BT-Drucksache 17/3101

Erhalt der Traditionsschifffahrt

Vom 29. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3101
17. Wahlperiode 29. 09. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Hans-Joachim Hacker, Petra Ernstberger,
Iris Gleicke, Hubertus Heil (Peine), Ute Kumpf, Andrea Nahles, Thomas
Oppermann, Heinz Paula, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Erhalt der Traditionsschifffahrt

Seit Mitte der 80er-Jahre hat sich die Traditionsschifffahrt in Deutschland und
Europa zunehmend etabliert und wird immer populärer. In vielen Küstenstädten
sind Museumshäfen und -werften – oft an industriell nicht mehr genutzten Ha-
fen- und Werftstandorten – entstanden. Diese stellen heute lebendige Zentren
für den Erhalt maritimen Kulturgutes und Schiffshandwerks dar. Sie fördern
den Tourismus und die bauliche Vielfalt in Deutschland. Insbesondere die be-
kannten jährlichen maritimen Großveranstaltungen, wie die Kieler und Trave-
münder Woche, die Sail Bremerhaven oder die Hanse Sail, in deren Mittelpunkt
Traditionsschiffe gerückt sind, sind wichtige Wirtschafts- und Imagefaktoren
der deutschen Küstenländer.

Die für die Seesicherheit zuständige See-Berufsgenossenschaft (See-BG), die
seit 1. Januar 2010 zur Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirt-
schaft (BG Verkehr) fusionierte, verweigerte in den vergangenen Jahren vor
allem Betreibern von Traditionsschiffen aufgrund von Gewerblichkeit, also der
Nichteinhaltung eines ideellen Schiffsbetriebs, das Sicherheitszeugnis. In neue-
ren Negativ-Bescheiden verwehrte die BG Verkehr die Ausstellung von Sicher-
heitszeugnissen mit der Begründung, dass die betreffenden Schiffe keine histo-
rischen Wasserfahrzeuge seien und keine maritime Traditionspflege betreiben
könnten.

Die Sicherheitsrichtlinie für Traditionsschiffe gibt vor, dass Traditionsschiffe
historische Wasserfahrzeuge sind, die hauptsächlich mit den Originalwerkstof-
fen im Original oder als Einzelnachbildung gebaut worden sind, deren Betrieb
ausschließlich ideellen Zwecken dient und die zur maritimen Traditionspflege,
zu sozialen oder vergleichbaren Zwecken als Seeschiffe eingesetzt werden.
Nicht vorgegeben ist allerdings, welche historisch-kulturellen Anforderungen
Traditionsschiffe erfüllen müssen und wie die Inhalte maritimer Traditions-
pflege definiert sind. Laut Vereinbarung zwischen der damaligen See-BG und
der Gemeinsamen Kommission für Historische Wasserfahrzeuge (GSHW) vom
4. Mai 2000 sollte ein Sachverständigengremium die Prüfung des historischen
Wertes als Voraussetzung für die Erteilung des Sicherheitszeugnisses vorneh-
men. Die Arbeit der 2007 dafür eingerichteten Registerkommission wurde aber
durch die übergeordnete Entscheidungsbefugnis der See-BG zunehmend in
Frage gestellt.

Durch die rigide Praxis der BG Verkehr bei der Erteilung von Sicherheitszeug-
nissen und fehlenden eindeutigen Regelungen zu den Anforderungen an Tradi-
tionsschiffe droht eine zunehmende Aufgabe der Eigner von Traditionsschiffen.

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Die deutsche Traditionsschifffahrt, die nur rund 120 bis 130 historische Schiffe
für Gästefahrten umfasst, wäre dadurch insgesamt gefährdet und damit auch
maritime Veranstaltungen sowie Museumshäfen. Dies wäre ein unwiederbring-
licher Verlust maritimen Kulturgutes.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung der Traditionsschifffahrt in
Deutschland, insbesondere für die Bewahrung maritimen Kulturgutes und
die Förderung des Tourismus, bei?

2. Welche maritimen Großveranstaltungen mit Traditionsschiffen sind der
Bundesregierung bekannt, und welche Erkenntnisse hat sie über den wirt-
schaftlichen Nutzen dieser Veranstaltungen sowie die Effekte für den Tou-
rismus?

3. Welche Anforderungen an Traditionsschiffe bestehen in Deutschland, ins-
besondere in Bezug auf die historisch-kulturellen Merkmale und die In-
halte maritimer Traditionspflege?

4. Welche Zuständigkeiten bzw. Funktionen ergaben sich für die GSHW aus
der Vereinbarung zwischen See-BG und GSHW vom 4. Mai 2000 auch im
Hinblick auf die Zuständigkeiten der 2007 eingerichteten Registerkommis-
sion?

5. In wie vielen Fällen lehnte die BG Verkehr bzw. die frühere See-BG die
Ausstellung eines Sicherheitszeugnisses mit der Begründung ab, dass die
betreffenden Schiffe keine historischen Wasserfahrzeuge seien und keine
maritime Traditionspflege betreiben könnten?

6. Welche rechtliche Grundlage hat die BG Verkehr für die aus diesen Grün-
den erfolgten Ablehnungen von Sicherheitszeugnissen?

7. Aus welchen Gründen übt die BG Verkehr bei der Vergabe von Sicherheits-
zeugnissen seit dem vergangenen Jahr eine restriktivere Praxis aus, und
welche Prüfkriterien wurden verändert bzw. verändert interpretiert?

8. Inwieweit wurden Vertreter der Eigner von Traditionsschiffen sowie Ver-
treter der Städte mit Museumshäfen, -werften und Ausrichter maritimer
Großveranstaltungen in Änderungen der Auslegung bestehender Regelun-
gen eingebunden und über die restriktivere Praxis informiert?

9. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung im Hinblick auf die restrik-
tive Praxis der BG Verkehr ergreifen, um die Traditionsschifffahrt in
Deutschland zu bewahren?

10. Welche alternativen Zulassungsmöglichkeiten für Traditionsschiffe, die
kein Sicherheitszeugnis für den Schiffsbetrieb auf See erhalten, sind aus
Sicht der Bundesregierung denkbar, und wird sich die Bundesregierung für
die Schaffung entsprechender gesetzlicher Grundlagen einsetzen?

11. Welche Haltung nimmt die Bundesregierung in Bezug auf den Verkehr aus-
ländischer Traditionsschiffe in nationalen Hoheitsgewässern ein?

12. In wie vielen Fällen lehnte die BG Verkehr sowie die frühere See-BG die
Anerkennung ausländischer Schiffe als Traditionsschiffe ab?

13. Welche Position vertritt die Bundesregierung gegenüber der Europäischen
Kommission in Bezug auf eine EU-weite Rechtsgrundlage für die Tradi-
tionsschifffahrt sowie in Bezug auf die Beziehung von Traditionsschiffen
zur EU-Fahrgastschiffsrichtlinie?

14. Besteht nach Auffassung der Bundesregierung das Erfordernis, über die
European Maritime Heritage (EMH) eine weitere Harmonisierung der Re-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3101

gelungen zur Zertifizierung des Betriebs von Traditionsschiffen im EU-Ge-
biet?

15. Ist nach Auffassung der Bundesregierung eine Regelung erforderlich, die
den konkreten Umfang eines gewerblichen Betriebes von Traditionsschif-
fen festlegt?

16. Hat die Bundesregierung bereits Kontakt zu Küstenländern und Küsten-
städten mit maritimen Großveranstaltungen in Deutschland aufgenommen,
um die aktuellen Fragen des Betriebs von Traditionsschiffen zu erörtern,
und wenn ja, welche Fragen wurden dabei erörtert?

17. Verfolgt die Bundesregierung das Ziel der Schaffung eines umfassenden
Regelwerkes für den Betrieb von Traditionsschiffen, und wenn ja, welche
Bereiche sollen dabei erfasst werden?

Berlin, den 29. September 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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