BT-Drucksache 17/2575

Ergänzende Informationen zur Asylstatistik für das zweite Quartal 2010

Vom 13. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2575
17. Wahlperiode 13. 07. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Petra Pau, Kersten Steinke,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Ergänzende Informationen zur Asylstatistik für das zweite Quartal 2010

Die von der Fraktion DIE LINKE. regelmäßig erfragten ergänzenden Informa-
tionen zur Asylstatistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) sollen Aspekte näher beleuchten, die von der offiziellen monatlichen
Statistik ausgeblendet werden.

Hierdurch wird unter anderem deutlich, welche große Bedeutung Widerrufsver-
fahren in der Asyl-Entscheidungspraxis haben. Im Jahr 2009 wurden über
10 500 Widerrufsverfahren eingeleitet, und in über 4 500 Fällen kam es zum Wi-
derruf einer in der Vergangenheit ausgesprochenen Asyl- bzw. Flüchtlingsaner-
kennung.

Die offizielle monatliche Asylstatistik enthält auch keine Angaben zum Anteil
derjenigen Asylanträge, für die nach Auffassung der Bundesrepublik Deutsch-
land ein anderer EU-Mitgliedstaat im Rahmen der Dublin-II-Verordnung
(DublinV) zuständig ist. Dies ist jedoch in einem wachsenden Umfang der Fall,
im Jahr 2009 bei etwa einem Drittel aller Asylanträge. Ausgerechnet das ohne-
hin überforderte Griechenland wurde dabei mit 2 288 Ersuchen am häufigsten
– in jedem vierten Fall – wegen der Übernahme von Asylsuchenden aus
Deutschland angefragt. Flüchtlinge aus Afghanistan und Irak bilden die größten
Gruppen der Betroffenen. Hoch brisant ist dabei, dass die Gesamtschutzquote in
Deutschland nach Angaben von Eurostat im zweiten Quartal 2009 bei über
40 Prozent lag (bei afghanischen und irakischen Staatsangehörigen noch einmal
deutlich höher), während sie zum Beispiel in Griechenland nur ein Prozent be-
trug – von auch nur annähernd gleichen Chancen im europäischen Asylsystem,
die das gegenwärtige Zwangsverteilungssystem rechtfertigen können sollten,
kann deshalb keine Rede sein.

Der Anteil von Minderjährigen an allen Asylsuchenden betrug im Jahr 2009 in
der Bundesrepublik Deutschland 33,4 Prozent.

Die Fragestellerinnen und Fragesteller haben erfreut zur Kenntnis genommen,
dass das Bundesministerium des Innern seit Anfang 2010 ihrer Anregung folgt,
in den monatlichen Pressemitteilungen maßgeblich auf die Gesamtschutzquote
abzustellen, während dies Anfang 2008 noch mit dem Hinweis abgelehnt wurde,
es stünde ihnen frei, „die nach ihrem eigenen Verständnis relevanten Zahlen zu-
sammenzuaddieren“ (vgl. Bundestagsdrucksache 16/7687, Antwort zu Frage 8).

Bedauerlicherweise war allerdings auch in der Pressemitteilung des Bundes-
ministeriums vom 21. Januar 2010 fälschlich von fast 440 000 „Asylbewerbern“
die Rede, die im Jahr 1992 angeblich nach Deutschland gekommen seien, ob-
wohl sich die Zahl „440 000“ auf gestellte Asylanträge (häufig Mehrfach- oder
Folgeanträge identischer Personen) und nicht auf eingereiste Personen bezieht.

Drucksache 17/2575 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Bei einer realistischen Betrachtung und einer – seit 1995 üblichen – Trennung
von Asylerst- und Zweitanträgen muss von etwa 272 000 neu eingereisten Asyl-
suchenden bzw. Erstanträgen im Jahr 1992 ausgegangen werden (vgl. Bundes-
tagsdrucksache 16/7687, Frage 15 a). Die Zahl von angeblich „440 000“ Asyl-
suchenden im Jahr 1992 war bekanntlich eine maßgebliche Begründung für die
faktische Abschaffung des Asylgrundrechts im Jahr 1993.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hoch war die Gesamtschutzquote (Anerkennungen nach § 16a des
Grundgesetzes, nach § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) bzw.
der Genfer Flüchtlingskonvention und von Abschiebungshindernissen nach
§ 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 AufenthG) in der Entscheidungspraxis des Bundes-
amtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im zweiten Quartal 2010, und
wie lautet der Vergleichswert des vorherigen Quartals (bitte in absoluten Zah-
len und in Prozent angeben, bitte auch nach den zehn wichtigsten Herkunfts-
ländern und der Art der Anerkennung differenzieren: Asylberechtigung
(staatliche/nicht-staatliche Verfolgung); Flüchtlingsschutz (staatliche/nicht-
staatliche Verfolgung); subsidiärer Schutz nach § 60 Absatz 2 und 5 Auf-
enthG (unmenschliche Behandlung), subsidiärer Schutz nach § 60 Absatz 3
AufenthG (Todesstrafe), subsidiärer Schutz nach § 60 Absatz 7 Satz 2
AufenthG (bewaffnete Konflikte), subsidiärer Schutz nach § 60 Absatz 7
Satz 1 AufenthG (sonstige existenzielle Gefahren)), und wie hoch war in den
genannten Zeiträumen die Ablehnungsquote, wenn Dublin-Entscheidungen
nicht berücksichtigt werden?

2. Wie viele Widerrufsverfahren wurden im zweiten Quartal 2010 eingeleitet,
und wie lautet der Vergleichswert für das vorherige Quartal (bitte Gesamtzah-
len angeben und nach den verschiedenen Formen der Anerkennung und den
zehn wichtigsten Herkunftsländern differenzieren)?

3. Wie viele Entscheidungen in Widerrufsverfahren mit welchem Ergebnis gab
es in den vorgenannten Zeiträumen (bitte Gesamtzahlen angeben und nach
den verschiedenen Formen der Anerkennung und den zehn wichtigsten Her-
kunftsländern differenzieren, bitte auch die jeweiligen Widerrufsquoten be-
nennen)?

4. Wie lang war die durchschnittliche Verfahrensdauer im 1. Halbjahr 2010 im
Erst-, Folge- bzw. Widerrufsverfahren

a) bis zu einer behördlichen Entscheidung,

b) bis zu einer Anerkennung,

c) bis zu einer Ablehnung,

d) bis zu einer Entscheidung, dass ein anderer EU-Mitgliedstaat nach der
Dublin-Verordnung zuständig ist,

e) bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung (d. h. inklusive eines Gerichts-
verfahrens)

(bitte jeweils auch nach den zehn wichtigsten Herkunftsländern differenzie-
ren)?

5. Wie viele Verfahren im Rahmen der Dublin-II-Verordnung wurden im zwei-
ten Quartal 2010 insgesamt eingeleitet, und wie lautet der Vergleichswert für
das vorherige Quartal (bitte in absoluten Zahlen und in Prozentzahlen die Re-
lation zu allen Asylerstanträgen sowie die Quote der auf Eurodac-Treffern
basierenden Verfahren und die Quote der Verfahren nach „illegalem“ Grenz-
übertritt ohne Asylgesuch angeben)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2575

a) Welches waren in den benannten Zeiträumen die zehn am stärksten betrof-
fenen Herkunftsländer, und welches die zehn am stärksten angefragten EU-
Mitgliedstaaten (bitte in absoluten Werten und in Prozentzahlen angeben)?

b) Wie viele Dublin-Entscheidungen mit welchem Ergebnis (Zuständigkeit
eines anderen EU-Mitgliedstaats bzw. der Bundesrepublik Deutschland,
Selbsteintritt nach Artikel 3 Absatz 2 DublinV, humanitäre Fälle nach Ar-
tikel 15 DublinV) gab es in den benannten Zeiträumen?

c) Wie viele Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung wurden in den
benannten Zeiträumen vollzogen (bitte in absoluten Werten und in Prozent-
zahlen angeben und auch nach den zehn wichtigsten Herkunftsländern und
EU-Mitgliedstaaten – in jedem Fall auch Griechenland – differenzieren)?

d) Wie hoch war der Anteil der in Zuständigkeit der Bundespolizei durchge-
führten Dublin-Verfahren bzw. Überstellungen?

6. Wie viele Asylanträge wurden im zweiten Quartal 2010 bzw. im vorherigen
Quartal nach § 14a Absatz 2 des Asylverfahrensgesetzes von Amts wegen für
hier geborene (oder eingereiste) Kinder von Asylsuchenden gestellt, wie
viele Asylanträge wurden in den genannten Zeiträumen von bzw. für Kin-
der(n) unter 16 Jahren bzw. von Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren
bzw. von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gestellt (bitte jeweils in
absoluten Zahlen und in Prozentzahlen in Relation zur Gesamtzahl der Asyl-
anträge sowie die Gesamtzahl der Anträge unter 18-Jähriger und sich über-
schneidende Teilmengen angeben), und wie hoch war die Gesamtschutzquote
bei unbegleiteten Minderjährigen bzw. bei unter 18-Jährigen?

7. Wie lautet die Statistik zu Rechtsmitteln und Gerichtsentscheidungen im Be-
reich Asyl für das Jahr 2010 (soweit vorliegend), und welche Angaben zur
Dauer des gerichtlichen Verfahrens lassen sich machen (bitte wie auf Bundes-
tagsdrucksache 17/1717 zu Frage 7 darstellen)?

a) Wie erklärt und bewertet es die Bundesregierung und welche Konsequen-
zen für die Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge zieht sie daraus, dass afghanischen Asylsuchenden, die gegen
einen ablehnenden Bescheid des Bundesamtes geklagt haben, im Zeit-
raum 2009 bzw. 2010 in auffallend hohem Maße durch die Gerichte ein
Schutzstatus zugesprochen wurde (24 bzw. 42 Prozent) und anderseits ihre
Rechtsmittel nur in sehr geringem Umfang abgelehnt wurden (5 bzw.
1 Prozent, im Übrigen: Verfahrenserledigungen; vgl. Bundestagsdruck-
sache 17/1717, Frage 7)?

b) Wie erklärt und bewertet es die Bundesregierung und welche Konsequen-
zen für die Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge zieht sie daraus, dass im Zeitraum 2009 bzw. 2010 in nur etwa
14 Prozent aller gerichtlichen Entscheidungen ein Widerruf der Asyl- bzw.
(subsidiären) Flüchtlingsanerkennung durch das Bundesamt bestätigt und
nahezu die Hälfte der entsprechenden Widerrufe des Bundesamtes zu-
rückgenommen wurde (im Übrigen: Verfahrenserledigungen; vgl. Bun-
destagsdrucksache 17/1717, Frage 7)?

Berlin, den 13. Juli 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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