BT-Drucksache 17/3484

Schutz der biologischen Vielfalt - Die Taxonomie in der Biologie stärken

Vom 27. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3484
17. Wahlperiode 27. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten René Röspel, Dr. Matthias Miersch, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, Willi Brase, Ulla Burchardt, Petra
Ernstberger, Michael Gerdes, Iris Gleicke, Klaus Hagemann, Christel Humme,
Oliver Kaczmarek, Daniela Kolbe (Leipzig), Ute Kumpf, Thomas Oppermann,
Florian Pronold, Marianne Schieder (Schwandorf), Swen Schulz (Spandau),
Andrea Wicklein, Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion
der SPD

Schutz der biologischen Vielfalt – Die Taxonomie in der Biologie stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Schutz der biologischen Vielfalt auf unserem Planeten ist eine große und
schwierige Zukunftsaufgabe. Die genetische Vielfalt, die Artenvielfalt und die
zahlreichen Ökosysteme und Lebensräume sind ein großer Schatz, den wir
schützen und sichern müssen. Immer wieder überraschen die Öffentlichkeit Be-
richte über die Vielfalt biologischen Lebens auf unserem Planeten. So konnten
beispielsweise im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts „Census of
Marine Life“ nach ersten Ergebnissen bereits 185 000 Arten im Meer nachge-
wiesen werden. Wobei die Artenvielfalt in den untersuchten Meeren sehr unter-
schiedlich ausfiel. Auf der Erde sind bisher zwischen 1,5 und 1,75 Millionen
Pflanzen- und Tierarten nachgewiesen. Dies ist aber wohl nur ein Bruchteil der
existierenden Arten. Schätzungen gehen von einer Gesamtsumme von zwischen
13 und 20 Millionen Arten aus.

Gleichzeitig sind besonders artenreiche Gebiete wie der Regenwald durch den
Menschen besonders bedroht. Auch in europäischen Regionen wie dem Mittel-
meer ist die Biodiversität gefährdet. Es wird davon ausgegangen, dass täglich
zwischen zwei und 130 Arten weltweit aussterben. Durch den Klimawandel
könnte der Artenverlust noch größer werden. Der Verlust einer Art bedeutet
nicht nur eine grundsätzliche Reduzierung der Artenvielfalt, sondern kann auf
Grund der Artfunktion innerhalb eines Ökosystems negative Auswirkung auf
das gesamte System haben. Über die Funktionsweise des Ökosystems im Gan-
zen bzw. einzelner Arten innerhalb des Systems existieren immer noch große
Wissenslücken. Aber nur wenn man die Arten und ihre Funktion innerhalb
des Ökosystems kennt, ist deren Schutz und nachhaltige Nutzung zielgerichtet
möglich.

Die grundsätzliche Bedeutung und der Wert der Biodiversität ist mittlerweile
von den meisten Staaten anerkannt. Ein wichtiger Schritt dabei war deshalb die
Unterzeichnung des Übereinkommens zur biologischen Artenvielfalt (CBD)
1992 auf der der Umweltkonferenz in Rio de Janeiro. Ein weiterer öffentlich-
keitswirksamer Schritt war die Ausrufung des Jahres 2010 zum „Internationalen

Drucksache 17/3484 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Jahr der biologischen Vielfalt“ durch die Generalversammlung der Vereinten
Nationen. Die Bundesrepublik Deutschland hat im November 2007 eine Natio-
nale Strategie zur biologischen Vielfalt beschlossen.

Unter Taxonomie in der Biologie versteht man die systematische Bestimmung
und Einteilung von Tieren und Pflanzen in Kategorien wie Familie, Gattung und
Art. Auch die Benennung von neuen Arten fällt in die Arbeiten von Taxonomen.
Wo Wissenschaftler früher vorwiegend mit Köcher und Mikroskop durch den
Urwald zogen, gehören heute auch hochmoderne Methoden der Genetik und
Molekularbiologie zu den Instrumenten der Taxonomen.

In Deutschland kann man den Artenreichtum dieser Erde besonders in den vie-
len Naturkundemuseen und Sammlungen bewundern. Diese Einrichtungen bil-
den das Zentrum der wissenschaftlichen Arbeit im Bereich der Taxonomie. Die
großen naturkundlichen Sammlungen Deutschlands haben sich zum „Deutschen
Naturwissenschaftlichen Forschungssammlungen e. V.“ zusammengeschlossen.
Sie umfassen weit mehr als 100 Millionen Objekte und stellen damit vermutlich
die größte Forschungssammlung weltweit dar. Auf Grund ihrer enormen kurato-
rischen Aufgaben und aus Mangel an Experten und Ressourcen sind Museen
und Sammlungen aber nur sehr begrenzt in der Lage, innovative Forschungs-
komplexe zu bearbeiten. Auch an Universitäten und außeruniversitären For-
schungseinrichtungen wird taxonomische Forschung betrieben. In der Taxono-
mie wird international und interdisziplinär eng zusammen gearbeitet. Auf
europäischer Ebene existiert zum Beispiel seit 2006 das Netzwerk „European
Distributed Institute of Taxonomy“ (EDIT), in dem sich europäische, nordame-
rikanische und russische Partner der Taxonomie zusammengefunden haben.

Taxonomie ist zumeist Grundlagenforschung. Viele andere Wissenschafts-
disziplinen bauen auf deren Erkenntnisse auf. Auf Grund der vorwiegenden be-
schreibenden Arbeit über vorhandene Arten in einem bestimmten Gebiet ohne
die ansonsten in der Wissenschaft übliche Forschungshypothese ist es für Ver-
treterinnen und Vertreter der Taxonomie in Deutschland besonders schwierig,
Forschungsmittel einzuwerben. Durch den Föderalismus und die daraus resul-
tierenden unterschiedlichen Ansprechpartner und Forschungsförderer wird die
Arbeit der Taxonomen in Deutschland ebenfalls erschwert. Hier sind spezielle
auf die Taxonomie zugeschnittene Forschungsprogramme notwendig.

In der Taxonomie macht sich bereits heute ein Mangel an wissenschaftlichem
Nachwuchs bemerkbar. Die Zahl entsprechender Lehrstühle, die nicht mole-
kulargenetisch orientiert sind, hat an den Universitäten deutlich abgenommen.
Diesem Trend muss entgegengewirkt werden. Die Einrichtung spezieller Nach-
wuchsakademien ist deshalb sehr zu begrüßen.

Neben der Erhebung von Daten ist es wichtig, diese für Forschung und gegebe-
nenfalls für eine wirtschaftliche Verwertung nutzbar zu machen. Dafür wird in
Deutschland derzeit noch nach einer optimalen Datenbankstruktur gesucht. Da-
tenbanken sind für die taxonomische Forschung unabdingbar. Weltweit liegen
bisher immer noch hundert Millionen Datensätze in Forschungsinstituten und
Datenbanken, die für die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler un-
erreichbar sind, da sie bisher nicht vernetzt worden sind. Um dieses Wissen
Fachleuten international zugänglich zu machen existiert seit 2001 die Initiative
„Global Biodiversity Information Facility“ (GBIF). Dort arbeiten Wissenschaft-
ler aus über 50 Staaten und internationalen Organisationen an einem weltum-
spannenden Netzwerk aus internetbasierten Datenbanken zur Artenvielfalt. Die
Bundesrepublik Deutschland spielt als eines der GBIF-Gründungsmitglieder
von Anfang an eine tragende Rolle.

Tiere und Pflanzen waren seit Beginn an für den Menschen eine wichtige Res-
source für die zivilisatorische Fortentwicklung. Das hat sich bis heute nicht ge-
ändert. Taxonomen werden benötigt bei der ökologischen Beurteilung von Bio-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3484

topen im Rahmen von Umweltverträglichkeitsprüfungen oder beim Monitoring
von geschützten Gebieten. Auch für die Wirtschaft ist die Arbeit der Taxonomen
deshalb ebenfalls wichtig. Dies kann die Bestimmung invasiver Arten sein, die
Millionenschäden verursachen können oder die Nutzung von Substanzen von
Lebewesen. Denn heute werden wieder mehr Produkte auf Basis pflanzlicher
oder tierischer Bestandteile hergestellt bzw. versucht, neue Rohstoffquellen zu
erschließen. Dafür ist die Wirtschaft auf die Kategorisierungen und Datenban-
ken angewiesen. Da die größte Artenvielfalt in wenig entwickelten Ländern
existiert, ist eine Strategie erforderlich, die sicherstellt, dass auch diese Länder
von dieser Vielfalt wirtschaftlich und nachhaltig profitieren können.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich mit den Bundesländern auf ein Konzept für eine bessere Ausstattung der
naturkundlichen Museen und Sammlungen zu einigen;

2. Strukturen zu unterstützen und gegebenenfalls aufzubauen, die den wissen-
schaftlichen Nachwuchs im Bereich der Taxonomie unterstützen und för-
dern;

3. ein mit den Bundesländern und der Europäischen Kommission abgestimmtes
Bundesforschungsprogramm für die biologische Taxonomie ins Leben zu
rufen, welches Infrastrukturen, Datenbanken, Forschungsprojekte und Ko-
ordinierungsstrukturen langfristig finanziell unterstützt;

4. den reichen Schatz und die Funktion der naturkundlichen Museen und
Sammlungen noch stärker in der Öffentlichkeit darzustellen;

5. sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die Biodiversitätsfor-
schung und dabei auch die Taxonomie im 8. Forschungsrahmenprogramm
sichtbar ausgebaut wird;

6. sich auf internationaler Ebene in den CBD-Verhandlungen dafür einzusetzen,
dass ein möglichst freier Zugang zu biologischen Forschungsobjekten für die
Grundlagenforschung bei gleichzeitigem gerechten Verteilungsausgleich
(access and benefit-sharing – ABS) gewährleistet wird.

Berlin, den 27. Oktober 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.