BT-Drucksache 17/2386

Atomkraftwerk Biblis B - Mögliche Sicherheitsmängel im Notkühlsystem

Vom 2. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2386
17. Wahlperiode 02. 07. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn,
Oliver Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Dr. Hermann Ott,
Dorothea Steiner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Atomkraftwerk Biblis B – Mögliche Sicherheitsmängel im Notkühlsystem

Am 17. Dezember 2009 richtete die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nach
zwei Berichten des ARD-Magazins „Kontraste“ über Hinweise auf Sicherheits-
mängel im Notkühlsystem des Atomkraftwerks (AKW) Biblis B eine diesbezüg-
liche Kleine Anfrage an die Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 17/308).
Auch nach ihrer Beantwortung (Bundestagsdrucksache 17/496) besteht aus Sicht
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weiterhin der Verdacht einer fehlen-
den Bauteilzuordnung durch fehlende Stempelfelder an Rohrleitungen des TH-
Systems (Notkühlsystem), mithin kein eindeutiger Werkstoffnachweis und die
Gefahr, dass Rohrleitungen unzureichender Qualität verwendet wurden. Soweit
nicht explizit anderweitig angegeben beziehen sich alle folgenden Fragen auf
Biblis B.

Wir fragen die Bundesregierung:

Materialprüfungen nach Rohrriss im Jahr 1995

1. Wurden seinerzeit an der geborstenen TA-Leitung (Störfall von 1995) zerstö-
rende Prüfungen an dem herausgetrennten Rohrteil durchgeführt, und wurden
die Prüfungen dokumentiert?

2. Sind die gemessenen Festigkeits- und Zähigkeitswerte mit den Werten der
Norm und dem Werkstoffzeugnis vergleichbar bzw. abdeckend?

3. Sind die gemessenen Festigkeits- und Zähigkeitswerte einsehbar, und gegebe-
nenfalls wo?

Falls nein, weshalb nicht?

Materialprüfungen an Rohrteilen im Jahr 2009

4. Wurden an den in 2009 herausgeschnittenen acht Stück TH-Leitungen (vgl.
Bundestagsdrucksache 17/496, Frage 19) außer der Bestimmung der chemi-
schen Analyse auch zerstörende Prüfungen für die Bestimmung der Festig-
keit, Härte und Kerbschlagzähigkeit durchgeführt, und falls ja, erfolgte dies

mit positivem Ergebnis entsprechend den Mindestwerten der Norm?

5. Liegen diese Prüfungsergebnisse dem Bundesministerium für Umwelt, Na-
turschutz und Reaktorsicherheit (BMU) vor, und falls nein, weshalb nicht?

6. Liegen diese Prüfungsergebnisse nach den Erkenntnissen des BMU der hes-
sischen Atomaufsicht vor, und falls nein, weshalb nicht?

7. Sind die Erprobungen dokumentiert, und falls nein, weshalb nicht?

Drucksache 17/2386 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

8. Sind die Erprobungsergebnisse einsehbar, auch für unabhängige Gutachter,
und gegebenenfalls wo?

Falls nein, weshalb nicht?

9. Nach welcher Systematik bzw. nach welchen konkreten Kriterien erfolgte
die Auswahl der 2009 ausgetauschten Rohrleitungsstücke?

10. Kann das BMU ausschließen, dass der Austausch willkürlich erfolgte – ge-
rade vor dem Hintergrund, dass es in diesem Zusammenhang insgesamt um
ca. 300 Rohrstücke ohne Stempelung geht?

11. Kann das BMU definitiv ausschließen, dass es weitere Rohrstücke gibt, bei
denen eine Zeugniszuordnung unmöglich ist, und falls ja, auf welcher Da-
tengrundlage kann das BMU dies ausschließen?

12. Wurden die acht Rohrbauteile, die 2009 ausgetauscht wurden, nach ihrem
Austausch nur einer metallografischen Untersuchung zur Feststellung und
auch Bestimmung der Werkstoffnummer (1.4541 oder 1.4550) unterzogen?

13. Ist diese Untersuchung auch repräsentativ für die restlichen ca. 250 bis 300
Rohrstücke, die kein Stempelfeld aufweisen?

14. Wurden an den im Jahr 2009 herausgetrennten Rohrstücken weitere zerstö-
rende Prüfungen zum Bestimmen der Festigkeit (0,2-Prozent-Dehngrenze),
Kerbschlagzähigkeit und der Bruchdehnung an Rohren durchgeführt, und
falls ja, mit welchem Ergebnis?

Falls nein, warum nicht?

15. Sind die Prüfungsergebnisse einsehbar, auch für unabhängige Gutachter,
und gegebenenfalls wo?

Falls nein, warum nicht?

16. Entsprechen die gemessenen Werte den Mindestwerten der 1972 gültigen
Norm?

17. Wenn nein, welche Konsequenzen wurden daraus gezogen?

Sind insbesondere weitere Untersuchungen mit welchen Ergebnissen veran-
lasst worden?

Erkenntnisse der Periodischen Sicherheitsüberprüfung von Biblis B

18. Ist die Studie der TÜV Gutachtergemeinschaft PSÜ zur Periodischen Sicher-
heitsüberprüfung (PSÜ) von Biblis B aus dem Jahr 2002 zutreffend, dass

a) die Rohrleitungen des TH-Systems Biblis B teilweise zu geringe Wand-
dicken aufweisen,

b) der Werkstoff vielfach nicht die geforderten und für die Auslegung des
Systems berücksichtigten Festigkeitswerte garantiert und

c) bei der Berechnung Festigkeitskennwerte nicht immer eingehalten wer-
den?

19. Können der TÜV, die hessische Atomaufsicht und das BMU die Einschät-
zung der RWE AG im RWE-Schreiben an die hessische Atomaufsicht vom
18. August 2005 (Seite 5) nachvollziehen, eine sicherheitstechnisch bedenk-
liche Situation könne beim TH-System nicht entstehen, weil der Berechner
für die Rohrbauteile den niederfesten Werkstoff 1.4541 zugrunde gelegt
habe?

20. Kann die Bundesregierung in diesem Zusammenhang bestätigen, dass in
keiner Werkstoffnorm unterschiedliche Festigkeitswerte für die Werkstoffe

1.4541 bzw. 1.4550 vorgegeben werden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2386

21. Kann das BMU bestätigen, dass die TÜV Gutachtergemeinschaft PSÜ 2002
darauf hinwies, dass die zur Errichtungszeit des AKW Biblis B festgelegten
Wanddicken für Rohre und Formstücke möglicherweise nicht ausreichend
bemessen sind, sodass die Integrität des TH-Systems möglicherweise nicht
sichergestellt ist?

22. Ist dieser Hinweis der TÜV Gutachtergemeinschaft PSÜ von Dezember 2002
aus Sicht des BMU richtig?

23. Ist dieser Sachverhalt vom TÜV vertiefend untersucht worden und mit wel-
cher Konsequenz von der zuständigen Atomaufsicht gewürdigt worden?

Isometrien und Rohrpläne

24. Ist es richtig, dass in den ursprünglichen Isometrien und Rohrplänen keine
oder nur unvollständige Informationen über Stempelfelder enthalten waren?

25. Ist es richtig, dass von Seiten des damaligen Auftraggebers RWE für die
Isomet-Begehungen die Maßgabe bestand, dass, wenn Stempelfelder nicht
auffindbar bzw. unklar waren, in den Arbeitsisometrien das entsprechende
Feld leer gelassen oder durchgestrichen wurde?

Ist es zutreffend, dass in diesem Zusammenhang in den dazugehörigen
Stücklisten der vorgegebene Werkstoff ebenso durchgestrichen wurde?

26. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass es in diesem Zusammenhang ein
Schreiben des damals mit der Isomet-Begehung beauftragten Subunterneh-
mers (Firma Rheinmüller) an das hessische Ministerium für Umwelt, Ener-
gie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom September 2005 gab?

27. Waren mit dieser Vorgehensweise bei den Isomet-Begehungen Plausibili-
tätsbetrachtungen zur Feststellung der Chargen-/Identifikationsnummer und
dementsprechend ein Rückschluss auf das Werkstoffzeugnis und daraus fol-
gend auf die Rohrleitungsgüte möglich?

Falls ja, welche?

28. Ist anhand der Eintragung der Materialidentifikationsnummer (Stempelung)
in den „As-built-Plänen“ und den Werkstofflisten der Dokumentation eine
eindeutige Nachvollziehbarkeit der Güte des eingesetzten Rohrleitungs-
werkstoffes möglich, wenn andererseits über die nicht vorhandene Stempe-
lung am Rohrstück eine Zuordnung nicht gegeben ist?

29. Können die erforderlichen Nachweise durch nachträgliche Eintragungen in
den Plänen und Zeugnissen (Prüfplänen) zweifelsfrei geführt werden?

30. Gilt eine TÜV-abnahmepflichtige Leitung als abgenommen und geprüft,
wenn an dem betreffenden druckführenden Bauteil (Rohr oder Behälter) der
entsprechende Stempel des zuständigen TÜV fehlt?

31. Dürfen Stempelfelder im Bereich von Rohrhalterungen oder Durchfüh-
rungen angebracht sein, wenn diese andererseits für Abnahmen und Doku-
mentationsprüfungen durch den TÜV und die Qualitätsstelle des General-
unternehmers zur Zeit der Errichtung und auch später für wiederkehrende
Prüfungen jederzeit frei zugänglich und einsehbar sein müssen?

32. Dürfen Rohrleitungen im Bereich der Stempelfelder (ca. 200 bis 250 mm
beidseitig von der Schweißnaht entfernt) nach der Errichtung oder bei wie-
derkehrenden Prüfungen mittels Ultraschall oder Oberflächenrissprüfung so
beschliffen werden, dass die Stempelfelder nicht mehr lesbar sind oder
sogar gelöscht werden?

Gibt es hierzu eine entsprechende Arbeitsanweisung (gegebenenfalls bitte

angeben)?

Drucksache 17/2386 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
33. Gibt es in dem zur Zeit der Errichtung des AKW Biblis B gültigen Regel-
werks und in einer der atomrechtlichen Genehmigung zugrunde liegenden
Spezifikation die Erlaubnis, die gemäß Spezifikation RE-L 500 Abschnitt
4.3, Blatt VI S. 2, geforderte eindeutige Verpflichtung die Rohre mit einer
eindeutigen Kennzeichnung zu versehen, diese Kennzeichnung nach einer
Abnahme der Rohre nach Belieben entfallen zu lassen oder zuzulassen, dass
diese Kennzeichnung bei wiederkehrenden Prüfungen beschädigt oder gar
gelöscht wird?

34. Wenn ja, wie lautet diese Erlaubnis/Ausnahmegenehmigung konkret?

Wo steht sie explizit beschrieben, und ist diese Genehmigung einsehbar?

35. Sieht das BMU als oberste Atomaufsichtsbehörde in Anbetracht der hier
behandelten Fragestellungen und Probleme Handlungsbedarf, und falls ja,
welchen?

36. Beabsichtigt das BMU, in Anbetracht der hier behandelten Fragestellungen
und Probleme, die nachgeschaltete Behörde und den Betreiber RWE zu ver-
anlassen, zumindest über zusätzliche zerstörungsfreie oder zerstörende Prü-
fungen an explizit ausgewählten Rohren des TH-Systems die Mindestanfor-
derungen der Rohrleitungsqualität sicherzustellen?

Falls nein, warum nicht?

Berlin, den 2. Juli 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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