BT-Drucksache 17/3222

Gemeinschaftsaufgabe "Agrarstruktur und Küstenschutz" auf Ökologisierung und nachhaltige ländliche Entwicklung konzentrieren

Vom 6. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3222
17. Wahlperiode 06. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Friedrich Ostendorff,
Nicole Maisch, Dr. Valerie Wilms, Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg),
Markus Tressel, Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Dr. Anton
Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Ingrid Nestle, Dr. Hermann Ott,
Dorothea Steiner, Daniela Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“ auf Ökologisierung
und nachhaltige ländliche Entwicklung konzentrieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Wie sich die Entwicklung in den ländlichen Räumen vollzieht, hat entscheiden-
den Einfluss auf die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Das gilt sowohl unter
ökonomischen als auch unter ökologischen und sozialen Aspekten. Als breite
Querschnittsaufgabe hat die ländliche Entwicklung in den vergangenen Jahren
Einzug in die politischen Debatten gehalten. Trotz der vielen Verlautbarungen
und Willensbekundungen werden allerdings kaum konkrete politische Maßnah-
men zur Verbesserung der Entwicklungschancen im ländlichen Raum auf den
Weg gebracht. Bis heute hat die Bundesregierung kein überzeugendes Hand-
lungskonzept für die ländliche Entwicklung vorgelegt. Antworten auf die drän-
genden Fragen der demografischen Entwicklung, des Fachkräftemangels und
des rasanten Höfesterbens sowie auf die ökologischen Herausforderungen Kli-
maschutz und Biodiversität bleibt sie schuldig.

Ein wichtiger Baustein für die zukunftsfähige Entwicklung ländlicher Räume ist
die seit langem von einer breiten politischen wie gesellschaftlichen Mehrheit
geforderte Weiterentwicklung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) zu einer Gemeinschaftsaufgabe
für die ländliche Entwicklung und den Küstenschutz. Vor dem Hintergrund der
notwendigen Haushaltskonsolidierung ist eine Konzentration der in der GAK
enthaltenen Agrarstrukturmittel auf wirksame Maßnahmen zur ländlichen Ent-
wicklung umso dringender geboten. Ineffiziente sowie ökonomisch und
ökologisch wirkungslose Maßnahmen dürfen nicht länger mit Bundesmitteln
gefördert werden. Hierzu gehören beispielsweise das Agrarinvestitionsför-
derungsprogramm, die Flurbereinigung sowie der landwirtschaftliche und forst-
wirtschaftliche Wegebau. Alle drei Bereiche nehmen einen erheblichen Teil der

vom Bund zur Verfügung gestellten Fördergelder in Anspruch, obwohl sie einer
Stellungnahme des bundeseigenen Johann Heinrich von Thünen-Instituts (Bun-
desforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei) aus dem Jahre
2008 zufolge kaum zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit landwirtschaft-
licher Betriebe beitragen. Zusätzlich weist das Institut sogar auf deutliche Mit-
nahmeeffekte und negative Arbeitsplatzeffekte bei der Investitionsförderung
hin.

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Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht sich deshalb für eine
Neustrukturierung der Gemeinschaftsaufgabe mit den Schwerpunkten ökologi-
sche Wettbewerbsfähigkeit, nachhaltige ländliche Entwicklung und Küsten-
schutz aus. Alle angebotenen Fördermaßnahmen müssen im Einklang mit den
Anforderungen der so genannten neuen Herausforderungen Klimaschutz, Erhalt
der Biodiversität, verbessertes Wassermanagement und Ausbau der erneuer-
baren Energien stehen. Denn die Bundesländer tragen diesen neuen Heraus-
forderungen bislang viel zu wenig Rechnung, wie eine Studie des Johann
Heinrich von Thünen-Instituts zur Auswirkung von Health Check und EU-
Konjunkturprogramm auf die ländliche Entwicklung vom März 2010 belegt.
Obwohl die EU-Kommission im Rahmen des Health Check den Anspruch for-
mulierte, das umweltpolitische Profil der zweiten Säule zu stärken, wurden in
Deutschland die zusätzlichen Finanzmittel vorwiegend zur Einkommensstüt-
zung landwirtschaftlicher Betriebe und ohne anspruchsvolle ökologische För-
dervoraussetzung programmiert.

Gleichzeitig müssen der Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten, z. B. für die
Belieferung von Kindertagesstätten und Schulen mit regionalen Frischproduk-
ten, und die Schaffung neuer Arbeitsplätze ins Zentrum der Förderung gerückt
werden. Das von der Bundesregierung und der CDU/CSU wiederholt vorge-
brachte Argument, ohne eine nennenswerte Aufstockung der finanziellen Mittel
sei das nicht zu machen, teilt die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht.
Mit der Konzentration der Mittel auf wirksame Maßnahmen und einer Qua-
lifizierung der Förderregeln kann eine wirkungsvolle Neuausrichtung der Ge-
meinschaftsaufgabe gelingen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– mit einer Änderung des Grundgesetzes und des GAK-Gesetzes die Gemein-
schaftsaufgabe an die Erfordernisse der ländlichen Entwicklung und des Küs-
tenschutzes anzupassen;

– die Erstellung des Rahmenplans zur GAK transparent zu machen, indem die
relevanten Akteur- und Interessengruppen auf Bundes- und Landesebene ein-
gebunden werden, die einzelnen Förderkapitel im Bundeshaushalt ausgewie-
sen werden und der Rahmenplan dem Deutschen Bundestag zur Entschei-
dung vorgelegt wird;

– die Agrarförderung auf Maßnahmen zu konzentrieren, die den neuen Heraus-
forderungen beim Klimaschutz, Erhalt der Biodiversität, verbesserten Was-
sermanagement sowie beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der art-
gerechten Tierhaltung gerecht werden;

– dazu den ökologischen Landbau und die bäuerliche Landwirtschaft zu stär-
ken;

– Investitionsförderung nur noch zielgerichtet auf die neuen Herausforderun-
gen, d. h. im ökologischen Landbau und in der artgerechten Tierhaltung, für
Klimaschutzmaßnahmen und zur Verbesserung der Energieeffizienz der Be-
triebe zu gewähren;

– die Agrar-Umweltmaßnahmen auf ihre Wirksamkeit hinsichtlich der neuen
Herausforderungen zu überprüfen;

– das Angebot an Agrar-Umweltmaßnahmen mit dem Ziel der Effizienzsteige-
rung und Vereinfachung sowie der Erhöhung der ökologischen Wirksamkeit
bei den einzelnen Programmen weiterzuentwickeln;

– Agrar-Umweltmaßnahmen auch regional differenziert und ergebnisorientiert
zu honorieren;

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– die Förderung der einzelbetrieblichen Beratung auf Maßnahmen in der land-
wirtschaftlichen Produktion, die zur Lösung der neuen Herausforderungen
beitragen oder der Anpassung der Betriebe an den Klimawandel dienen, zu
beschränken;

– die Gewährung der Ausgleichszulage an nachhaltige Bewirtschaftungsfor-
men zu koppeln;

– Maßnahmen der Flurneuordnung sowie des land- und forstwirtschaftlichen
Wegebaus nicht mehr aus der Gemeinschaftsaufgabe zu fördern;

– das breite Förderangebot für wasserwirtschaftliche Maßnahmen auf natur-
schutzfachlich relevante Maßnahmen zu begrenzen und wasserwirtschaft-
liche Pflichtaufgaben der Länder nicht mehr mit Bundesmitteln zu fördern;

– integrierte Entwicklungskonzepte zur Grundlage der gesamten Wirtschafts-
und Regionalförderung zu machen;

– die Förderung der Marktstrukturverbesserung, der Diversifizierung und der
Unternehmensgründung auf Kleinst- und Kleinunternehmen der ländlichen
Wirtschaft zu begrenzen und dabei insbesondere den Aufbau von Wertschöp-
fungsketten, Regionalvermarktung und Unternehmenskooperationen und
- zusammenschlüssen zu unterstützen;

– mit der Gemeinschaftsaufgabe einen Beitrag zum Strukturaufbau für eine ge-
sunde, regionale und ökologische Schulverpflegung zu erbringen;

– die Dorferneuerung und -entwicklung zu einer qualifizierten Fördermaß-
nahme mit einer dauerhaften Struktur- und Beschäftigungswirksamkeit wei-
terzuentwickeln und die zusätzliche Aktivierung privater Investitionen als
Bewilligungsvoraussetzung stärker zu gewichten;

– dazu Maßnahmen der Dorferneuerung an die Erreichung kombinierter Ziele
wie beispielsweise Tourismus- und Naturschutzeffekte zu binden;

– die Funktionen der sogenannten LEADER-Regionen, der Lokalen Aktions-
gruppen und des Regionalmanagements zu stärken;

– die Anforderungen an die LEADER-Regionen an den Maßstäben und Erfah-
rungen von LEADER+ und Regionen Aktiv auszurichten;

– Regionalbudgets und revolvierende Regionalfonds als Regelförderung ein-
zuführen.

Berlin, den 5. Oktober 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Die Anpassung des Agrarstrukturteils der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ an die Erfordernisse der ländlichen
Entwicklung kann nur dann gelingen, wenn ihre sektorale Ausrichtung auf die
Agrarstruktur beendet wird. Sowohl im Grundgesetz als auch im GAK-Gesetz
bedarf es deshalb einer Verankerung der Zielstellungen ländliche Entwicklung
sowie Umwelt- und Klimaschutz. Zudem ist eine transparente Gestaltung der
förderfähigen Maßnahmen dringend geboten. Die Gestaltung der aus Steuer-
mitteln finanzierten Programme für die ländliche Entwicklung darf nicht länger

in den internen Zirkeln der Agrarverwaltungen des Bundes und der Länder ent-

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schieden werden. Eine angemessene Beteiligung der verschiedenen regionalen
Akteure ist genauso wichtig wie eine demokratische Kontrolle durch den Deut-
schen Bundestag.

Die Landwirtschaft gehört zu den zentralen Akteuren der ländlichen Entwick-
lung. Ihre wirtschaftliche und soziale Bedeutung für die ländlichen Regionen ist
jedoch eng an ihre ökologische Verantwortung für Naturräume und Kulturland-
schaften gebunden. Ernährungssicherheit kann es nur im Einklang mit der Natur
geben, nicht gegen sie. Mit den neuen europäischen und weltweiten Herausfor-
derungen Klimaschutz, Erhalt der Biodiversität, verbessertes Wassermanage-
ment und Ausbau der erneuerbaren Energien werden deshalb hohe Anforderun-
gen an die landwirtschaftlichen Betriebe gestellt, an denen sie sich bei der
Gewährung von Fördergeldern messen lassen müssen. Ressourcenschonenden
Bewirtschaftungsformen wie dem Ökolandbau und den Agrar-Umweltmaßnah-
men kommt deshalb eine herausgehobene Stellung innerhalb der Programmge-
staltung für die Förderung ländlicher Räume zu. Daneben ist die artgerechte
Tierhaltung ein wichtiges Standbein der bäuerlichen Landwirtschaft und die Al-
ternative zur Massentierhaltung. Auf sie müssen die Mittel der Agrarförderung
konzentriert werden.

Der effiziente Einsatz öffentlicher Gelder begünstigt die zukunftsfähige Ent-
wicklung auf dem Lande in erheblicher Weise. Je weniger Mittel durch Mitnah-
meeffekte und wirkungslose Maßnahmen verbraucht werden, desto mehr kann
mit jedem eingesetzten Euro erreicht werden. Die Agrarinvestitionsförderung
hat sich in dieser Hinsicht als kontraproduktiv erwiesen. Denn die Konzentration
der Mittel auf Stallbauten und Rationalisierungsmaßnahmen mit negativem Be-
schäftigungseffekt trägt nicht zur Entwicklung ländlicher Regionen bei; auf Ar-
beitslosigkeit folgt Abwanderung, auf Industrialisierung der landwirtschaftli-
chen Produktion folgen Umweltbelastungen, Artensterben und der Verlust an
Lebensqualität für Anwohner und Touristen. Der Ansatz von Bund und Ländern,
mit der Finanzierung von Stallbauten die Lage am Milchmarkt zu stabilisieren,
ist zudem kontraproduktiv. Denn die Ausweitung der produzierten Milchmenge
heizt das Sterben vieler bäuerlicher Milchviehbetriebe weiter an.

Pflichtaufgaben der Länder im Rahmen der Flurneuordnung, des Wegebaus und
wasserwirtschaftlicher Maßnahmen sollen nicht länger über die Gemeinschafts-
aufgabe gefördert werden. Zu groß ist die Versuchung der Länder, ihre eigenen
Haushalte auf Kosten des Bundes zu entlasten. So wird beispielsweise die Flur-
neuordnung im Zuge von Straßen- und Schienenbauprojekten von den Ländern
überwiegend über die Agrarförderung abgerechnet.

Neben der Landwirtschaft haben viele andere Branchen an Bedeutung für die
ländliche Entwicklung gewonnen. Bezogen auf Wertschöpfung und Beschäfti-
gung ist ihr Einfluss sogar deutlich größer. Kleine und mittlere Unternehmen so-
wie Handwerksbetriebe, die die in den Regionen liegenden Potenziale heben
und nutzen, beispielsweise im naturnahen Tourismus, in der Energieerzeugung,
in der Veredelung land- und forstwirtschaftlicher Produkte sowie im Dienstleis-
tungs- und Gesundheitsbereich, müssen deshalb in der integrierten Förderung
der ländlichen Räume stärker berücksichtigt werden. Dabei ist auch hier, ge-
nauso wie bei agrarischen Fördermaßnahmen, auf die Vermeidung von Mitnah-
meeffekten zu achten. Fördermittel zur Marktstrukturverbesserung sollen neue
wirtschaftliche Strukturen schaffen und nicht wettbewerbsfähige Großmolke-
reien subventionieren.

Bei der Förderung der Dorferneuerung und -entwicklung muss die Wirksamkeit
der Maßnahmen zur Verbesserung der regionalen Entwicklung insgesamt stär-
ker in den Vordergrund gerückt werden. Eine bessere Abstimmung zwischen
den Gemeinden und Akteuren der ländlichen Entwicklung sollte deshalb durch

die Fördermittelvergabe unterstützt werden. Die Kombination verschiedener

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Entwicklungsziele, beispielsweise Tourismus, Naturschutz und Vernetzung, ist
dabei ein wichtiger Bestandteil.

Der bundesweite Wettbewerb „Regionen Aktiv – Land gestaltet Zukunft“ und
die europäische Gemeinschaftsinitiative LEADER haben bewiesen, dass die Ba-
sis einer erfolgreichen Regionalförderung in der Entwicklung eines integrierten
Förderansatzes liegt. Engagierte Akteure vor Ort, ausgestattet mit Entschei-
dungskompetenzen und einem Regionalbudget, begleitet durch professionelles
Regionalmanagement sind zudem der Schlüssel für zukunftsfähige ländliche
Entwicklung. Die Überleitung der LEADER-Initiative in die Regelförderung ist
in Deutschland bisher jedoch kaum gelungen. Darüber kann auch die Auswei-
sung von fast 250 LEADER-Regionen nicht hinwegtäuschen. Denn die Verlage-
rung der Verantwortung zur Entwicklung und Durchführung integrierter Kon-
zepte in die Regionen wurde in den meisten Ländern nur unzureichend
umgesetzt. Eine Wiederbelebung des „Bottom-up“-Ansatzes und seine flächen-
deckende Einführung müssen deshalb ebenfalls Eingang in eine zukünftige Ge-
meinschaftsaufgabe für die ländliche Entwicklung finden.

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