BT-Drucksache 17/3482

Für Fairness beim Berufseinstieg - Rechte der Praktikanten und Praktikantinnen stärken

Vom 27. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3482
17. Wahlperiode 27. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Anette Kramme, Gabriele Lösekrug-Möller, Josip Juratovic,
Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, Ulla Burchardt, Willi Brase, Petra Ernstberger,
Michael Gerdes, Iris Gleicke, Klaus Hagemann, Hubertus Heil (Peine), Gabriele
Hiller-Ohm, Christel Humme, Oliver Kaczmarek, Daniela Kolbe (Leipzig), Angelika
Krüger-Leißner, Ute Kumpf, Steffen-Claudio Lemme, Caren Marks, Katja Mast,
Thomas Oppermann, Florian Pronold, René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Anton Schaaf, Marianne Schieder (Schwandorf), Silvia Schmidt (Eisleben), Ottmar
Schreiner, Swen Schulz (Spandau), Stefan Schwartze, Sonja Steffen, Andrea
Wicklein, Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Für Fairness beim Berufseinstieg – Rechte der Praktikanten und Praktikantinnen
stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Zunehmend ist der direkte Einstieg in den Beruf nach Abschluss von Berufs-
ausbildung oder Studium für junge Menschen verschlossen, stattdessen erfolgt
der Berufseinstieg über ein Praktikum.

Solche Praktika können der beruflichen Orientierung dienen, doch viele Prakti-
kantinnen und Praktikanten erhalten entweder überhaupt keine Vergütung oder
werden ohne adäquate Vergütung als normale Arbeitskräfte eingesetzt. Diese
Ausbeutung junger Menschen beim Berufseinstieg muss verhindert werden.

In den meisten Fällen haben Absolventinnen und Absolventen einer schulischen
oder betrieblichen Ausbildung oder eines Studiums bereits berufliche Erfahrun-
gen in Unternehmen oder der öffentlichen Verwaltung gemacht; in der Regel
sind sie Teil der Ausbildung. Diese Berufseinsteigerinnen und -einsteiger sind
somit vollumfänglich qualifiziert, um als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
beschäftigt zu werden. Es müssen daher faire Regeln für sie geschaffen und ihr
Missbrauch als flexible und billige Arbeitskräfte verhindert werden. Gleich-
wohl müssen gute und faire Praktika auch nach Berufsabschluss erhalten blei-
ben.

Die Bedeutung dieses Themas hat sich auch 2006 gezeigt, als die bislang größte
Massenpetition beim Deutschen Bundestag eingereicht wurde, die die Schaf-
fung fairer Regelungen für Praktika forderte.
Forschungsergebnisse belegen den gesetzgeberischen Handlungsbedarf: Jede/
jeder vierte Hochschulabsolventin/-absolvent (24 Prozent), beinah jede/jeder
Dritte nach schulischer Berufsausbildung (31 Prozent) und jede/jeder fünfte
betrieblich Ausgebildete (19 Prozent) steigt per Praktikum in den Beruf ein In-
ternationales Institut für Empirische Sozialökonomie – INIFES – im Auftrag

Drucksache 17/3482 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales/der Bundesanstalt für Arbeits-
schutz und Arbeitsmedizin 2008).

Je jünger die Altersgruppe, desto größer ist der Anteil derjenigen, die ein Prak-
tikum absolvieren, d. h. immer mehr Berufeinsteigende durchlaufen nach Ab-
schluss des Studiums bzw. der Ausbildung zunächst ein Praktikum. Der Anteil
derjenigen, die anschließend in ein Arbeitsverhältnis übernommen werden, fällt
mit 22 Prozent eher mager aus (ebd.), zumal die Mehrheit dieser Übernahmen
nur zu einem befristeten Vertrag führt. Praktika nehmen damit immer mehr die
Funktion einer Probezeit bzw. eines befristeten Arbeitsverhältnisses ein. Voll
Ausgebildete müssen sich vor einer regulären Einstellung erst einmal im Unter-
nehmen „beweisen“.

Dass Praktikantinnen und Praktikanten durch Unternehmen nicht selten aus-
genutzt werden, spiegeln auch Stellenanzeigen von Unternehmen und systema-
tische Erfahrungsberichte Ehemaliger wider. Beispielhaft ist etwa die Stellen-
anzeige eines Verlags, in der bei 22 ausgeschriebenen Praktikantenstellen für
zehn ausdrücklich ein abgeschlossenes Studium bzw. eine abgeschlossene Aus-
bildung als Fotografin/Fotograf oder Grafikerin/Grafiker vorausgesetzt wurde.
Der Verein fairwork e. V. hat das Unternehmen aufgrund dieser Stellenanzeige
mit dem Preis „Goldener Raffzahn 2009“ ausgezeichnet. Der Verein fairwok
e. V. unterhält zudem – ebenso wie der Deutsche Gewerkschaftsbund – auf
seiner Internetseite ein Unternehmensarchiv, in dem Berichte ehemaliger Prak-
tikantinnen und Praktikanten nachzulesen sind. Auch hier fallen die Beurteilun-
gen durchwachsen aus. Während Viele sich dank guter Betreuung beruflich
weiterentwickeln konnten und auch noch angemessen bezahlt wurden, gibt es
auch eine ganze Reihe vernichtender Urteile.

Offenkundig reichen bestehende Regelungen für faire Praktika im Berufsbil-
dungsgesetz (BBiG) nicht aus. Ein Praktikum ist ein Vertragsverhältnis gemäß
dem BBiG, sofern es dem Erwerb „beruflicher Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähig-
keiten oder beruflicher Erfahrungen“ dient und wenn es keine Berufsausbildung
im Sinn des BBiG ist. Unter den gesetzlichen Schutz fallen somit alle freiwil-
ligen Praktika, sowohl während als auch nach einem Studium oder einer Ausbil-
dung. Für die Regelung der Rahmenbedingungen für Pflichtpraktika während
der Schulzeit oder des Studiums sind die Länder zuständig.

Laut BBiG besteht ein Anspruch auf eine angemessene Vergütung sowie auf
Ausstellung eines Zeugnisses. Sofern dem Inhalt der Tätigkeit nach tatsächlich
aber ein normales Arbeitnehmerverhältnis vorliegt, besteht Anspruch auf einen
regulären Arbeitslohn (Scheinpraktikum). Das ist dann der Fall, wenn nicht der
Lernzweck, sondern die Arbeitsleistung im Vordergrund steht. Die Regelungen
zum Schutz von Praktikantinnen und Praktikanten sind jedoch kaum bekannt.
Hinzu kommt, dass viele Praktikantinnen und Praktikanten in der Hoffnung auf
eine Festanstellung auch noch nach Ende des Praktikums auf eine Durchset-
zung ihrer Rechte verzichten. Tatsächlich gibt es nur wenige gerichtliche Ent-
scheidungen zu Fällen, in denen Praktikantinnen und Praktikanten Rechte ein-
geklagt haben. Steht fest, dass eine Festanstellung nicht zustande kommt, bleibt
oft wegen tariflicher oder vertraglicher Ausschlussfristen nur wenig Zeit,
Rechte einzuklagen. Hinzu kommen häufig Beweisschwierigkeiten; insbeson-
dere wenn es um den Nachweis geht, dass nach dem Inhalt der verrichteten
Tätigkeit kein Praktikantenverhältnis, sondern ein Arbeitsverhältnis vorgelegen
hat.

Die SPD hatte schon in der vergangenen Legislaturperiode eine Initiative für
einen Gesetzentwurf gestartet. Trotz monatelanger Verhandlungen gelang eine
Einigung mit der CDU/CSU jedoch nicht.

Die Forderung der SPD, dass Praktikanten und Praktikantinnen bis zu drei

Jahre nach Ende des Praktikums Zeit haben sollen, um im Nachhinein gegen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3482

eine zu niedrige Bezahlung zu klagen, lehnte die CDU/CSU ab und bestand auf
eine Begrenzung auf zwei Monate. Auch eine Beweiserleichterung für einen
einfacheren Nachweis von Scheinpraktika, die tatsächlich Arbeitsverhältnisse
sind, lehnte die CDU/CSU ab.

Die Bundesregierung zeigt keinerlei Interesse an gesetzlichen Klarstellungen,
sondern setzt vielmehr auf eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft. Sie über-
sieht dabei die Realität. Junge Absolventinnen und Absolventen sind die Fach-
kräfte von morgen und müssen beim Berufseinstieg motiviert, unterstützt und
geschützt werden.

Lediglich die öffentliche Unterstützung der Bundesregierung einer Initiative
der Wirtschaft ist nicht ausreichend. Die bestehenden Regelungen für faire
Praktika müssen vielmehr durch gesetzliche Klarstellungen verbessert werden.
Zudem muss die Bundesregierung weitere untergesetzliche Maßnahmen ergrei-
fen.

Die öffentlichen Petitionen vom 5. April 2006 (4-16-11-81317-006547) und
vom 13. Oktober 2006 (4-16-11-81317-014016), mit denen eine gesetzliche
Klarstellung der Praktikantenverhältnisse gefordert wurde, haben Eingang in
diesen Antrag gefunden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der den nachfolgenden For-
derungen Rechnung trägt:

● In das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) ist eine gesetzliche Definition des
Praktikums aufzunehmen, die sich an der von der Rechtsprechung ent-
wickelten Definition orientiert.

● Das BGB ist um einen Verweis auf die Regelungen des BBiG zu ergänzen,
aus dem folgt, dass ein Praktikum angemessen vergütet werden muss
(§ 26 i. V. m. §§ 17, 18 BBiG); zusätzlich ist in das BBiG die Pflicht zur
Zahlung einer Mindestvergütung für Praktika i. S. d. BBiGs in Höhe von
350 Euro brutto monatlich aufzunehmen.

● Klarstellend ist im BGB zu regeln, dass auch ein Arbeitsverhältnis, das
falsch bezeichnet ist (z. B. als Praktikum oder Hospitanz), zu einem regu-
lären Vergütungsanspruch führt.

● Die Zeit der Betriebszugehörigkeit im Rahmen eines Praktikums muss
nach dem Kündigungsschutzgesetz auf das anschließende Arbeitsverhält-
nis angerechnet werden.

● In das BGB ist eine Regelung zur Beweislasterleichterung aufzunehmen;
werden Tatsachen vorgetragen, die vermuten lassen, dass nicht ein Prak-
tikum, sondern ein Arbeitsverhältnis vorliegt, hat der Arbeitgeber die
Beweislast für das Gegenteil zu tragen.

● Die laut § 26 BBiG nur für Praktika geltende Ausnahme von der Pflicht
zum schriftlichen Vertragsabschluss ist zu streichen.

● Es ist gesetzlich zu regeln, dass tarifvertragliche oder individualvertrag-
liche Ausschlussfristen, denen zufolge Ansprüche aus einem Rechtsver-
hältnis zwingend innerhalb einer bestimmten Frist geltend gemacht wer-
den müssen, für Praktika/Scheinpraktika nicht gelten bzw. nicht wirksam
vereinbart werden können;

Drucksache 17/3482 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
2. aktiv zu werden und wo nötig und möglich gemeinsam mit den Ländern, den
Hochschulen, der Bundesagentur für Arbeit, den Sozialpartnern, den gesell-
schaftlichen Gruppen sowie den Betroffenen Maßnahmen zu ergreifen.
Dazu gehört

● die nach den Studienordnungen verpflichtenden Praktika zu definieren,
ein Evaluationssystem einzurichten und für Studierende bessere Informa-
tionsmöglichkeiten zu schaffen;

● die Prüfung inwieweit Vor- und Nachpraktika, die von der Studienord-
nung verlangt werden, in die Regelstudienzeit aufgenommen und somit in
die Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz einbezogen
werden können;

● eine umfassende Information über Rechte und Pflichten im Rahmen von
Praktika durch die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen ihrer Aktivitäten
der Berufsinformation und Vermittlung;

● die kontinuierliche Datenerhebung zur Situation von Absolventinnen/
Absolventen und Berufseinsteigerinnen/Berufseinsteigern und deren
kontinuierliche Thematisierung in der empirischen Arbeitsmarkt- und
Bildungsforschung;

● die Prüfung der Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen für faire Prak-
tika und Erstattung eines ersten Berichtes an den Deutschen Bundestag im
Jahr 2012.

Berlin, den 27. Oktober 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.