BT-Drucksache 17/2938

Ausbau von Kapazitäten von Forschungsreaktoren aufgrund von Versorgungsengpässen in der Nuklearmedizin durch Mangel an Technetium-99m und mögliche Alternativen

Vom 14. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2938
17. Wahlperiode 14. 09. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels,
Klaus Barthel, Willi Brase, Ulla Burchardt, Petra Ernstberger, Michael Gerdes,
Iris Gleicke, Klaus Hagemann, Oliver Kaczmarek, Daniela Kolbe (Leipzig),
Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Florian Pronold, Marianne Schieder (Schwandorf),
Swen Schulz (Spandau), Andrea Wicklein, Dagmar Ziegler,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Ausbau von Kapazitäten von Forschungsreaktoren aufgrund von Versorgungs-
engpässen in der Nuklearmedizin durch Mangel an Technetium-99m und mögliche
Alternativen

In den vergangenen Monaten häuften sich national wie international Berichte
über Versorgungsengpässe durch einen Mangel an Technetium-99m. Das Ra-
dioisotop Technetium-99m wird weltweit in der Nuklearmedizin und hierbei
insbesondere für diagnostische Anwendungen genutzt. Nach Schätzungen wird
Technetium-99m bei weltweit über 80 Prozent der nuklearmedizinischen
Untersuchungen und in rund 90 Prozent aller diagnostischer Untersuchungen in
Europa verwendet. Seit 2007 nehmen Berichte über Engpässe bei der Versor-
gung mit Technetium-99m stark zu.

So standen beispielsweise durch altersbedingten Verschleiß im Mai 2010 zwei
der fünf Reaktoren, die den Grundstoff (Molybdän-99) zur Herstellung von
Technetium-99m erzeugen, still. Die drei verbleibenden Reaktoren fielen zeit-
weise aufgrund von Wartungsarbeiten aus. Von den fünf Reaktoren, die welt-
weit zur Herstellung von Technetium-99m genutzt werden, befinden sich drei
in Europa (High Flux Reactor (HFR) in Petten – Niederlande, Belgian Reactor 2
(BR2) in Mol – Belgien, OSIRIS in Saclay – Frankreich), einer in Kanada (Na-
tional Research Universal Reactor NRU in Chalk River) und einer in Südafrika
(South African Fundamental Atomic Reactor Installation 1 (SAFARI-1) in
Pelindaba, Südafrika).

Alle fünf Reaktoren werden absehbar die Grenzen ihrer Lebensdauer erreichen.
Schon heute liegt das Alter der fünf Reaktoren bei rund 50 Jahren (Baujahre:
HFR 1961, BR2 1961, OSIRIS 1964, NRU 1957, SAFARI-1 1965). Entspre-
chend kam ein Bericht der Europäischen Kommission in 2009 zu dem Er-
gebnis, dass man nicht sicher davon ausgehen kann, dass auch nur einer dieser
Reaktoren nach 2015/2016 noch einsatzbereit sein wird. All diese Reaktoren

arbeiten mit hoch angereichertem Uran.

Eine längerfristige Einlagerung von Technetium-99m ist aufgrund der Halb-
wertzeit nicht möglich, so dass zur Aufrechterhaltung der medizinischen Ver-
sorgung eine kontinuierliche Neuproduktion erforderlich ist.

Es stellt sich daher grundsätzlich die Frage, inwieweit die weltweit verfügbaren
Forschungsreaktoren langfristig den medizinischen Bedarf an Technetium-99m

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decken können. Auch ist der Frage nachzugehen, welche Alternativen zur
Herstellung von Technetium-99m mittels hoch angereichertem Uran bestehen,
welche Alternativen zum Einsatz von Technetium-99m denkbar sind und ob
hier ein Forschungsbedarf besteht.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Bei wie vielen Untersuchungen pro Monat wird in Deutschland Techne-
tium-99m genutzt?

2. Für welche Untersuchungen wird Technetium-99m eingesetzt?

3. Wie viele medizinische Behandlungen mussten in den letzten fünf Jahren
durch den Mangel an Technetium-99m verschoben oder abgesagt werden?

4. Wie haben sich die Preise für Technetium-99m seit 2000 entwickelt?

5. Wie hat sich das Angebot von Technetium-99m seit 2000 entwickelt, und
wie haben sich die Ausfälle einzelner Reaktoren auf dieses Angebot ausge-
wirkt?

6. Wie hoch, in Prozent des weltweiten Bedarfs, ist der Bedarf der Bundes-
republik Deutschland an Technetium-99m?

7. Wie hoch ist der Anteil Europas am weltweiten Bedarf an Technetium-
99m?

8. Ist der Bundesregierung bekannt, aus welchen Quellen das Uran, welches
zur Herstellung von Molybdän-99 bzw. von Technetium-99m in den fünf
genannten Reaktoren genutzt wird, stammt?

9. Ist es richtig, dass allein der National Research Universal Reactor NRU in
Chalk River sowie der High Flux Reactor (HFR) in Petten rund 65 Prozent
des weltweiten Bedarfs an Technetium-99m produzieren und ihre Betriebs-
lizenzen 2016 bzw. 2015 auslaufen?

10. Seit wann ist der Bundesregierung das Problem der langfristig nicht gesi-
cherten Versorgung mit Technetium-99m bekannt, und welche Maßnahmen
wurden seither ergriffen, um dieses Problem zu lösen?

11. Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Experten, dass zur dauerhaf-
ten Sicherstellung der Versorgung mit Technetium-99m ein Neubau von
Reaktoren erforderlich ist?

12. Wurden durch die Bundesregierung Pläne entwickelt, um gegebenenfalls
durch den Bau eines neuen Forschungsreaktors die Versorgung mit Techne-
tium-99m sicherzustellen?

13. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Auffassung
der Europäischen Kommission, die im Oktober 2009 in ihrem „Preliminary
Report on Supply of Radioisotopes for Medical Use and Current Develop-
ments in Nuclear Medicine“ festgestellt hat: „In the mid-term the only
option to assure security of supply of Mo-99 is the construction of one or
more multipurpose reactors. This is also necessary in order to maintain the
strategic independence of Europe in this critical medical field. The design
of such reactors should be optimized since the beginning to assure a good
balance between research and radioisotopes production.“?

14. Ist es richtig, dass der Forschungsreaktor FRM-II in Garching – bei ent-
sprechender Nachrüstung – ab Ende 2013 den gesamten europäischen Be-
darf an Technetium-99m decken könnte?

15. Falls ja, von welchen Eckdaten geht diese Einschätzung aus (insbesondere

von welchen Behandlungszahlen, Einsatzgebieten usw.)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2938

16. Falls nein, wie hoch ist der durch den FRM-II maximal zu deckende Bedarf
an Technetium-99m?

17. Wie viel atomaren Müll würde der Forschungsreaktor FRM-II in Garching
– nach der erwähnten Nachrüstung – pro Jahr produzieren, und welche
Pläne zur dauerhaften Endlagerung des atomaren Mülls bestehen diesbe-
züglich?

18. Wie hoch ist insgesamt der Anteil von Atommüll aufgrund von medizini-
schen Anwendungen am Gesamtaufkommen des in Deutschland anfallen-
den atomaren Mülls?

19. Sind Medienberichte korrekt, laut deren eine Nachrüstung des Forschungs-
reaktors FRM-II in Garching 5,4 Mio. Euro kosten würde und die Bundes-
regierung bisher nicht bereit ist, die Finanzierungslücke von 2,2 Mio. Euro
zu übernehmen (obgleich der Freistaat Bayern bereits 1,2 Mio. Euro und
die Industrie 2 Mio. Euro zugesagt haben)?

20. Ist es richtig, dass die Bundesregierung versucht hat, Finanzierungsmög-
lichkeiten auf Ebene der Europäischen Union zu prüfen, und was sind die
Ergebnisse dieser Bemühungen?

21. Ist es richtig, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung eine
Beteiligung an den Kosten zur Umrüstung des FRM-II in Garching aus
dem eigenen Haushalt abgelehnt hat?

22. Wie bewertet die Bundesregierung Ankündigungen von Seiten der Nu-
klearmedizinerinnen und -mediziner, angesichts der drohenden Versor-
gungsengpässe die noch offene Finanzierungslücke zur Nachrüstung des
Reaktors in Garching selbst zu übernehmen?

23. Wie lange wird nach Wissen der Bundesregierung der niederländische
High Flux Reactor (HFR) in Petten noch als Quelle für Technetium-99m
zur Verfügung stehen, und wie bewertet die Bundesregierung die Pläne
zum Bau des so genannten Pallas Reaktors, der als Nachfolger des HFR ab
2016 betriebsbereit sein soll?

24. Teilt die Bundesregierung die Auffassung bzw. Schätzung, dass der NRU
in Kanada noch bis 2014 zur Verfügung stehen wird?

25. Wie teuer wäre der Neubau eines Reaktors zur Produktion von Techne-
tium-99m mittels niedrig angereichertem Uran?

26. Ist der Bundesregierung bekannt, ob neben den Plänen für den „Pallas Re-
aktor“ noch andere EU-Mitgliedstaaten den Bau neuer Forschungsreakto-
ren planen, die auch zur Produktion von Technetium-99m genutzt werden
können, und soll hier weiterhin hoch angereichertes Uran genutzt werden?

27. Welche alternativen Verfahren zur Herstellung von Technetium-99m sind
der Bundesregierung bekannt, und welche Forschungsmaßnahmen werden
diesbezüglich durch die Bundesregierung finanziell unterstützt?

28. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um dauerhaft die Ver-
sorgung Deutschlands mit Technetium-99m (insbesondere vor dem Hinter-
grund, dass kein deutscher Anbieter Technetium-99m anbieten kann)
sicherzustellen?

29. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung auf Ebene der Europäischen
Union angeregt, um dauerhaft den Bedarf in Europa an Technetium-99m
zu decken?

30. Welche nächsten Schritte plant die Bundesregierung auf Ebene der Euro-
päischen Union in dieser Frage?

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31. Mit welchen Maßnahmen und Forschungsprojekten unterstützt die Bundes-
regierung die Initiativen der IAEA (Internationale Atomenergie-Organisa-
tion), um dauerhaft einen Verzicht auf die Nutzung von hoch angereichtem
Uran zu medizinischen Zwecken bzw. zu medizinischen Forschungs-
zwecken zu erreichen?

32. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Alternativen zum Einsatz von
Technetium-99m?

Berlin, den 14. September 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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