BT-Drucksache 17/2813

Umsetzung des Folterverbots

Vom 26. August 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2813
17. Wahlperiode 26. 08. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Jan van Aken, Harald Koch,
Niema Movassat, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung des Folterverbots

Folter ist nach internationalem Recht verboten. Doch europäische Geheim-
dienste arbeiten mit ausländischen Geheimdiensten aus Ländern zusammen, in
denen regelmäßig gefoltert wird. Europäische Regierungen nutzen Informatio-
nen, die im Ausland unter Folter gewonnen wurden, für geheimdienstliche und
polizeiliche Aufklärungsarbeit. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights
Watch beklagt, dass aufgrund schwacher Regeln für den Einsatz solcher Infor-
mationen diese auch in gerichtliche Verfahren eingehen können. Zu den europä-
ischen Staaten, deren Geheimdienste mit den Diensten aus Folterstaaten koope-
rieren, gehört laut Human Rights Watch auch die Bundesrepublik Deutschland.

So kamen der UN-Sonderberichterstatter für die Verteidigung der Menschen-
rechte im Kampf gegen den Terrorismus, Prof. Martin Scheinin, und der UN-
Sonderberichterstatter über Folter, Prof. Manfred Nowak, in einem gemein-
samen Bericht vom März 2010 zu dem Schluss, dass die Bundesregierung mit-
verantwortlich für die illegale Inhaftierung des deutschen Staatsbürgers
Mohammad Zammar in Syrien war, da sie die Situation ausnutze, um an Infor-
mationen zu gelangen. Mohammad Zammar war 2001 in Marokko verhaftet, ge-
foltert und anschließend von den USA an Syrien überstellt worden. Während
seiner Inhaftierung im Far`-Falastin-Gefängnis bei Damaskus wurde er von
einer Gruppe deutscher Geheimdienst- und Strafverfolgungsbeamter verhört.
Auch der deutsche Staatsbürger Khaled el-Masri, der im Dezember 2003 an der
serbisch-mazedonischen Grenze festgenommen, anschließend an die USA über-
stellt, vier Monate lang in einem CIA-Gefängnis in Afghanistan festgehalten
wurde, behauptet, dort von einem Beamten des Bundeskriminalamtes besucht
worden zu sein. Die Bundesregierung bestreitet dies allerdings. Schließlich
wurde auch der in Deutschland ansässige Murat Kurnaz während seiner Inhaf-
tierung im US- Gefangenenlager Guantanamo von Beamten des Bundesnach-
richtendienstes verhört. Obwohl selbst die Menschenrechtsberichte der Bundes-
regierung die Menschenrechtssituation in Usbekistan als „besorgniserregend“
bezeichnen, beinhaltete die deutsche Zusammenarbeit mit Usbekistan in der
Terrorismusbekämpfung die Vernehmung von Häftlingen in usbekischem Ge-
wahrsam durch deutsche Strafverfolgungsbehörden im Jahr 2008.

Human Rights Watch beklagt das Fehlen von „angemessenen und transparenten

Richtlinien, die die Zusammenarbeit von Geheimdienstbeamten mit den Nach-
richtendiensten anderer Staaten regeln, in denen bekanntermaßen gefoltert
wird.“ Unklar sei, ob zwischenstaatliche Vereinbarungen über den Austausch
von geheimdienstlichen Informationen auch Menschenrechtsfragen berücksich-
tigen. Zudem seien die Mechanismen für die demokratische Kontrolle der Ge-
heimdienste und insbesondere der internationalen Zusammenarbeit von Ge-
heimdiensten nur unzureichend entwickelt.

Drucksache 17/2813 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Insbesondere bei Prozessen wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer
terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129b des Strafgesetzbuches) greifen
die Gerichte regelmäßig auf Beweismaterial aus Staaten zurück, in denen nach
Informationen von Menschenrechtsorganisationen gefoltert wird.

Human Rights Watch fordert daher strengere Regeln, um zu verhindern, dass
unter Folter gewonnene Informationen in Gerichtsverfahren Verwendung
finden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit sieht die Bundesregierung das in der UN-Konvention gegen Folter
enthaltene absolute Verbot der Verwendung von „Folter-Informationen“ in
Gerichtsverfahren und allen die Grundrechte berührenden Gerichtsentschei-
den als gültig und bindend an?

2. Welche Richtlinien für den Umgang deutscher Sicherheits- und Justizbehör-
den mit fragwürdigen Informationen, die von ausländischen Nachrichten-
diensten zur Verfügung gestellt und möglicherweise unter Folter oder Miss-
handlung gewonnen wurden, gibt es in Deutschland?

a) Wo genau finden sich diese Richtlinien?

b) Was besagen diese Richtlinien im Einzelnen?

c) Wer hat diese Richtlinien aufgestellt?

d) Wie bindend sind diese Richtlinien für die jeweilige Behörde?

3. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass jede Form der Komplizenschaft
bei Folter im nationalen Recht als Straftat geahndet werden muss?

a) Wenn ja, inwieweit können deutsche Staatsbeamte, die sich im Ausland an
der Erlangung von Informationen durch Folter mitverantwortlich gemacht
haben, strafrechtlich verfolgt werden?

b) Wenn ja, inwieweit können Beamte, die systematisch Informationen von
Staaten und Behörden annehmen, die bekanntermaßen foltern, strafrecht-
lich verfolgt werden?

4. Mit wie vielen und welchen Staaten, in denen nach Einschätzungen der Bun-
desregierung oder von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty Inter-
national und Human Rights Watch gefoltert wird, bestehen Vereinbarungen
der Bundesrepublik Deutschland über den Austausch geheimdienstlicher
Informationen?

5. Inwieweit beinhalten bilaterale Vereinbarungen über den Austausch geheim-
dienstlicher Informationen von deutschen Geheimdiensten mit den Nachrich-
tendiensten anderer Staaten, in denen bekanntermaßen gefoltert wird, auch
Menschenrechtsfragen?

6. Inwieweit hält die Bundesregierung es für zulässig, dass deutsche Voll-
streckungsbehörden durch Folter gewonnene Informationen aus dem Aus-
land für operative Zwecke – etwa zur Begründung von Hausdurchsuchungen
oder Verhaftungen – nutzen können, ohne dabei gegen das durch die UN-Fol-
terkonvention enthaltene Nichtverwendungsprinzip zu verstoßen?

7. Inwieweit teilt die Bundesregierung weiterhin den Standpunkt des Bundes-
ministeriums des Innern aus dem Jahr 2006, wonach Informationen, die in
Drittländern unter Folter gewonnen wurden, zur Abwehr von Terroranschlä-
gen genutzt werden dürften?

8. Inwieweit ist die Bundesregierung der Auffassung, dass deutsche Behörden

zur Abwehr schwerer Straftaten Informationen aus Drittländern, die mutmaß-
lich unter Folter gewonnen wurden, ausdrücklich anfordern dürfen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2813

9. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung von Prof. Martin
Scheinin, UN-Sonderberichterstatter für die Förderung und den Schutz der
Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus,
dass die Verwendung von Informationen, die im Ausland durch Folter er-
langt wurden, zwangsläufig die Anerkennung der Rechtmäßigkeit solcher
Praktiken bedeutet und daher die Anwendung der Grundsätze der Staaten-
verantwortlichkeit auslöst?

10. Inwieweit gibt es Regelungen, dass deutsche Behörden keine in Drittstaaten
unter Folter gewonnenen Informationen, in deren Besitz sie gelangt sind, an
andere Staaten weitergeben?

11. Inwieweit ist die Bundesregierung der Auffassung, dass das Nichtverwen-
dungsprinzip nach Artikel 15 der UN-Konvention gegen Folter auch in
Auslieferungsverfahren gilt?

12. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des UN-Sonderberichterstatters
für Folter, Prof. Manfred Nowak, sowie des EU-Menschenrechtskommis-
sars, Thomas Hammarberg, dass die Staatsanwaltschaften und nicht die
Angeklagten die Beweislast dafür zu tragen haben, dass die angefochtenen
Beweismittel nicht durch Folter erpresst wurden?

a) Wenn ja, hält die Bundesregierung die bisherige gesetzliche Grundlage
dafür für ausreichend?

b) Wenn nein, was ist die Auffassung der Bundesregierung?

13. Teilt die Bundesregierung die Kritik des UN-Sonderberichterstatters über
Folter, Prof. Manfred Nowak, und des Menschenrechtskommissars des
Europarates, Thomas Hammarberg, wonach es nicht im Sinne der UN-
Menschenrechtskonvention ist, dass die Verortung der Beweislast für das
Zustandekommen von Informationen unter Folter beim Angeklagten liegt?

a) Wenn nein, was ist die Auffassung der Bundesregierung?

b) Wenn ja, inwieweit sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, klare
Verfahrensregeln über die Zulässigkeit von Folterbeweisen in Zivil- und
Strafrechtsprozessen zu schaffen, die eindeutig festlegen, dass bei
Folterverdacht die Staatsanwaltschaft die Beweislast trägt und nachwei-
sen muss, dass die betreffenden Aussagen nicht unter Folter gewonnen
wurden?

Berlin, den 24. August 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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