BT-Drucksache 17/2505

Vorbereitung und Stand des 4. Armuts- und Reichtumsberichtes der Bundesregierung in der 17. Wahlperiode

Vom 7. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2505
17. Wahlperiode 07. 07. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hilde Mattheis, Anette Kramme, Petra Ernstberger, Elke Ferner,
Iris Gleicke, Ute Kumpf, Thomas Oppermann, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Vorbereitung und Stand des 4. Armuts- und Reichtumsberichtes
der Bundesregierung in der 17. Wahlperiode

Der Deutsche Bundestag hat auf Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN mit seinen Beschlüssen vom 27. Januar 2000 und vom 19. Ok-
tober 2001 die Erstellung eines regelmäßigen Armuts- und Reichtumsberichtes
in jeder Wahlperiode durch die Bundesregierung festgeschrieben. In dem Koa-
litionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP finden sich hingegen keine Äuße-
rungen, wie und in welchem Umfang die neue Bundesregierung die Armuts- und
Reichtumsberichterstattung zu betreiben gedenkt.

Ein Armuts- und Reichtumsbericht ist eine wesentliche Grundlage für die Aus-
gestaltung einer sozial gerechten Politik, da für die Verminderung von Armuts-
risiken und die Überwindung von Ausgrenzung ein hohes Maß an Verteilungs-
gerechtigkeit entscheidend ist. Sie ist die Voraussetzung für eine Stärkung der
Teilhabe- und Verwirklichungschancen des Einzelnen, vor allem durch bessere
Bildung, verbesserte Gesundheit und den Zugang zu Erwerbsarbeit mit existenz-
sicherndem Einkommen.

Die Analyse des Berichtes basiert auf der statistisch-empirischen Erfassung der
gesellschaftlichen Realität in Deutschland mit ihren Gegenpolen Armut und
Reichtum.

Für den 3. Armuts- und Reichtumsbericht wurde zum ersten Mal auf die Daten-
basis der Statistik der Europäischen Union über Einkommen und Lebensbedin-
gungen (EU-SILC) zurückgegriffen, was allerdings die Vergleichbarkeit zu den
Daten des 1. und 2. Armuts- und Reichtumsberichtes erschwerte. Diese basier-
ten vor allem auf den Erhebungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
(EVS) der amtlichen Statistik in Deutschland und des Sozio-oekonomischen
Panels (SOEP).

Im 3. Armuts- und Reichtumsbericht ist die Reichtumsberichterstattung der
Bundesregierung nur sehr eingeschränkt wahrgenommen worden. So hat sich
die Analyse und Darstellung der Vermögensverteilung auf nur einen einzigen In-
dikator (Q.1.: Vermögensverteilung) beschränkt, der für die „Verteilung der Ver-
mögen“ nur „auf die oberen 10 Prozent“ und „auf die unteren 50 Prozent“ – zu-

dem schwer vergleichbare – Zahlenangaben bietet und deren „aktuellste“ Zahl
aus dem Jahr 2003 stammt. Im Bericht wurde festgestellt, „dass die Daten- und
Erkenntnislage im Bereich des privaten Reichtums mit Blick auf besonders hohe
Einkommen und Vermögen kurzfristig nur schwer zu verbessern ist. Darüber
hinaus muss eine Analyse von Reichtum auch privilegierte Zugänge zu Bildung
und zu beruflichen Spitzenpositionen sowie Aspekte wie Macht und Einfluss
umfassen.“

Drucksache 17/2505 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie wird für die künftige Berichterstattung sichergestellt, dass die Erfas-
sungsmethoden der Datenerhebungen und Datenauswertungen sachgerecht
(z. B. konsequente Einbeziehung von Gender-Mainstreaming) sind, die
Datenlage aus den jeweiligen Erhebungen möglichst zeitnah zur Berichtsver-
öffentlichung datieren und nicht länger als vier Jahre zurückliegen sowie
methodisch präzise erfasst werden, so dass durch ihre klar definierte Erkennt-
nisfunktion und Vergleichbarkeit auch innerhalb langer Zeitreihen nachprüf-
bare Ziele formuliert werden können?

2. Welche zusätzlichen Indikatoren (z. B. Vererbung von Vermögen) und um-
fassendere Indikatorentableaus (z. B. überschuldete Haushalte) werden in die
Erfassung eingebracht, um die Armuts- und Reichtumsberichterstattung ziel-
genauer und transparenter zu gestalten?

3. Teilt die Bundesregierung die Bewertung, dass in Bezug auf überschuldete
Haushalte nicht nur „weiterer Forschungsbedarf“ (3. Armuts- und Reich-
tumsbericht) besteht, sondern auch Bedarf nach einer verstärkten öffent-
lichen Finanzierung der Überschuldungsforschung, um damit zu einer Har-
monisierung der Forschungs- und Datenerhebungsansätze zu gelangen, weil
eine zuverlässige und umfassende Überschuldungsstatistik geboten ist und
die wissenschaftliche Evaluation dieser Daten auch für die politische Unter-
stützung der Schuldnerberatung erforderlich ist?

4. Leitet die Bundesregierung entsprechende Schritte zur Verbesserung der
Berichterstattung in Bezug auf überschuldete Haushalte ein, um die unter
Nummer 3 genannten Mängel des 3. Armuts- und Reichtumsberichts auszu-
räumen?

5. Was unternimmt die Bundesregierung dafür, dass die Forschungsdefizite ins-
besondere in Bezug auf Reichtum abgebaut werden und für den 4. Armuts-
und Reichtumsbericht die Daten- und Erkenntnislage im Bereich des privaten
Reichtums mit Blick auf besonders hohe Einkommen und Vermögen ähnlich
präzise erfasst wird, wie die Armut im Armutsteil?

6. Was unternimmt die Bundesregierung dafür, dass für die Analyse von Reich-
tum die Erfassung von materiellen Vermögensbeständen (Grund- und Immo-
bilienvermögen, Betriebsvermögen, Gebrauchsvermögen, Geldvermögen,
weitere private Eigentumsrechte, z. B. an natürlichen Ressourcen, Patenten
u. a.) sowie immateriellem Vermögen (Sozialvermögen, d. h. Vernetzung in
und Mitgliedschaften in Entscheidungsgremien u. Ä. und Humanvermögen,
d. h. bildungsbürgerliche und berufliche Qualifikationen) möglich ist?

Wie kann sichergestellt werden, dass insbesondere das oberste Promille der
Gesellschaft – also die „Superreichen“ – in die Analyse miteinbezogen wer-
den können?

7. Kann die Bundesregierung sicherstellen, dass die Größe und Wirkung von
Erbschaften fester Bestandteil der Berichterstattung wird und die Analyse des
Reichtums auch die Art und Weise seiner Weitergabe durch Schenkungen,
Erbschaften oder andere Übereignungen miteinbezieht?

8. Plant die Bundesregierung, auch vermögensrelevante Größen wie Steuerver-
meidung, Steuerflucht, Steuerhinterziehung, Steuertraglast und deren Aus-
wirkung auf die Vermögensbildung zu erfassen und zu bewerten?

9. Wird die Bundesregierung dafür sorgen, dass die Erkenntnisse der Monopol-
kommission zu Betriebsvermögen der Unternehmen und ihrer Konzentration
Eingang in den Reichtumsteil der Armuts- und Reichtumsberichterstattung
finden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2505

10. Wird die Bundesregierung die funktionelle Verteilung zwischen Lohnarbeit
und Kapital als Gegenstand der Reichtums- und Armutsberichterstattung
untersuchen?

11. Was unternimmt die Bundesregierung dafür, dass die Analyse von Reich-
tum privilegierte Zugänge zu Bildung und zu beruflichen Spitzenpositionen
sowie Aspekte wie Macht und Einfluss umfasst?

12. Hat die Bundesregierung Untersuchungen zur Rekrutierung von Eliten und
zur Durchlässigkeit von Gesellschaftsbereichen sowie zu dem Verhältnis
zwischen Reichtum und Eliten in Auftrag gegeben, bzw. will sie solche
Untersuchungen in Auftrag geben und/oder Untersuchungen zur Durchläs-
sigkeit von Gesellschaftsbereichen, die die Auswirkungen auf das Human-
vermögen (Bildung, berufliche Erfahrungen, Gesundheit) und das Sozial-
vermögen (gesellschaftliche Stellung, Entscheidungsgewalt, gesellschaft-
liche Beziehungen) erforschen?

13. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass künftig die Eliteforschung und
insbesondere der Aspekt der sozialen Herkunft in die Reichtumsforschung
und -berichterstattung einbezogen werden?

14. Wie wird die Bundesregierung die Auswertung der Analyse der Verwen-
dung des öffentlichen Reichtums, des Steueraufkommens auf allen staat-
lichen Ebenen und die Wirkungen des Sozialstaats in die Reichtumsbericht-
erstattung einbringen?

Wird dabei auch Auskunft darüber gegeben werden, wie sich der Einsatz
öffentlicher Mittel (Bankenrettung) auf die Reichtums- und Armutsent-
wicklung in der Gesellschaft auswirkt?

Ist dafür auch eine Untersuchung der Partizipation am Einsatz öffentlicher
Mittel von armen und reichen Gesellschaftsmitgliedern geplant?

15. Plant die Bundesregierung, die Zustandsaufnahme des Armuts- und Reich-
tumsberichts in seinen Querschnittsthemen mit anderen Berichten (zu Fami-
lie, Kindern und Jugendlichen, Senioren, Bildung, Migration, Renten aber
auch Städtebau) besser zu vernetzen?

16. Wird es im 4. Armuts- und Reichtumsbericht Untersuchungen zu der Frage
geben, wie sich die Durchlässigkeit des Bildungswesens – unter Berück-
sichtigung der Zunahme von Privatschulen und der Entwicklung von öf-
fentlichen Schulen zu Restschulen – entwickelt?

17. Wird die soziale Benachteiligung durch die Erhebung von Studiengebühren
berücksichtigt werden?

18. Welche Forschungsvorhaben zur Verbesserung der Datenlage und welche
Gutachten als weitere wissenschaftliche Expertise für den 4. Armuts- und
Reichtumsbericht hat die Bundesregierung bereits vergeben bzw. plant sie
zu vergeben?

19. Plant die Bundesregierung für den 4. Armuts- und Reichtumsbericht die
Einführung von Handlungsanleitungen und Handlungskonzepten, mit de-
nen qualitative und quantitative Ziele – nachprüfbar – erreicht werden kön-
nen?

Berlin, den 7. Juli 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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