BT-Drucksache 17/3430

Logistikstandort Deutschland stärken - Transport- und Güterverkehr nachhaltig gestalten

Vom 26. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3430
17. Wahlperiode 26. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Kirsten Lühmann, Uwe Beckmeyer, Sören Bartol, Martin
Burkert, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ulrike Gottschalck, Michael Groß,
Hans-Joachim Hacker, Gustav Herzog, Johannes Kahrs, Ute Kumpf, Caren Marks,
Thomas Oppermann, Florian Pronold, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der
Fraktion der SPD

Logistikstandort Deutschland stärken – Transport-und Güterverkehr nachhaltig
gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Logistikbranche ist in Deutschland dem Umsatz nach die drittgrößte
Branche nach dem Handel und der Automobilindustrie. Sie hat große Be-
deutung für Wirtschaft, Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung. Für eine
moderne, arbeitsteilige Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft sind Güter-
verkehr und Logistik unentbehrliche Bestandteile des Produktions- und Dienst-
leistungsprozesses. Handel und Gewerbe sind auf zuverlässige und pünktliche
Transporte angewiesen. Güterverkehr und Logistik ermöglichen eine effiziente
weltweite Organisation der Produktion. Sie stärken damit die Leistungsfähig-
keit und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft.

Allein in Deutschland stellt der Güterverkehrs- und Logistiksektor mehr als
2,7 Millionen Arbeitsplätze. Das sind 8 Prozent aller Erwerbstätigen.

Der Transport von und die Versorgung mit Gütern bilden eine wesentliche
Grundlage der Lebensqualität und Selbstentfaltung und sind zugleich eine
wichtige Voraussetzung sozialer Interaktion in Deutschland. Güterverkehr
nimmt eine Schlüsselposition bei der Ausgestaltung des Verkehrssystems ein,
lässt sich aber nur als Teil von Mobilität insgesamt betrachten.

Diese Mobilität hat ihren Preis, nicht nur in Form von gerechter Entlohnung für
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Tarifen und Treibstoffkosten,
sondern auch durch Verkehrslärm, Luftverschmutzung, Flächenverbrauch und
Zerschneidung von Städten und Landschaften.

Die zentrale Aufgabe einer integrierten Verkehrspolitik besteht darin, die ge-
sellschaftlich notwendige Mobilität umwelt- und sozialverträglich zu gestalten
und gleichzeitig den Logistikstandort Deutschland zu stärken. Dieser Heraus-

forderung, Mobilität für Güter und Personen zu ermöglichen, gleichzeitig aber
Belastungen für Menschen und Umwelt zu senken, hat sich der Masterplan
Güterverkehr und Logistik erfolgreich gestellt.

Mit dem Masterplan Güterverkehr und Logistik legte auf Initiative der SPD
die Bundesregierung in der letzten Wahlperiode ein strategisches Konzept vor.
Ziel des Plans war es, eine leistungsfähige Infrastruktur als Grundlage für eine
leistungsfähige Transport- und Logistikbranche zu sichern und den zukünftigen

Drucksache 17/3430 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Verkehr energiesparend, effizient, sauber und leiser zu machen. Gleichzeitig
war es das Ziel, verstärkt für den Logistikstandort Deutschland international in
Zusammenarbeit mit dem Gewerbe zu werben und die Arbeitsbedingungen der
Beschäftigten in der Verkehrswirtschaft zu verbessern.

Der Masterplan enthält 35 konkrete Maßnahmen, die mehr als 700 Experten aus
Unternehmen, Gewerkschaften, Politik, Wirtschafts- und Umweltverbänden
sowie der Wissenschaft erarbeitet haben. Sie sind bezüglich ihrer Problem-
stellungen, Ausgestaltung, Verantwortlichkeiten, Kosten und Wirkungen detail-
liert beschrieben und mit Zeithorizonten versehen. Der Plan ist komplementär
zum „Aktionsplan Güterverkehrslogistik“ der Europäischen Kommission.

Die Maßnahmen des Masterplans Güterverkehr und Logistik kommen neben
der Verkehrswirtschaft allen Bürgerinnen und Bürgern zugute, etwa indem
Staus durch ein modernes Baustellenmanagement vermieden, hoch belastete
Schienenkorridore und Autobahnen ausgebaut und Verkehrslärm und Umwelt-
verschmutzung reduziert werden sollen.

Die CDU/CSU- und FDP-geführte Bundesregierung plant nun eine Neuaus-
richtung des Masterplans. Unter dem Deckmantel der Neujustierung wird der
integrative Ansatz des Masterplans Güterverkehr und Logistik jedoch ersatzlos
gestrichen.

Die sechs Ziele des ursprünglichen Masterplans haben mit den fünf „Ober-
zielen“ des zum „Aktionsplan Güterverkehr und Logistik“ umgetauften Papiers
des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung nicht mehr
viel gemein. Insbesondere der Verzicht auf das Ziel „mehr Verkehr auf Schiene
und Binnenwasserstraße“, ist nicht nachvollziehbar. Zumal dies auch eine Ab-
kehr von Aussagen der schwarz-gelben Koalitionsvereinbarung bedeutet.

Alternativlos wäre daher die Attraktivität des umweltfreundlichen Verkehrs-
trägers Schiene zu erhöhen, um mehr Güter auf die Schiene zu verlagern. Bei
einem prognostizierten Anstieg von 71 Prozent bis zum Jahr 2025 ist mit
nahezu einer Verdoppelung des Güterverkehrs auf vielen Fernstraßen zu
rechnen. Wo heute auf Autobahnen eine Fahrspur von Lkw genutzt wird, wären
in knapp zwanzig Jahren zwei Spuren nötig, um das gestiegene Güterauf-
kommen bewältigen zu können.

Die generelle Euphorie der Bundesregierung für Gigaliner führt in eine ver-
kehrs- und umweltpolitische Sackgasse. Gigaliner sind keine adäquate Lösung,
das zu erwartende erhöhte Verkehrsaufkommen in den Griff zu bekommen. Die
Bundesregierung plant einen bundesweiten Feldversuch, der derzeit von acht
Bundesländern abgelehnt wird.

Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, dass der Einsatz von Gigalinern
oder sogenannten Eurocombis zu einer Transportverlagerung von der Schiene
auf die Straße führen würde. Eine solche Entwicklung widerspräche jeglicher
verkehrspolitischer und klimapolitischer Vernunft.

Die Verkehrsministerkonferenz der Länder hat sich bereits im Jahr 2007 und
aktuell 2010 gegen eine Fortführung der damaligen Feldversuche in den
Ländern ausgesprochen.

Mit der Neuausrichtung des Masterplans Güterverkehr und Logistik durch die
schwarz-gelbe Bundesregierung wird die Maßnahme, ein Konzept zur Ein-
beziehung externer Kosten in die Maut zu erstellen, ersatzlos gestrichen. Die
Bundesregierung hat damit den Gestaltungsanspruch aufgegeben, die euro-
päische Debatte um die Novellierung der EU-Eurovignettenrichtlinie und der
EU-Wegekostenrichtlinie offensiv zu begleiten als auch die Umsetzung auf
nationaler Ebene in Deutschland vorzubereiten.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3430

Die Bundesregierung hat mit Zustimmung der Koalitionsfraktionen der CDU/
CSU und FDP im Deutschen Bundestag durchgesetzt, auf die bereits be-
schlossene Erhöhung der Lkw-Maut für Euro-3-Fahrzeuge und die gleich-
zeitige Entlastung der Euro-5-Fahrzeuge zu verzichten. Das ist ein falsches
Signal: der Trend zu sauberen Fahrzeugen wird damit gestoppt. Die Lkw-
Mautsätze wurden bei der Novellierung der Lkw-Mauthöheverordnung zum
1. Januar 2009 so ausgestaltet, dass sie Anreize schaffen, auf weniger umwelt-
schädliche Fahrzeuge umzusteigen.

Die Rücknahme der Änderung der Lkw-Mauthöheverordnung zum 1. Januar
2011 bringt nur für wenige deutsche Unternehmen eine Entlastung und bestraft
die Firmen, die trotz der Wirtschaftskrise umweltfreundliche Fahrzeuge ange-
schafft haben. Nutznießer der Neuregelung werden mehrheitlich Unternehmen
aus dem Ausland sein, die bisher noch nicht in neue Euro-5-Fahrzeuge inves-
tiert haben.

Zudem plant die Bundesregierung die Lkw-Mauteinnahmen künftig einzig in
den Ausbau der Straßeninfrastruktur fließen zu lassen. Dies konterkariert die
erfolgreichen Bemühungen der letzten Jahre, Verkehr zunehmend auf den
umweltfreundlichen Verkehrsträger Schiene zu verlagern. Die Mittel aus den
Lkw-Mauteinnahmen sind auch in Zukunft dringend notwendig, um die
Schieneninfrastruktur in Deutschland weiter zu verbessern.

Neben den inhaltlichen Unzulänglichkeiten des Aktionsplans beklagen die
Verbände der Transport- und Logistikbranche und die Bundesländer zu-
nehmend die schleppende Kommunikation sowie die Art der Abstimmung und
Zusammenarbeit mit der Bundesregierung. Vertreter des Bundesrates sind
bisher nicht an der Neuausrichtung des Masterplans Güterverkehr und Logistik
beteiligt worden. Vertreter der Transport- und Logistikunternehmen sind an der
Vorbereitung des deutschlandweiten Feldversuches mit Gigalinern nicht ein-
bezogen.

Der um wesentliche Ziele und Maßnahmen reduzierte neue Aktionsplan Güter-
verkehr und Logistik der Bundesregierung ist nicht mehr geeignet, die zentrale
Herausforderungen des Verkehrs zu benennen, geschweige denn sie zu meistern
und neue Impulse für die Logistik- und Transportbranche zu setzen, die allen
Bürgerinnen und Bürgern wie auch den Unternehmen zugutekommen würden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. um den künftigen Herausforderungen an ein zukunftsfähiges Verkehrs-
system gerecht zu werden, den bereits durch den Masterplan Güterverkehr
und Logistik angestoßenen Prozess einer integrierten Verkehrspolitik zur
Stärkung des Logistikstandortes Deutschland konsequent fortzuführen und
stetig weiterzuentwickeln;

2. die Attraktivität des Schienenverkehrs und der Binnenschifffahrt in Deutsch-
land zu erhöhen, um diesen umweltfreundlichen Verkehrsträgern innerhalb
des integrierten Ansatzes gerecht zu werden;

3. die von der Bundesregierung geplante Erprobung von sogenannten Giga-
linern im Rahmen eines bundesweiten Feldversuchs zu stoppen;

4. ein eigenes Konzept zur Einbeziehung der externen Kosten im Güterverkehr
zu erarbeiten, um sich auf europäischer Ebene aktiv an der Diskussion um
die Novellierung der Eurovignettenrichtlinie und der EU-Wegekosten-
richtlinie zu beteiligen sowie deren Umsetzung auf nationaler Ebene vor-
zubereiten;

Drucksache 17/3430 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
5. die von Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und
FDP im Deutschen Bundestag zum 1. Januar 2011 beschlossene Änderung
der Mauthöheverordnung zu Ungunsten von Euro-5-Fahrzeugen rückgängig
zu machen;

6. die Höhe der Mautharmonisierungsmittel auf dem im Mautkompromiss
vereinbarten Niveau zu erhalten, damit die Wettbewerbsbedingungen des
deutschen Güterkraftverkehrsgewerbes im Vergleich zur ausländischen
Konkurrenz nicht beeinträchtigt werden;

7. die Lkw-Mauteinnahmen im Sinne des geltenden Mautgesetzes allen drei
Verkehrsträgern (Straße, Schiene, Wasser) zugutekommen zu lassen;

8. die bereits für das erste Halbjahr 2010 von der Bundesregierung an-
gekündigte Überprüfung der Bedarfspläne für die Bundesfernstraßen und
Bundesschienenwege zügig vorzulegen;

9. die Bundesländer und alle betroffenen Verbände und Experten aus Unter-
nehmen, Gewerkschaften, Politik, Wirtschafts- und Umweltverbänden
sowie der Wissenschaft in die Umsetzung und Fortentwicklung eines inte-
grierten Güterverkehrskonzepts, wie es mit dem Masterplan Güterverkehr
und Logistik vorgelegt worden ist, mit einzubeziehen;

10. den neuen Aktionsplan Güterverkehr und Logistik in Zusammenarbeit mit
den Bundesländern und den anderen Ressorts der Bundesregierung zu
überarbeiten und als Beschluss der gesamten Bundesregierung erneut vor-
zulegen.

Berlin, den 26. Oktober 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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