BT-Drucksache 17/2487

Klimabilanz im Ackerbau verbessern

Vom 7. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2487
17. Wahlperiode 07. 07. 2010

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Friedrich Ostendorff, Dr. Hermann
Ott, Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Markus Tressel,
Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Uwe
Kekeritz, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Ingrid Nestle, Dorothea Steiner,
Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Klimabilanz im Ackerbau verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Weder Wirtschafts- und Schuldenkrise noch das Scheitern der Klimaverhand-
lungen in Kopenhagen entlassen Deutschland und die Europäische Union aus
ihrer Verantwortung, alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, um das
2- Grad-Ziel zu erreichen und damit die schlimmsten Folgen des Klimawandels
zu verhindern.

Die klimarelevanten Emissionen müssen bis 2050 um mindestens 90 Prozent ge-
mindert werden, dazu muss jede Branche ihren Beitrag leisten.

Angesichts der globalen Klimakatastrophe und der Endlichkeit fossiler Energie-
träger müssen wir den Übergang von der erdölabhängigen zu einer auf Sonnen-
energie gestützten Landwirtschaft einleiten. Das bedeutet kurz- und mittelfristig
die Reduktion von Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft. Langfristig
erfordert dies den grundlegenden Umbau der Landwirtschaft zu einer vom Erdöl
unabhängigen Wirtschaftsweise, die auf erneuerbaren Energien und der effizien-
ten Nutzung der Sonnenenergie beruht. Hierfür bedarf es einer grundlegenden
Wende in der Agrarpolitik.

Der Landwirtschaft unter dem Deckmantel der Ernährungssicherung und der
notwendigen Erzeugung nachwachsender Rohstoffe einen Freibrief zu erteilen,
ihre Treibhausgasemissionen zu erhöhen – wie es in den Schlussfolgerungen des
Berliner Agrarministergipfels 2010 unter Schirmherrschaft der Bundesministe-
rin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Ilse Aigner, passiert
ist – ist inakzeptabel. Gerade die Betriebsformen, die die größten Probleme für
den Klimaschutz hervorrufen, wie die industrielle, auf Importfuttermittel basie-
rende Massentierhaltung oder ein bodendegradierender, allein auf Produktivi-
tätssteigerung ausgerichteter Ackerbau, tragen in keiner Weise zur Linderung

der weltweiten Hungerproblematik bei, sondern verschärfen sie.

Die Landwirtschaft in Afrika und Asien hat schon heute erheblich unter den Fol-
gen des Klimawandels zu leiden. Die Weltbank prognostiziert einen Rückgang
der landwirtschaftlichen Erträge in Entwicklungsländern von bis zu 21 Prozent
bis 2080, wenn dem Klimawandel nicht entschieden entgegengetreten wird.
Engagierter Klimaschutz und die Unterstützung der Anpassung insbesondere

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kleinbäuerlicher Strukturen an die Folgen des Klimawandels sind unverzicht-
bare Bausteine im Kampf für Ernährungssicherheit weltweit.

Der 4. Sachstandsbericht des IPCC von 2007 ordnet der Landwirtschaft 10 bis
12 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen zu. Dabei berücksichtigt er
weder die Emissionen, die durch eine Veränderung der Landnutzung wie Ent-
waldung, Grünlandumbruch oder Entwässerung von Mooren freigesetzt wer-
den, noch die Emissionen, die bei der sehr energieintensiven Produktion von
mineralischen Stickstoffdüngern entstehen. Berechnet man diese mit ein, ent-
fällt ein Anteil von bis zu 32 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen
auf die Landwirtschaft.

Für Deutschland schätzt die Bundesregierung unter Einbeziehung aller von der
Landwirtschaft verursachten Emissionen einen Wert von 11 bis 15 Prozent. Vor
allem bei Lachgas (N2O) und Methan (CH4), zwei Gasen mit einem wesentlich
höheren Treibhauspotential als Kohlendioxid (CO2), gehört die Landwirtschaft
zu den Hauptemittenten. Aber auch am CO2-Ausstoß hat sie durch ihren Ener-
gieverbrauch einen relevanten Anteil. Es ist daher dringend notwendig, dass die
Landwirtschaft in die Klimaschutzpolitik und die vereinbarten Reduktionsziele
einbezogen wird.

Die Landwirtschaft spielt allerdings nicht nur als Emittent eine Rolle beim
Klimawandel. Gleichzeitig hat sie ein großes Potenzial, der Atmosphäre CO2 zu
entziehen und dieses als Kohlenstoff in Pflanzen oder in der Humusschicht des
Bodens zu binden. Dies muss besser genutzt werden als bisher.

Die Landwirtschaft wird zwingend als CO2-Senke gebraucht, um die CO2-Kon-
zentration in der Atmosphäre langfristig unter den kritischen Stand von heute zu
senken. Dabei ist die pfluglose Bodenbearbeitung nur dann ein geeignetes In-
strument, wenn sie nicht mit einem erhöhten Pestizideinsatz oder anderen um-
weltschädlichen Bewirtschaftungsmaßnahmen verbunden wird.

Im Bereich des Ackerbaus ist die Überdüngung eine der wesentlichen Quellen
klimaschädlicher Emissionen. Je höher der flächenbezogene Stickstoffsaldo
durch die Düngung mit Stickstoffdüngern ist desto mehr Lachgas wird emittiert.
Und auch bei den agrarischen Kohlendioxid-Emissionen schlägt die Energie
aufwändige Herstellung von Mineraldüngern deutlich zu Buche. Denn für die
Produktion von einer Tonne Stickstoffdünger wird etwa eine Tonne Erdöl benö-
tigt. Laut den Ergebnissen des europäischen Forschungsprojekts CarboEurope
zeigt Deutschland im europäischen Vergleich die höchsten Lachgasemissionen
aber auch den höchsten Düngemittelverbrauch. Dabei liegt die Effizienz des
Stickstoffeinsatzes in Deutschland bei nicht einmal 50 Prozent. Hier sind umfas-
sende Verbesserungen nötig und möglich.

Eine weitere wichtige Emissionsquelle ist die landwirtschaftliche Nutzung von
Moorböden. Sie ist für 30 Prozent der Treibhausgasemissionen aus der Land-
wirtschaft verantwortlich, obwohl Moorböden nur knapp 8 Prozent der landwirt-
schaftlich genutzten Fläche ausmachen.

Durch die Absenkung des Grundwasserstandes und die Bearbeitung der Böden
wird Torf mineralisiert. Dies führt zu einer Freisetzung von Lachgas und CO2.
Die ackerbauliche Nutzung dieser Standorte beschleunigt den Abbau der orga-
nischen Substanz und ist damit die klimaschädlichste Variante. Sie führt zu
Treibhausgasemissionen von etwa 40 Tonnen CO2-Äquivalenten pro Hektar.
Durch die nach dem gleichen Wirkprinzip erfolgende Mineralisierung von orga-
nischer Substanz nach Umbruch von Dauergrünland werden etwa 10 Tonnen
CO2-Äquivalente pro Hektar und Jahr freigesetzt. Dauergrünland muss deshalb
besser als bisher geschützt werden.

Die Klimabilanz des ökologischen Landbaus ist deutlich besser als die der kon-

ventionellen Landwirtschaft. Dies belegt eine Vielzahl von Studien. Ursachen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2487

sind die signifikant niedrigeren Lachgas-Emissionen sowie der bessere Humus-
aufbau. Dieses Potenzial wird von der Bundesregierung weder ausreichend ge-
würdigt noch genutzt.

Auch sonst ergreift die Bundesregierung keine Maßnahmen, um den Ackerbau
in den Klimaschutz einzubinden. Obwohl im Rahmen des sogenannten Health
Checks in der zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik neue Finanzmittel
für den Klimaschutz zur Verfügung gestellt wurden, hat sie bis heute keine
neuen Fördermaßnahmen zur Ausreichung der Mittel in diesem Sinne ent-
wickelt. Stattdessen gewährt sie der Landwirtschaft trotz der desaströsen Haus-
haltslage weiterhin klimaschädliche Subventionen wie die unbeschränkte
Agrardiesel-Steuerbegünstigung und belohnt so den Energieverbrauch, statt
Energieeffizienz und die Umstellung auf Biokraftstofftechnologien zu fördern.
Mit den steuerfreien Pflanzenöltreibstoffen steht den Landwirten nach der Um-
rüstung der Traktoren eine Alternative zur Verfügung, die sie von volatilen Erd-
ölpreisen unabhängig macht und die regionale Wertschöpfung stärkt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– die Düngeverordnung im Sinne des Klimaschutzes zu überarbeiten. Die ge-
mäß der Düngeverordnung zulässigen Stickstoffüberschüsse müssen in einem
ersten Schritt auf 50 kg/ha abgesenkt werden. Zudem muss die Verordnung
um weitere technische Vorgaben und Anwendungsvorschriften zur Vermei-
dung gasförmiger Verluste bei der Ausbringung von Düngern ergänzt und mit
wirksamen Sanktionsinstrumenten versehen werden;

– zur weiteren Optimierung des Stickstoffeinsatzes in der Landwirtschaft auf
nationaler Ebene eine Stickstoffüberschussabgabe einzuführen und sich auf
europäischer Ebene für die EU-weite Einführung einer solchen einzusetzen;

– die Einnahmen aus dieser Stickstoffüberschussabgabe für ein Beratungs-
angebot zur Optimierung der Stickstoffdüngung und für die Förderung kli-
mafreundlicher Bewirtschaftungsformen einzusetzen;

– die Klimaleistungen des ökologischen Landbaus anzuerkennen und die Aus-
weitung des Ökolandbaus durch geeignete Maßnahmen voranzutreiben.
Dazu gehören z. B. die Stärkung der Ökolandbauförderung im Rahmen der
GAK (Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz), die Etablie-
rung des Bundesprogramm Ökolandbaus als dauerhaftes Forschungspro-
gramm sowie die Unterstützung der Züchtung von an den Ökolandbau ange-
passten Sorten und Rassen;

– im Rahmen der GAK geeignete Programme für die Förderung Klima scho-
nender Bewirtschaftungsformen aufzulegen, wie Maßnahmen zur Frucht-
artendiversifizierung, zum Leguminosenanbau, zum Zwischenfruchtanbau
oder zur Festmistwirtschaft, und diesen Programmen eine Förderpriorität ein-
zuräumen;

– im Rahmen des Agrarinvestitionsförderprogramms Sonderfördertatbestände
für den ökologischen Landbau, den Klimaschutz und für Maßnahmen zur
Förderung der Erdölunabhängigkeit der Landwirtschaft einzuführen und die
Investitionsförderung für klimaschädliche Investitionen z. B. zur Expansion
der Tierhaltung einzustellen;

– eine Umsetzungsstrategie zur Wiedervernässung von Moorstandorten, zur
Umwandlung ackerbaulich genutzter Moorstandorte in extensives Grünland
und zur wirksamen Vermeidung des Umbruchs von Dauergrünland zu ent-
wickeln und geeignete Förderprogramme aufzulegen;

– in der Agrarressortforschung und der Agrarforschungsförderung einen be-

sonderen Schwerpunkt auf den Aspekt des Klimaschutzes in der Landwirt-

Drucksache 17/2487 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
schaft sowohl hinsichtlich der Emissionsvermeidung als auch in Bezug auf
Anpassung, CO2-Bindung und Energieeffizienz landwirtschaftlicher Verfah-
ren zu legen;

– klimaschädliche Subventionen an die Landwirtschaft wie die Agrardiesel-
Steuerbegünstigung, die Befreiung von der Kfz-Steuer sowie die Strom- und
Energiesteuerermäßigung schrittweise aufzuheben und im Gegenzug Förder-
programme zur Umrüstung von Traktoren und zur Verbesserung der Energie-
effizienz im Land- und Gartenbau aufzulegen.

Berlin, den 6. Juli 2010

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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