BT-Drucksache 17/2943

Deutsche Entwicklungszusammenarbeit in den Palästinensischen Gebieten

Vom 14. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2943
17. Wahlperiode 14. 09. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heike Hänsel, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Sevim Dag˘delen, Annette Groth, Andrej Hunko, Harald Koch, Niema Movassat
und der Fraktion DIE LINKE.

Deutsche Entwicklungszusammenarbeit in den Palästinensischen Gebieten

Die Westbank und der Gazastreifen sind seit 1967 von Israel völkerrechtswid-
rig besetzt. Damit einher gehen schwerwiegende Entwicklungshemmnisse und
massive Einschränkungen für das sozioökonomische, soziopolitische und
soziokulturelle Leben in dem besetzten palästinensischen Gebiet. Bis 1993
wurden die Bereiche, die heute von der Palästinensischen Autonomiebehörde,
den Nichtregierungsorganisationen (NRO) und Durchführungsorganisationen
der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit verwaltet und organisiert sowie
von den internationalen Gebern finanziert werden, von der israelischen Zivil-
administration für die besetzten Gebiete direkt verwaltet und finanziert. Zwar
bestehen sowohl die entsprechenden Behörden als auch die Besatzung fort,
doch ist diese Besatzung seit 1993 mit weit geringeren Finanzierungskosten für
die israelische Regierung verbunden, da diese Kosten seitdem von den inter-
nationalen Gebern und somit vor allem von der Europäischen Union, den USA
und Japan getragen werden.

Nicht nur in der Westbank, sondern auch im Gazastreifen, aus dem Israel sich
offiziell 2005 zurückzog, kann noch immer von einem Besatzungsregime ge-
sprochen werden. Alle Zugänge des Gazastreifens zu Luft, zu Wasser und zu
Land (mit Ausnahme des Grenzübergangs Rafah mit Ägypten) werden von Is-
rael ebenso direkt kontrolliert wie die Strom- und Wasserversorgung, das Be-
völkerungsregister, das Mehrwertsteueraufkommen und die Zollgebühren. Die
von Israel nach seinem offiziellen Rückzug eingerichteten sogenannten buffer-
zones (militärische Sperrzonen), die über 30 Prozent des Ackerlandes in Gaza
umfassen, darunter die fruchtbarsten Böden des Gazastreifens, und die Fische-
reizone auf eine maximal 3 Kilometer breite Küstenlinie begrenzen, belegen
das Fortbestehen eines De-facto-Besatzungsstatus. Der Sonderberichterstatter
der Vereinten Nationen über die Menschenrechte in den Besetzten Gebieten,
Richard Falk, und alle anderen UN-Organisationen sprechen in ihren offiziellen
Verlautbarungen nach wie vor von dem „Occupied Palestinian Territory“
(besetztes palästinensisches Gebiet) in Bezug auf Gaza und die Westbank. Die
Weigerung Israels, den deutschen Bundesminister für wirtschaftliche Zusam-

menarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel, in den Gazastreifen einreisen zu las-
sen, spricht ebenfalls für den weiterhin gegebenen Status Israels als Besat-
zungsmacht im Gazastreifen.

Die staatliche deutsche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ist seit den 1980er-
Jahren in den palästinensischen Gebieten tätig. Deutschland ist mit jährlich
50 Mio. Euro einer der bedeutendsten Geber und die palästinensischen Gebiete
liegen im Pro-Kopf-Bezug von Mitteln der deutschen Entwicklungshilfe

Drucksache 17/2943 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

(ODA) an vorderster Stelle. Die deutsche Zusammenarbeit in den palästinen-
sischen Gebieten konzentriert sich in ihrer Tätigkeit auf die drei Schwerpunkt-
bereiche: Governance, nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und Wasser.

Die deutsche EZ befindet sich in einer völkerrechtlich schwierigen Situation,
da sie in ihren Schwerpunktbereichen Aufgaben übernimmt (etwa den Bau und
die Instandhaltung von Wasserleitungssystemen), die eigentlich in den Verant-
wortungsbereich der israelischen Besatzungsmacht fallen. Zudem wird die
deutsche EZ als parteilich wahrgenommen. Dies ist u. a. darauf zurückzu-
führen, dass die deutsche Regierung die in demokratischen Parlamentswahlen
im Jahr 2006 gewählte palästinensische Regierung nicht anerkannt hat und
stattdessen ausschließlich mit der weder demokratisch gewählten noch einer
parlamentarischen Kontrolle unterliegenden Fayyad-Regierung unter Minister-
präsident Salam Fayyad zusammenarbeitet.

Bundesminister Dirk Niebel machte aus der Parteilichkeit von deutscher EZ in
den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten in einem Interview mit der
„Leipziger Volkszeitung“ am 16. Mai 2010 keinen Hehl: „Es [deutsche EZ]
macht eine ganze Menge Sinn. Denn [es] kann die Regierung Fayyad im West-
jordanland stützen und stabilisieren, wenn die Lebensbedingungen der Bevöl-
kerung und der Westbank besser sind […]“.

Die wirtschaftliche Situation in den besetzten palästinensischen Gebieten hat
sich seit Ende der 1990er-Jahre kontinuierlich verschlechtert. Das durchschnitt-
liche Monatseinkommen hat sich im Vergleich zu 1999 um rund ein Drittel ver-
ringert. Nach Angaben des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Hilfe
(OCHA) gibt es allein in der Westbank 505 israelisch kontrollierte Checkpoints
und andere Barrieretypen (Stand: Juni 2010), die die Bewegungsfreiheit für
Personen und Güter massiv einschränken und damit die wirtschaftliche Ent-
wicklung behindern. Da der gesamte palästinensische Export über Israel abge-
wickelt werden muss, werden Vermarktung und Transport ebenfalls stark be-
einträchtigt (Quelle: BMZ Bericht „Palästinensische Gebiete 2009“).

Die Wasserressourcen in den palästinensischen Gebieten unterstehen seit 1967
israelischer Militärkontrolle. Ein Drittel aller palästinensischen Dörfer in der
Westbank verfügen nicht über eine Wasserversorgung. Die Wasserleitungssys-
teme wurden seit der britischen Mandatszeit kaum erneuert. Während in Israel
rund 280 Liter pro Kopf und Tag verbraucht werden (Deutschland 122 Liter),
verfügt die palästinensische Bevölkerung im Durchschnitt nur über 60 Liter pro
Kopf und Tag, ein Drittel aller Palästinenser verfügen lediglich über 30 Liter
pro Kopf und Tag. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt mindes-
tens 100 Liter pro Kopf und Tag; 30 Liter gelten nach WHO Angaben als abso-
luter Notfallwert nach schweren Naturkatastrophen. Der Militärerlass 158 von
1967 untersagt jegliche Arbeiten im Wassersektor ohne vorherige Genehmi-
gung durch das israelische Militär. Allein seit 2002 wurden von der Deutschen
Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH und der KfW Ban-
kengruppe 13 verschiedene Anfragen zum Bau von Brunnen gestellt und diese
immer wieder vom israelischen Militär abgelehnt. Seitdem konzentriert sich
Deutschland nur noch auf den Abwasserbereich; doch auch dort können die be-
willigten Gelder aufgrund fehlender Baugenehmigungen nicht abgerufen wer-
den. Die im Oslo-II-Abkommen vereinbarte Fördermenge von 80 Millionen
Kubikmetern pro Jahr in der Westbank bis zum Ende der Interimsperiode 1999
wurde von Israel nicht erfüllt. Bis heute, 2010, beschränkt sich die Gesamt-
menge des erbohrten und neu geförderten Wassers in der Westbank auf 12,3
Millionen Kubikmeter pro Jahr.

Berichte von UN-OCHA, dem UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge
(UNRWA), der Weltbank und von amnesty international betonen immer

wieder, dass der Haupthinderungsgrund für eine nachhaltige Entwicklung in
ökonomischen, sozialen und politischen Bereichen in der Besatzungs- und

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2943

Blockadepolitik Israels liegt. Vor diesem Hintergrund ist eine Entwicklungs-
zusammenarbeit, die Israel von seinen Verpflichtungen als Besatzungsmacht
nach Haager Landkriegsordnung und der IV. Genfer Konvention finanziell wie
administrativ entbindet, nicht begründbar. Unter den Bedingungen der Besat-
zung ist eine nachhaltige, selbsttragende Entwicklung nicht möglich. Die deut-
sche EZ bleibt weitgehend wirkungslos und droht lediglich, die völkerrechts-
widrige Besatzung von Westbank und dem Gazastreifen zu legitimieren und zu
zementieren.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie gestaltet sich die deutsche staatliche EZ (personell, finanziell, tech-
nisch) im Gazastreifen seit der Einstellung der direkten Finanztransfers im
Jahre 2006?

a) Welche bundesdeutschen staatlichen Institutionen leisten seit 2006 EZ im
Gazastreifen?

b) In welchen Projekten findet diese Zusammenarbeit statt?

c) Wer genau sind die palästinensischen Kooperationspartner in den jeweili-
gen Projekten?

d) Welchen finanziellen Umfang haben diese Projekte jeweils?

e) Über welche Kanäle wird die finanzielle Zusammenarbeit geleistet?

2. Wie gestaltet sich die deutsche staatliche humanitäre Hilfe (personell, finan-
ziell, technisch) im Gazastreifen seit der Einstellung der direkten Finanz-
transfers im Jahre 2006?

a) Welche bundesdeutschen staatlichen Institutionen leisten seit 2006 huma-
nitäre Hilfe im Gazastreifen?

b) In welchen Projekten findet diese statt?

c) Wer genau sind die palästinensischen Kooperationspartner in den jeweili-
gen Projekten?

d) Welchen finanziellen Umfang haben diese Projekte jeweils?

e) Über welche finanziellen Kanäle wird humanitäre Hilfe geleistet?

3. Wie gestalten sich die EZ und humanitäre Hilfe der Europäischen Union im
Gazastreifen seit der Einstellung der direkten Finanztransfers im Jahre
2006?

a) Welche EU-Institutionen sind seit 2006 im Bereich der EZ und humanitä-
ren Hilfe für den Gazastreifen tätig?

b) In welchen Projekten findet diese Zusammenarbeit statt?

c) Wer genau sind die palästinensischen Kooperationspartner in den jeweili-
gen Projekten?

d) Welchen finanziellen Umfang haben diese Projekte jeweils?

4. Wie gestaltet sich die deutsche staatliche EZ (personell, finanziell, tech-
nisch) in der Westbank seit 2006?

a) Welche bundesdeutschen staatlichen Institutionen leisten seit 2006 EZ im
Gazastreifen?

b) In welchen Projekten findet diese Zusammenarbeit statt?

c) Wer genau sind die palästinensischen Kooperationspartner in den jeweili-
gen Projekten?

d) Welchen finanziellen Umfang haben diese Projekte jeweils?
e) Über welche Kanäle wird die finanzielle Zusammenarbeit geleistet?

Drucksache 17/2943 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Schwerpunkt 1: Governance, Aufbau von Institutionen und Förderung der Zivil-
gesellschaft

5. In welcher Weise haben sich die Bundesregierung und das Bundesministe-
rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nach
Unterzeichnung des israelisch-palästinensischen Friedensabkommens 1993
dafür eingesetzt, dass ihre Unterstützung für den Aufbau eines demokra-
tischen und lebensfähigen palästinensischen Staates in der Westbank und
im Gazastreifen in ein Ergebnis mündet?

6. Welche konkreten Projekte führt die GTZ im Auftrag des Auswärtigen
Amts im Sicherheitssektor durch (bitte Einzelaufschlüsselung der entspre-
chenden Projekte mit Kostenübersicht)?

7. Wie rechtfertigt die Bundesregierung vor der palästinensischen Bevölke-
rung, dass Deutschland, als einer der Hauptgeber im Bereich von Demo-
kratieförderprogrammen, den Wählerwillen der Mehrheit der palästinen-
sischen Wahlberechtigten nicht anerkennt, Hamas als eine der zwei großen
politischen Kräfte ausgrenzt und dafür aktiv die Fayyad-Regierung unter-
stützt, die weder von einem Parlament legitimiert noch kontrolliert wird
und die die Parlamentswahlen 2006 sowohl in der Westbank wie im Ga-
zastreifen klar verloren hat?

8. Wie garantieren die Bundesregierung und das BMZ, dass bei den von ihr
unterstützten und von der Palästinensischen Autonomiebehörde ohne
Befragung des palästinensischen Parlaments festgesetzten Planungsziele
(1. Ausbau des Sicherheitssektors, 2. Förderung der freien Markwirtschaft)
die Interessen der palästinensischen Bevölkerung berücksichtigt werden?

9. In welcher Weise setzt sich die Bundesregierung für die Einbeziehung des
palästinensischen Parlaments in die Festsetzung der Planungsziele für die
Entwicklungszusammenarbeit ein?

10. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die von ihr geförderten Projekte
der staatlichen EZ im Sinne des „Do-no-harm“-Ansatzes nicht zur Kon-
fliktverschärfung zwischen Hamas und Fatah beitragen (etwa durch den
einseitigen Aufbau eines Fayyad unterstehenden Sicherheitssektors) und
nicht zu einer Festschreibung der israelischen Besatzung und der Separa-
tionsmauer in der Westbank führen (etwa durch die Finanzierung des Neu-
baus von Schulen, die durch den Mauerbau nicht mehr für die palästinen-
sische Bevölkerung erreichbar geworden sind)?

11. Wie verhindern die Bundesregierung und die Durchführungsorganisationen
vor Ort, dass die deutsche EZ als politische EZ und Konfliktpartei wahrge-
nommen wird, vor dem Hintergrund, dass mit der von der Bundesregierung
mit Premierminister Salam Fayyad initiierten „Zukunft für Palästina-Ini-
tiative“ nur die Westbank gefördert und damit die nicht demokratisch
gewählte Fayyad-Regierung legitimiert wird, der Gazastreifen aber aus
dieser Initiative ausgeklammert bleibt (siehe hierzu Interview von Bundes-
minister Dirk Niebel am 16. Juni 2010 in der Leipziger Volkszeitung, in
welchem er die deutsche EZ als expliziten Stabilisator für Salam Fayyad
hervorhebt)?

12. Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Tatsache, dass geplante EZ-Pro-
jekte im Gazastreifen über die Fayyad-Regierung oder das Präsidentenbüro
in Ramallah abgewickelt werden sollen, obwohl beide weder durch freie
und allgemeine Wahlen noch durch den palästinensischen Legislativrat le-
gitimiert sind?

13. Inwieweit setzt sich die Bundesregierung im Rahmen von Demokratieför-

derungs- und Good-Governance-Projekten für die Wiederherstellung der
Arbeitsfähigkeit des palästinensischen Parlaments ein?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/2943

14. Wie rechtfertigt die Bundesregierung, abgesehen von humanitären Überle-
gungen, die seit 2007 erfolgenden konditionierten Zahlungen an die 70 000
Beamten im Gazastreifen über den EU-Mechanismus PEGASE, für den die
Bundesrepublik Deutschland 2008 20 Mio. Euro und 2009 25 Mio. Euro
bereitgestellt hat, deren Gehaltsauszahlung explizit unter der Bedingung
erfolgt, nicht zur Arbeit zu erscheinen?

15. Welche positiven und negativen Wirkungen sieht die bundesdeutsche Re-
gierung in dieser fortgesetzten EU-Finanzierung der 70 000 Beamten in
Gaza, die dafür bezahlt werden, nicht zur Arbeit zu gehen?

16. Welches entwicklungspolitische Konzept steht hinter diesem Finanzie-
rungsansatz?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung aus humanitärer Perspektive den von
der Fatah 2007 angeordneten Dauerstreik der Fatah-Beamten, der Ministe-
rien, Krankenhäuser und Schulen im Gazastreifen nicht mehr arbeitsfähig
sein ließ und allgemein als Auslöser des sogenannten Hamas-Putsches im
Sommer 2007 gilt?

18. Warum unterstützt die Bundesregierung nicht massiv den Bildungssektor
im Gazastreifen, und warum ist Bildung nicht Teil der Schwerpunktberei-
che der deutschen EZ in dem besetzten palästinensischen Gebiet, wenn
Bundesminister Dirk Niebel Bildung als zentrales Element der Terroris-
musprävention beschreibt?

19. Wie schätzt die Bundesregierung die Wirkung der aus Bundesmitteln seit
1993 kontinuierlich finanzierten Demokratieförderprogramme ein?

20. Hat die Bundesregierung Evaluierungen dieser Demokratieförderpro-
gramme vornehmen lassen?

a) Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

b) Wenn nein, wieso wurden bisher keine Evaluierungen vorgenommen?

21. Welche Beispiele kann die Bundesregierung nennen für die positiven, kau-
salen Wirkungen der aus Bundesmitteln seit 1993 kontinuierlich finanzier-
ten Demokratieförderungsprogramme im Sinne einer demokratischeren pa-
lästinensischen Gesellschaft?

22. Wie begründet die Bundesregierung, dass nach Auskunft des Forums Zivi-
ler Friedensdienst (ZFD) Projektanträge des ZFD mit dem Ziel der inter-
religiösen Dialogförderung zwischen jüdischen Israelis und muslimischen
und christlichen Palästinensern immer seltener bewilligt werden?

23. Wie schätzt die Bundesregierung die Möglichkeit und Notwendigkeit ein,
ZFD-Projekte zur zivilen Konfliktbearbeitung und Friedensförderung zu
initiieren, die sich ausschließlich der Konfliktbearbeitung in Israel widmen
ohne Einbindung von arabisch-palästinensischen Partnern?

Schwerpunkt 2: Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und Beschäftigungsför-
derung

24. Wieso unterstützt die Bundesregierung die Entwicklung der palästinen-
sischen Wirtschaft, ohne dafür zu sorgen, dass die von internationalen Ex-
perten, einschließlich der Weltbank, beschriebenen Hindernisse aus dem
Weg geräumt werden, vor dem Hintergrund, dass die Weltbank regelmäßig
in ihren Berichten zur wirtschaftlichen Situation in der Westbank vermerkt,
dass keine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung in der Westbank unter dem
israelischen Regime der Checkpoints und Landfragmentierung stattfinden

könne (Worldbank Economic Monitoring Report 2009)?

Drucksache 17/2943 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

25. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass ihre ministeriellen
Partner von der Fayyad-Regierung im bilateralen Lenkungsausschuss nicht
aus demokratischen Wahlen hervorgegangen sind?

26. Mit welchen Mechanismen sichert die Bundesregierung menschenwürdige
und gesicherte Beschäftigungsverhältnisse nach Normen der Internationa-
len Arbeitsorganisation (ILO) in der durch die KfW Bankengruppe geför-
derten Industriezone Al Jalame in Jenin, Westbank, vor dem Hintergrund,
dass in dieser Industriezone Gewerkschaften verboten werden sollen?

Schwerpunkt 3: Wasser, Abwasser und Abwasserentsorgung

27. Warum hat die gesamte deutsche EZ (Finanzielle und Technische Zusam-
menarbeit – FZ, TZ) seit Jahren den ehemaligen Schwerpunkt deutscher
Zusammenarbeit mit der Palästinensischen Autonomiebehörde im Wasser-
sektor aufgegeben, nämlich die nachholende und systematische Erschlie-
ßung von autochthonen Grundwasserressourcen durch Bohren neuer Tief-
brunnen, vor dem Hintergrund, dass der letzte Brunnen, Ein Samia, 1999
gebohrt wurde?

28. Was sind die genauen Gründe für die Nichtdurchführung des ehemaligen
Projekts der KfW Bankengruppe „El Hizme-Brunnen“ (beantragt 2000),
ein Projekt, das gegenüber der Palästinensischen Autonomiebehörde be-
reits vertraglich zugesichert war?

29. Wie erklärt die Bundesregierung den Wechsel vom ehemaligen Schwer-
punktbereich Wasser mit Fokus auf der Erschließung autochthoner Grund-
wasserressourcen im Palästinensischen Autonomiegebiet hin zum Fokus
auf den Bereich Abwasser, Abwasserentsorgung und dies trotz der eklatan-
ten Unterversorgung mit Trink- und Bewässerungswasser im Palästinensi-
schen Autonomiegebiet?

30. Warum besteht die Bundesregierung, trotz ihrer führenden Rolle in EU und
Nahostquartett, nicht darauf, Bohrgenehmigungen gegenüber Israel einzu-
fordern, die eigentlich Teil der Minimalverpflichtungen Israels sind?

31. Wie erklärt die Bundesregierung ihre Mitverantwortung an dieser eklatan-
ten Verletzung der Oslo-Vereinbarungen, also die Verweigerung zur Mitar-
beit an diesem Wassernotstand?

32. Wie erklärt die Bundesregierung ihre Investitionen in die Rehabilitierung
und den Neubau von Wasserverteilungssystemen in der Westbank, obwohl
viele dieser Leitungen aufgrund israelischer Beschränkungen zur Erschlie-
ßung genügender Wasserquellen im Großteil des Jahres leer bleiben?

33. Wie erklärt die Bundesregierung ihre schwerpunktmäßige Unterstützung
des palästinensischen Abwasserbereichs vor dem Hintergrund des Welt-
bankberichts 2009, der angibt, dass einzig wegen der israelischen völker-
rechtswidrigen Restriktionen nur ganze 2 Prozent der zugesagten Projekt-
gelder für den Bereich wirklich umgesetzt werden konnten?

34. Wie genau gestalten sich die Verhandlungen der deutschen mit der israeli-
schen Regierung bezüglich des Baus eines Klärwerks in Gaza?

a) Inwiefern behindert die israelische Regierung den Bau des Klärwerks?

b) Welche Bauteile werden von der israelischen Regierung nicht in den Ga-
zastreifen gelassen?

c) Welche Begründungen führt die israelische Regierung für die Behinde-
rung des Baus an?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/2943

d) Fällt der Bau dieses Klärwerks in Gaza unter den Bereich der TZ, EZ oder
der humanitären Hilfe?

e) Wenn es unter humanitäre Hilfe fällt, welches Bundesministerium ist fe-
derführend verantwortlich für die humanitäre Hilfe im Gazastreifen?

f) Wenn das Auswärtige Amt diese Aufgabe innehat, wieso plante dann
Bundesminister Dirk Niebel und nicht der Bundesminister des Auswär-
tigen, Dr. Guido Westerwelle, einen Besuch der Klärwerks?

g) Inwiefern lässt sich in dieser Behinderung ein Misstrauen der israelischen
Regierung gegenüber der deutschen EZ erkennen?

h) Worin begründet sich gegebenenfalls dieses Misstrauen?

Einfluss der israelischen Besatzung auf die deutsche und europäische EZ

35. Wie bewertet die Bundesregierung die Zuständigkeit der deutschen EZ in
der besetzten Westbank und dem Gazastreifen vor dem Hintergrund, dass
völkerrechtlich Israel nach der Haager und der IV. Genfer Konvention als
Besatzungsmacht für die Versorgung der palästinensischen Bevölkerung
(auch in Bezug auf die Schwerpunktbereiche der deutschen EZ Wasser und
Wirtschaft) in dem besetzten Gebiet verantwortlich ist?

36. Warum finanziert die Bundesregierung palästinensische Infrastruktur (z. B.
Bau und Restaurierung von Wasserleitungen), für deren Bau Israel als Be-
satzungsmacht verantwortlich wäre?

37. Warum wird mit deutschen EZ-Geldern das Straßenstück zwischen Qalan-
dia-Checkpoint und dem Flüchtlingslager Qalandia finanziert, ein Gebiet,
das nach israelischem Rechtsverständnis Teil des wiedervereinigten und
annektierten Jerusalems, also Teil des Staates Israel ist?

38. Kann die Bundesregierung belegen, dass, wie in einem Interview mit der
Leipziger Volkszeitung vom 16. Juni 2010 von Bundesminister Dirk
Niebel behauptet, mit deutschen Entwicklungsgeldern finanzierte „Dinge,
die der Bevölkerung tatsächlich genutzt hätten, sind von palästinensischen
Terroristen in die Luft gesprengt worden, um einen innerpalästinensischen
Konflikt auszutragen“? (Quelle: http://nachrichten.lvz-online.de)

a) Auf welche Quellen stützen sich die Anschuldigen von Bundesminister
Dirk Niebel?

b) Um welche Projekte handelt es sich dabei genau?

c) Wann fanden diese Zerstörungen statt?

d) In welchem finanziellen Rahmen bewegen sich diese Verluste?

e) Durch welche palästinensischen Gruppierungen wurden diese Anschläge
verübt?

f) Auf welche konkrete innerpalästinensische Konfliktaustragung bezog
sich der Bundesminister in seinem Interview?

39. Wie hoch sind die durch israelische Militäreinsätze verursachten Schäden
an deutschen und europäischen EZ-Projekten in der Westbank und Gaza
seit 1993?

a) Um welche Projekte handelt es sich dabei genau?

b) Wann fand diese Zerstörung statt?

c) In welchem finanziellen Rahmen bewegen sich diese Verluste?
d) Wurde von deutscher oder europäischer Seite von der israelischen Regie-
rung Entschädigung für die Zerstörung verlangt?

Drucksache 17/2943 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
e) Wurden von israelischer Seite Entschädigungen für die Zerstörungen ge-
zahlt?

f) Welche sonstigen Konsequenzen hat die Bundesregierung in Erwägung
gezogen?

40. Garantiert die Bundesrepublik Deutschland die Regresspflicht der Kon-
fliktparteien bei der Zerstörung von durch staatliche Hilfen geförderten
EZ-Projekten?

Wenn ja, wie?

Wenn nein, warum nicht?

41. Wie bewertet die Bundesregierung die Entscheidung der israelischen Re-
gierung, Bundesminister Dirk Niebel die Einreise in den Gazastreifen zu
verweigern?

a) Sieht die Bundesregierung die israelische Regierung in der rechtlichen
Position, dem Bundesentwicklungsminister die Einreise in den Gaza-
streifen zu verweigern, wenn diese gleichzeitig leugnet, noch Besatzungs-
macht im Gazastreifen zu sein?

b) Inwiefern lässt sich in der Einreiseverweigerung ein Misstrauen der isra-
elischen Regierung gegenüber der deutschen EZ und dem deutschen Bun-
desentwicklungsminister erkennen?

c) Worin begründet sich gegebenenfalls dieses Misstrauen gegenüber dem
Bundesentwicklungsminister?

d) Welche Schritte verfolgt die Bundesregierung, um doch noch einen Be-
such von Bundesminister Dirk Niebel im Gazastreifen zu ermöglichen?

Berlin, den 7. September 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.