BT-Drucksache 17/3429

Chancen nutzen - Jugendfreiwilligendienste stärken

Vom 26. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3429
17. Wahlperiode 26. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Sönke Rix, Petra Crone, Petra Ernstberger, Iris Gleicke,
Christel Humme, Ute Kumpf, Caren Marks, Franz Müntefering, Aydan Özog˘uz,
Thomas Oppermann, Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Rolf Schwanitz, Stefan
Schwartze, Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Chancen nutzen – Jugendfreiwilligendienste stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Zuge der Diskussionen um die Aussetzung der Wehrpflicht werden Kon-
zepte erörtert, die sich mit den damit einhergehenden Konsequenzen für den
Zivildienst beschäftigen. Da Wehrdienst und Zivildienst als Pflichtdienste un-
mittelbar miteinander zusammenhängen, wird bei einem Aussetzen der Wehr-
pflicht der Zivildienst obsolet.

Der Zivildienst hat sich in den letzten 50 Jahren zu einem Dienst entwickelt,
den junge Männer als bereichernd, prägend und als eine Erweiterung ihrer per-
sönlichen und fachlichen Kompetenz erleben. Die Anerkennung des Zivildiens-
tes und der Zivildienstleistenden in der Gesellschaft ist sehr hoch.

Neben dem Zivildienst wurden die erfolgreichen Jugendfreiwilligendienste FSJ
(Freiwilliges Soziales Jahr) und FÖJ (Freiwilliges Ökologisches Jahr) in den
vergangenen Jahren insbesondere von den Trägern ausgebaut und qualitativ
weiterentwickelt. Sie sind erprobt, äußerst beliebt bei jungen Menschen und
werden erfolgreich gemeinsam von der Zivilgesellschaft, Bund und Ländern
angeboten und gefördert. Zudem wurde durch die rot-grüne Bundesregierung
2002 die Regelung nach § 14c des Zivildienstgesetzes eingeführt, die es jungen
Kriegsdienstverweigerern ermöglicht, einen Jugendfreiwilligendienst an Stelle
eines Zivildienstes abzuleisten.

Jugendfreiwilligendienste eröffnen im Übergang zwischen Jugend- und Er-
wachsenenphase jungen Menschen die Chance persönlicher und beruflicher
Orientierung. Sie ermöglichen neue Lernerfahrungen, vermitteln wichtige
fachliche, soziale und interkulturelle Fähigkeiten und haben deshalb auch eine
hohe jugendpolitische Bedeutung. Mittlerweile engagieren sich etwa 40 000
junge Menschen pro Jahr im Rahmen eines FSJ oder FÖJ und leisten damit

einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft, der die notwendige und hauptamt-
liche Arbeit sinnvoll ergänzt. Weitere positive jugend- und engagementpoli-
tische Effekte von Jugendfreiwilligendiensten wurden bereits in dem Antrag
der SPD-Bundetagsfraktion „Stärkung der Jugendfreiwilligendienste – Platz-
zahlen erhöhen, Qualität ausbauen, Rechtssicherheit schaffen“ (Bundestags-
drucksache 17/2117) ausführlich dargelegt.

Drucksache 17/3429 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Durch den Wegfall des Zivildienstes als Pflichtdienst und die dadurch frei wer-
denden Haushaltsmittel im Etat des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ergibt sich die große Chance, den deutlichen Ausbau von
Jugendfreiwilligendiensten durch den Bund, der rechtlich möglich ist, entschei-
dend voranzubringen.

Mit dem Ausbau der Jugendfreiwilligendienste wird auch der Tatsache Rech-
nung getragen, dass die Bereitschaft von jungen Menschen zum freiwilligen
Engagement sehr hoch ist: Die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber für
Jugendfreiwilligendienste übersteigt die Zahl der Plätze um das Doppelte. Ein
Ausbau von Jugendfreiwilligendiensten wäre gleichzeitig auch ein wichtiger
Schritt zur Stärkung der Bürgergesellschaft und der Jugendpolitik. Durch eine
mögliche Aussetzung der Wehrpflicht und durch den Wegfall des Zivildienstes
ergäbe sich die Möglichkeit, frei werdende Potenziale zu nutzen und durch
einen Ausbau und eine Anpassung der bestehenden Jugendfreiwilligendienste
mehr Gelegenheiten für freiwilliges Engagement zu schaffen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Initiative zum massiven Ausbau der Jugendfreiwilligendienste zu ergrei-
fen und dabei durch den Wegfall des Zivildienstes als Ersatzdienst frei wer-
dende Mittel konsequent in den Ausbau der Jugendfreiwilligendienste zu
investieren;

2. die erfolgreichen Jugendfreiwilligendienste Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ)
und Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) einer Weiterentwicklung der
Jugendfreiwilligendienste zugrunde zu legen. Insbesondere sollen

a) keine Doppelstrukturen und somit Konkurrenzsituationen zwischen unter-
schiedlichen Formen der Freiwilligendienste entwickelt werden. Deshalb
ist von der Einführung eines freiwilligen Zivildienstes Abstand zu neh-
men,

b) das Bildungskonzept des FSJ und des FÖJ zugrunde gelegt werden,

c) der Grundsatz der Nachrangigkeit von staatlichem gegenüber gesell-
schaftlichem Engagement befolgt und eine starke Trägerstruktur aufrecht
erhalten werden,

d) die Rahmenbedingungen für eine Anpassung und einen Ausbau der Frei-
willigendienste im Dialog mit Trägern und Vertreterinnen und Vertretern
der Zivilgesellschaft entwickelt werden;

3. die Attraktivität von Jugendfreiwilligendiensten für junge Frauen und Män-
ner zu erhöhen. Wichtig sind in diesem Zusammenhang zum Beispiel

a) die Einführung von generellen Bonusregelungen beim Zugang zu allen
weiterführenden Bildungseinrichtungen (Wartesemester),

b) zu prüfen, inwieweit BAföG-Vergünstigungen in Form eines Darlehens-
erlasses ermöglicht werden können,

c) die Einführung eines bundesweit gültigen Freiwilligendiensteausweises
für ermäßigte Preise bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie
öffentlicher Kultur- und Sportangebote,

d) verbesserte Lern- und Bildungsangebote im Rahmen des Dienstes sowie
die Möglichkeit, Zusatzqualifikationen zu erwerben,

e) eine bessere Anrechenbarkeit von Dienstzeiten z. B. als Pflichtpraktika
und als erworbene Zusatzqualifikationen für künftige Ausbildungen im
selben Tätigkeitsbereich,
f) eine durch den Bund unterstützte Initiative zur Bewerbung von Jugend-
freiwilligendiensten an Schulen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3429

4. im Zusammenwirken mit den Ländern darauf zu achten, dass auch weiterhin
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jugendfreiwilligendienste arbeits-
marktneutral eingesetzt werden;

5. zu prüfen, wie die für den Zivildienst bereit gestellte Infrastruktur (z. B.
Bundesamt für den Zivildienst, Zivildienstschulen) und das dort vorhandene
Know-how der Beschäftigten zur weiteren Stärkung von Jugendfreiwilligen-
diensten, aber auch zur Wahrnehmung anderer Aufgaben sinnvoll genutzt
werden kann;

6. Hemmschwellen beim Zugang, die momentan vor allem Jugendliche mit
Migrationshintergrund und bildungsferner sozialer Herkunft abschrecken,
abzubauen und Erfahrungen aus den bereits durchgeführten Modellprogram-
men wie „Freiwilligendienste machen kompetent“ zu nutzen, so dass junge
Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppen für ein freiwilliges Engage-
ment begeistert werden können;

7. eine entsprechende Gesetzesinitiative auf den Weg zu bringen und noch
innerhalb der laufenden Legislaturperiode zu evaluieren.

Berlin, den 26. Oktober 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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