BT-Drucksache 17/2849

Mögliche finanzielle Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Rumänien aus dem Clearingvertrag von 1939

Vom 2. September 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2849
17. Wahlperiode 02. 09. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Christine Buchholz, Niema Movassat,
Petra Pau und der Fraktion DIE LINKE.

Mögliche finanzielle Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber
Rumänien aus dem Clearingvertrag von 1939

In der rumänischen Öffentlichkeit wird derzeit die Frage möglicher finanzieller
Verpflichtungen diskutiert, die die Bundesrepublik Deutschland aus der Zeit
des Nazifaschismus gegenüber der Republik Rumänien haben könnte (vgl.
etwa Bucharest Herald vom 22. August 2010). Grundlage hierfür ist das Wirt-
schaftsabkommen vom 23. März 1939 zwischen dem Deutschen Reich und
dem Königreich Rumänien. Das Abkommen sah die gegenseitige Lieferung von
Agrar- bzw. Industriewaren sowie Rohstoffen vor. Entgegen der Absichtserklä-
rung in Artikel 1 des Abkommens wurde nicht annähernd ein „Ausgleich des
gegenseitigen Wirtschaftsverkehrs“ erreicht, was vor allem an den Prioritäten
der deutschen Kriegswirtschaft lag. Nach einer Auflistung des deutschen
Reichsfinanzministeriums lag die deutsche Clearingverschuldung am 7. Sep-
tember 1944 bei 1,126 Mrd. Reichsmark.

Aus Sicht der Fragesteller erscheint es möglich, dass Rumänien heute noch einen
Anspruch auf Rückzahlung dieser Summe erheben kann. Auf eine Schriftliche
Frage der Abgeordneten Ulla Jelpke (DIE LINKE.) antwortete die Bundesregie-
rung am 16. August 2010 (Bundestagsdrucksache 17/2775 zu Frage 30), wäh-
rend des Zweiten Weltkrieges seien gegenseitig entstehende Ansprüche laufend
saldiert und die Saldi ausgewiesen worden – „ungeachtet ihrer rechtlichen
Grundlagen“. Diese verdienen aber bei der hier zu erörternden Frage sehr wohl
beachtet zu werden. Die Ansicht der Bundesregierung, Rumänien habe im Pari-
ser Friedensvertrag vom 10. Februar 1947 „auf alle Forderungen gegen Deutsch-
land und deutsche Staatsangehörige aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges ver-
zichtet“, ist nach Auffassung der Fragesteller nicht überzeugend. Die im Pariser
Vertrag vereinbarte Verzichtsklausel (Artikel 28) erstreckte sich zwar auf An-
sprüche, die am 8. Mai 1945 bestanden, jedoch „mit Ausnahme solcher Forde-
rungen, die sich aus Verträgen herleiten, die vor dem 1. September 1939 ge-
schlossen worden sind“ (so der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom
31. Januar 1955, II ZR 136/54). Da das Wirtschaftsabkommen vom März 1939
stammt, ergibt sich zumindest aus den Bestimmungen des Pariser Friedensver-
trages kein Verzicht seitens Rumäniens. Hieran ändert auch die Tatsache nichts,
dass konkrete Vereinbarungen über zu liefernde Wirtschaftsgüter Jahr für Jahr

neu festgelegt worden waren und regelmäßig Saldi ausgewiesen worden sind –
denn dies geschah eindeutig auf Grundlage des Abkommens aus der Vorkriegs-
zeit.

Den Fragestellern liegt das Schreiben einer rumänischen Nichtregierungsorgani-
sation namens „Institut für ökonomische Beziehungen“ vom 29. Juni 2010 an
das Bundesministerium der Finanzen vor, das ebenfalls davon ausgeht, dass das
Rumänien zustehende Guthaben „weder als ein Verlust aus dem Krieg anzuse-

Drucksache 17/2849 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
hen, noch aufgrund einer Vereinbarung aus dem Krieg generiert worden [sei]
welche von einem Verzicht umfasst gewesen wäre.“ Medienberichten zufolge
könnte sich die deutsche Schuld heute zwischen 18,8 und 99 Mrd. Euro bewegen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, Artikel 28 des Pariser
Friedensvertrages von 1947 enthalte die Feststellung, dass sich die Verzichts-
klausel nicht auf solche Zahlungsverpflichtungen beziehe, die aus Verpflich-
tungen und Abkommen entsprangen, die vor Beginn des Kriegszustandes da-
tieren, und wenn nein, warum nicht?

2. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, das Londoner Schul-
denabkommen verpflichte die Bundesregierung zur Akzeptanz der im Pariser
Vertrag festgelegten Regelungen, und wenn nein, warum bzw. inwiefern
nicht?

3. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, die vom Reichsfinanz-
ministerium im September 1944 festgehaltene Verschuldung des Deutschen
Reiches beim Königreich Rumänien entspringe dem Wirtschaftsabkommen
vom März 1939, und wenn nein, warum nicht?

4. Warum sollte nach Auffassung der Bundesregierung das bereits im März 1939
abgeschlossene deutsch-rumänische Wirtschaftsabkommen unter die Ver-
zichtsklausel des Pariser Vertrages fallen?

Ist die Bundesregierung der Ansicht, etwaige ausgewiesene Saldi begründe-
ten jeweils eine aktualisierte Rechtslage, und wenn ja, wie begründet sie diese
Ansicht (bitte entsprechende Artikel des Abkommens oder andere Rechts-
grundlage anführen)?

5. Hat die Bundesrepublik Deutschland nach 1949 jemals mit der rumänischen
Regierung die Frage einer möglichen Fortgeltung der aus dem Wirtschafts-
abkommen resultierenden Verpflichtungen erörtert, und wenn ja, welche
Ansichten vertraten dabei die deutschen sowie rumänischen Vertreter, und
welche Festlegungen wurden ggf. dabei getroffen?

6. Gab es nach 1949 zwischen Rumänien und der Bundesrepublik Deutschland
vertragliche Vereinbarungen, die das Fortbestehen einer möglichen Clearing-
schuld seitens der Bundesrepublik Deutschland explizit verneint haben (bitte
ggf. anführen)?

7. Welche, möglicherweise präzisierte oder erweiterte, Beurteilung nimmt die
Bundesregierung heute zur Frage einer möglichen, aus dem Wirtschafts-
abkommen resultierenden Schuld der Bundesrepublik Deutschland gegen-
über der Republik Rumänien vor, und wie begründet sie diese?

8. Beabsichtigt die Bundesregierung, dem rumänischen „Institut für wirtschaft-
liche Beziehungen“ zu antworten, oder hat sie ihm bereits geantwortet, und
wenn nein, warum nicht?

9. Welche Einschätzung hat die Bundesregierung hinsichtlich anderer möglicher
Verpflichtungen Deutschlands insbesondere gegenüber solchen Staaten, die
(zeitweise) mit dem faschistischen Dritten Reich verbündet waren, wie
Ungarn und Kroatien, deren Ansprüche sich laut der erwähnten Aufstellung
des Reichsfinanzministeriums vom September 1944 auf 900 Mio. bzw. rund
1 Mrd. Reichsmark beliefen (bitte begründen)?

Berlin, den 31. August 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.