BT-Drucksache 17/3483

Für eine Stärkung der breit aufgestellten europäischen Grundlagenforschung - Keine finanziellen Einschnitte beim Europäischen Forschungsrat zu Gunsten des Einzelprojekts ITER

Vom 27. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3483
17. Wahlperiode 27. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter
Bartels, Klaus Barthel, Willi Brase, Ulla Burchardt, Petra Ernstberger, Michael
Gerdes, Iris Gleicke, Klaus Hagemann, Christel Humme, Oliver Kaczmarek,
Daniela Kolbe (Leipzig), Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Florian Pronold,
Marianne Schieder (Schwandorf), Swen Schulz (Spandau), Andrea Wicklein,
Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Für eine Stärkung der breit aufgestellten europäischen Grundlagenforschung –
Keine finanziellen Einschnitte beim Europäischen Forschungsrat zu Gunsten
des Einzelprojekts ITER

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Grundlagenforschung ist nicht nur ein Wert an sich, sondern das Funda-
ment für die Produkte und Dienstleistungen der Zukunft. Finanziert wird dieser
Bereich in erster Linie durch die öffentliche Hand. In Deutschland erfolgt diese
Förderung auf Bundesebene über die zahlreichen, international renommierten
Forschungsorganisationen sowie durch die Projektförderung des Bundesminis-
teriums für Bildung und Forschung. Diese Formen der Forschungsförderung
haben sich über viele Jahrzehnte entwickelt und sind auch im internationalen
Vergleich vorbildlich.

Auf europäischer Ebene existiert seit 2007 als neuer Bestandteil des 7. For-
schungsrahmenprogramms (FRP) der Europäische Forschungsrat (ERC). Mit
diesem Instrument wurde ein neuer Weg im Bereich der Förderung europäischer
Grundlagenforschung betreten. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft e. V.
(DFG) hat beim ERC insbesondere in Bezug auf Arbeitsweise und Strukturen
Pate gestanden. Die Umsetzung des Bottom-up-Prinzips, dass also Projekte
allein nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten bewertet und gefördert werden,
ist hierbei ein Kernelement der Förderung. Eine Steuerung etwa seitens der EU-
Kommission soll nicht stattfinden. Dies ist für die europäische Forschungsför-
derung ein neues Prinzip.

Für den Zeitraum 2007 bis 2013 stehen für den ERC ca. 7,5 Mrd. Euro zur Ver-
fügung. Diese werden als „starting grants“, für junge Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler, sowie als „advanced grants“ an bereits etablierte Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben. Alle Fachrichtungen sind förder-

fähig. Die Fördersumme eines einzelnen Projektes kann bis zu 3,5 Mio. Euro
betragen.

Seit dem Bestehen des ERC hat es einen internationalen Ansturm auf diese
europäische Förderung gegeben. Der ERC hat somit offenkundig eine wichtige
Lücke in der europäischen Forschungslandschaft geschlossen. Förderanträge
schneiden dabei, abhängig von der Nationalität der Wissenschaftlerinnen und

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Wissenschaftler, dem möglichen Sitzland des zu fördernden Projektes sowie
der Fachrichtung sehr unterschiedlich ab. Ein wichtiger Grund für diese Diffe-
renzen in den Erfolgschancen sind die Unterschiede in den nationalen For-
schungsstrukturen in Europa.

In naher Zukunft beginnen die Verhandlungen über die Ausgestaltung des
8. Forschungsrahmenprogramms. Dabei wird auch über die strukturellen und
finanziellen Details der Weiterführung des ERC verhandelt werden. Ein finan-
zieller Budgetaufwuchs für den ERC wäre sehr zu begrüßen. Aber auch die
finanzielle und organisatorische Autonomie des ERC muss weiter verbessert
werden, so dass das Bottom-up-Prinzip voll zum Tragen kommen kann. Darüber
hinaus sollten die immer noch sehr komplexen administrativen Prozeduren beim
ERC vereinfacht und verkürzt werden. Bei der Verbesserung der Arbeitsweise
des ERC kann auf Evaluationsberichte, wie zum Beispiel den so genannten
Rietschel-Report, zurückgegriffen werden.

Ein weiteres Großprojekt der Grundlagenforschung, in das die Europäische
Union große Summen investiert, ist der Bau des „Internationalen Thermo-
nuklearen Experimental-Reaktor“ (ITER). Partner sind dabei neben der EU,
Japan, Russland, die USA, China, Indien und Südkorea. Innerhalb der EU wird
ITER über EURATOM (Europäische Atomgemeinschaft) administriert. Als
Standort wurde das französische Cadarache gewählt. Die EU trägt 45,5 Prozent
der Kosten. Laut Planung soll für den Fall, dass die ITER-Experimente erfolg-
reich abgeschlossen werden, im Anschluss der Versuchsreaktor DEMO
(Demonstrationsanlage) gebaut werden. ITER und DEMO sind der Fusions-
forschung zuzurechnen. Hierbei sollen Abläufe, die in der Sonne stattfinden, in
einem Kraftwerk nachempfunden werden. Vorteile einer solchen Energiegewin-
nung wären die dafür langfristig verfügbaren Ressourcen und die relative
Umweltverträglichkeit im Vergleich zur Kernspaltung. Ob die Kernfusion in der
Zukunft, frühestens ab 2050, aber wirklich zu einer bezahlbaren und sicheren
Energiequelle wird, ist vollkommen unklar. Fusionsforschung ist ein spannender
Forschungsbereich; für die bereits heute nötige Energiewende kommt sie als
Energiequelle aber definitiv zu spät. Im Unterschied zum ERC handelt es sich
bei ITER um ein typisches Top-down-Projekt; dies bedeutet, dass die Entschei-
dung über die Förderung des Projektes maßgeblich auf politischer Ebene ent-
schieden wurde und wird.

Nach aktuellen Informationen werden die Baukosten für ITER auf über
15 Mrd. Euro steigen, was eine Verdreifachung der ursprünglichen Kosten be-
deuten würde. Für die EU bedeutet dies einen Kostenanstieg auf ca. 6,6 Mrd.
Euro, im Vergleich zu den 2,6 Mrd. Euro, die bei Vertragsunterzeichnung ver-
einbart waren. Diese Gelder sollen nach der Entscheidung des Europäischen
Rates aus dem EU-Haushalt fließen. Allein für den Zeitraum 2012 bis 2013
klafft nach heutigen Informationen eine Finanzierungslücke von 1,4 Mrd. Euro.
Dies muss zum größten Teil aus dem europäischen Forschungshaushalt, aus der
Rubrik 1a, gegenfinanziert werden. Dies wird nachhaltig negative Auswirkun-
gen auf die gesamte europäische Forschungslandschaft haben.

Nach derzeitigen Informationen ist zu befürchten, dass die Europäische Kom-
mission insbesondere bei der noch relativ neuen Institution – dem ERC – Ein-
sparungen vorschlagen wird. Dies wäre ein harter Schlag für die gesamte euro-
päische Grundlagenforschung und eine Infragestellung des auf europäischer
Ebene gerade erst neu eingeführten Bottom-up-Prinzips. Ein „Kaputtsparen“
der gesamten, innovativen und breit aufgestellten Grundlagenforschung zu
Gunsten nur eines Grundlagenforschungsprojekts darf es nicht geben und muss
verhindert werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3483

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich auf europäischer Ebene weiter dafür einzusetzen, dass der ERC so weit
als möglich frei von administrativen Hürden der Europäischen Kommission
arbeiten kann und ein wirklicher Bottom-up-Ansatz verwirklicht wird;

2. dafür zu werben, dass die administrativen Hürden bei der Begutachtung und
Auszahlungen der Fördergelder durch den ERC auf ein Mindestmaß zurück-
gefahren werden;

3. darauf hinzuarbeiten, dass das europäische Forschungsbudget innerhalb des
8. Forschungsrahmenprogramms insgesamt erhöht und dabei der ERC ver-
stärkt bedacht wird;

4. sicherzustellen, dass die jetzt für ITER ausgehandelten Mehrkosten die ab-
solute Finanzierungsobergrenze bleiben;

5. dafür Sorgen zu tragen, dass ITER nicht auf Kosten gut funktionierender
und auch international als innovativ bewerteter Institutionen und Projekte
finanziert wird;

6. dafür Sorge zu tragen, dass ITER nicht auf Kosten der Erforschung und Nut-
zung der erneuerbaren Energie und der Energieeffizienz finanziert wird,
sondern diese Bereiche ebenfalls stärker ausgebaut werden;

7. sich dafür einzusetzen, dass für alle Projekte und Institutionen im For-
schungsbereich, die jetzt auf Grund von ITER finanzielle Einschränkungen
hinnehmen müssen, es im nächsten Haushalt mindestens einen gleichrangi-
gen finanziellen Ausgleich geben wird;

8. Lösungen zu finden, wie ITER verstärkt durch privatwirtschaftliche Gelder
mitfinanziert werden kann;

9. sich mit allen Mitteln dafür einzusetzen, dass dem ERC durch den finanziel-
len Mehrbedarf und die hieraus folgende finanzielle Umverteilung zu Guns-
ten von ITER keine finanziellen oder strukturellen Nachteile entstehen wer-
den.

Berlin, den 27. Oktober 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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