BT-Drucksache 17/2936

Entwicklung, Validierung und Anwendung von Alternativen zu Tierversuchen

Vom 14. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2936
17. Wahlperiode 14. 09. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten René Röspel, Heinz Paula, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Dr. Wilhelm Priesmeier, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, Willi Brase,
Ulla Burchardt, Petra Crone, Petra Ernstberger, Michael Gerdes, Iris Gleicke,
Klaus Hagemann, Gustav Herzog, Gabriele Hiller-Ohm, Oliver Kaczmarek,
Ulrich Kelber, Daniela Kolbe (Leipzig), Ute Kumpf, Dr. Matthias Miersch,
Thomas Oppermann, Holger Ortel, Florian Pronold, Mechthild Rawert,
Marianne Schieder (Schwandorf), Swen Schulz (Spandau), Rolf Schwanitz,
Stefan Schwartze, Kerstin Tack, Dr. Marlies Volkmer, AndreaWicklein,
WaltraudWolff (Wolmirstedt), Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Entwicklung, Validierung und Anwendung von Alternativen zu Tierversuchen

Der Schutz von Tieren hat in Deutschland einen im internationalen Vergleich
hohen Stellenwert und genießt als Staatsziel Verfassungsrang. Die Interessen
des Tierschutzes befinden sich jedoch in einem Spannungsverhältnis zu den
Wünschen von Forscherinnen und Forschern, die die Notwendigkeit der Durch-
führung von Tierversuchen im Rahmen von wissenschaftlichen Projekten be-
tonen. Von beiden Seiten akzeptiert wird das so genannte Konzept der 3R, also
das Ziel, durch die Entwicklung neuer oder durch die Verbesserung bestehender
Testmethoden eine Verminderung, Verbesserung sowie Vermeidung von Tier-
versuchen zu erreichen.

Die Debatte über die Möglichkeiten, Grenzen und Anwendungsbereiche von
Alternativmethoden zu Tierversuchen hat in den vergangenen Monaten durch
die Beratungen über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parla-
ments und des Rates zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwen-
deten Tiere an Intensität zugenommen und das Spannungsverhältnis zwischen
umfassendem Tierschutz und der Erforderlichkeit von Tierversuchen im Rah-
men von Wissenschaft und Forschung erneut verdeutlicht.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat in der Bundesrepublik Deutschland die Zahl der Tierversuche in den
letzten Jahren zugenommen oder abgenommen, und was sind die Gründe für
diese Entwicklung?

2. Falls die Zahl der Tierversuche zugenommen hat, aus welchen Gründen
nimmt nach Auffassung der Bundesregierung die Zahl der Tierversuche seit
Jahren zu, obwohl das „Konzept der 3R“ von der Bundesregierung
unterstützt wird und zunehmend Alternativen zu Tierversuchen verfügbar
sind?

Drucksache 17/2936 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Im Rahmen welcher Projekte und in welcher finanziellen Höhe hat die
Bundesregierung die Erforschung von Alternativen zu Tierversuchen seit
2000 gefördert?

4. Ist eine Aufstockung der finanziellen Mittel zur Erforschung von Alternati-
ven zu Tierversuchen in den nächsten ein bis zwei Jahren geplant?

5. Welche Maßnahmen bzw. Projekte werden auf europäischer Ebene mit
dem Ziel einer Reduktion bzw. Ersatz von Tierversuchen gefördert, und
wie hoch ist der Finanzierungsbeitrag Deutschlands an diesen Maßnahmen
bzw. Projekten (insbesondere in Bezug auf das 7. Forschungsrahmen-
programm)?

6. Auf welchen Wegen versucht die Bundesregierung, die Erfordernisse der
Industrie in Bezug auf die Entwicklung von Alternativen zu Tierversuchen
bei der Ausgestaltung der Forschungsförderung zu berücksichtigen?

7. Teilt die Bundesregierung die Schätzung der Wissenschaftler Thomas
Hartung und Constanza Rovida vom August 2009 (Nature „Chemical regu-
lators have overreached“ Vol. 460, S. 1080 – 1081, 27. August 2009), nach
der im Rahmen der durch die REACH-Verordnung notwendigen Tests bis
zu 20-mal mehr Tiere für Tierversuche genutzt werden müssen als ur-
sprünglich durch die Europäische Union geschätzt, und aus welchen Grün-
den teilt die Bundesregierung gegebenenfalls die Ergebnisse der Unter-
suchung von Thomas Hartung und Constanza Rovida nicht?

8. Wie bewertet die Bundesregierung Überlegungen, im Zuge der Umsetzung
der REACH-Verordnung grundsätzlich nur noch Tests im Rahmen von er-
weiterten Ein-Generationen-Studien (anstatt Studien an mehreren Genera-
tionen von Versuchstieren) vorzuschreiben?

Falls ja, unternimmt die Bundesregierung Schritte, um die Zulassung dieser
Methode auf europäischer Ebene voranzutreiben?

9. Teilt die Bundesregierung die Auffassung einiger Wissenschaftler, die vor-
hersagen, dass ohne eine Anwendung der erweiterten Ein-Generationen-
Studien eine Umsetzung der REACH-Verordnung nicht innerhalb des ge-
planten Zeitraumes möglich sein wird?

10. Wie lange dauert nach Kenntnis der Bundesregierung durchschnittlich die
Anerkennung einer Methode, die als Alternative zu Tierversuchen Anwen-
dung finden könnte, und was sind die Voraussetzungen für eine solche An-
erkennung?

11. Gibt es Pläne, den Nachweis einer ausreichenden Validität und Reliabilität
von im Rahmen der Verwendung einer Alternativmethode gewonnenen Er-
kenntnisse zu erleichtern und vom direkten Vergleich mit Erkenntnissen
aus Tierversuchen als Standard zu entkoppeln, und wenn ja, welche Maß-
nahmen sind diesbezüglich geplant?

12. Welche Maßnahmen wären nach Auffassung der Bundesregierung erfor-
derlich, um die Nutzung von Alternativen zu Tierversuchen zu erleichtern?

13. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung im Rahmen der Organisation
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf den Weg ge-
bracht, um die Anerkennung von Alternativen zu Tierversuchen zu be-
schleunigen?

14. Welche Initiativen hat die Bundesregierung auf den Weg gebracht, um die
internationale Anerkennung von Alternativen zu Tierversuchen zu verbes-
sern?

15. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung darüber hinaus, um die in-
ternationale Akzeptanz von Alternativmethoden zu verbessern?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2936

16. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um im Rahmen der Um-
setzung des Vorschlages für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments
und des Rates zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten
Tiere eine Beschleunigung der Verfahren zur Anerkennung von Alternativ-
methoden unter Beibehaltung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards zu
erreichen, so wie sie ursprünglich vorgesehen war?

17. Welche Veränderungen der nationalen Gesetzgebung wären im Rahmen
der Umsetzung des Vorschlages für eine Richtlinie des Europäischen Parla-
ments und des Rates zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke ver-
wendeten Tiere (Tierversuchs-Richtlinie, Stand: Dezember 2009) im Be-
reich der Anerkennung und Verwendung von alternativen Verfahren zum
Tierversuch erforderlich?

18. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherigen Aktivitäten der „Euro-
pean Partnership on Alternative Approaches to Animal Testing (EPAA)“,
und wie unterstützt die Bundesregierung diese?

19. Wie bewertet die Bundesregierung die Veröffentlichung „Toxicity Testing
in the 21st Century“ des National Research Council aus dem Jahr 2007?

20. Für welche Bereiche lassen sich Tierversuche nach Auffassung der Bun-
desregierung durch Computermodelle oder andere Alternativmethoden er-
setzen, in welchen Bereichen hält die Bundesregierung Tierversuche für
unverzichtbar, und welche Beispiele kann sie diesbezüglich benennen?

Wie wird diese Einschätzung begründet?

21. Unterstützt die Bundesregierung Forschungsprojekte, die darauf abzielen,
den Aussagewert von Tierversuchen und alternativen Verfahren einander
gegenüberzustellen und diesbezüglich einheitliche Bewertungsraster zu
entwickeln?

22. Wie bewertet die Bundesregierung die von Manfred Liebsch (von der Zen-
tralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmetho-
den zum Tierversuch – ZEBET) öffentlich beschriebene Problematik, dass
sich ein Unternehmen zumeist durch Tierversuche besser vor Schadenser-
satzansprüchen schützen kann als durch die Anwendung von Alternativme-
thoden, und sieht die Bundesregierung diesbezüglich gesetzgeberischen
Handlungsbedarf?

23. In welchen Bereichen bzw. bei welchen Fragen lassen sich schon heute
Tierversuche durch bildgebende Verfahren (z. B. Computertomographie
(CT), Positronen-Emmissions-Tomographie (PET), Magnetenzephalogra-
phie (MEG), funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) oder an-
dere) ersetzen, und wie fördert die Bundesregierung den Einsatz dieser al-
ternativen Verfahren?

24. Gibt es vor dem Hintergrund von Aussagen, wonach allein im pharmazeu-
tischen Bereich rund 86 Prozent der Tierversuche gesetzlich vorgeschrie-
ben sind, auf Seiten der Bundesregierung Pläne, die bestehenden gesetz-
lichen Vorschriften umfassend dahingehend zu überprüfen, ob sich die
Zahl der gesetzlich vorgeschriebenen Tierversuche reduzieren lässt?

25. Setzt sich die Bundesregierung gegenüber den Bundesländern für eine Re-
duktion bzw. für einen vollständigen Ersatz von Tierversuchen im Rahmen
von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen (insbesondere an Universitäten)
ein, und wenn nein, warum nicht?

26. Hat die Bundesregierung die Möglichkeit, ein Programm zum Ersatz von
Tierversuchen im Rahmen von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen aufzule-
gen, und wenn ja, wird dies geplant?

Drucksache 17/2936 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
27. Ist aus Sicht der Bundesregierung die Nutzung von embryonalen oder adul-
ten Stammzelllinien ein gangbarer Weg zur Reduktion von Tierversuchen?

28. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, ob und in welchem Umfang
aufgrund des hohen Tierschutzstandards in Deutschland Unternehmen die
Durchführung von Tierversuchen in das Ausland verlagert haben?

29. Welche Position nimmt der Forschungsstandort Deutschland international
nach Auffassung der Bundesregierung in Bezug auf die Entwicklung von
Altenativmethoden zum Tierversuch ein?

Berlin, den 14. September 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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