BT-Drucksache 17/3424

Kinderfreundliche Nachbesserung der EU-Spielzeugrichtlinie dringend erforderlich

Vom 27. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3424
17. Wahlperiode 27. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Peter Bleser, Nadine Schön (St. Wendel),
Albert Rupprecht (Weiden), Peter Altmaier, Peter Aumer, Thomas Bareiß, Veronika
Bellmann, Gitta Connemann, Ingrid Fischbach, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land),
Erich G. Fritz, Dr. Michael Fuchs, Alois Gerig, Jürgen Hardt, Dr. Matthias Heider,
Ernst Hinsken, Robert Hochbaum, Franz-Josef Holzenkamp, Dieter Jasper,
Andreas Jung (Konstanz), Andreas G. Lämmel, Dr. Max Lehmer, Hans-Georg von
der Marwitz, Dr. h. c. Hans Michelbach, Dr. Mathias Middelberg, Marlene Mortler,
Stefan Müller (Erlangen) Dr. Georg Nüßlein, Franz Obermeier, Eduard Oswald,
Rita Pawelski, Ulrich Petzold, Christoph Poland, Eckhardt Rehberg, Josef Rief,
Dr. Heinz Riesenhuber, Johannes Röring, Anita Schäfer (Saalstadt), Carola
Stauche, Dieter Stier, Lena Strothmann, Kai Wegner, Volker Kauder,
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Dr. Erik Schweickert, Claudia Bögel,
Klaus Breil, Rainer Erdel, Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann,
Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Martin Lindner (Berlin), Christian Lindner,
Dr. Hermann Otto Solms, Birgit Homburger und der Fraktion der FDP

Kinderfreundliche Nachbesserung der EU-Spielzeugrichtlinie dringend
erforderlich

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Wenn es um die Sicherheit und Gesundheit unserer Kinder geht, darf es keine
Kompromisse geben. Zwar stellt die 2009 veröffentlichte EU-Richtlinie gegen-
über früheren Regelungen einen großen Fortschritt dar. Dennoch gibt es aus
Sicht des Deutschen Bundestages noch in wesentlichen Punkten Nachbesse-
rungsbedarf. Die in der EU-Spielzeugrichtlinie festgelegten Grenzwerte sind
nicht ausreichend, um ein hohes Schutzniveau bei Kindern zu sichern.

Bestätigt wird diese alarmierende Entwicklung z. B. auch vom Bundesinstitut
für Risikobewertung (BfR) und der EU-Kommission. So sind nach Auffassung
des BfR die in der Spielzeugrichtlinie festgelegten Grenzwerte speziell für be-
stimmte krebserregende Weichmacher (PAK) in Kunststoffen sowie bei
Schwermetallen zu hoch angesetzt und gewährleisten nicht die gesundheitliche
Unbedenklichkeit. Das gilt auch für Spuren allergener Duftstoffe, die insbeson-
dere bei Kleinkindern zu gesundheitlichen Problemen führen können. Insbe-
sondere ist eine 1000-mal höhere zulässige Konzentration von Benzo(a)pyren
in Spielzeug als in Autoreifen nicht akzeptabel.

Insbesondere müssen die Grenzwerte für polyzyklische aromatische Kohlen-
wasserstoffe (PAK) sowie für Schwermetalle (Blei, Cadmium, Quecksilber,

Drucksache 17/3424 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Arsen u. a.) deutlich abgesenkt werden. Schließlich ist die Einstufung von
Spielzeug nach den Kriterien des Chemikalienrechts anstelle des Lebensmittel-
rechts zu überprüfen, um einen bestmöglichen Schutz von Kindern zu garantie-
ren.

Durch die dafür in der EU-Spielzeugrichtlinie vorgesehene Klausel ergibt sich
die Option, bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen die Grenzwerte anzu-
passen. Das gilt auch für die erlaubten Spuren allergener Duftstoffe. Dabei ist
zu berücksichtigen, dass Grenzwerte nicht nur auf Inhaltsstoffe, sondern auch
auf die Migration dieser Stoffe bezogen werden.

Aufgrund der äußerst positiven Erfahrungen mit dem deutschen GS-Zeichen,
ist eine ebenso effektive Form der Drittprüfung auf europäischer Ebene auf-
zubauen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. strengere Grenzwerte von krebserregenden, erbgut- und fortpflanzungs-
schädigenden Stoffen in Spielzeug anzustreben und auf EU-Ebene durch-
zusetzen. Die bisher vorgesehenen Grenzwerte in der EU-Spielzeugrichtlinie
werden dem Minimierungsgebot für k/e/f-Stoffe nicht gerecht. Das Schutz-
niveau für Kinder ist zu verbessern;

2. sich dafür einzusetzen, dass auf europäischer Ebene umfassend geprüft wird,
inwieweit Kinderspielzeuge grundsätzlich als Lebensmittelbedarfsgegen-
stände zu klassifizieren sind;

3. sich dafür einzusetzen, dass das Beschränkungsverfahren von krebs-
erregenden PAK in Verbraucherprodukten gemäß Artikel 68 Absatz 2 der
REACH-Verordnung schnellstmöglich zu einem tatsächlichen Verbot von
PAK führt;

4. sich für ein umfassendes Migrationskonzept von gesundheitsgefährdenden
Stoffen in Spielzeug einzusetzen, das verlässliche Angaben über die Gefähr-
lichkeit von Spielzeug aufgrund der Migration seiner Inhaltsstoffe macht;

5. sich weiterhin dafür einzusetzen, dass nationale Prüfzeichen wie das frei-
willige GS-Zeichen erhalten bleiben, bis ein ebenso effektives EU-einheit-
liches Prüfzeichen existiert. Ein solches europaweites Prüfzeichen würde
nicht nur die Sicherheit der gesundheitlichen Unbedenklichkeit von Spiel-
zeug und die Transparenz für die Verbraucher erhöhen, sondern gerade auch
den Herstellern von Kinderspielzeug die Möglichkeit geben, sich durch frei-
willige Zertifizierung positiv von Wettbewerbern abzusetzen;

6. sich im Rahmen der Nachbesserungen der EU-Spielzeugrichtlinie für einen
Ausbau der verpflichtenden Drittprüfung einzusetzen, um so zu vermeiden,
dass fehlerhafte und unsichere Produkte in den Handel gelangen;

7. die Außenkontrollen und die Marktaufsicht zu verbessern und zu stärken,
um die Einfuhr gefährlichen Spielzeuges nach Europa einzudämmen.
„Schwarze Schafe“ sollten ihre Produkte gar nicht erst nach Europa ein-
führen dürfen. Insofern ist die risikoorientierte Kontrolle an den Außen-
grenzen auszubauen. Dies wäre auch im Sinne der deutschen Wirtschaft ein
wichtiger Schritt zu mehr Produktsicherheit und zur Bereinigung von Wett-
bewerbsnachteilen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3424

8. sich für mehr Aufklärung zur Produktsicherheit einzusetzen. In Koopera-
tion mit der Wirtschaft sollten das Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie mit Unterstützung des Bundesministeriums für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz eine Aufklärungskampagne zur
Produktsicherheit starten. Die Wirtschaft ist gefordert, eine solche
Kampagne aktiv zu unterstützen, um sich positiv von „schwarzen Schafen“
abzugrenzen. Davon würden Verbraucher und die deutsche Wirtschaft
gleichermaßen profitieren;

9. eine ständige deutsch-chinesische Arbeitsgruppe „Produktsicherheit“ ein-
zusetzen, in der auch Fragen zur Spielzeugsicherheit behandelt werden und

10. nationale Alleingänge zu vermeiden, da diese aufgrund des freien Waren-
verkehrs im EU-Binnenmarkt wenig wirkungsvoll erscheinen. Daher sollte
die Bundesregierung auf entsprechende Regelungen im Rahmen der EU
setzen. Im Bereich der Produktkontrolle (Quantität der Kontrollen) sowie
der Aufklärung über Produktsicherheit und Gütesiegel sollten aber auch
nationales Vorgehen in Erwägung gezogen werden.

Berlin, den 26. Oktober 2010

Volker Kauder, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) und Fraktion
Birgit Homburger und Fraktion

Begründung

Der Bundestag begrüßt, dass die Europäische Union mit der Richtlinie über die
Sicherheit von Spielzeug einen noch besseren Schutz von Kindern anstrebt. Die
2009 veröffentliche Richtlinie stellt gegenüber früheren Regelungen einen
großen Fortschritt dar. Dennoch gibt es aus Sicht des Deutschen Bundestages
noch bei einigen wesentlichen Punkten Nachbesserungsbedarf. So hatte die
Bundesregierung bereits im Rahmen der letzten Beratungen der EU-Richtlinie
ein umfassendes Konzept zur Sicherheit von Kinderspielzeug angemahnt. Zu-
dem bestätigen Bewertungen des BfR vom Oktober 2009 hinsichtlich der
chemischen Zusammensetzung von Kinderspielzeug, dass die in der EU-Spiel-
zeugrichtlinie festgelegten Grenzwerte nicht ausreichen, um ein hohes Schutz-
niveau von Kindern zu sichern.

Handlungsbedarf besteht vor allem bei polyzyklischen aromatischen Kohlen-
wasserstoffen (PAK) in Spielzeugen. Zahlreiche PAK besitzen krebserregende
Eigenschaften und zählen zu den so genannten CMR-Stoffen (krebserzeugende,
erbgutverändernde oder fortpflanzungsgefährdende Stoffe). Die Grenzwerte für
diese Substanzen wurden bei der Überarbeitung der EU-Spielzeugrichtlinie im
Jahr 2008 leider nicht entsprechend dem Minimierungsgebot bei krebs-
erregenden oder erbgutschädigenden Stoffen festgelegt, obwohl die Einhaltung
niedriger und unproblematischer Grenzwerte technisch machbar ist. Deshalb
müssen die Grenzwerte für PAK sowie für Schwermetalle (Blei, Cadmium,
Quecksilber, Arsen u. a.) deutlich abgesenkt und damit verschärft werden, be-
vor die Grenzwerte für chemische Stoffe nach der neuen Spielzeugrichtlinie
2009/48/EG ab 20. Juli 2013 verbindlich in Europa anzuwenden sind.

Ebenso muss beim Einsatz von Nickel in Spielzeug ein Höchstwert eingeführt
werden. Derzeit gibt es für Nickel, das besonders häufig Allergien auslöst,
lediglich Höchstwerte für Schmuck und Uhren, jedoch nicht für Spielzeug. Für
höchst bedenkliche Schwermetalle wie Arsen, Blei und Quecksilber wurde das
Schutzniveau für abgeschabte Materialien sogar gesenkt. Gerade das Schwer-

Drucksache 17/3424 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

metall Blei ist besonders kritisch zu bewerten, da es das Nervensystem
schädigen und auch in kleinsten Mengen die Entwicklung von Kindern negativ
beeinflussen kann. Das Schutzniveau muss hier wieder angehoben werden.
Deshalb müssen die Höchstwerte für Blei korrigiert werden.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Grenzwerte nicht nur auf Inhaltsstoffe,
sondern auch auf die Migration dieser Stoffe bezogen werden. Die Exposition
gegenüber CMR-Stoffen ist soweit wie möglich zu minimieren.

Da Kinderspielzeug häufig in den Mund genommen wird, ist zu prüfen, inwie-
weit diese grundsätzlich als Lebensmittelbedarfsgegenstände zu klassifizieren
sind. Deshalb muss die Einstufung von Spielzeug nach den Kriterien des
Chemikalienrechts anstelle des Lebensmittelrechts überprüft werden. Beim
Schutzniveau von Spielzeug sollten bei den CMR-Stoffen die Erkenntnisse
genutzt werden, die mit den so genannten Lebensmittelkontaktmaterialien bis-
lang gewonnen werden konnten, um weitere Verbesserungen bei der Sicherheit
von Spielzeug zu erreichen. Ziel muss es sein, Regelungen für CMR-Stoffe in
Spielzeug generell nicht auf Gehalte, sondern analog zu Lebensmittelkontakt-
materialien auf die Freisetzung zu beziehen. Aus diesem Grund hat die Bundes-
regierung ein umfangreiches Dossier zur Beschränkung von krebserregenden
PAK in Verbraucherprodukten (einschließlich Spielzeug) erarbeitet und an die
Europäische Kommission mit der Bitte übermittelt, ein Beschränkungsver-
fahren gemäß Artikel 68 Absatz 2 der REACH-Verordnung einzuleiten.

Durch die dafür in der EU-Spielzeugrichtlinie vorgesehene Klausel ergibt sich
die Option, die Grenzwerte bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen anzu-
passen. Das gilt auch für die erlaubten Spuren allergener Duftstoffe, sofern
diese auch bei Einhaltung der guten Herstellungspraxis technisch unvermeidbar
sind und sofern 100 mg/kg nicht überschritten werden. Dies darf allerdings
nicht dazu führen, dass sogenannte Duftspielzeuge, die die gesetzlichen Vorga-
ben erfüllen, vom Markt ausgeschlossen werden.

Eine alleinige Verschärfung der Grenzwerte würde allerdings ins Leere laufen,
wenn nicht gleichzeitig eine verbindliche Kontrolle durch Dritte vorgesehen
und die Marktüberwachung sowie die Kennzeichnung von Spielzeugen ver-
bessert werden würde. Wichtig ist, dass Spielzeug geprüft wird, bevor es auf
den Markt kommt, damit es nicht im Nachhinein vom Markt genommen wer-
den muss.

Der Einhaltung von Sicherheitsstandards kommt eine entscheidende Rolle zu.
Deshalb ist es erforderlich, in der EU produzierte Waren und in die EU impor-
tierte Waren streng zu prüfen. Eigenerklärungen von Herstellern alleine, wie
dies das CE-Kennzeichen vorsieht, sind zu wenig. Die CE-Kennzeichnung
dient dem freien Warenverkehr im Binnenmarkt. Sie wird in der Regel vom
Hersteller selbst vorgenommen, um die Übereinstimmung des Produktes mit
den einschlägigen europäischen Bestimmungen, die nicht zwingend die Sicher-
heit des Produktes betreffen müssen, zu dokumentieren. Die CE-Kennzeich-
nung ist daher primär nicht an den Verbraucher gerichtet. Demgegenüber ist das
erfolgreiche deutsche GS-Zeichen ein „echtes“ Prüfzeichen. Dessen Erhalt
konnte richtigerweise im Zuge der Verabschiedung des sogenannten Waren-
paketes abgesichert werden. Das – in seiner Anwendung freiwillige – GS-
Zeichen bietet mit seiner verpflichtend vorgesehenen Produktprüfung durch
unabhängige zugelassene Stellen und die laufende Fertigungskontrolle einen
wichtigen Orientierungsrahmen für Verbraucher und kann auch europaweit als
Vorbild für eine qualitätsorientierte Prüfung gelten. Es ist sehr zu begrüßen,
dass Wirtschaft und Verbraucher die Vorteile des bewährten deutschen GS-
Zeichens stark nutzen.

Wir brauchen aber darüber hinaus eine verpflichtende stichprobenartige Dritt-
prüfung speziell von Spielzeug. Der Aufbau einer verpflichtenden Drittprüfung

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/3424

ist gerade bei einem sensiblen Produkt wie Spielzeug der geeignete Weg, um
mehr Sicherheit für unsere Kinder zu garantieren. Den Einsatz einer ver-
pflichtenden Drittprüfung bei Spielzeug durch eine unabhängige Prüfstelle,
gegebenenfalls dokumentiert in einem speziellen europäischen Prüfzeichen,
und den verstärkten Einsatz dieser Kennzeichnung in der EU, gilt es deshalb zu
fördern.

Zu einer wirksamen Marktüberwachung gehört darüber hinaus vor allem auch
eine funktionierende Zusammenarbeit mit dem weltweit größten Spielzeug-
hersteller China. Schließlich sind auf nationaler wie auf europäischer Ebene,
Fragen zur Spielzeugsicherheit im ständigen Dialog zu behandeln.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.