maschinen sowie die Energiespar-
beratung gefördert werden;

● sollen die erneuerbaren Energien ausgebaut werden durch Beibehaltung und
Weiterentwicklung des EEG und die Netz- und Systemintegration durch
Netzaus- und Netzumbau sowie Speicherlösungen verbessert werden;

● sollen die Stromnetze forciert aus- und weitergebaut werden und die Über-
tragungsnetze unter öffentliche Kontrolle gebracht werden, der Ausweitung
des Baus von Erdkabeln anstelle umstrittener Freileitungen Vorrang einge-
räumt werden, 500 Mio. Euro bis 2013 für den Um- und Ausbau der Netze
bereitgestellt werden, u. a. zur Förderung „intelligenter“ Netze sowie zum
Bau von Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ);

● sollen Ausnahmeregelungen bei der Ökosteuer und umweltschädliche Sub-
ventionen abgebaut sowie die europäische Emissionsobergrenze für CO2
(Cap) abgesenkt werden.

Im Wärmebereich

● sollen verbindliche Obergrenzen für den Energieverbrauch im Gebäude-
bestand eingeführt sowie die Energieeinsparverordnung (EnEV) für Neu-
bauten und bei umfangreichen Sanierungen verschärft werden;

● sollen das Gebäudesanierungsprogramm auf mindestens 2,2 Mrd. Euro jähr-
lich verstetigt sowie zusätzliche Mittel aus dem o. g. Energiesparfonds zur
energetischen Sanierung in Quartieren mit einem hohen Anteil einkom-
mensschwacher Haushalte bereitgestellt werden;

Drucksache 17/3485 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
● soll ein Mietminderungsrecht bei Verstoß gegen Energiesparstandards ge-
schaffen und bei der Duldung sollen energetische Sanierungen gegenüber
anderen Maßnahmen privilegiert werden;

● sollen die Zulage für Strom aus effizienter KWK angehoben, der Förderzeit-
raum verlängert sowie eine verpflichtende KWK-Anwendung bei industriel-
ler Wärme eingeführt werden;

● sollen die Nutzungspflicht für erneuerbare Wärme auf Bestandsgebäude
ausgeweitet und die Quote in Neubauten dynamisch angehoben werden.

Im Verkehrsbereich

● soll durch eine nachhaltige Siedlungs- und Infrastrukturplanung dazu bei-
getragen werden, dass Verkehre erst gar nicht entstehen und kurze Distanzen
zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigt werden können;

● soll die Verlagerung auf umweltfreundliche Verkehrsmittel durch die Förde-
rung von öffentlichem Personennahverkehr, Fuß- und Radverkehr sowie
nachhaltige Logistikkonzepte im gewerblichen Bereich und einen intelligen-
ten Ausbau der Schienenwege, vor allem auch für den Güterverkehr, geför-
dert werden;

● soll die Effizienz im Straßenverkehr gesteigert werden durch CO2-Grenz-
werte für Pkw von mindestens 80 g/km ab 2020 und 50 g/km ab 2030 und die
Einführung von CO2-Grenzwerten für alle Kraftfahrzeuge, durch die Umset-
zung einer CO2-basierten Kfz-Steuer und die Abschaffung des Dienstwagen-
privilegs, durch die Ausweitung der Lkw-Maut und ein Tempolimit von
120 km/h auf Autobahnen;

● soll eine umfassende Förderstrategie für Elektromobile mit erneuerbaren
Energien beschlossen werden, die zum Ziel hat, bis 2020 zwei Millionen
Elektrofahrzeuge auf den Straßen zu haben;

● soll eine verlässliche Zertifizierung nachhaltiger Biotreibstoffe durchgesetzt
werden, um Fehlentwicklungen zu vermeiden, beispielsweise verstärkte Flä-
chenkonkurrenzen, müssen bestehende Konflikte durch politisches Gegen-
steuern und angepasste Förderinstrumente entschärft werden;

● sollen umweltschädliche Subventionen abgeschafft werden, CO2-Emissions-
rechte im Flugverkehr vollständig versteigert und die Energiesteuerbefreiung
im Luftverkehr (Kerosinsteuer) und im gewerblichen Schiffsverkehr abge-
schafft werden.

Berlin, den 27. Oktober 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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