BT-Drucksache 17/2518

Gestaltung einer sozial und ökologisch nachhaltigen Vergabepolitik

Vom 7. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2518
17. Wahlperiode 07. 07. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Michael Groß, Hans-Joachim Hacker, Sören Bartol,
Uwe Beckmeyer, Martin Burkert, Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Ulrike Gottschalck,
Gustav Herzog, Johannes Kahrs, Ute Kumpf, Kirsten Lühmann, Thomas
Oppermann, Florian Pronold, Karin Roth (Esslingen), Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Gestaltung einer sozial und ökologisch nachhaltigen Vergabepolitik

Öffentliche Aufträge stellen einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar. Daher
wurden hierfür Regelungen aufgestellt mit dem Ziel, möglichst wirtschaftlich
mit öffentlichen Mitteln umzugehen und interessierten Unternehmen einen fairen
und marktgerechten Wettbewerb zu ermöglichen. Der Zwang zu wirtschaftlichem
Verhalten stellt den sparsamen Umgang mit Steuergeldern sicher. Bei der Ver-
gabe von öffentlichen Aufträgen müssen ebenso soziale Standards eingefordert
werden, denn eine verantwortungsvolle Auftragsvergabe durch Bund, Länder
und Kommunen ist ein unverzichtbarer Baustein für ein sozial und ökologisch
zukunftsfähiges Produktions- und Konsumverhalten. Mit dem Inkrafttreten des
Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen im April 2009 wurden die entspre-
chenden EU-Richtlinien umgesetzt.

Leider werden in der Praxis soziale und ökologische Bewertungskriterien bei
immer knapper werdenden öffentlichen Finanzmitteln zunehmend nicht nur
nachrangig behandelt, sondern zum Teil gar nicht geltend gemacht. Gerade im
Verkehrsbereich, der dem öffentlichen Vergabewesen unterliegt, sind im Sta-
dium der Auftragserfüllung bedenkliche Entwicklungen zu verzeichnen. Dop-
pelschichten, keine Zahlung von Zulagen oder gar Tariflöhnen sind die Folge
einer rein preisbestimmten Vergabepraxis.

Diese Entwicklung steht nicht im Sinne einer nachhaltigen und sozialen Politik.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hoch ist nach Erkenntnissen der Bundesregierung der Anteil öffentlicher
Aufträge an der Binnennachfrage?

2. Wie hoch ist nach Erkenntnissen der Bundesregierung der Anteil der Aus-
schreibungen, bei denen soziale Aspekte entsprechend der elementaren sozia-
len Mindeststandards (IAO-Kernarbeitsnormen) bei der Vergabe öffentlicher

Aufträge Berücksichtigung finden?

3. Wie viele Ausschreibungen haben die Bundesministerien und nachgeord-
neten Behörden seit Mai 2009 durchgeführt und lässt sich nachweisen, dass
etwa bei der Beschaffung von Natursteinen, Textilien, Spielwaren sowie Pro-
dukten und Fertigteilen der Informationstechnologie die sozialen Vergabe-
kriterien berücksichtigt wurden?

Drucksache 17/2518 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. In wie vielen Fällen (Zahl der Ausschreibungen) haben Bundesministerien
und nachgeordnete Behörden des Bundes von den im Gesetz gegen Wett-
bewerbsbeschränkungen ab 2009 neu geschaffenen Möglichkeit Gebrauch
gemacht, zusätzliche soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte bei
Vergaben zu berücksichtigen?

5. In wie vielen Fällen hat die Bundesregierung von Auftragsvergaben abge-
sehen, da die sozialen und ökologischen Kriterien entsprechend der Ver-
gabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL) nicht gewährleistet
waren?

6. In wie vielen Fällen wurde bei den Vergaben durch die Vorgabe der nachste-
henden zusätzlichen Kriterien Einfluss genommen und diese zur Entschei-
dungsgrundlage gemacht:

a) eine angemessene Bezahlung von Personal,

b) qualifiziertes Personal,

c) einen Anteil an Auszubildenden im Unternehmen,

d) einen Anteil älterer Beschäftigter im Unternehmen,

e) die Einstellung von Langzeitarbeitslosen im Unternehmen,

f) einen Anteil beschäftigter Menschen mit Behinderungen im Unterneh-
men,

g) einen Anteil beschäftigter Menschen mit Migrationshintergrund,

h) fast ausschließlich festangestellte Beschäftigte im Unternehmen,

i) die Existenz einer Beschäftigtenvertretung im Unternehmen,

j) die Gleichheit des Entgelts für Frauen und Männer,

k) die Einhaltung des Equal Pay zwischen Stammarbeitnehmern und Leih-
arbeitskräften,

l) Anteil weiblicher Beschäftigter?

7. Wie gewährleistet die Bundesregierung, dass öffentliche Auftraggeber im
Bereich des Bundes als zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des
Auftrages beschäftigungsorientierte Bedingungen verlangen, z. B. anteilige
Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen, Menschen mit Behinderungen
oder älterer Arbeitnehmer?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die Bedeutung sozialer Aspekte bei der
Vergabe von öffentlichen Aufträgen?

9. In wie vielen Fällen wurden bei Vergaben von Aufträgen durch Bundes-
behörden und nachgeordneten Einrichtungen ökologische Kriterien berück-
sichtigt?

10. Welche Erfahrungen haben die Bundesministerien und nachgeordneten
Behörden bei der Vergabe durch Einbeziehung der neuen Vergabekriterien
gemacht, insbesondere was die Zahl der Bewerbungen für diese Vergaben
betrifft?

11. Welche Erfahrungen haben die Bundesministerien und nachgeordneten Be-
hörden bei der Kontrolle der Einhaltung der neuen Vergabekriterien bei den
Auftragnehmern gemacht, und welche Sanktionen wurden bei der Verlet-
zung von Vergaberegelungen eingeleitet?

12. Welchen Stellenwert räumt die Bundesregierung dem Faktor Qualität bei der
Vergabe öffentlicher Aufträge ein?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2518

13. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung unterhalb der Schwellen-
werte von 193 000 Euro auf die Berücksichtigung sozialer Aspekte, insbe-
sondere zur Vermeidung von Leiharbeit, bei der Vergabe öffentlicher Auf-
träge hinzuwirken?

14. Plant die Bundesregierung, bei nationalen Vergabeverfahren unterhalb der
Schwellenwerte eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die die Berücksich-
tigung sozialer, ökologischer und innovativer Aspekte gewährleistet?

15. Sieht sich die Bundesregierung in der Pflicht, bei der Vergabe öffentlicher
Aufträge von Ministerien und Institutionen des Bundes, einschließlich des
Deutschen Bundestages, auf Tariftreue, angemessene Bezahlung, die aus-
reichende Beschäftigung von Behinderten sowie Langzeitarbeitslosen hin-
zuwirken und zur Vorbildwirkung den sozialen Aspekten der Vergabe nach-
weisliche Beachtung zu geben?

16. Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, dass nach den Erfahrungen
verschiedener Unternehmen immer noch vorrangig nach dem niedrigsten
Preisangebot, ohne Berücksichtigung sozialer Aspekte nach der EU-Verord-
nung (EG) Nr. 1370/2007 bei der Vergabe öffentlicher Aufträge entschieden
wird?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung unter dem Aspekt von sozialen Belangen
der Arbeitnehmer, der Nachhaltigkeit und der durchgehenden Qualitätsge-
währleistung den Sachverhalt, dass durch die Vergabe öffentlicher Aufträge
an neue Bieter oft eingearbeitete und gut geschulte Mitarbeiter entlassen und
durch unerfahrene neue Arbeitskräfte ersetzt werden?

18. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch die Beachtung von
Tariftreue und angemessener Bezahlung bei Auftragnehmern von öffent-
lichen Aufträgen die Binnennachfrage und die sozialen Sicherungssysteme
gestärkt werden?

19. Wie hoch sind nach Erkenntnissen der Bundesregierung Sozialversiche-
rungsbeiträge und Steuern, die nicht abgeführt werden, weil z. B. Tariftreue
und angemessene Bezahlung bei der Entscheidung für den Zuschlag unbe-
rücksichtigt bleiben?

20. Inwieweit würde die Bundesregierung eine Allgemeinverbindlichkeitserklä-
rung im Falle eines Abschlusses eines Branchentarifvertrages unterstützen?

21. Welche Erfahrungen sind der Bundesregierung aus interkommunalen Ein-
kaufskooperationen hinsichtlich der Vergabe öffentlicher Aufträge unter
Einbeziehung sozialer und ökologischer Aspekte bekannt?

22. Liegen der Bundesregierung Ergebnisse dazu vor, in welcher Weise bei dem
mit dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie mit dem
Preis „Innovation schafft Vorsprung“ ausgezeichneten Projekt der E-Ver-
gabe-Plattform soziale und ökologische Kriterien besondere Berücksichti-
gung fanden?

23. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, dass bei der Vergabe
öffentlicher Aufträge auch bei Einschaltung von Subunternehmern soziale
und ökologische Standards nachprüfbar gewährleistet bleiben?

24. Wie gewährleistet die Bundesregierung, dass auch Bundesbehörden, Länder
und Gemeinden bei der Auftragsvergabe soziale und ökologische Kriterien
berücksichtigen?

25. Welche Auswirkungen auf die Berücksichtigung sozialer und ökologischer
Kriterien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge hat nach Erkenntnissen der
Bundesregierung die vereinfachte Vergabe im Rahmen des sogenannten

Konjunkturpakets II?

Drucksache 17/2518 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
26. Was tut die Bundesregierung aktuell, um die Entsenderichtlinie so zu über-
arbeiten, dass Tariftreueklauseln auch künftig möglich sind?

27. Was tut die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass das Urteil des Euro-
päischen Gerichtshofes zum Fall Rüffert zeigte, dass nach gegenwärtiger
Lage Tariftreueklauseln nur mit gesetzlichem Mindestlohn möglich sind, um
flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne in Deutschland einzuführen?

Berlin, den 7. Juli 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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