BT-Drucksache 17/2403

Nuklearer Katastrophenfall - Katastrophenschutz und Evakuierung

Vom 2. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2403
17. Wahlperiode 02. 07. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn,
Oliver Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Dr. Hermann Ott,
Dorothea Steiner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nuklearer Katastrophenfall – Katastrophenschutz und Evakuierung

Im Falle einer Nuklearkatastrophe eines Atomkraftwerks müsste sehr schnell
und professionell reagiert werden, um den Schaden an Mensch und Umwelt we-
nigstens zu verringern. Sowohl vorsorgende Planung als auch der Ablauf im
Falle des nuklearen Ereignisses sind daher von großer Bedeutung. Von besonde-
rer Bedeutung sind die Vorbereitung und Durchführung von Evakuierungen aber
auch die Folgen für die Evakuierten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Ausbreitungsrechnungen gibt es für die deutschen Atomreaktoren
unter der Annahme von auslegungsüberschreitenden Unfallereignissen (bitte
unter Angabe der jeweils unterstellten Quellterme und Witterungslagen ange-
ben)?

2. Welche Radioaktivitätsmengen könnten aus den einzelnen deutschen Kern-
anlagen im Falle eines auslegungsüberschreitenden Unfalls maximal frei-
gesetzt werden (bitte nach einzelnen Reaktoren und den gemäß den letztgültig
den Behörden vorliegenden Untersuchungen entsprechenden Unfallsequen-
zen entsprechenden Quellterme angeben)?

3. Welche Untersuchungen zu den Langzeitfolgeschäden der Reaktorkatastro-
phe in Tschernobyl wurden bei der Erstellung der vorliegenden und gegebe-
nenfalls zu erarbeitenden Katastrophenschutz- und Evakuierungspläne be-
rücksichtigt?

4. Haben die neueren Untersuchungen von Dipl.-Phys. Oda Becker vom Juni
2009 zu den Auswirkungen schwerer Atomunfälle von Atomkraftwerken
oder vom Öko-Institut e. V. vom November 2007 (Eurosolarstudie „Analyse
des Bedrohungspotenzials ,gezielter Flugzeugabsturz‘ am Beispiel der An-
lage Biblis-A“) Eingang in die Katastrophenschutz- und Evakuierungspläne
des Bundes und der Länder gefunden, und falls nein, wieso nicht?

5. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob und inwiefern der

Einsatz der neuen Softwarefamilie S3 (Safety Support Systems), die in ande-
ren Ländern wie z. B. Kanada für realitätsnahe Katastrophenschutzübungen
eingesetzt wird, auch in Deutschland geplant ist?

6. Welche Institutionen sind für den Katastrophenschutz zuständig, und wer
übernimmt die Kosten für den Katastrophenschutz für den Fall einer Reaktor-
katastrophe?

Drucksache 17/2403 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

7. Finden landesgrenzenüberschreitende Katastrophenschutzübungen statt, die
den Fall eines nuklearen Ereignisses simulieren?

8. Welche Freisetzungsmengen wurden bei Katastrophenschutzübungen für
die relevanten Nuklide Cäsium und Jod unterstellt?

Entsprechen diese Mengen den zu erwartenden Freisetzungsmengen nach
einem Kernschmelzunfall bei offenem Containment?

9. Wie wird sichergestellt, dass die Bevölkerung im Falle eines nuklearen
Unfalls in der Vorfreisetzungsphase gewarnt wird?

Welche Behörde ist für die Funktionsfähigkeit der entsprechenden Sirenen
zuständig, und erhält die Bundesregierung Bericht über die Funktionsfähig-
keit?

10. Bis zu welchen Entfernungen von Kernanlagen gibt es Evakuierungspläne,
und bis zu welchen Entfernungen von Kernanlagen könnte im Falle eines
nuklearen Ereignisses unter Zugrundelegung unterschiedlicher meteorolo-
gischer Ausbreitungsverhältnisse eine Evakuierung erforderlich sein, wenn
zur Beurteilung der Notwendigkeit einer langfristigen Umsiedlung das Kri-
terium der Dosis von 100 Millisievert (mSv) durch äußere Exposition inner-
halb eines Jahres herangezogen wird?

Welche Unfallsequenzen und meteorologischen Annahmen wurden den ent-
sprechenden Notfallplänen unterstellt?

11. Stimmt die Bundesregierung der Veröffentlichung von Lothar Hahn aus dem
Jahr 1999 zu, dass infolge eines schweren Reaktorunfalls eine Evakuierung
von bis zu 10 000 km2 und eine Umsiedlung der Bevölkerung aus einem Ge-
biet von bis 100 000 km2 erforderlich sein könne, und falls nein, anhand wel-
cher Gutachten kommt die Bundesregierung zu einer anderen Auffassung
(HAHN 1999 L. Hahn: Kernkraftwerke der Welt – Bestand, Funktionsweise,
Sicherheitsprobleme; in: Gefahren der Atomkraft; Ministerium für Finanzen
und Energie des Landes Schleswig-Holstein, 2. aktualisierte Auflage, Kiel;
Mai 1999)?

12. Für welche maximale Fläche (Angabe in Quadratkilometern) könnte im
Falle eines nuklearen Ereignisses unter Zugrundelegung unterschiedlicher
meteorologischer Ausbreitungsverhältnisse eine Evakuierung erforderlich
sein, wenn zur Beurteilung der Notwendigkeit einer langfristigen Umsied-
lung das Kriterium der Dosis von 100 mSv durch äußere Exposition inner-
halb eines Jahres herangezogen wird?

13. Wie viele Menschen können entsprechend den derzeitigen Katastrophen-
schutzplänen innerhalb einer Stunde, eines Tages, einer Woche entsprechend
der Deposition, dem Wetter und den Transportkapazitäten evakuiert wer-
den?

14. Wie viel Personal steht für Evakuierungen im Falle eine nuklearen Ereignis-
ses zur Verfügung, und wie setzt sich dieses Personal zusammen?

Gibt es diesbezüglich länderspezifische Unterschiede?

15. Wer trägt die Kosten der kurzfristigen Evakuierung?

16. Wer trägt die Kosten einer dauerhaften Umsiedlung?

17. Welche Pläne gibt es für eine dauerhafte Umsiedlung im Falle eines
nuklearen Ereignisses?

Welche Zonen wären hiervon betroffen?

18. Was wäre die Rechtsgrundlage einer dauerhaften Umsiedlung im Zweifel

auch gegen den Willen Betroffener?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2403

19. Gibt es Abkommen mit anderen Staaten zur Aufnahme deutscher Staatsbür-
ger, sollte im Falle eines nuklearen Ereignisses die Evakuierung ins Ausland
erforderlich sein?

20. Beinhalten die Evakuierungspläne auch die Evakuierung von Nutz- und
Haustieren?

21. Wer kommt für die Kosten auf, die für Unternehmen entstehen, die ihre Pro-
duktion zeitweise oder sogar endgültig aus kontaminierten Zonen verlagern
müssen?

22. Welche Institutionen organisieren im Falle eines nuklearen Ereignisses die
medizinische Notfallversorgung?

23. Welche Institutionen wären für die Versorgung der Bevölkerung mit Jod-
tabletten im Falle eines nuklearen Ereignisses zuständig, und wer trägt hier-
für die Kosten?

Berlin, den 2. Juli 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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