BT-Drucksache 17/2614

Zukunft der Gäubahn

Vom 20. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2614
17. Wahlperiode 20. 07. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Winfried Hermann, Birgitt Bender, Dr. Anton Hofreiter,
Bettina Herlitzius, Stephan Kühn, Ingrid Nestle, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zukunft der Gäubahn

Die Gäubahn ist eine international bedeutsame Strecke zwischen Stuttgart und
Zürich. Sie gilt als Zulaufstrecke zur Neuen Eisenbahn-Alpentransversale
(NEAT), weshalb mit dem Vertrag von Lugano von 1996 mit der Schweiz eine
gemeinsame Vereinbarung getroffen wurde, diese Strecke von deutscher Seite
zwischen Stuttgart und Singen auszubauen.

Im Rahmen von Stuttgart 21 soll in Zukunft die Gäubahn von Böblingen ab über
die Rohrer Kurve höhengleich und damit mit Fahrstraßenausschlüssen auf die
heute ausschließlich als S-Bahn-Strecke betriebene Filderbahn geführt werden,
um den Flughafen Stuttgart zu erreichen. Von dort aus soll über neu zu
errichtende Verbindungskurven die Strecke über den „Fildertunnel“ zum zu-
künftigen Stuttgarter Tiefbahnhof geführt werden. Die heute bestehende Strecke
vom Haltepunkt Österfeld bis Stuttgart Hauptbahnhof soll wegfallen. Für den
Abschnitt zwischen Rohrer Kurve und Flughafen Stuttgart wurden bis heute die
Planfeststellungsunterlagen nicht ausgelegt.

Am 18. Juni 2010 hat nun das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung (BMVBS) eine Ausnahmegenehmigung erteilt (vgl. Anlage zum
Schreiben des BMVBS vom 18. Juni 2010 – LA 15/32.31.01/17 DB 10), um es
der Deutschen Bahn AG (DB AG) zu erlauben, zukünftig auch Fern- und Re-
gionalverkehr über die Filderbahn zu führen, da unter den heutigen technischen
Regelwerken, ohne Vergrößerung der Tunnelquerschnitte der beiden Tunnel in
Echterdingen und Flughafen, ein solcher Betrieb nicht zulässig wäre.

Diese Genehmigung wurde mit einer Reihe von teilweise erheblichen Auflagen
verbunden. So wird eine technisch gesicherte Abschaltung der Neigetechnik im
Bereich der Tunnel auf der Filderbahn gefordert und es wird von Rollmaterial
ausgegangen, welches S-Bahn-ähnlich beschaffen ist. Türen und Fenster dürfen
während der Fahrt nicht zu öffnen sein. Es wird eine zulässige Höchstgeschwin-
digkeit von 100 km/h festgesetzt und im Regelbetrieb dürfen ausschließlich
elektrische Triebfahrzeuge verkehren (ansonsten würden diese als Sperrfahrt mit
maximal 25 km/h über die Strecke geführt). Da bereits im zukünftigen Tiefbahn-

hof Stuttgart Hauptbahnhof ein faktisches Dieselverbot ausgesprochen wurde,
kommt hiermit eine weitere Restriktion für Stuttgart 21 hinzu.

Es wird in der Genehmigung weiter davon gesprochen, dass es keine unbillige
Härte darstellen würde, wenn Züge, welche diese Restriktionen im Regelbetrieb
nicht erfüllen können, den längeren Umweg von Horb über Tübingen nehmen
würden. Während heute wegen des Umbaus der Rankbachbahn zwischen Böb-
lingen und Renningen teilweise Güterzüge auf der Gäubahn nach Stuttgart-Nord

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über die zukünftig entfallende Strecke geführt werden können, müssen Güter-
züge zukünftig ausschließlich über die Rankbachbahn fahren oder ebenfalls über
die nicht elektrifizierte Strecke von Horb via Tübingen nach Stuttgart, was eben-
falls einen erheblichen Umweg bedeuten würde. Somit kommen zu der zukünf-
tigen Laufwegverlängerung der Züge auch noch weitere Einschränkungen für
Personen- und Güterzüge hinzu, die auf der heutigen Gäubahn nicht gegeben
sind.

Zusätzlich weist das Land Baden-Württemberg in einem Papier mit dem Titel
„Angebotskonzeption für den Regionalverkehr Baden-Württemberg 2020 und
Betriebsprogramm Stuttgart 21“ (vgl. www.uvm.baden-wuerttemberg.de) auf
eine Studie der Universität Stuttgart und SMA und Partner AG hin, wobei unklar
bleibt, welche Auswirkungen die höhengleiche Verbindung der Rohrer Kurve
auf die Leistungsfähigkeit der Strecke hat. Auch bleibt unklar, wie zukünftig der
Betrieb barrierefrei im Bahnhof Stuttgart Flughafen-Terminal abgewickelt wer-
den soll und welche Auswirkungen dies auf die Leistungsfähigkeit haben wird.

Diese Punkte stellen nicht nur erhebliche Einschränkungen auf einer internatio-
nalen Strecke dar, für die bilaterale Abkommen bestehen, sondern vor allem
auch Hindernisse für einen ungehinderten transeuropäischen Schienenmarkt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Auswirkungen wird die zukünftige Führung der Gäubahn zwischen
Böblingen und neuem Stuttgarter Hauptbahnhof via Flughafen Stuttgart auf
Personenzüge bezüglich der Fahrzeit und der Länge des Laufweges im Ver-
gleich zur heutigen Gäubahn zwischen Böblingen und Stuttgart Hauptbahn-
hof via Stuttgart-Vaihingen haben?

2. Welche Auswirkungen wird die zukünftige Führung der Gäubahn zwischen
Böblingen und Kornwestheim Rangierbahnhof via Rankbachbahn auf Güter-
züge bezüglich der Fahrzeit und der Länge des Laufweges im Vergleich zur
heutigen Gäubahn zwischen Böblingen und Kornwestheim Rangierbahnhof
via Stuttgart-Vaihingen sowie via Stuttgart-Nord haben, wenn die heutige
Gäubahn zwischen Österfeld und Stuttgart-Nord nicht mehr genutzt werden
könnte?

3. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass das Land Baden-
Württemberg die genannte SMA-Studie, aus der die Wochenzeitschrift „stern“
am 8. Juli 2010 ausführlich zitiert, offenlegen sollte, um transparent zu
machen, welche Auswirkungen das zukünftige Konzept auf den Fildern bei
Stuttgart 21 auf die Leistungsfähigkeit des zukünftigen Abschnitts der Gäu-
bahn und des gesamten Knotens Stuttgart haben wird?

4. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass die Restriktionen beim
Rollmaterial, Zwänge bei Fahrplanlagen und die Verlängerung der Laufwege
auf der zukünftigen Gäubahn Markthindernisse sind, die Auswirkungen auf
die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene gegenüber der Straße haben können?

5. Ist die in der Vorbemerkung der Fragesteller angesprochene Ausnahme-
genehmigung des BMVBS bezüglich ihrer erheblichen Auswirkungen auf
den Wettbewerb auch mit der Europäischen Union abgestimmt worden?

Falls nicht, warum ist dies nicht erfolgt?

6. Hat es Gespräche zwischen der DB Netz AG und den betroffenen Eisenbahn-
verkehrsunternehmen und -verbänden über das Betriebskonzept auf der zu-
künftigen Gäubahn gegeben?

Wenn ja, was waren die Ergebnisse?
Wenn nein, warum nicht?

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7. Bestehen aus Sicht des Bundes aufgrund der technischen Restriktionen,
Laufwegverlängerungen und Veränderungen der Fahrzeit Auswirkungen
auf zukünftige Prognosen bezüglich der Gesamtzugzahlen auf der Gäu-
bahn?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

8. Inwieweit führt eine Verringerung der Zugzahlen zu einer Verschlechte-
rung des Nutzen-Kosten-Verhältnisses für den Ausbau der Gäubahn?

Falls ja, welche Verschlechterung des Nutzen-Kosten-Verhältnisses wird
im Rahmen der Bedarfsplanüberprüfung zu berücksichtigen sein?

9. Wie bewertet die Bundesregierung, dass die DB Netz AG plant, elektrische
Triebfahrzeuge oder elektrisch bespannte Züge, die den technischen Res-
triktionen der „neuen Gäubahn“ nicht genügen, zukünftig einen noch län-
geren Umweg über die Strecke von Horb nach Tübingen fahren zu lassen,
um zum Stuttgarter Hauptbahnhof zu gelangen, obwohl diese Strecke nicht
elektrifiziert ist?

10. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Einschrän-
kungen auf der zukünftigen Gäubahn zwingend eine parallele Elektrifizie-
rung der Strecke Horb–Tübingen erforderlich machen?

11. Welche Kosten sind mit der Elektrifizierung der Strecke Horb–Tübingen
verbunden, und welche möglichen Probleme mit dem Lichtraumprofil sind
dabei zu überwinden?

12. Inwieweit ist eine Elektrifizierung der Strecke Horb–Tübingen geplant,
bzw. liegen hierfür bereits konkrete Finanzierungsvereinbarungen vor?

Falls Finanzierungsvereinbarungen für die Elektrifizierung der Strecke
Horb–Tübingen vorhanden sind, werden diese durch die Finanzierungsver-
träge für das Projekt Stuttgart 21 gedeckt?

Falls die Elektrifizierung der Strecke Horb–Tübingen nicht durch die Fi-
nanzierungsverträge für das Projekt Stuttgart 21 gedeckt ist, wie bewertet
die Bundesregierung, dass auf diese Weise indirekt zusätzliche Kosten für
den Bund induziert werden, obwohl es sich bei Stuttgart 21 um ein Projekt
der DB AG handelt?

13. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung und führt diesbezüg-
liche Gespräche mit dem Infrastrukturbetreiber, dass für die Laufwegver-
längerung im Korridor Horb–Stuttgart-Flughafen–Stuttgart-Hauptbahnhof
die selben Trassenkosten erhoben werden, als ob man den heutigen kürze-
ren Weg über Österfeld nutzen würde?

14. Wie wird in Zukunft die Barrierefreiheit für Regional- und Fernzüge im
Bahnhof Flughafen-Terminal auf der neuen Gäubahn hergestellt werden?

Ist möglicherweise ein Umbau (z. B. die Anpassung der Bahnsteighöhe)
nicht mehr vorgesehen, und wenn doch, wie soll dieser umgesetzt werden?

15. Ist der Bundesregierung bekannt, ob eine weitere Nutzung des Abschnitts
der Gäubahn von Österfeld bis Stuttgart-Nord nach Fertigstellung von Stutt-
gart 21 vorgesehen ist und damit ein Abbau der Gleise unwahrscheinlich
ist?

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16. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, wonach durch den Verband
Region Stuttgart eine Nachnutzung des Abschnitts Gäubahn von Österfeld
bis Stuttgart-Nord als S-Bahn-Bypass vorgesehen ist?

Wenn nein, warum nicht?

Wären diese Erkenntnisse nicht essenziell für die Verhandlungen zwischen
dem Bund und den Projektbeteiligten für die Finanzierungsvereinbarung
zu Stuttgart 21 gewesen?

17. Trifft es zu, dass ein Teil des Abschnitts der Gäubahn von Österfeld bis
Stuttgart-Nord der Stadt Stuttgart gehört?

Falls ja, welcher, und wie würden, im Falle des Scheiterns von Stuttgart
21, die Besitzverhältnisse von der Stadt Stuttgart an die DB Netz AG rück-
abgewickelt werden?

Welche Rolle würde in diesem Falle eine mögliche Weiternutzung des Ver-
bandes Region Stuttgart spielen, und welche finanziellen Auswirkungen
hätte dies auf die DB Netz AG, welche zu 100 Prozent in der Hand des
Bundes ist?

18. Wie sollen die Kapazitätsprobleme bei der S-Bahn Stuttgart zu Haupt-
verkehrszeiten, die durch den Entfall einer Ausnahmegenehmigung für den
S-Bahn-Stammtunnel eingetreten sind, kompensiert werden, wenn künftig
keine Ausweichverkehre mehr über die Gäubahn möglich sind?

19. Wie lange wird dieser Zustand noch bestehen bleiben, und wer wird für
mögliche Kosten aufkommen?

Erwartet die Bundesregierung, dass sie sich an den Kosten für eine Lösung
des Problems beteiligen muss, oder sind diese möglichen Kosten durch die
Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart 21 abgedeckt?

20. Ist der Bundesregierung auch bekannt, dass es laut dem in der Vorbemerkung
der Fragesteller zitierten Papier der Landesregierung „Angebotskonzeption
für den Regionalverkehr Baden-Württemberg 2020 und Betriebsprogramm
Stuttgart 21“, im Zusammenhang mit Stuttgart 21 zu Fahrzeitverlängerungen
im S-Bahnnetz kommen wird und hierfür weitere Maßnahmen im Netz er-
forderlich werden?

Wie bewertet die Bundesregierung, dass es im Zusammenhang mit der
Realisierung von Stuttgart 21 zu Fahrzeitverlängerungen im S-Bahnnetz,
zu dem auch die Gäubahn gehört, kommt, obwohl dafür Mittel aus dem
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) bereitgestellt werden?

21. Sind diese Maßnahmen durch die Finanzierungsvereinbarung für Stutt-
gart 21 abgedeckt, und wenn nicht, ist damit zu rechnen, dass bei möglichen
Ausbauten, die auch auf der Gäubahn sein können, weitere Kosten ent-
stehen, an denen sich der Bund zu beteiligen hätte, auch wenn dieser seinen
Anteil an Stuttgart 21 weder direkt noch indirekt über den plafondierten
Anteil hinaus erhöhen wollte?

Berlin, den 20. Juli 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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