BT-Drucksache 17/3271

Stärkung der Qualität und Zukunftsfähigkeit der dualen Berufsausbildung

Vom 6. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3271
17. Wahlperiode 06. 10. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Willi Brase, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels,
Klaus Barthel, Ulla Burchardt, Petra Crone, Petra Ernstberger, Michael Gerdes,
Iris Gleicke, Klaus Hagemann, Christel Humme, Oliver Kaczmarek, Daniela Kolbe
(Leipzig), Ute Kumpf, Caren Marks, Katja Mast, Franz Müntefering, Aydan Özog˘uz,
Thomas Oppermann, Florian Pronold, Sönke Rix, René Röspel, Marlene
Rupprecht (Tuchenbach), Marianne Schieder (Schwandorf), Silvia Schmidt
(Eisleben), Swen Schulz (Spandau), Stefan Schwartze, Andrea Wicklein,
Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Stärkung der Qualität und Zukunftsfähigkeit der dualen Berufsausbildung

Das System der beruflichen Bildung ist nicht nur in Deutschland fest verankert,
sondern genießt auch über die Grenzen hinaus international ein hohes Ansehen.
Es gilt als einer der wichtigen Bausteine, um den zukünftigen Fachkräftebedarf
in Deutschland zu decken. Ein besonderes Qualitätsmerkmal ist, dass die Aus-
zubildenden durch das duale Lernen in Schule und Betrieb nach Abschluss
ihrer Lehre die volle Berufsfähigkeit erlangen. Das ist eine gute Voraussetzung
für einen erfolgreichen Übergang in das Berufsleben in Vollzeitbeschäftigung
und eröffnet so jungen Menschen eine Perspektive für die Lebens- und Berufs-
planung. Entsprechend konnte die öffentliche Petition Nummer 1-16-06-
10000-026255, in deren Mittelpunkt die Forderung nach einem Grundrecht auf
Ausbildung steht, insgesamt 77 943 Unterstützerinnen und Unterstützern fin-
den.

Die Realität zeigt eine differenzierteres Bild. Im August 2010 galten 97 400
junge Menschen als „unversorgt“ – ihnen standen 70 300 unbesetzte Aus-
bildungsstellen gegenüber. Nicht zu vergessen sind allerdings die zahlreichen
Altbewerberinnen und Altbewerber aus früheren Schulentlassjahren, die wei-
terhin ihren Wunsch nach einen Ausbildungsplatz aufrechterhalten hatten und
teilweise eine Maßnahme im so genannten Übergangssystem angenommen ha-
ben – somit aber statistisch nicht erfasst werden.

Neben der Quantität der Ausbildungsplätze offenbaren aber besonders der
aktuelle Ausbildungsreport 2010 des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)
und die Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (OECD) zur Berufsbildung „Lernen für die Arbeitswelt“ Mängel in
der Qualität. Dies zeigt sich u. a. an der hohen Zahl von Ausbildungsabbrüchen,

der unüberschaubaren und intransparenten Zahl an Maßnahmen im Übergang
von der Schule in die Ausbildung sowie bei dem Status quo in Berufsschulen.

Der Anteil von schwerbehinderten Jugendlichen an allen Azubis im dualen
Ausbildungssystem beträgt nur 0,6 Prozent. Dies zeigt deutlich, dass hier be-
sonderer Handlungsbedarf besteht. Die UN-Behindertenrechtskonvention for-
dert uns auf, Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderung nicht nur in

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der schulischen Bildung, sondern auch in der beruflichen Bildung gemeinsam
zu unterrichten und auszubilden.

Langfristig muss es ein Ende der Trennung in Regel- und Förderschulen als
Voraussetzung für ein Ende der ausschließlichen Trennung der Ausbildung in
Betrieben und Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation geben.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Bundesregierung:

1. Inwieweit finden die Probleme an den Berufsschulen in der von der
Bundeskanzlerin ausgerufenen „Bildungsrepublik Deutschland“ Berück-
sichtigung, deren Qualität 13,1 Prozent der Auszubildenden laut DGB-
Ausbildungsreport 2010 als „mangelhaft“ oder „ausreichend“ beurteilt
haben?

2. Wie erklärt sich die Bundesregierung die abermals leichte Verschlechterung
gegenüber dem Vorjahr bei der Bewertung der fachlichen Qualität des
Berufsschulunterrichts durch die Auszubildenden, und wo sieht die Bundes-
regierung diesbezüglich unabhängig von der Zuständigkeit der Länder
Handlungsbedarf?

3. Welche Probleme in der Qualität des Berufsbildungssystems sieht die
Bundesregierung, und wie will sie diese lösen?

4. Wie will die Bundesregierung die Länder dabei unterstützen, damit den
häufigen Unterrichtsausfällen an den Berufsschulen entgegengewirkt wird?

5. Teilt die Bundesregierung die im DGB-Ausbildungsreport 2010 geäußerte
Einschätzung, dass vollzeitschulische Ausbildungsgänge und Qualifika-
tionsmaßnahmen im Übergangssystem ohne Berufsabschluss zu einer
Überlastung des Lehrpersonals führen, und wenn ja, wird sich die Bundes-
regierung dafür einsetzen – evtl. mit finanzieller Unterstützung – dass die
Länder dieses Problem nachhaltig lösen können?

6. Inwieweit will die Bundesregierung die Länder dabei unterstützen, dass die
im DGB-Ausbildungsreport 2010 bemängelte Ausstattung an den Berufs-
schulen mit der technologischen Entwicklung in den Betrieben Schritt hält?

7. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu der Forderung des DGB,
nach der für Auszubildende nach fünf Berufsschulstunden keine Rückkehr-
pflicht in den Betrieb bestehen sollte?

8. Plant die Bundesregierung weiterhin Änderungen im Jugendarbeitsschutz-
gesetz?

Wenn ja, zu wann, und um welche Gesetzesänderungen handelt es sich
konkret?

9. Was wird die Bundesregierung unternehmen, damit vor dem Hintergrund
des prognostizierten Fachkräftemangels die Qualität in den verschiedenen
Ausbildungsberufen, die laut DGB-Ausbildungsreport 2010 bereits unter
den 25 beliebtesten Ausbildungen stark differiert, angeglichen wird?

10. Wird die Bundesregierung die zuständigen Stellen dazu auffordern, unan-
gemeldete Betriebsprüfungen verstärkt durchzuführen, damit die Ein-
haltung gesetzlicher Regelungen gewährleistet wird?

11. Hält die Bundesregierung die Schutzvorschriften für minderjährige Aus-
zubildende im Hotel- und Gaststättenbereich bespielsweise hinsichtlich der
Arbeitszeit tatsächlich für „Ausbildungshemmnisse“?

12. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, damit die Be-
schäftigungssituation der 15 bis 24-Jährigen, nach der die Zahl der atypisch

Beschäftigten innerhalb dieses Alters von 2000 bis 2009 um 200 000 auf

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etwa 675 000 Personen gestiegen ist und die Zahl der Normalarbeitnehmer
um fast 400 000 auf knapp 1,2 Millionen Personen gesunken ist, nachhaltig
verbessert wird?

13. Welche zusätzlichen Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um
in Kooperation mit den zuständigen Stellen die Zahl der Ausbildungsab-
brüche zu senken, deren Hauptursache laut DGB-Ausbildungsreport 2010
Konflikte mit Ausbildern oder Betriebsinhabern sowie eine mangelnde
Betreuung ist?

14. Wie steht die Bundesregierung zur Einführung von Sanktionen gegenüber
den Betrieben, wenn die Qualitätskriterien der betrieblichen Ausbildung
nicht eingehalten werden?

15. Wie erklärt sich die Bundesregierung den Umstand, dass sich erneut ein
unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Maß an ausbildungsfremden
Tätigkeiten und der Betriebsgröße zeigt, und wie sollte diesem Missstand
begegnet werden?

16. Wie verhält sich die Bundesregierung zu der Tatsache, dass jeder fünfte
Auszubildende keinen Ausgleich für geleistete Überstunden erhält?

17. Inwieweit ist hinsichtlich der Ausbildungsvergütungen von Auszubilden-
den ein Nord-Süd-Gefälle festzustellen (bitte Aufschlüsselung nach Regio-
nen, Bundesländern und Ausbildungsberufen)?

18. Welche Initiativen könnte die Bundesregierung ergreifen, damit das Pro-
blem fehlender Ausbilder in kleinen Betrieben gelöst wird?

19. Wie erklärt sich die Bundesregierung den Umstand, dass es laut der aktuel-
len OECD-Studie zur Berufsbildung nur einem geringen Teil der Pro-
grammteilnehmer im Übergangssystem gelingt, nach Absolvierung der
Maßnahme in das reguläre duale Berufsausbildungssystem zu wechseln?

20. Wie steht die Bundesregierung zu der Tatsache, dass der Anteil geförderter
bzw. schulischer Ausbildungen zulasten der betrieblichen Ausbildungen
ständig zunimmt und somit eine schleichende Auszehrung des Dualen Sys-
tems stattfindet?

21. Wie steht die Bundesregierung zu der Tatsache, dass rund die Hälfte der
betreffenden Jugendlichen vor Eintritt in das Duale System öffentlich ge-
förderte oder organisierte Übergangsmaßnahmen absolvieren musste und
somit ineffiziente Kosten, Brüche und Zeitverluste in den Berufsbiogra-
phien entstehen?

22. Welche Meinung vertritt die Bundesregierung zu der Empfehlung aus der
OECD-Studie zur Berufsbildung in jedem Bundesland einen Koordinie-
rungsausschuss für das Übergangssystem einzurichten, um die Arbeit der
verschiedenen Akteure zu verbessern?

23. Wann werden die Ergebnisse der vom Bundesministerium für Arbeit und
Soziales in Auftrag gegebenen Vorstudie zu Fördermaßnahmen im Über-
gangssystem vorliegen (siehe Arbeitsnummern 12/286, 12/187)?

24. Teilt die Bundesregierung die Empfehlung aus der OECD-Studie zur Be-
rufsbildung, die federführende Verantwortung für die Berufsinformation
und -beratung in eine einzige staatliche Stelle in Kombination mit dezent-
ralen Durchführungsorganen zu übertragen, damit alle Schulabgängerinnen
und Schulabgänger eine fundierte Beratung erhalten?

25. Inwieweit sollten die Qualitätsanforderungen für Berufsberatungskräfte
vereinheitlicht werden, deren Kenntnisse in der OECD-Studie zur Berufs-

bildung besonders bei Berufsberatungskräften an Schulen in Frage gestellt
werden?

Drucksache 17/3271 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
26. Plant die Bundesregierung eine Evaluierung des Berufsberatungsangebots
auf Bundesebene?

Wenn nein, warum nicht?

27. Wie ist die Position der Bundesregierung zur Empfehlung aus der OECD-
Studie zur Berufsbildung, geeignete Beratungs-, Einführungs- sowie finan-
zielle Unterstützungsmaßnahmen zu entwickeln, um den Zugang zur Ter-
tiärbildung für Absolventen einer Berufsausbildung zu erleichtern?

28. Inwieweit sollten die Qualitätsanforderungen für Berufsberatungskräfte
vereinheitlicht werden, deren Kenntnisse in der OECD-Studie zur Berufs-
bildung besonders bei Berufsberatungskräften an Schulen in Frage gestellt
werden?

29. Plant die Bundesregierung eine Evaluierung des Berufsberatungsangebots
auf Bundesebene?

Wenn nein, warum nicht?

30. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass der relativ geringe Anteil
von schwerbehinderten Berufsschülern von 0,6 Prozent auf Zugangs-
hemmnisse für diese Gruppe zum dualen System zurückzuführen ist, und
wenn ja, welche Zugangshemmnisse will die Bundesregierung wann und
wie abbauen, und wenn nein, worauf ist diese Zahl dann zurückzuführen?

31. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Trennung von Kindern
in Regel- und Förderschulen wesentlich dazu beiträgt, dass der Anteil be-
hinderter Jugendlicher im dualen Ausbildungssystem mangelhaft ist, und
was wird die Bundesregierung unternehmen, um unabhängig von der Zu-
ständigkeit der Länder für die schulische Bildung diesen Anteil zu erhöhen?

Berlin, den 6. Oktober 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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