BT-Drucksache 17/2850

Förderung der Herausgabe des "Jahrbuches Extremismus und Demokratie" durch die Bundesregierung oder sonstige Bundesbehörden

Vom 2. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2850
17. Wahlperiode 02. 09. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Petra Pau und der Fraktion DIE LINKE.

Förderung der Herausgabe des „Jahrbuches Extremismus und Demokratie“ durch
die Bundesregierung oder sonstige Bundesbehörden

Die Politikwissenschaftler Prof. Eckhard Jesse und Prof. Uwe Backes gelten in
der Bundesrepublik Deutschland als die führenden Vertreter des so genannten
Extremismusansatzes. Das von ihnen herausgegebene „Jahrbuch Extremismus
und Demokratie“ ist hierfür ein zentrales Verbreitungs- und Publikationsorgan.
Der Extremismusansatz ist jedoch innerhalb der Politikwissenschaften keines-
wegs unumstritten und wird von Kritikern als analytisch untauglich angesehen.

Kennzeichnend für den, auf der „Totalismustheorie“ basierenden, Extremis-
musansatz ist die Nivellierung inhaltlicher Unterschiede von radikaler linker
Gesellschaftskritik einerseits und neofaschistischer Hetze und Gewalt gegen
Migranten, Linke, Demokraten, Schwule usw. andererseits. Beide werden je-
weils nicht anhand ihrer inhaltlichen Bestimmungen, sondern nur in Relation zur
politischen „Mitte“ schematisch in das politische Spektrum eingeordnet. Der
„Mitte“ kommt dabei allein durch ihre Position die Rolle der Hüterin und richti-
gen Interpretin der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ zu. In den letz-
ten beiden Jahrzehnten ist es üblich geworden, die kapitalistische Wirtschafts-
ordnung als wesentliches Element oder gar Basis der freiheitlich-demokra-
tischen Grundordnung anzusehen. Damit wird die kapitalistische Wirtschafts-
weise gegenüber jeder Kritik sakrosankt, wer sie grundsätzlich kritisiert und
beispielsweise für eine radikale Demokratisierung der Wirtschaft eintritt, ver-
lässt also das Spektrum der zulässigen Positionen in der „Mitte“ und steht als
„extremistisch“ da. Wer also in der Tradition der Aufklärung und der Forderun-
gen der Französischen Revolution nach Freiheit und Gleichheit aller steht, sieht
sich in ein Lager gestellt mit denjenigen, die die universelle Gleichheit aller Men-
schen leugnen und deren gewalttätiges Agieren unmittelbarer Ausfluss ihrer
menschenfeindlichen Haltungen ist. Diese Gleichsetzung nimmt zum Beispiel
die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Kristina
Schröder, vor, wenn sie Links- und Rechtsextremismus mit den Enden eines
Hufeisens vergleicht, „weit auseinander und doch nah beieinander“. Mit diesem
Eintrag der Ministerin bei „twitter“ ist zugleich die intellektuelle Tiefe des Extre-
mismusansatzes treffend auf den Punkt gebracht.

Der analytische Zugriff auf Probleme wie Rassismus und Antisemitismus wird
durch den Extremismusansatz wesentlich erschwert oder gar unmöglich ge-

macht. Rassistische Vorurteile und antisemitische Ressentiments, aber auch
nationaler Chauvinismus und Homophobie werden gerade dadurch gesellschaft-
lich wirkungsmächtig, dass sie in der so genannten Mitte der Gesellschaft ver-
breitet sind. Dies zeigen die fortlaufenden Studien des Instituts für interdiszipli-
näre Konflikt- und Gewaltforschung Bielefeld zur „gruppenbezogenen Men-
schenfeindlichkeit“ („Heitmeyer-Studien“) oder Studien der Friedrich-Ebert-
Stiftung („Vom Rand zur Mitte“ u. a.).

Drucksache 17/2850 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Doch die einfache, inhaltlich nicht fundierte Gleichsetzung von „links“ und
„rechts“ verhindert nicht nur einen analytisch klaren Blick auf den rechten Rand
der Gesellschaft. Auch die Aktivität gegen diesen rechten Rand wird behindert,
wenn antifaschistische Gruppierungen aus Bündnissen gegen Neonazi-Auf-
märsche oder Netzwerken gegen rechts ausgeschlossen werden, weil sie unter
Extremismusverdacht stehen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Gewähren oder gewährten die Bundesregierung oder deren Fach- und Dienst-
aufsicht unterliegende Behörden in finanzieller oder sonstiger Weise dem
Chemnitzer Politologen Prof. Eckhard Jesse oder dem Dresdner Politologen
Prof. Uwe Backes Unterstützung bei Erstellung, Herausgabe, Vertrieb oder
Aufkauf von Exemplaren des „Jahrbuches Extremismus und Demokratie“?

2. Wenn ja, in welcher konkreten Art und Weise erfolgt oder erfolgte die Förde-
rung/Unterstützung bzw. soweit selbige (auch) finanzieller Art ist, in welcher
Höhe wird oder wurde sie gewährt und durch welches Ministerium bzw.
welche Behörde im Konkreten?

3. Soweit die Frage 1 zu verneinen ist, gewähren oder gewährten nach dem Wis-
sen der Bundesregierung Anstalten, Stiftungen oder sonstige juristische Per-
sonen des öffentlichen Rechts im Bundesgebiet in finanzieller oder anderer
Hinsicht Prof. Eckhard Jesse und/oder Prof. Uwe Backes Unterstützung in der
in Frage 1 genannten Form für das „Jahrbuch Extremismus und Demokratie“,
und wenn ja, in welcher Art, in welcher Form und in welcher Höhe (bitte nach
Jahren aufschlüsseln)?

4. In welcher Weise und durch welche Behörden des Bundes finden die im „Jahr-
buch Extremismus und Demokratie“ niedergelegten „Erkenntnisse“ der
Autoren bzw. Herausgeber Verwendung?

5. Trifft es zu, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz regelmäßig größere
Mengen des „Jahrbuches Extremismus und Demokratie“ erwirbt, und wenn ja,
wie viele Exemplare erwirbt das Bundesamt für Verfassungsschutz jährlich,
und welche Kosten verursacht dies?

Berlin, den 31. August 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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