BT-Drucksache 17/2916

Die Zuständigkeiten des Luftfahrt-Bundesamtes in Fällen von kontaminierter Kabinenluft

Vom 13. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2916
17. Wahlperiode 13. 09. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Markus Tressel, Winfried Hermann, Cornelia Behm, Hans-Josef
Fell, Bärbel Höhn, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth
(Quedlinburg), Ingrid Nestle, Friedrich Ostendorff, Dorothea Steiner, Daniela
Wagner, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Zuständigkeiten des Luftfahrt-Bundesamtes in Fällen von kontaminierter
Kabinenluft

„Das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) ist durch Gesetz vom 30. November 1954
(BGBl I S. 354) als Bundesoberbehörde für Aufgaben der Zivilluftfahrt errichtet
worden. Es untersteht dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung (BMVBS). (…) Oberstes Ziel des LBA ist die Abwehr von Gefah-
ren für die Sicherheit der Luftfahrt sowie für die öffentliche Sicherheit und
Ordnung.“ (vgl. www.lba.de).

„Das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) sorgt als Bundesoberbehörde im Geschäfts-
bereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung für die
Sicherheit eines Fluges lange bevor dieser beginnt. Durch die Wahrnehmung
von inzwischen mehr als 100 Zulassungs-, Genehmigungs- und Aufsichtsfunk-
tionen gewährleistet das LBA (…) den hohen personellen, technischen und
flugbetrieblichen Sicherheitsstandard der Luftfahrt in Deutschland.“ (vgl.
www.lba.de).

Die Aufgaben, die das LBA zu erfüllen hat, sind äußerst vielfältig. Auf der einen
Seite gehören viele technische Aufgaben, auf der anderen Seite zählen auch öko-
nomische Bewertungen dazu. Außerdem soll das LBA die Durchsetzung von
Verbraucherrechten im Hinblick auf den Flugverkehr überwachen und gewähr-
leisten.

Technische Aufgaben des Luftfahrt-Bundesamtes sind unter anderem die Ge-
nehmigung und Überwachung von technischen Diensten (Instandhaltungssys-
teme) von gewerblichen Luftfahrtunternehmen und Luftfahrerschulen. Das
LBA kann auch in eigener Verantwortung oder zur Unterstützung der Europäi-
schen Agentur für Flugsicherheit (EASA) Aufgaben übernehmen. Das LBA er-
arbeitet zudem Instandhaltungsprogramme, gibt Lufttüchtigkeitsanweisungen
und arbeitet bei nationalen und internationalen Luftfahrtvorschriften mit.
Ebenso zählt die Flugmedizin einschließlich Anerkennung und Überwachung
flugmedizinischer Zentren und Sachverständiger zum Aufgabenfeld.

Gemäß § 5b der Luftverkehrs-Ordnung (LuftVO) „Meldung von sicherheits-

relevanten Ereignissen“ sind sogenannte smoke-/fume-events dem LBA und der
Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) anzuzeigen. Diese „smoke-/
fume-events“ sind Ereignisse, bei denen Öl mit der sehr heißen, aus den Trieb-
werken abgezapften, komprimierten Luft vermischt und als Dämpfe oder Rauch
in die Kabine gelangen. Diese Vorkommnisse werden im weiteren Verlauf der
Kleinen Anfrage als Ereignisse mit kontaminierter Kabinenluft bezeichnet. In

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jüngster Zeit sind einige Fälle unter dem „low-oil-pressure“-Phänomen bekannt
geworden. Bei diesem Ölverlust in den Triebwerken besteht auch die Möglich-
keit, dass Öl durch den Zapfluftmechanismus angesogen wird und in die Kabi-
nenluft gelangt.

Die Amerikanische Vereinigung von Klimaingenieuren (ASHRAE) hatte 2004
einen ersten Bericht über die Luftqualität von Flugzeugkabinen erstellt und 2007
und 2009 Tests bei weiteren Luftfahrtunternehmen durchgeführt sowie Vor-
schläge für Filter und Sensoren erarbeitet. Ein vorläufiger Bericht wurde der
US-Luftfahrtbehörde FAA, der europäischen EASA und der Internationalen
Zivilluftfahrtorganisation ICAO vorgelegt. Der Endbericht der ASHRAE wird
voraussichtlich Anfang 2011 vorliegen.

Airbus bestätigte mittlerweile Probleme mit kontaminierter Kabinenluft. Wäh-
rend Boeing International Corporation im neuen Dreamliner nicht weiter auf den
Zapfluftmechanismus setzt, wird bei Airbus das sogenannte More-Electric-
Aircraft-System entwickelt. Im neuen A350 werden sogenannte HECCA-Filter
eingesetzt, um die Gefahr, dass Kabinenluft durch Triebwerköldämpfe kontami-
niert wird, zu minimieren.

In einer firmeninternen Information an ihre Mitarbeiter räumte die Deutsche
Lufthansa AG bereits im April 2009 ein: „In DLH Flugzeugen tritt ein Smoke
Incident äußerst selten und in der Regel ohne Vorankündigung auf“. In der Lite-
ratur werden Zahlen wie „ein Incident auf 2000 Starts“ beschrieben“ (zitiert
nach „Update Ölgeruch“ vom 2. April 2009 von Hanne Grimopont, FRA NL
und Frank Lunemann, FRA NF/O). Darüber hinaus bestätigt das Unternehmen
sofort im Anschluss an die zitierte Passage: „Eine Ausnahme bildet allerdings
zur Zeit der A340-600 mit dem Triebwerk Trent 500. Dort bestand ein techni-
scher Fehler, dieser ist erkannt und wird mit hoher Priorität von der LHT über
eine technische Modifikation abgestellt.“

In dem Begleitmaterial zu einer weiteren Fernsehsendung des WDR („Markt“
vom 29. März 2010, www.wdr.de) werden für den Zeitraum vom 2. Januar 2008
bis 21. März 2010 insgesamt 199 Fälle aufgeführt, bei denen ein Ereignis mit
kontaminierter Kabinenluft vermutet werden muss und welche gemäß der Ver-
pflichtung nach § 5b LuftVO von den deutschen Luftfahrtunternehmen dem
LBA hätten angezeigt werden müssen. Diese Zahl steht in einem auffallenden
Missverhältnis zu den von der Bundesregierung beziehungsweise dem LBA vor-
getragenen Fällen (Antwort der Bundesregierung auf die Kleinen Anfragen der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksachen 16/12179
und 16/12578).

Am 12. August 2010 zitierte ein Beitrag des NDR (vgl. www.tagesschau.de) aus
einem dem Sender zugespielten vertraulichen Papier des Bundesverbandes der
Deutschen Fluggesellschaften e. V. (BDF). Gemäß diesem Dokument befürchten
die deutschen Fluggesellschaften „eine zusätzliche Dynamik“ wenn die Berufs-
genossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft (BG Verkehr) oder die
BFU „weitere Untersuchungen vornehmen“. Das LBA, das die direkte Auf-
sichtsbehörde darstellt, wird in diesem Schreiben nicht weiter erwähnt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Kommunikation findet zwischen der EASA und dem LBA oder an-
deren nationalen Behörden bezüglich der Ereignisse mit kontaminierter
Kabinenluft statt?

2. Welche Ergebnisse liegen der Bundesregierung aus dem der EASA vorgeleg-
ten Zwischenbericht der ASHRAE vor?
3. Wann ist voraussichtlich mit den Ergebnissen des Endberichts der ASHRAE
zu rechnen (bitte Datum angeben)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2916

4. Gibt es in den zuständigen Behörden Arbeitsgruppen, die sich mit mögli-
chen Folgen auseinandersetzen, um schnelle Schlussfolgerungen für die
politische Praxis ziehen zu können?

Wenn ja, welches sind die zuständigen Referate?

Wenn nein, wann, und wie schnell könnte ein entsprechendes Gremium ar-
beitsfähig sein?

5. Besteht ein Dialog zwischen Luftfahrt-Bundesamt und Luftfahrtindustrie
bezüglich den Ereignissen mit kontaminierter Kabinenluft?

Wenn ja, wie sieht dieser aus, und über welche Maßnahmen wird diskutiert?

Wenn nein, warum nicht?

6. Sieht die Bundesregierung das Vorsorgeprinzip in diesem Zusammenhang
als oberstes Gebot an?

7. In welcher Form nimmt das Luftfahrt-Bundesamt seine technischen Aufga-
ben im Zusammenhang mit Ereignissen mit kontaminierter Kabinenluft
wahr?

8. Wie viele Vorkommnisse mit kontaminierter Kabinenluft wurden ausweis-
lich der oben zitierten Mitarbeiterinformation der Lufthansa auf dem Muster
Airbus A340-600 für die Vergangenheit eingeräumt, und wann wurden sie
den zuständigen Behörden (LBA und BFU) gemeldet?

Entsprach dieses den geforderten Vorschriften und Fristen?

9. Welche Maßnahmen wurden vom LBA beziehungsweise der BFU eingelei-
tet, um die spätestens seit der ARD-Berichterstattung aus dem Frühjahr
2009 (ARD-Sendung „Plusminus“ vom 3. Februar 2009 sowie am 24. März
2009, WDR-Sendung „Markt“ vom 9. März 2009) auch dem LBA bekann-
ten Fälle zu überprüfen?

Wenn keine Maßnahmen eingeleitet wurden, warum unterblieben diese?

10. Welche Maßnahmen oder Recherchen wurden hinsichtlich der in der Be-
richterstattung vermuteten Vorfälle ausgelöst, um mögliche gesundheitliche
Gefahren für die betroffenen Passagiere und Besatzungsmitglieder aus-
schließen zu können?

Wenn keine Maßnahmen eingeleitet wurden, warum unterblieben diese?

11. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung eingeleitet, damit die von Er-
eignissen mit kontaminierter Kabinenluft betroffenen Passagiere sachge-
recht und zeitnah informiert und gegebenenfalls medizinisch betreut werden
können?

12. Wurden dem LBA weitere Ereignisse mit kontaminierter Kabinenluft nach
der Berichterstattung im WDR vom 29. März 2010 gemeldet?

Wenn ja, wann wurden dem LBA wie viele dieser Fälle und für welche
Flugzeugtypen gemeldet?

Wenn nein, welche Maßnahmen wurden seitens des LBA seitdem unter-
nommen, um die Nichtmeldung zu sanktionieren (z. B. über Ordnungswid-
rigkeitsverfahren) und zukünftig die zeitnahe Meldung sicherzustellen?

13. Mit welchen Maßnahmen sieht sich die Bundesregierung vorbereitet, um
bei einem Beweis des aerotoxischen Syndroms Risiken von Flug- und Flug-
begleitpersonal sowie Reisenden für Gesundheit und Flugsicherheit gänz-
lich ausschließen zu können?

Drucksache 17/2916 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
14. Was hält die Bundesregierung von einer ordnungspolitischen Maßnahme,
die Betreibern von Luftfahrzeugen das Nutzen von TKP-reinen Triebwerks-
ölen vorschreibt (zum Beispiel NYCO Turbonycoil 700)?

15. Was hält die Bundesregierung von einer ordnungspolitischen Maßnahme,
die Betreibern von Luftfahrzeugen das Nutzen von Filteranlagen, um Gift-
stoffe aus der Zapfluft herauszufiltern, vorschreibt?

16. Sieht die Bundesregierung in der Verkürzung von Wartungsintervallen ein
Instrument, das die Gefahr von Ereignissen mit kontaminierter Kabinenluft
minimiert?

17. Wie bewertet die Bundesregierung die Erkenntnisse aus dem von der Bun-
desanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin im Jahr 2009 veröffent-
lichten Papier zur Charakterisierung von ultrafeinen Partikeln für den
Arbeitsschutz (K. Rödelsperger, B. Brückel, S. Podhorsky, J. Schneider:
Charakterisierung von ultrafeinen Partikeln für den Arbeitsschutz – Teil 2.
1. Auflage. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedi-
zin 2009. ISBN: 978-3-88261-104-5), dass auch Nanoteilchen eine Aero-
solbelastung darstellen, im Hinblick auf die gesundheitliche Belastung für
Flugpersonal und Passagiere bei Ereignissen mit kontaminierter Kabinen-
luft?

18. Welche Informationen, die mit der bereits seit April 2009 in den USA exis-
tierenden schriftlichen Anleitung für medizinisches Personal (Exposure to
Aircraft Bleed Air Contaminants Among Airline Workes – A Guide for
Health Care Providers, Robert Harrison u. a.), wie in Fällen des Verdachts
mit Betroffenen medizinisch verfahren werden sollte, vergleichbar wären,
hat die Bundesregierung oder eine nachgeordnete Behörde bisher erlassen,
und wenn nicht, warum nicht?

19. Wie bewertet die Bundesregierung das im April 2010 gesprochene australi-
sche Gerichtsurteil („Turner v Eastwest Airlines Limited [2009]: New
South Wales Dust Diseases Tribunal 10; (5 May 2009), Matter Number 428
of 2001“), wonach einer Flugbegleiterin aufgrund ihrer berufsbedingten
Krankheit eine hohe Entschädigung zugesprochen worden ist?

20. Wie bewertet die Bundesregierung das im Mai 2010 gesprochene französische
Gerichtsurteil (TRIBUNAL DE GRANDE INSTANCE DE BOBIGNY.
Chambre 1/Section 5. N˚ du dossier : 10/00230.ORDONNANCE EN LA
FORME DES RÉFÉRÉS. DU 10 MAI 2010) im Hinblick auf die darge-
stellte Problematik?

Berlin, den 10. September 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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